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Die Rolle Deutschlands in Europa, die Rolle Europas in der Welt - Joschka Fischers neues Buch Das kommende Jahrzehnt wird für Europa von entscheidender Bedeutung sein, denn es wird um nichts Geringeres gehen als um die Schaffung des politischen Europas, einer europäischen Föderation von Nationalstaaten. Die EU steht heute vor ihrer bisher größten Herausforderung, nämlich ihrer Ost-Erweiterung, die die Union vor die Alternative Integration oder Erosion stellen wird. Die gemeinsame Währung wird darüber hinaus zusätzliche politische Integrationszwänge schaffen. Lässt sich eine handlungsfähige…mehr

Produktbeschreibung
Die Rolle Deutschlands in Europa, die Rolle Europas in der Welt - Joschka Fischers neues Buch
Das kommende Jahrzehnt wird für Europa von entscheidender Bedeutung sein, denn es wird um nichts Geringeres gehen als um die Schaffung des politischen Europas, einer europäischen Föderation von Nationalstaaten. Die EU steht heute vor ihrer bisher größten Herausforderung, nämlich ihrer Ost-Erweiterung, die die Union vor die Alternative Integration oder Erosion stellen wird. Die gemeinsame Währung wird darüber hinaus zusätzliche politische Integrationszwänge schaffen. Lässt sich eine handlungsfähige europäische Demokratie jenseits der Grenzen der heutigen Nationalstaaten überhaupt denken und wenn ja, wie kann sie aussehen? Worin wird die Lösung des Widerspruchs zwischen Nationalstaat und Europäischer Union bestehen? Geht das überhaupt? Wenn ja, wie? Wenn nein, was wird der Preis der Unmöglichkeit sein? Was die alternativen Optionen? Kann eine Union mit 27 und mehr Mitgliedern überhaupt funktionieren? Und welche Rolle wird dabei das wiedervereinigte Deutschland zu spielen haben, jene Macht in der europäischen Mitte, geprägt von den Traumata ihrer Geschichte, den Zwängen ihrer Lage, ihres Potentials und ihrer Interessen und den mittlerweile fünf Jahrzehnten erfolgreicher demokratischer Kultur und europäischer Integration?
Autorenporträt
Joschka Fischer, geboren 1948 in Gerabronn. Von 1994 bis 2006 Mitglied des Bundestages, von 1998 bis 2005 Außenminister der Bundesrepublik Deutschland. 2006/07 Gastprofessor an der Universität Princeton, USA. Joschka Fischer lebt in Berlin.  Im Verlag Kiepenheuer & Witsch sind bisher erschienen: »Risiko Deutschland« (1994), »Für einen neuen Gesellschaftsvertrag« (1998), »Die Rückkehr der Geschichte. USA, Europa und die Welt nach dem 11. September« (2005), »Die rot-grünen Jahre. Deutsche Außenpolitik ¿ vom Kosovo bis zum 11. September« (2009), »I am not convinced« (2011), »Scheitert Europa?« (2014), »Der Abstieg des Westens« (2018), »Willkommen im 21. Jahrhundert«  (2020).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.07.2005

Die alte Unübersichtlichkeit
Joseph Fischers Versuch über eine neue Weltordnung

Joschka Fischer: Die Rückkehr der Geschichte: Die Welt nach dem 11. September und die Erneuerung des Westens. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2005. 304 Seiten, 19,90 [Euro].

Wenn Joseph Fischer im Herbst aus dem Auswärtigen Amt ausscheiden sollte, mag er sich Zeit nehmen, um Memoiren über seine sieben Jahre als Außenminister zu verfassen oder gar eine Autobiographie über seinen Aufstieg vom Straßenkämpfer zum Chefdiplomaten. Fürs erste hat er dem Selbstanspruch nach jetzt nicht mehr und nicht weniger als einen großen Traktat über eine künftige Weltordnung vorgelegt. Das soll sich hinter dem Titel "Die Rückkehr der Geschichte. Die Welt nach dem 11. September und die Erneuerung des Westens" verbergen. Doch gilt für den Autor das, was er selbst dem früheren amerikanischen Präsidenten Bush in seinem jüngsten Buch vorhält: Er spricht über eine neue Weltordnung, liefert für diese aber nicht einmal eine Skizze. Fischer bleibt in der Analyse im Oberflächlichen beziehungsweise Naheliegenden, wodurch der Autor am Ende über ein "Amerika hat die Wahl: mit uns oder ohne uns" nicht hinauskommt.

