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Alina Bronsky erzählt vom Aufbruch aus der Isolation, von der Hoffnung auf Verständnis, von der Sehnsucht, als der erkannt zu werden, der man wirklich ist - und damit von allem, was das Erwachsenwerden ausmacht. Rasend komisch und herzzerreißend traurig, niemals weinerlich, aber immer wieder herrlich böse.
Marek traut seinen Augen nicht, als er den Gruppenraum im Familienbildungszentrum betritt: ein Stuhlkreis mit sechs versehrten Jugendlichen, geleitet von einem unrasierten Guru mit sanfter Stimme und langem Haar. Ausgerechnet eine Selbsthilfegruppe! Marek dachte, er würde eine Lerngruppe
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Produktbeschreibung
Alina Bronsky erzählt vom Aufbruch aus der Isolation, von der Hoffnung auf Verständnis, von der Sehnsucht, als der erkannt zu werden, der man wirklich ist - und damit von allem, was das Erwachsenwerden ausmacht. Rasend komisch und herzzerreißend traurig, niemals weinerlich, aber immer wieder herrlich böse.

Marek traut seinen Augen nicht, als er den Gruppenraum im Familienbildungszentrum betritt: ein Stuhlkreis mit sechs versehrten Jugendlichen, geleitet von einem unrasierten Guru mit sanfter Stimme und langem Haar. Ausgerechnet eine Selbsthilfegruppe! Marek dachte, er würde eine Lerngruppe fürs externe Abitur besuchen, und will mit der »Krüppeltruppe« nichts zu tun haben - doch schon ist er mittendrin und sein Leben steht Kopf.

In Alina Bronskys drittem Roman geht es erneut so rasant zu, dass man nicht weiß, ob man gerade lachen oder weinen soll. Ihr jugendlicher Held hat eine Kampfhund-Attacke auf sein Gesicht hinter sich, will mit dem Leben nichts mehr zu tun haben und das Leben nichts mehr mit ihm. Die Nummer seiner Freundin hat Marek auf immer und ewig gelöscht. Auf die Straße traut er sich nur im Dunkeln, und auch dann nur mit Sonnenbrille.

Was als ultimative Demütigung beginnt - von seiner alleinerziehenden Mutter in die falsche Gruppe gelockt worden zu sein -, erweist sich bald als große Chance. Eine zickige Schönheit im Rollstuhl, eine zarte Liebe, eine gemeinsame Gruppenfreizeit und ein plötzlicher Todesfall lassen Marek seinen Weltschmerz für immer vergessen.
Autorenporträt
Alina Bronsky, geboren 1978 in Jekaterinburg/Russland, lebt seit den Neunzigerjahren in Deutschland. Ihr Debütroman 'Scherbenpark' wurde zum Bestseller und fürs Kino verfilmt. 'Baba Dunjas letzte Liebe' wurde für den Deutschen Buchpreis 2015 nominiert und ein großer Publikumserfolg. 2019 erschien ihr Roman 'Der Zopf meiner Großmutter', der ebenfalls wochenlang auf der SPIEGEL-Bestsellerliste stand.
Rezensionen
»Voll Witz, Charme und viel Verständnis für alles nur zu Menschliche erzählt Alina Bronsky diese Geschichte. [...]. Ein brillantes Lesevergnügen.« Barbara von Becker Berliner Zeitung 20131119

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.09.2013

Wir sind durchgeknallt, aber wir schaffen das trotzdem

Patchworkfamilien, Engel und Superhelden: In den neuen Romanen von Alina Bronsky und Tanja Maljartschuk wird nicht lange gefackelt, sondern entschlossen zugepackt.

Beim Personal ihres neuen Romans hat Alina Bronsky mit tragischen Schicksalen wahrlich nicht gespart. In der ersten filmreifen Szene sitzen wir mit dem siebzehnjährigen Marek in einem, wie er es nennt, "Casting für besonders geeignete Krüppel": ein unverschämt gutaussehender Blinder, ein Beinamputierter, ein wegen einer Antiimmunschwäche dem Tode Geweihter, dessen innere Organe sich langsam zersetzen, eine psychotische Tunte, ein Schneewittchen im Rollstuhl und eben Marek, dem ein Rottweiler das halbe Gesicht weggebissen hat, als er sich schützend vor seine Freundin stellte. Ein Superheld! Zahlreiche plastische Operationen führten zu mäßigem Erfolg, und so verbringt der Junge ohne Gesicht seine Tage im abgedunkelten Zimmer, den Blick starr auf sein Aquarium gerichtet.

