Marktplatzangebote
74 Angebote ab € 0,30 €
  • Buch mit Leinen-Einband

2 Kundenbewertungen

Ein wichtiges und mutiges Buch "Wer bin ich?" - diese Frage steht am Anfang und Ende dieser ungewöhnlichen Autobiografie. Carola Stern erzählt die Geschichte ihres Lebens, von Verstrickungen und Konflikten, Angst und Glück, Gelungenem und Misslungenem - aufrichtig, lebendig, ohne zu beschönigen und ohne abzurechnen. Aufgewachsen in der "Welt der Ja-Sager" auf der Insel Usedom, heuert die einstige Jungmädelführerin Erika Assmus nach Kriegsende in einem Raketeninstitut der Russen im Harz als Bibliothekarin an. Doch wenige Monate später erhalten die deutschen Spezialisten, die schon an der…mehr

Produktbeschreibung
Ein wichtiges und mutiges Buch "Wer bin ich?" - diese Frage steht am Anfang und Ende dieser ungewöhnlichen Autobiografie. Carola Stern erzählt die Geschichte ihres Lebens, von Verstrickungen und Konflikten, Angst und Glück, Gelungenem und Misslungenem - aufrichtig, lebendig, ohne zu beschönigen und ohne abzurechnen. Aufgewachsen in der "Welt der Ja-Sager" auf der Insel Usedom, heuert die einstige Jungmädelführerin Erika Assmus nach Kriegsende in einem Raketeninstitut der Russen im Harz als Bibliothekarin an. Doch wenige Monate später erhalten die deutschen Spezialisten, die schon an der "Wunderwaffe des Führers" mitgearbeitet hatten, den Marschbefehl in die UdSSR. "Eka" bleibt in der damaligen SBZ, träumt vom kleinen beschaulichen Glück und lässt sich zur Lehrerin ausbilden. Doch dann taucht ein "Mr. Becker" vom amerikanischen Geheimdienst auf, und ihr Leben nimmt fortan einen ganz anderen Verlauf. Die Amerikaner versprechen, Ekas kranke Mutter medizinisch zu versorgen, Eka soll dafür in die SED eintreten. 1950 wird sie als hoffnungsvoller kommunistischer Nachwuchs auf die Parteihochschule geschickt. In einem Klima der Warnungen vor "Verschwörung" und "Verrat" lernt sie die kommunistischen Phrasen und Parolen, aber nicht den Glauben an die Partei, doch eines Tages wird sie denunziert. Sie flüchtet nach Westberlin, wo sie sich als Studentin bald einen Ruf als DDR-Expertin erwirbt. Unter dem Pseudonym Carola Stern beginnt sie zu schreiben und entgeht zwei Entführungsversuchen der Stasi. Sie wird Assistentin am Institut für Politische Wissenschaft, aber mit dem Leben in der freien Welt kommt sie nicht zurecht. Von einer tiefen Lebenskrise heimgesucht, erkennt sie, dass man lernen muss, mit der Angst zu leben. 1960 beginnt das dritte Leben der Carola Stern, ihre "besten Jahre". Sie arbeitet für den Verlag Kiepenheuer & Witsch und wird dann Journalistin beim WDR. Mit den Heinemanns und Gollwitzers schließt sie Freundschaft, mit Gerd Ruge gründet sie amnesty international und mit Böll und Grass die Zeitschrift L 76. Als engagierte Publizistin trägt sie entscheidend zur Demokratiefähigkeit der Bundesrepublik bei.
Autorenporträt
Carola Stern, geboren 1925 im Seebad Ahlbeck, lebte bis 1951 als Lehrerin in der DDR. In den fünfziger Jahren studierte sie an der Freien Universität und arbeitete als wissenschaftliche Assistentin am Institut für politische Wissenschaft in West-Berlin. 1960 bis 1970 Leiterin des Politischen Lektorats im Verlag Kiepenheuer & Witsch. Daneben journalistische Tätigkeit für Zeitungen und Rundfunkanstalten. 1970 bis 1985 Redakteurin und Kommentatorin in der Hauptabteilung Politik des Westdeutschen Rundfunks. Zahlreiche Auszeichnungen, u. a. 1970 Jacob-Kaiser-Preis, 1972 Carl-von-Ossietzky-Medaille für ihre Tätigkeit bei amnesty international, 1988 Wilhelm-Heinse-Medaille. Ab 1987 Vizepräsidentin, ab 1995 Ehrenpräsidentin des deutschen P.E.N.-Zentrums. Carola Stern starb 2006 in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.03.2001

