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Und dann war es schon wieder so, als hätte der Himmel die Erde ... still!Walter Gieseking muss sich bewegen. Es geht um eine Form der Lebensbejahung. Zu irgendwas, am besten etwas Großem, Übergeordneten, muss er doch mal Ja sagen. Bisher hat er immer prima Nein sagen können. Das geht jetzt plötzlich nicht mehr. Aus damit. Vorbei.
Walter Gieseking, dreißig Jahre, in Großstädten aufgewachsen, seit sechs oder sieben Jahren mit Ellen von Galgern zusammen, ist plötzlich wieder allein unterwegs und taumelt durch das halbe Jahr, das ihm vor der Ehe bleibt - auf die es mit seiner Ex-Freundin Ellen
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Produktbeschreibung
Und dann war es schon wieder so, als hätte der Himmel die Erde ... still!Walter Gieseking muss sich bewegen. Es geht um eine Form der Lebensbejahung. Zu irgendwas, am besten etwas Großem, Übergeordneten, muss er doch mal Ja sagen. Bisher hat er immer prima Nein sagen können. Das geht jetzt plötzlich nicht mehr. Aus damit. Vorbei.

Walter Gieseking, dreißig Jahre, in Großstädten aufgewachsen, seit sechs oder sieben Jahren mit Ellen von Galgern zusammen, ist plötzlich wieder allein unterwegs und taumelt durch das halbe Jahr, das ihm vor der Ehe bleibt - auf die es mit seiner Ex-Freundin Ellen wohl doch hinauslaufen wird. Er verlässt den gemeinsamen Wochenendsitz Waldstein, ein Gutshaus in Oberfranken, und fädelt sich mühelos wieder ein in sein altes Leben in der müden Hauptstadt Berlin. Freundschaften werden erneuert oder laufen aus. Die Arbeit wird getan. Bankkonten laufen wie selbstverständlich leer. Das Problem ist nicht, dass das Leben so nicht funktioniert. Das Problem ist, dass es zu gut funktioniert. Alles geht einfach immer so weiter. Schleichender Niedergang. Gieseking bewegt sich, er fährt nach München, Ellens Heimatstadt, um Mädchenluft zu schnuppern. Am Ende kann Gieseking, seinem berühmten Namensvorbild folgend, plötzlich Klavier spielen (Beethovens Klaviersonate Opus 53) und er kehrt nach Waldstein, den Ort der Natur und der bürgerlichen Zweisamkeit, zurück.

Virtuos lässt Uslar Gieseking in einem fulminanten Monolog die großen Themen anschlagen - Natur, Großstadt, Liebe, Freundschaft, bürgerliche Ehe, Älterwerden, Gott im Himmel, Klassik versus Pop und natürlich: Frauen. Der Erzähler Gieseking haut mit einer Wucht in die Tasten, dass dem Leser die Ohren klingen, und nimmt sich sogleich wieder zurück. Es sind Variationen auf einen Lebensentwurf, aus denen ein Stück großer Literatur entsteht. Zart und kraftvoll, betörend und bedrängend - ein Buch mit Wumms.

Autorenporträt
Uslar, Moritz vonMoritz von Uslar, geboren 1970 in Köln, war Redakteur beim Süddeutsche-Zeitung-Magazin und beim SPIEGEL und arbeitet heute als Reporter und Interviewer bei der Zeit.Ausgewählte Veröffentlichungen: Theaterstücke »Freunde« (2000), »Freunde II« (2001), »Lulu« (2004), gesammelte Interviews »100 Fragen an ...« (KiWi 829, 2004) und »99 Fragen an ...« (KiWi 1381, 2014), Roman »Waldstein oder Der Tod des Walter Gieseking am 6. Juni 2005« (2006, Kiepenheuer & Witsch), gesammelte Kolumnen »Auf ein Frühstücksei mit ...« (KiWi 1579, 2017). Der Reportageroman »Deutschboden. Eine Teilnehmende Beobachtung« (2010, Kiepenheuer & Witsch) wurde mit dem Fontane-Preis der Stadt Neuruppin ausgezeichnet und von André Schäfer fürs Kino verfilmt (2014).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.04.2006