Die Lektüre ist mühsam. Fischer verzichtet auf ein einleitendes Kapitel, in dem er seine zentralen Thesen vorstellen und seinen Argumentationsweg skizzieren könnte. Die Abschnitte suggerieren eine Gliederung, die nicht eingehalten wird: "Die Welt zwischen dem 9. November 1989 und dem 11. September 2001"; "Wie Amerika wurde, was es ist"; "Europa und die transatlantischen Beziehungen"; "Der Nahe Osten". Da alles mit allem verwoben ist, liest man sich durch Redundanzen. Auch die bedeutungsschwangeren Zitate von Staatsmännern und Staatstheoretikern, die allen Kapiteln vorangestellt werden, liefern keine Orientierung. Fischers Ausführungen bestehen zu großen Teilen aus absätzefüllenden Zitaten vornehmlich amerikanischer Politikwissenschaftler und Historiker, die er gern mit "zu Recht weist XY darauf hin" einleitet. Alles bekannte Namen: Francis Fukuyama, Paul Kennedy, Arthur Schlesinger. Auch Jürgen Habermas ("Neue Unübersichtlichkeit") muß Erwähnung finden. Im Zitiereifer werden Anthony Giddens und Benjamin Barber gekreuzt und als Anthony Barber ausgegeben - konsequenterweise nicht nur im Text, sondern auch im Literaturapparat. Staunend scheint der Autodidakt Fischer auf die klugen Gedanken zu schauen, die das ihm unvertraute Phänomen Universität hervorgebracht hat. Der Erkenntnisgewinn beschränkt sich ob der überkompensatorischen Leistung über weite Strecken auf die Wiederentdeckung von schon Dagewesenem.

Der Grundgedanke, daß die Ordnungsverluste nach dem Ende des Kalten Krieges gegenüber den Ordnungsgewinnen überwiegen, daß es "kein übergreifendes Ordnungsprinzip" mehr gibt, daß die Welt heute eine "Art Patchwork, ein Gemisch von Zonen der Ordnung und der Desintegration" ist, daß zudem unklar ist, ob sich die Welt unter dem Dach eines wiedererstarkten UN-Systems multipolar aufstellt oder die Amerikaner weiterhin zu einer Delegitimierung der Vereinten Nationen beitragen und unilateral auf Ad-hoc-Koalitionen setzen, hat nach Meinung des Autors die Geschichte zurückkehren lassen. Die Geschichte - das ist für Fischer die Welt vor 1914. An solchen Stellen kann er durchaus pessimistisch klingen: Zu Recht werde die Frage aufgeworfen, "warum sich nicht eine Entwicklung wie im Europa vor 1914 auf der globalen Ebene des 21. Jahrhunderts wiederholen sollte".

Damals wie heute sind Ordnungsraster durcheinandergeraten: Heute befinden sich die Vereinten Nationen in einer Krise, und Amerika hat durch den Irak-Krieg als allein gelassene Supermacht an Legitimation eingebüßt. Basis einer "Erneuerung des Westens" ist für Fischer nicht nur eine umfassende UN-Reform, sondern eine Verbindung dieser mit der Weltmacht Amerika. "Das UN-System braucht die Weltmacht USA und umgekehrt, deshalb ist eine anhaltende Konfrontation gegen die Interessen beider gerichtet", postuliert Fischer und geht zum nächsten Thema über. Der Verfasser diskutiert auch die sich verschärfende Konkurrenz zwischen China und den Vereinigten Staaten mit dem Ergebnis: Die Gefahr einer zukünftigen hegemonialen Konfrontation sei nicht auszuschließen, aber dies werde von der Ausgestaltung des globalen Staatensystems der Zukunft abhängen.

Fischer schließt mit einem idealistischen Zitat Franklin D. Roosevelts, das als freundlich verpackte Mahnung an Washington verstanden werden muß: "The only way to have a friend is to be one." Machtpolitisch orientierte Realisten könnten bei solchen Sprüchen für das diplomatische Poesiealbum daran erinnern, daß es jener FDR war, der am Vorabend seines Dahinscheidens leise geseufzt haben soll: "One world must come out of World War II." Wie Roosevelt bleibt auch Fischer in der Sphäre des Wünschbaren.