Aus Rücksicht auf seine und die Psyche seiner Mitmenschen verlässt er das Haus nur in der Dunkelheit und auch dann nur mit schützender Sonnenbrille. Die Casting-Show ist in Wahrheit eine Selbsthilfegruppe, geleitet von einem Sozialarbeiter-Guru, der, wie sich bald herausstellt, eine Mutmachdokumentation über die Behinderten drehen möchte. So was ist gerade en vogue. Da die Gesprächsrunde etwas aus dem Ruder zu laufen droht, schlägt der Guru eine Reise in die mecklenburgische Provinz vor, wo es erwartungsgemäß zu einigen traurigen und vielen komischen Zwischenfällen kommt.

Zum Romanpersonal gehören ferner Mareks Mutter, eine geschiedene Scheidungsanwältin, das inzwischen mit Mareks Vater verheiratete ukrainische Ex-Au-pair Tamara, nun Stiefmutter von Marek und Mutter des kleinen Halbbruders. Während sich Marek in der brandenburgischen Provinz mit seinem blinden Nebenbuhler um die Gunst des Schneewittchens prügelt, verunglückt sein Vater in den Schweizer Alpen beim Klettern tödlich, woraufhin seine Mutter und er der hübschen, aber recht lebensuntüchtigen jungen Witwe zur Hilfe eilen.

Alles kulminiert in einer wodkaseligen Beerdigungsfeier, bei der die überraschend hereingeschneite mehrsprachige ukrainische Stiefgroßmutter das Akkordeon spielt. Der Guru, der mit der ganzen Behindertentruppe unerwartet eingetroffen ist, wirbelt die Dramatik durch ein ungeheuerliches Zeugungsgeheimnis noch einmal gehörig durcheinander. Dennoch geht am Ende alles gut aus, nur eben anders als erwartet.

Das alles liest sich, man ahnt es schon, flüssig weg. Geschrieben ist dieses Buch in der für Alina Bronsky typischen abgeklärt-schnoddrigen Sprache eines lebensklugen, leicht misanthropischen Teenagers, der mit einer Überdosis an schwarzem Humor ausgestattet ist, der sich aus einer ebensolchen Überdosis an Verzweiflung speist. Traurige Geschichten also für humorvolle Leser, wenn da nicht der viele Klamauk wäre.

Zum Ende hin beschleicht einen das Gefühl, weniger wäre vielleicht mehr gewesen. Schließlich bilden die tragikomischen Missverständnisse im Leben mit Behinderungen nur die üppige Hülle für das eigentliche Thema. Das ist wie schon in den beiden letzten Romanen der 1978 im damals noch sowjetischen Swerdlowsk im Ural geborenen und seit Anfang der neunziger Jahre in Deutschland lebenden Autorin die Familie. Der Tenor ist: Wir sind zwar keine Bilderbuchfamilie, sondern ein ziemlich durchgeknallter und zusammengewürfelter Haufen, aber wir schaffen das schon.

Vom Mut und mit dem Humor der Verzweiflung erzählt auch die 1983 im westukrainischen Iwano-Frankiwsk geborene Tanja Maljartschuk. Im Jahr 2009 hatte sie mit einer Sammlung von grotesken Erzählungen unter dem Titel "Neunprozentiger Haushaltsessig" auf sich aufmerksam gemacht. Jetzt folgt das Romandebüt der mittlerweile in Wien lebenden Autorin. Hier schlägt die Ironie in Sarkasmus um, das Lächeln gefriert einem auf den Lippen.

Ihrer Superheldin Lena dient der Zynismus als Selbstschutz in Ausnahmesituationen, die sich in einer ukrainischen Provinzstadt im letzten Vierteljahrhundert - und wohl auch davor - in lückenloser Kette aneinanderreihen. Eigentlich hat Lena, die gut in der Schule war, immer gedacht, dass aus ihr mal etwas Großes würde. Allein der Weg dorthin gestaltet sich wie ein Hindernislauf aus einem Gruselmärchen. Nachdem sie die Schule beendet hat, trennen sich ihre Eltern und ziehen mit neuen Partnern jeweils in eine Einzimmerwohnung, wo für die Tochter kein Platz mehr ist. Es sind die Jahre des nationalen Aufbruchs in die marktwirtschaftliche Demokratie, wobei man das in der Ukraine irgendwie falsch verstanden haben muss.