Tausendmal erlebt, doch es weigerte sich
Erwachsenwerden jenseits der Dreißig: Moritz von Uslars erster Roman schaut verzweifelt liebend auf die Wirklichkeit
„Gieseking stand auf, schüttelte seine Beine aus. Motherfucking Natur, die dumme, dämliche. Baumkronen machten einen ja schon deshalb sauer, weil sie es so hoch hinaus geschafft hatten.”
Manche Autoren erkennt man nach fünf Zeilen. Weil ihre Sprache unverwechselbar ist. Moritz von Uslar ist so ein Autor. In Texte von Uslar kann man an jeder beliebigen Stelle einsteigen, und nach spätestens fünf Zeilen ist er da, der Uslar-Ton. Dieses drängende, dribbelnde Deutsch. Diese Kraftausdrucksjugendkunstsprache. Kurze Sätze. Wiederholungen. Bumm Bumm Bumm.
Natürlich ist so ein Stil auch ein Gefängnis, weil sich nach fünf Zeilen dieses Ach-der-schon-wieder-Gefühl einstellt. Ein kritischer Beobachter wusste schon Wochen vor der Veröffentlichung von Uslars Buch „Waldstein”, was drinsteht: „Irgend so’n selbstreferenzieller Mist”. Natürlich fiel auch das böse, kleine Wort „Pop”. Er hatte übrigens keine Zeile gelesen.
Uslars Problem ist vielleicht, dass man ihn kennt. Auf Autorenfotos guckt er poetisch in die Kamera. So jemand wird gern zu Talk-Shows eingeladen. Aber das sollte kein Grund sein, statt des Buchs den Autor zu rezensieren. Hier mal hübsch langsam die Fakten: Uslar hat für Tempo geschrieben, war beim SZ-Magazin, wo er das Interview-Format „100 Fragen an . . .” erfand, und arbeitet jetzt als Redakteur für den Kulturteil des Spiegel. Gerade hat er seinen ersten Roman veröffentlicht, was insofern konsequent ist, als auch viele seiner journalistischen Arbeiten literarische Qualitäten haben: „Eine Fußspitze wippt; das Wippen geht ihr Bein hoch und in ihrem großen Körper verloren. Lächeln, Lächeln, Lächeln. Das Lächeln eines Einmeterfünfundachtzig-Hasen, der beschlossen hat, glücklich zu sein”, so hat Uslar einmal Mariah Carey beschrieben. Sonst wird die „Pop-Diva” ja höchstens als „Phänomen” besinnungsaufsatzt oder wegen ihrer Figur in Klatschspalten verhöhnt.
Gedankenschwer und tatenarm
Auch der Roman mit dem leicht preziösen Langtitel „Waldstein oder Der Tod des Walter Gieseking am 6. Juni 2005” ist voll mit Beschreibungen, die dicht sind und genau. Ein Frühlingstag in München wird geschildert, der eigentlich ein Sommertag ist, mit Licht und Leichtsinn und „Frauen wie Kinnhaken”. Oder eine Nacht in Berlin, im Club mit Freunden, drogenbenebelt, glückstaumelnd. Uslar entwirft hyperrealistische Bilder von Orten, Menschen, Situationen. Ein bisschen so, wie es Gottfried Helnwein mit seinen grotesk deutlichen Gemälden tut.
Walter Gieseking, die Hauptfigur, könnte nun einfach die Münchner Sonne und das Berliner Nachtleben genießen. Aber das gelingt ihm nicht. Gieseking ist dreißig Jahre alt und Journalist. Rastlos, lüstern, leicht vertrottelt, hochmoralisch. Ein Mann in der Krise. Obwohl es, oberflächlich betrachtet, gut läuft. Die Beziehung mit Ellen (braunhaarig, „Charakterbeine”) ist okay. So okay, wie langjährige Beziehungen eben sind. Der Job ist okay. Und genau dieses Okay ist das Problem.
War da nicht noch was?, fragt sich Gieseking. Kann das schon alles gewesen sein? Soll er, Gieseking, der sich mit Designer-Labels auskennt und weiß, wie man Jeans „Fünfzigerjahre-Ragga-Style- mäßig” in die Stiefel faltet, soll er also wirklich künftig mit Ellen in Möbelhäusern für Junges Wohnen Sofagarnituren anschauen? Anders gefragt: Erwachsenwerden jenseits der Dreißig - wie geht das?
Gieseking trennt sich also von Ellen. Und zieht los in die Welt. In seine Welt, die ausgesprochen klein ist. München, Berlin. Kneipen, Cafés, Bars. Rauchen, Gucken, Rumstehen, Quatsch reden. Anders als Christian Krachts „Faserland”, wo auch viel geraucht und herumgestanden wird, ist „Waldstein” frei von Zynismus, Häme, Verachtung. Uslars Blick auf die Dinge ist der eines verzweifelt Liebenden.
Vorher, im ersten Kapitel, hatte Gieseking im oberfränkischen Waldstein nachts im Wald ein ekstatisches Naturerlebnis. Ergriffen starrt er auf Gräser, Blätter, Moose, Käfer - und sinkt auf die Knie: „Hier unten auf Gräserhöhe, fuhr die Welt noch mal zu voller Größe auf, bekamen die Dinge ihre Gültigkeit zurück.” Pop-Romane fangen anders an. Das klingt eher nach Georg Büchner: „Wie frischatmend, schönheitsglänzend ringt die Schöpfung sich aus dem Chaos mir entgegen.”