MAJID SATTAR

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.07.2005

„Die globale Durchsetzung des westlichen Modells reicht nicht”
Wolfgang Schäuble stimmt einigen Thesen in Joschka Fischers jüngstem Buch zu, entdeckt aber eine Distanz zu dessen eigener Politik
Im Handbuch des Bundestages heißt der Außenminister „Joseph Fischer”. Als Autor seines jüngsten Buches nennt er sich wieder „Joschka”. Ob sich dahinter die Einsicht verbirgt, dass ein amtierender Außenminister über Außenpolitik notwendigerweise wenig Neues schreiben kann? Daran leidet das Buch, und das wird auch nicht wirklich besser durch den Versuch, den Mangel an Originalität durch eine Vielfalt von Zitaten zu kompensieren. So findet der Leser eher theoretisierende Betrachtungen zur Weltlage als eine authentische Interpretation und Bilanz rot-grüner Außenpolitik.
Dreh- und Angelpunkt für Fischers Betrachtungen ist der 11. September, der eine neue totalitäre Herausforderung markiere. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion sieht Fischer das europäisch geprägte Staatensystem von Souveränität und Gleichgewicht beendet. Die europäische Einigung ziehe daraus die eine Konsequenz, und die Dominanz der USA als alleinige Führungsmacht sei die andere. Dem transatlantischen Verhältnis, einschließlich der Unterschiede beider Partner, kommt demzufolge in Fischers Buch zentrale Bedeutung zu. Die Auseinandersetzung mit dem im Islam begründeten internationalen Terrorismus sieht er vor allem als Modernisierungsproblem. Die Globalisierung ist für ihn nichts anderes als die alternativlose und globale Durchsetzung des westlichen Wirtschafts- und Konsummodells und kein historischer Zufall, sondern objektive Notwendigkeit und ein Ergebnis der ökonomisch-technologischen Entwicklung der Weltwirtschaft, in die vor allem China als neue Weltmacht einzufügen sei.
Riskant unpräzise
Gleichwohl wird eine neue globale Ordnung der Welt im 21. Jahrhundert nach Fischer auf zwei Säulen ruhen, auf der Durchsetzungskraft der alleinigen Weltmacht USA und auf der Legitimationskraft des Systems der Vereinten Nationen. Unterhalb werden kontinentale und subkontinentale Regionalorganisationen an Bedeutung gewinnen. Ein erneuerter Westen, so sein optimistischer Schluss, könne im 21. Jahrhundert mit Weitsicht und staatsmännischer Klugheit die im Vergleich zu Beginn des 20. Jahrhunderts besseren Bedingungen zur politischen Gestaltung der Globalisierung erfolgreich nutzen. Bei alldem wimmelt es von „Konflikten” und „Zentralkonflikten” ohne erkennbare Ordnung, und bemüht raumgreifende Aussagen über historische Abläufe neigen zu riskant unpräzisen Bewertungen, sei es bei der Einordnung des zweiten Punischen Krieges, der Genesis des Jugoslawienkonfliktes oder etwa dem Bau des israelischen Grenzzaunes.
Mit der Wirklichkeit rot-grüner Außen- und Europapolitik hat das alles relativ wenig gemein, und das passt zu der Tatsache, dass man spätestens seit dem Bundestagswahlkampf 2002 immer weniger gestaltenden Einfluss des Außenministers auf die von ihm mit verantwortete Außen- und Europapolitik wahrnehmen kann. Das Interessanteste scheint fast zu sein, was alles keine Erwähnung findet. So liest man in dem Buch keinerlei Ausführungen zu den Hauptthemen außen- und europapolitischer Kontroversen der letzten Jahre.
Den „Deutschen Weg” des Bundeskanzlers erwähnt er so wenig wie die Sorgen unserer östlichen Nachbarn wegen einer befürchteten neuen Achse Berlin-Moskau. Zur deutsch-französischen Zusammenarbeit kein Wort, auch nicht zur wachsenden Vertrauenskrise innerhalb der Partner in der Europäischen Union. Die Frage einer einseitigen Aufhebung des EU-Waffenembargos gegenüber China wird so wenig behandelt wie die Ambivalenz der russischen Entwicklung im Hinblick auf Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, wie sie jüngst etwa der Europarat kritisch beleuchtet hat. Nicht einmal das Streben nach einem veto-berechtigten ständigen Sitz Deutschlands im Weltsicherheitsrat kommt in dem Buch vor. Soviel Distanz zur eigenen Politik beeindruckt, aber von der Verantwortung des Außenministers entbindet sie nicht. Das ist schon fast zuviel des Abschiednehmens.
Ich stimme mit Fischer überein, wenn er die transatlantischen Beziehungen in das Zentrum der Außenpolitik stellt; aber gerade deshalb hätten sie niemals auf dem Altar einer in Not geratenen Kanzlerwahlkampagne geopfert werden dürfen. Und wenn die europäische Einigung zentraler Bestandteil einer ausgewogenen atlantischen Partnerschaft ist, dann muss deutsche Politik eben französische Freunde davon abhalten, europäische Einigung gewissermaßen zur Alternative für die atlantische Allianz entwickeln zu wollen.