Denn die Marktwirtschaft zeigt sich hier darin, dass jeder etwas auf dem Markt verhökern möchte, was keiner braucht, und statt sich in Demokratie zu üben, wird der Kommunismus gegen einen faschistoiden Nationalismus und allerlei Pseudoreligion ausgetauscht. Auf den Märkten mit chinesischen Billigimporten wurde "die Hoffnung auf bessere Zeiten genährt und die kollektive Depression geheilt". Lena, die stur auf der russischen Form ihres Namens besteht und das ukrainische Olenka ablehnt, muss lernen, dass man sich Studienplätze kauft, obwohl die Bildung natürlich kostenlos ist. Dabei soll ihr der Marktnachbar helfen, ein Professor. Ihre Ersparnisse reichen leider weder für die ersehnte Philosophie noch für Physik. Sie landet in der Sportfakultät, wo sie es hasst, ihre Runden zu drehen, und sich schnell in ein abstruses Forschungsprojekt zur Gesundheitsverbesserung abmeldet. Irgendwann reicht ihr auch das, und sie beschließt, es Millionen ihrer Landsleute gleichzutun und in einen Bus gen Westen zu steigen.

Als sie sich davor noch kurz von ihrer alten Schulfreundin Iwanka, genannt Hund, verabschiedet, lässt Lena bei ihrem Anblick den Westen sausen. Hund, die nie gut in der Schule war, hatte früh einen wiedergeborenen Frömmler geheiratet, der sie schikanierte, hungern ließ und schlug. Als sie sich halb totgeprügelt in eines der neuen Frauenhäuser retten wollte, verweigerte man ihr mitten in einer eiskalten Winternacht die Aufnahme: Es fehle an den notwendigen medizinischen Attesten. Ihr erfroren die Beine, und seitdem sitzt sie in einem Stuhl am Fenster, weil ihre subproletarische Großfamilie sich nicht mal um einen Rollstuhl kümmert.

Wie David gegen Goliath kämpft Lena nun gegen das Bestiarium der ukrainischen Bürokratie, deren Vertreter anstelle des Herzens einen "Herzstumpf" und anstelle von offenen Ohren offene Taschen für Schmiergeld haben. Wie die Bildung ist auch die Krankenversorgung im Prinzip kostenlos, nur dass man fünf Jahre auf einen klapprigen Rollstuhl warten muss, wenn man nicht ein paar Tausender hinlegt. Vorbei die schwingenlahme Sehnsucht nach ein bisschen Freundlichkeit. Lena kämpft. Nicht nur für Hund, sondern auch für die herrenlosen Straßenköter der Stadt, die windige Geschäftemacher an Chinarestaurants verkaufen. Sie wehrt sich gegen den Rassismus der neuen Jungnationalisten und träumt ein bisschen zu laut von Gerechtigkeit. Und weil für solche Träumer im Osten bekanntlich reichlich Pritschen im Arbeitslager oder Zwangsjacken in der Psychiatrie reserviert sind, hilft nur noch Magie.

Korrupt, verlogen, verschlagen, brutal - so zeichnet und karikiert Tanja Maljartschuk ihre Heimat in einer "gottlosen Zwischenzeit". Es ist ein ebenso wunderbares wie bitteres Buch, eine schreiende Anklage in Prosa im Stile von Saltykow-Schtschedrin, dem großen russischen Satiriker des neunzehnten Jahrhunderts. Wodka, so erklärt ein Mafia-Boss weise, trinke man nicht, weil er da ist, sondern weil nichts anderes da ist. Über diese Tristesse erhebt sich Lena, ein weiblicher Don Quichotte der Erniedrigten und Beleidigten, wie ein schwebender Chagallscher Engel.

SABINE BERKING.

Tanja Maljartschuk: "Biografie eines zufälligen Wunders". Roman.

Aus dem Ukrainischen von Anna Kauk. Residenz Verlag, Salzburg/Wien 2013. 270 S., geb., 21,90 [Euro].