Gemischtes Doppelleben
Carola Stern entkorkt ihre Erinnerungen / Von Regina Mönch

Die erste Zeit in Köln sei schwer gewesen, schreibt Carola Stern in ihrem zweiten autobiographischen Buch "Doppelleben". Im Februar 1960 zieht sie in die Domstadt, in der sie fast vierzig Jahre leben wird, meist glücklich, sehr beliebt, aber auch heftig angefeindet, immer erfolgreich und alsbald schon berühmt: die Publizistin Carola Stern, als Linke eine moralische Instanz, erste weibliche Kommentatorin des WDR, die politische Ereignisse nicht nur klug zu bewerten weiß, sondern auch mitten ins Herz ihrer großen Hörergemeinde zielt, wenn ihr das geboten scheint. Mitbegründerin von amnesty international in Deutschland, Mitherausgeberin einer politisch-literarischen Zeitschrift - eine kluge Frau, die den politischen Journalismus bis in die achtziger Jahre mitprägt.

1960 aber ist sie 34 Jahre alt, hat einen schweren Zusammenbruch kaum überstanden und steht wieder einmal an einem Anfang für ein neues Leben. Die Redakteursstelle beim SBZ-Archiv, dem heutigen Deutschland Archiv, ist ein Rettungsanker. Leicht findet sie in der kollegialen Atmosphäre ihr Selbstvertrauen wieder: "Danach ging es ziemlich schnell bergauf." Nicht einmal ein Jahr, nachdem Carola Stern sich in Köln ein karg möbliertes Zimmer gemietet hatte, arbeitet sie in einer feinen Vorortvilla als Lektorin für politische Bücher im Verlag Kiepenheuer & Witsch. Kurz darauf sitzt sie am gerade verwaisten Schreibtisch ihres Chefs. "Ich war entschlossen, von diesem Platz nicht mehr zu weichen . . ." Auch das gelang.

Carola Stern beschreibt sich als einen widersprüchlichen Menschen, der seine frühen Irrtümer bewältigt, indem er gegen sie mit unerhörter Willenskraft anlebt. Noch einmal nimmt sie ihre Leser mit in die Kindheit der Nazizeit, als Carola Stern noch Erika Assmus hieß und auf der Insel Usedom davon träumte, Tänzerin zu werden. Wer ihre 1985 erschienene Doppelbiographie "In den Netzen der Erinnerung" kennt, kennt auch Eka, die Jungmädelführerin aus Ahlbeck. Unbekannt ist dem Leser jene Erika Assmus, die man als Carola Stern fünf Jahrzehnte lang für eine kurzzeitig überzeugte Kommunistin hielt, die aber in Wirklichkeit eine ganz andere war. In "Doppelleben" bekennt Carola Stern, daß sie Kommunistin nur im Auftrag eines amerikanischen Geheimdienstes wurde. "Ich hatte die Erinnerung an diese Zeit versiegelt, und es ist mir schwergefallen, das Siegel wieder aufzubrechen." Warum sie es erst jetzt oder gerade jetzt tut, bleibt ein Rätsel. Vielleicht hat sie das Unbehagen gescheut, von dem nun ehemalige Journalistenkollegen sprechen, weil sich Spionieren im Zwielicht nicht mit dem Ethos dieses Berufes vertrage.

Doch als Erika Assmus den netten Herrn Becker vom US-Geheimdienst kennenlernt, war sie keine Journalistin, war nicht einmal daran zu denken, daß sie einst eine wird. Der verheerende Krieg war gerade erst vorüber, nach einer Odyssee durch das verwüstete Land strandet die junge Frau in Thüringen als Landarbeiterin, findet dort schließlich durch Zufall Arbeit in einem Raketenforschungsinstitut, das die Russen betreiben, aber sehr bald in die Sowjetunion auslagern. Wieder muß sie einen Neuanfang wagen, wird Lehrerin, nicht aus Überzeugung, sondern aus Gelegenheit.

Als sie Becker kennenlernt beziehungsweise er sie, ist die Mutter todkrank. Die medizinische Hilfe für ihre Mutter - und es muß betont werden, eine andere gab es nicht - ist die Gegenleistung, für die Erika Assmus in die SED eintritt und verspricht, dort Karriere zu machen, um den Amerikanern über Parteiinterna berichten zu können. Sie sei naiv gewesen und auch verwundert, schreibt Carola Stern, weil sich Herr Becker zuerst für das Raketeninstitut interessierte. Wieso erkundigte sich ein Amerikaner bei einer Deutschen danach, "was Ihre Alliierten treiben"?