Fischers Bruch mit seiner eigenen europapolitischen Konzeption, wie er sie in seiner Rede an der Humboldt-Universität entwickelt hatte, wirkt auch nach der Lektüre des Buches nicht überzeugend: es hätte der Krise in der EU nicht bedurft, um zu wissen, dass eine politische Union in Fischers Sinne eines neuen Integrationsmodells anstelle eines überholten Verständnisses nationalstaatlicher Souveränität nur gelingen kann, wenn die Europäer bereit sind, sich im Sinne von Identität einer solchen politischen Union anzuvertrauen. Und dem wird Fischers Ansatz nicht gerecht, bei der politisch-geografischen Grenzsuche interessenbezogen vorzugehen, was nach dem 11. September für ihn vor allem das Primat des Strategischen im Bezug auf die islamische Welt bedeutet. Identität, Werte, kultureller, auch religiöser Dimension kommen in Fischers Pragmatismus kaum vor. Ob wir den Dialog der Kulturen wirklich mit Erfolgsaussicht führen können, wenn wir die islamische Welt ausschließlich unter Modernisierungsdefiziten betrachten und China wie Indien umstandslos in das westliche Wirtschafts- und Konsummodell integrieren wollen? „Das 21. Jahrhundert wird religiös sein oder es wird nicht sein”, soll Malraux einmal gesagt haben. Nicht nur die Entwicklung in der islamischen Welt spricht eher dafür, dass er Recht hatte, sondern genauso etwa die Anteilnahme der Welt am Abschied des verstorbenen Papstes, dessen Rolle beim Zusammenbruch des sowjet-kommunistischen Imperiums, Fischer nicht erwähnt.
Auch in den westlich geprägten Gesellschaften nimmt das Suchen zu nach Werten, Grenzen, Orientierung, Sinnstiftung, wofür die Anziehungskraft fernöstlicher Meditationslehren ebenso ein Beleg sein könnte, wie die Intensität bioethischer Debatten. Wenn die westliche Verfassung von Kultur und Zivilisation allgemein eher mit dem Adjektiv „postmodern” beschrieben wird, dann wundert es schon, das Konfliktpotenzial der durch die Kommunikationsrevolution enger vernetzten Welt ausschließlich auf Modernisierungsdefizite der nicht-westlichen Welt zu reduzieren. Dazu passt auch, dass Fischer für die wachsende Bedeutung Indiens kaum ein Wort findet und für die vielfältigen Dramen in Afrika auch nicht.
Fischer ist zuzustimmen, dass im Kampf gegen neue Bedrohungen durch asymmetrische Kriegsführung, failing states, Terrorismus und Verbreitung von Massenvernichtungswaffen Selbstbindung des Westens an die eigenen Grundwerte, eine internationale Ordnung, die auf gemeinsamen Werten, auf Zustimmung, auf Kooperation und Mitgestaltung gründet, und politische Entschlossenheit und militärische Stärke notwendig und Erfolg versprechend sind. Aber dann wüsste man gerne etwas genauer, was er von der Notwendigkeit der Streitkräftetransformation hält oder auch von der Weiterentwicklung des Völkerrechts.
Nicht überraschend widmet Fischer fast ein ganzes Kapitel der Auseinandersetzung mit Robert Kagans „Of Paradise and Power”, und ebenso wenig überraschend widerspricht er seiner Metapher von Mars und Venus. Aber Fischers Trias - Selbstbindung des Westens, legitimierte internationale Ordnung und Entschlossenheit und militärische Stärke - steht Kagan gar nicht so fern. Das ist so ähnlich wie mit dem Begriffspaar hard power und soft power von Josef Nye. Es kann nicht eine atlantische Arbeitsteilung geben entlang der Linie „Amerika für hard power und Europa für soft power”. Die Gemeinsamkeit des Westens, für die Fischer zu Recht plädiert, braucht soft und hard power auf beiden Seiten des Atlantiks, und genau zu dieser Schlussfolgerung kommt übrigens auch Kagan im Nachwort seiner überarbeiteten Neuauflage.
Maß und Mäßigung
Fischer hat sein Manuskript vor dem französischen Referendum über den Verfassungsvertrag abgeschlossen. Die Fortschritte, die dieser für die Effizienz der Entscheidungsprozesse beinhaltet, sind unbestritten. Aber die EU-Krise, die andere Ursachen hat, konnte er nicht vermeiden, und sie ist mit einer Politik des „Weiter so” nicht zu überwinden. Ohne Konzentration auf wesentliche Zukunftsaufgaben und die Abkehr vom Prozess immer stärkerer Regulierung durch Dezentralisierung und klare Kompetenzabgrenzung wird es nicht gehen. Dazu wird eine Verständigung über die Substanz gemeinsamer Außen- und Sicherheitspolitik im Rahmen atlantischer Partnerschaft wichtiger sein als weitere Feinstaub- oder Antidiskriminierungsrichtlinien. Der erreichte Stand europäischer Harmonisierung darf nicht für sakrosankt erklärt werden, sondern die Frage, wie viel Vereinheitlichung aller Standards und Lebensbereiche für einen funktionierenden Binnenmarkt und Wettbewerb tatsächlich notwendig ist, muss vorurteilsfrei untersucht werden, der acquis communitaire (der Besitzstand der EU) muss überprüft werden.
Einheit und Vielfalt richtig austarieren, das wird für den Fortgang der europäischen Einigung so unverzichtbar sein wie für die Legitimität internationaler Ordnung in Zeiten der Globalisierung. Man muss nicht zu den Grünen gehören, um die alternativlose und globale Durchsetzung des westlichen Wirtschafts- und Konsummodells dafür nicht für zureichend zu halten. Ohne Maß und Mäßigung zerstört sich jedes von Menschen geschaffene System. Aus der Vielfalt religiösen Suchens und kultureller und geschichtlicher Erfahrungen wachsen Einsichten über Normen und Grenzen, Werte, ohne die weder Europa noch der Westen noch eine globale Ordnung im 21. Jahrhundert auskommen und die mehr politologisch fleißigen denn politisch schlüssigen Betrachtungen Fischers auch nicht.
WOLFGANG SCHÄUBLE
JOSCHKA FISCHER: Die Rückkehr der Geschichte. Die Welt nach dem 11. September 2001 und die Erneuerung des Westens. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2005. 304 Seiten, 19,90 Euro.
Nur „politologisch fleißig?”: Joschka Fischers jüngstes Buch wird von Wolfgang Schäuble kritisiert.
Foto: dpa
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