Alina Bronsky: "Nenn mich einfach Superheld". Roman.

Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2013. 240 S., geb., 16,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Die filmischen Mittel und das Schielen auf Verfilmung hätte sich die Autorin bei ihrem dritten Roman laut Maike Fessmann gerne sparen können. Wenigstens ab der Hälfte gewinnt der mit einer veritablen Freakshow von Figuren aufwartende Roman für die Rezensentin genug eigenen erzählerischen Schwung, Witz und Lakonie. Auch die Grundidee des Buches, dass der Leser den entstellten Helden nur aus seiner eigenen Perspektive erlebt, scheint Fessmann zur Tragfähigkeit des Ganzen beizutragen. Eine Coming-of-Age-Geschichte, die laut Rezensentin nie einfach nur ernst oder traurig ist.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.05.2014

Schneewittchen im Rollstuhl
Alina Bronsky baut für ihren Roman „Nenn mich einfach Superheld“ einen Slapstick-Parcours
Die reinste Freakshow marschiert hier auf den ersten Seiten auf, sechs Jugendliche, die sich zieren, eine Selbsthilfegruppe zu bilden, und die doch so ausgewählt sind, als wäre das Wichtigste an diesem Roman der Kamerablick: ein wunderhübsches Mädchen mit Schneewittchen-Flair im Rollstuhl, ein Langhaariger mit Beinprothese, ein „schwammiges, teigiges Etwas mit rötlichem Flaum auf dem Kopf ohne sichtbare Behinderungen“, aber mit einer Autoimmunkrankheit, die seine Organe zersetzt, wie wir später erfahren, „eine sehr langbeinige Tunte mit nervös umherirrendem Blick und ein arrogant dreinblickender Schönling“, der seine blinden Augen unter einer Sonnenbrille verbirgt.
  Auch Marek, der siebzehnjährige Ich-Erzähler, trägt eine Sonnenbrille. Seine ist „teurer“, wie er stolz vermerkt. Sonst hat er wenig, auf das er stolz sein kann. Ein Rottweiler hat ihm das Gesicht zerfleischt. Er fühlt sich so sehr entstellt, dass er nicht ohne Sonnenbrille und Hut aus dem Haus geht. Die Leute weichen ihm aus, wenn er die Straße betritt, keiner wagt ihn anzusehen. So zumindest kommt es ihm vor.
  Der dritte Roman der 1978 im sowjetischen Jekaterinburg geborenen Alina Bronsky, die ihre Jugend in Hessen verbrachte, ein Medizinstudium abbrach und als Werbetexterin und Redakteurin arbeitete, ist ein zwiespältiges Unterfangen. Da gibt es alles, was auch ihre ersten beiden Romane auszeichnete, den 2008 erschienenen, inzwischen verfilmten Debütroman „Scherbenpark“ und den 2011 immerhin auf der Longlist des Deutschen Buchpreises stehenden zweiten Roman „Die schärfsten Gerichte der tartarischen Küche“: erzählerischen Schwung, Witz, Lakonie, Derbheiten und einen flammenden Überlebenswillen der aus schrägen Familien stammenden Protagonisten.
  Aber es gibt auch das Schielen nach dem größtmöglichen Effekt, ein Überreizen filmischer Mittel, die den Roman an den Rand dessen bringen, was gute Literatur ausmacht und vom Film unterscheidet: dass sie uns an Innenwelten teilhaben lässt. Den Leser in den Kopf der Figuren blicken zu lassen, ist das genuine Vermögen der Literatur. Der Film muss die Innenwelt in Handlung und Dialoge übersetzen, mindestens aber ins Sichtbare, in die Mimik und Gestik der Schauspieler.
  Glücklicherweise dominieren die filmischen Effekte nur die erste Hälfte des Romans. Dann setzt sich das literarische Talent der Autorin durch. Denn der Roman hat eine erzähltechnische Grundidee, die ihn trägt. Es ist der Einfall, das Maß der Entstellung seiner Hauptfigur nie objektiv darzustellen, sondern nur in Mareks Empfindung. So geht der Leser am Anfang davon aus, das Gesicht des Ich-Erzählers sei ein Anblick, den man nur mit größter Anstrengung oder nach langer Gewöhnung aushalten kann. Im Verlauf des Romans mehren sich die Indizien, dass er zwar den Schmelz seiner ursprünglichen Schönheit verloren hat, aber keineswegs erschreckend aussieht.
