Marktplatzangebote
2 Angebote ab € 1,00 €
Produktdetails
  • KiWi Taschenbücher Nr.757
  • Verlag: Kiepenheuer & Witsch
  • Seitenzahl: 365
  • Deutsch
  • Abmessung: 190mm
  • Gewicht: 287g
  • ISBN-13: 9783462032369
  • ISBN-10: 3462032364
  • Artikelnr.: 11218806
Autorenporträt
Susanne Goga, geb. 1967, ist eine renommierte Literaturübersetzerin und Autorin. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in Mönchengladbach.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.07.2003

Kaschmir, Kaviar, Kokain
Die Dämonen der Achtziger: Andy Behrmanns „Electroboy”
Als „Electroboy” vor gut einem Jahr in den Vereinigten Staaten erschien, waren die Reaktionen geteilt. Die einen begrüßten den Lebensabriss des manischdepressiven New Yorker Kunsthändlers und PR-Agenten Andy Behrman als Anstoß zu einem offeneren Umgang mit Nervenkranken. Die anderen spotteten über Behrmans narzisstisches Selbstmitleid, zweifelten am Nutzen seiner Offenbarungen aus der Elektroschock-Therapie. „Gibt es irgendeine nennenswerte Erkenntnis für den nicht-verrückten Leser,” fragte die New York Times, „- oder sind diese Memoiren, wie so viele andere, nur ein weiterer Ausfluss der Jerry-Springer-Show?” Mit anderen Worten: voyeuristischer Krawall?
Weder das eine noch das andere trifft ins Schwarze. Vielmehr liest sich Andy Behrmans autobiografischer Bericht eines „manischen Lebens” wie das nachgereichte Echtheitszertifikat für die exzessiven New Yorker Romane eines Jay McInerney oder Bret Easton Ellis. Behrman war offenbar ein „American Psycho”. Natürlich kein Serienmörder wie Patrick Bateman, aber ebenso besessen von Sex und Drogen, von teuren Kleidern und Apartments, von Luxus und Status.
Ein Doppelleben führten sie beide, Electroboy wie American Psycho. „Smarte Yuppiewelt auf der Upper West Side, Stripperkarriere in einem schmutzigen Theater am Times Square”, beschreibt Behrman die „Dichotomie meines Lebens” in den Achtzigerjahren. „Ich liebe die Vorstellung, tagsüber brav und abends böse zu sein. Diese Widersprüche machen mich an.” Das hätte wohl auch Patrick Bateman, der blutrünstige Yuppie-Ripper von der Upper West Side, von sich gesagt. Kein Wunder, dass Behrmans Buch im deutschen Verlag von Bret Easton Ellis erscheint.
Behrman und Bateman wirken umso mehr wie nahe Verwandte, als sich auf ihre brüchigen Seelen der geballte Leistungsdruck der „Reagonomics” niederschlägt. Die Achtziger waren ein Jahrzehnt der Strapazen. Was leicht aussah, war hart erarbeitet und musste beständig verteidigt werden. Bateman war die höchste Instanz, tötete aber, um oben zu bleiben, einen Konkurrenten. Als er dessen Leiche fortschafft, trifft er auf einen Bekannten, der sich nach den Regeln für weiße Dinnerjacketts erkundigt, was Bateman ungerührt beantwortet. Der Herrenausstatter als Herrenbestatter, immer im Dienst.
So reißerisch hat Andy Behrman seine Leidensgeschichte nicht aufgeschrieben, und noch viel weniger als Anklageschrift gegen ein herzloses Jahrzehnt. Im Gegenteil, Behrman entzieht sich nicht dem Konsumterror, er stellt sich mitten hinein, denn das lindert seine Qualen. Neurotischen Schüben ausgeliefert, greift er nach Halt, und findet ihn in „Kaschmir und Kaviar” – und Kokain, das er sich ins Auge reibt, damit es schneller zündet. Es geht denn auch nicht auf, Behrmans Krankheit als Metapher auszulegen, so, wie man gemeinhin die Sex- und Gewaltorgien Batemans als eine Art entgrenzter amerikanischer Psychohygiene verstand. Körper können Kulturkritik sublimieren. Im Falle Behrmans aber besänftigen Waren und Werte der glatten, konformistischen Achtziger den innerlich tobenden Ordnungswahn, wenn auch nur flüchtig und oberflächlich.
Ein begabter Sohn aus guter Vorortfamilie, ausgebildet am renommierten Wesleyan College, war Behrman seit frühester Kindheit „zwangsgesteuert und neurotisch”, reinigte Glühbirnen in der Spülmaschine, riss sich Haare aus, sammelte, sortierte und zählte, was ihm in die Hände fiel. Andy sah die Welt als Wettkampf, ob beim Baseball oder Schuljahrbuch. Schon als Junge stand er unter Strom, war er ein „Electroboy” - lange, bevor eine Krankenschwester ihm nach der ersten Elektroschocktherapie diesen Spitznamen gab. 19mal jagten 200 Volt durch seine Glieder. Wie selbstironisch, frank und frei Behrman davon erzählt, nimmt bald für ihn ein. Die Bravourstücke seiner manisch-depressiven Phasen frappieren ohnehin – so fälschte er als Mitarbeiter des Konzeptkünstlers Mark Kostabi dessen Bilder, verdiente Unsummen, wurde verurteilt.
Behrman ist nicht geheilt, hat sich nur dank genau dosierter Medikamente gefangen – und schreibt an einer Fortsetzung.
TOBIAS RÜTHER
ANDY BEHRMANN: Electroboy. Ein manisches Leben. Kiepenheuer und Witsch, Köln 2003. 366 Seiten, 9,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

In Amerika, wo die Lebenserinnerungen des manisch-depressiven Autors bereits vor einem Jahr erschienen, wurde das Buch unterschiedlich aufgenommen, teilt Tobias Rüther mit. Denn während es die einen als "Anstoß" sahen, mehr Verständnis für "Nervenkranke" zu entwickeln, machten sich andere über das "narzisstische Selbstmitleid" des Autors lustig und bezweifelten, ob die Erfahrungen mit der Krankheit, mit Elektroschocks und Drogenkonsum für nicht kranke Leser überhaupt von Interesse seien. Rüther findet beide Reaktionen auf das Buch nicht angemessen. Für ihn stellen sich die Lebenserinnerungen des New Yorker Kunsthändler vielmehr als "nachgereichtes Echtheitszertifikat" für literarische Vorgänger wie Ellis' Patrick Bateman aus "American Psycho" dar. So sieht er in Behrmans Bericht vor allem den Effekt des "geballten Leistungsdruck" der 80er Jahre auf dessen "brüchiger Seele" geschildert. Dem Rezensenten gefällt, wie "frank und frei" der amerikanische Autor dabei über seine Krankheit erzählt und er ist besonders beeindruckt von den "frappierenden" Schilderungen seiner manisch-depressiven Phasen, die er als "Bravourstücke" dieses Berichts preist.

© Perlentaucher Medien GmbH