Das ist gleich die erste falsche Fährte, die Uslar legt. Man denkt, aha, kapiert, es geht hier um den Gegensatz Natur versus Kultur, Land versus Stadt, Raf Simons versus Regenwurm. Aber darum geht es genau nicht. „Waldstein” ist ein langer innerer Monolog in der dritten Person. Ein Ringen und Hadern. Gieseking kann nämlich weder die Kinnhaken-Frauen in München noch die Käfer in Waldstein betrachten, ohne dass sich in seinem Kopf zentnerschwere Bewusstseinsmühlräder in Bewegung setzen. Und so wird in alle Richtungen erörtert und erwogen, wird bis zur Hirnerweichung gedacht, bis am Ende, tja, gar nichts klar ist. Gieseking ist vielleicht lebensuntüchtig, lebensblöd sogar, ganz sicher aber: ein Intellektueller. Ein deutscher Intellektueller. Gedankenschwer und tatenarm. Bis zur totalen Handlungsunfähigkeit über sich selbst aufgeklärt.
Hey, nicht euphorisch genug!
Uslars Stakkato-Deutsch ist die angemessene Mitteilungsform für Giesekings Stop-and-go-Bewusstseinsströme. Und so ist der eigentliche Schauplatz dieses Romans nicht München oder Berlin und ebenso wenig Waldstein, sondern die Sprache. Im Kern handelt der Roman von der Frage, ob sich Erfahrungen versprachlichen lassen, und wenn ja, wie. Mitten im Trubel auf der Tanzfläche in Berlin denkt Gieseking plötzlich, dass diese Art von Wahnsinn, das Nachtleben, „noch nicht ausreichend euphorisch beschrieben und für die Nachwelt festgehalten” wurde. „Wie man es tausend Mal erlebt hatte; wie man es komischerweise nie richtig beschrieben bekam. Es weigerte sich.”
Vielleicht schreibt Uslar deshalb so oft „Hey”, weil er der Wirklichkeit sagen will: Hey, komm her, lass dich beschreiben! Aber die Wirklichkeit zeigt die kalte Schulter. Trotzdem sieht er sich gezwungen, es immer wieder zu versuchen. „Notwendig ist das einfache wahre Abschreiben der Welt”, sagt Rainald Goetz. Was Goetz nicht sagt: Notwendig muss man an dieser Aufgabe scheitern. Aus diesem unauflösbaren Paradox bezieht Uslars Roman seine wilde Energie. Und so rüttelt er am Käfig der Sprache, hämmert wütend auf die Gitterstäbe seines Uslar-Stils, um herauszuklettern und nachzuschauen, ob es da draußen eine Welt gibt. Und vielleicht sogar: Freiheit.
Drei Probleme wälzt Gieseking permanent im Kopf hin und her: „Liebte er seine Freundin? Wollte er Kinder haben mit ihr? Warum konnte ihm niemand die zehn Tode beschreiben, die man beim Übergang ins nächste Lebenskapitel, das mit Kindern, starb?”
Am Ende kehrt Gieseking nach Waldstein zurück. Es ist der 5. Juni 2005. Er staunt, wie grün alles ist. Wie die Vögel zwitschern und die Hasen hopsen. Jetzt fließen die Sätze ruhig dahin. Am nächsten Morgen hängt Gieseking gemeinsam mit Ellen Wäsche auf. Ist das eine Vision, wie sie Sterbende haben? Oder ist er schon tot? Nein, vermutlich ist Gieseking bloß erwachsen geworden, spät, aber hey! Da hat einer seine Sprache verloren und eine Art von Glück gefunden. Er ist frei.
OLIVER FUCHS
MORITZ VON USLAR: Waldstein oder Der Tod des Walter Gieseking am 6. Juni 2005. Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2006. 208 Seiten, 17,90 Euro.
„Hier . . . fuhr die Welt noch mal zu voller Größe auf, bekamen die Dinge ihre Gültigkeit zurück.” So beginnt doch kein Pop-Roman? Ein Blick vom Waldstein ins oberfränkische Fichtelgebirge, wo die Hauptfigur von Moritz von Uslars Roman ein ekstatisches Naturerlebnis hat.
Foto: Reinhard Feldrapp
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Rezensent Wolfgang Schneider hat viel vom Debütroman dieses "beinahe genialischen Flaneurs" erwartet und wurde ziemlich enttäuscht. Denn die auf "Knall und Kick" ausgerichtete Sprache mit ihren "lässigen ornamental-ironischen Sätzen" hat aus seiner Sicht nur "rhetorische Luftnummern" produziert . Die seien zwar immer wieder witzig zu lesen. Irgendwann ist unser Rezensent all die "stilvollen Pirouetten" dann aber ziemlich leid und will mehr. Held sei ein Journalist, der Gast auf dem Familiensitz seiner adeligen Freundin wird. In diesem Zusammenhang kommt jener Walter Gieseking auch mit dem deutschen Wald in Berührung, wofür er sich, wie uns Schneider mitteilt, extra einen teuren Jagdblazer gekauft hat. "Ja, das ist Pop-Schnöseltum im Wald" gibt unsere Rezensent etwas eingeschüchtert zu Protokoll, wartet auf ein Problem oder gar so etwas Altmodisches wie einen Plot dann aber umsonst. Währenddessen trifft er immer wieder auf "hinreißende Passagen, amüsant und wahr". Doch irgendwie gewinnt das Buch nicht wirklich an Substanz und Schneider legt es schließlich genervt beiseite.

© Perlentaucher Medien GmbH
» Waldstein ist der große Befreiungsschlag dieses Bücherfrühlings. Uslar hat diesen Text runtergerockt, bis daraus fast schon so etwas wie eine Poetik der Runtergerocktheit geworden ist.« taz