  Zunächst reiht Alina Bronsky eine Slapstick-Szene an die andere: die gehandicapten Jungs buhlen um die Gunst der schönen Janne, die jedem mal das Gefühl gibt, er habe die Nase vorn und sich zu Hause vor der Webcam erotisch in Szene setzt. Ein als „Guru“ bezeichneter vermeintlicher Sozialarbeiter, der sich später als jemand ganz anderer entpuppt, sabbert die Truppe mit aufmunternden Sprüchen voll. Schließlich reisen sie mit dem Zug in die mecklenburgische Pampa, wo sich in einer nach langem Fußmarsch zu erreichenden Villa (wer darf Jannes Rollstuhl schieben?!) die gruppendynamischen Spielchen noch ein wenig fortführen lassen.
  Erst dann wird der Leser mit einer traurigen Nachricht aus dem Klamauk erlöst: „Marek unser Papa ist tod bitte kom schnel. Ferdi.“, simst Mareks sechsjähriger Halbbruder, den er noch nie gesehen hat. Er war mit seiner Mutter aus der hessischen Kleinstadt nach Berlin gezogen, nachdem der Vater das ukrainische Au-pair-Mädchen geschwängert hatte.
  Auch dieser in der Kleinstadt spielende Teil ist nicht einfach nur ernst und traurig. Schließlich hat Marek mit dem Vater längst abgeschlossen und freut sich, sein Kindermädchen mit den großen Brüsten wiederzusehen (prompt geht sie zu beiderseitigem Trost mit ihm ins Bett). Neben der in ihrer Hilflosigkeit tragikomischen jungen Witwe reist auch noch deren Mutter aus der Ukraine an und trägt zur amüsanten Kultivierung kultureller Unterschiede bei. Die entscheidende Wendung aber vollzieht sich im Verhältnis zwischen Marek und seiner Mutter. Sie ist Scheidungsanwältin, eine rationale Frau, die gerne Klartext spricht und es irgendwann aufgegeben hat, dem durch mehrere Operationen wiederhergestellten Sohn endlos zu beteuern, dass er nicht mehr entstellt aussieht.
  Unter Vorspiegelung falscher Tatsachen hat sie ihn in die „Krüppeltruppe“ gelockt. Nun organisiert sie die Beerdigung, unterstützt die ehemalige Nebenbuhlerin und reist in die Schweiz, um den Leichnam des im Gebirge abgestürzten Ex-Gatten nach Deutschland zu überführen. Der Respekt des Sohnes wächst, nicht zuletzt, weil er den Witz seiner Mutter zu schätzen lernt, während er zuvor nur das Verblühen ihrer Schönheit wahrnahm.
  Dass die Identifikation mit der Mutter zur Aussöhnung mit dem eigenen Bild führt - ganz am Ende nimmt Marek seine Sonnenbrille ab und schaut zum ersten Mal in den Spiegel – ist eine aparte Pointe dieser Coming-of-Age-Geschichte. Es wäre gar nicht nötig gewesen, noch einen Überraschungsjoker aus dem Ärmel zu ziehen, der das Patchwork-Szenario weiter ausreizt. Auf das Kokettieren mit erfolgreich verfilmten Romanen von „Superhero“ bis zu „Ziemlich beste Freunde“ hätte Alina Bronsky verzichten sollen. „Nenn mich einfach Superheld“ lässt sich ohnehin nicht verfilmen. Denn die Geschichte lebt davon, dass wir das Gesicht des Helden niemals zu sehen bekommen.
MEIKE FESSMANN
Am Ende nimmt der junge Marek
seine Sonnenbrille ab und schaut
zum ersten Mal in den Spiegel
Gleich mehrere Figuren tragen in Alina Bronskys Roman eine Sonnenbrille: Zum Glück gibt es für gute Literatur keine Sichtblenden.
Foto: dpa
    
    
    
    
Alina Bronsky: Nenn mich einfach Superheld. Roman. Kiepenheuer & Witsch
Verlag, Köln 2013.
240 Seiten, 16,90 Euro.
E-Book 14,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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