Die Schilderung ihrer Zeit an der stalinistischen SED-Parteihochschule in Klein-Machnow, auf die entsandt zu werden der zielstrebigen Frau sehr schnell gelingt, ist eines der packendsten Kapitel dieses Buches. Es gestattet einen Blick in eine absurde Wirklichkeit, in der Geistfeindlichkeit, Gehorsam und Intoleranz herrschten. Wofür sie diese Tortur auf sich nahm - die Mutter war 1948 gestorben -, erschließt sich nicht. Allzu großartig können ihre Informationen für die Amerikaner nicht gewesen sein, auch wenn man darüber wenig erfährt.

Carola Stern bietet appellatorisch viele Erklärungen an: Geltungssucht, die Sehnsucht der früh Verwaisten nach einer Ersatzfamilie, ihre Orientierungslosigkeit nach dem Zusammenbruch aller Gewißheiten bei Kriegsende. Sie sei wichtig gewesen in Klein-Machnow, sagt sie. Als Vertraute der Amerikaner, die zur großen Welt da draußen gehörten, als Vertraute ihrer Mitstudenten, von denen durchaus nicht alle vernagelte Stalinisten waren. Und wichtig zu sein, das gesteht Carola Stern immerzu in diesem Lebensbericht, war neben vielen Träumen eine starke Triebkraft auf ihrem Weg vom willfährigen Objekt der Verhältnisse zur selbstbewußten Bürgerin, die sich einmischt und gestaltet.

Carola Sterns Ich-Suche durch ihr lange unbehaustes Doppelleben ist auch ein spannender journalistischer Exkurs durch fast sieben Jahrzehnte deutscher Geschichte. Sie hält sich dabei wenig an die Chronologie der Ereignisse, was das Verständnis oft erschwert, wenn man zum Vergleich nicht die Folie eigener Erinnerung darüberlegen kann. Häufig fällt sie aus dem streng berichtenden und kommentierenden Stil in einen fast sentimentalen, der sicher die Herzen vieler Leser erwärmt, aber mehr als einen Blick auf die private Oberfläche doch nicht gestattet. Wer sich in der Personage ihres Lebens nicht ohnehin auskennt, wird Mühe haben, alle ihre wichtigen Lebensgefährten, Begleiter, Kollegen, Politiker und Künstler einzuordnen. Immer wieder tauchen neue Menschen auf, manchmal haben sie nur einen Vornamen, andere wiederum werden abrupt eingeführt, und erst viele Seiten später erfährt man ungefähr, wer sie sind. Manchmal auch nie.

"Doppelleben" endet, wo es angefangen hat: auf der Insel Usedom, deren Wandel nach der Zeitenwende von 1989 Carola Stern anrührend und verständnisvoll beschreibt. Doch dann übermannte sie wohl noch einmal die Wichtigkeit. Und damit niemand mißversteht, was Erika Assmus und Carola Stern waren und sind, beschließt sie ihren Lebensbericht mit einem Abschnitt, der sich fast wie ein Nachruf in eigener Sache liest. Nicht, daß wir glauben sollen, sie hätte keine Pläne mehr. Aber im Frage-Antwort-Spiel der letzten Seiten wird dem Leser die Chance, sich selbst ein Urteil zu bilden, genommen. Sie sind das Resümee, die Richtschnur, an die wir uns zu halten haben, wollen wir Carola Stern verstehen.

Carola Stern: "Doppelleben". Eine Autobiographie. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2001. 320 S., geb., 39,90 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Jürgen Verdofsky folgt den Spuren der Carola Stern bis zu dem Moment, da jenes Doppelleben in der DDR beginnt, das dieser Autobiografie den Titel gab. Allerdings hält er die Offenbarung der US-Agentin Stern dann nicht für allzu spektakulär: "Um das eigentliche Doppelleben wird ein großer Bogen geschlagen". Dabei traut Verdofsky der Autorin durchaus zu, "aufdecken zu können, was auch westliche Geheimdienst-Maschinen in Menschen verwüsten", und hat es sogar schon von ihr gelesen, in dem vor 15 Jahren erschienenen Buch "In den Netzen der Erinnerung". Für diesmal aber bleibt dem Rezensenten nur der "unerbittliche Blick" Sterns auf die eigene Nazi- Jugend, die Krisen nach dem Neubeginn im Westen, sowie auf ihre facettenreiche Erfolgsgeschichte ebenda. Garniert mit einem Strauß von Anekdoten über "Gastmahle und Urlaube" mit Zeitgenossen und serviert in einem Plauderton, "der die Geschichte von dem Doppelleben einer unerkannten Agentin so unwirklich aus der Zeit hebt".

© Perlentaucher Medien GmbH