In einer Reihe mit den "Erinnerungen und Bekenntnissen" großer Außenpolitiker von Talleyrand über Bismarck bis Kissinger sieht Rezensent Claus Leggewie Joschka Fischers "Die Rückkehr der Geschichte", wobei er festhält, dass sich der grüne Außenminister in diese Ahnenreihe "in aller Bescheidenheit" eingeschrieben hat. Leggewies Urteil fällt also überwiegend positiv aus. Er würdigt Fischers Analyse der Weltpolitik als "kompakt" und "streckenweise brillant". Etwas überrascht hat ihn allerdings, dass Fischer in seiner Darstellung "erstaunlich akademisch" bleibt und eigene Anteile am weltpolitischen Geschehen nie direkt hervorhebt. Leggewie vermutet, dass Fischer seinen eigenen Anteil deutlicher herausgestellt hätte, hätte er gewusst, dass das Buch zu Beginn eines Wahlkampfs erscheinen würde. Fischers Analysen kann Leggewie größtenteils zustimmen, ebenso seinen Konsequenzen und Forderungen, etwa die nach einer umfassenden Lösung des Nahostkonflikts, die das Existenzrecht Israels und einen Palästinenserstaat voraussetzt, ebenso wie das Plädoyer für eine tief greifende Erneuerung des UN-Systems. Insgesamt erscheint Leggewie Fischers außenpolitische Analyse als "erstaunlich wenig grün". Auch findet er kaum etwas zur Umwelt- und Klimapolitik und nichts über Nichtregierungsorganisationen. Obwohl ihm das Fazit "blass" und "wenig konkret" vorkommt, ist der Ausklang der Rezension mehr als versöhnlich: "Einen Besseren als Fischer findet man so leicht nicht."

© Perlentaucher Medien GmbH
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»Fischer lässt teilhaben an einem intellektuellen Reifeprozess ... hebt sich durch einige sehr grundsätzliche und nachdenkliche Beiträge vom tagespolitischen Gewäsch ab.« Süddeutsche Zeitung