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Im Zweifelsfall ist die Blackbox die letzte Hoffnung auf der Suche nach Ursachen für Abstürze: Was hat versagt oder wer, lag es an der Technik, am Klima oder war es menschliches Versagen und dann von wem - Pilot, Passagier oder Terrorist? Oder kam jemand entgegen? Die Blackbox merkt sich alles, zeichnet Gespräche genauso auf wie Kursänderungen und sämtliche technischen Daten - und ist so stabil, dass sie den Absturz zumeist übersteht. Man muss sie nur finden. In den hier versammelten acht Texten entwirft Benjamin v. Stuckrad-Barre acht Tragödien unterschiedlichster Art und macht sich mittels…mehr

Produktbeschreibung
Im Zweifelsfall ist die Blackbox die letzte Hoffnung auf der Suche nach Ursachen für Abstürze: Was hat versagt oder wer, lag es an der Technik, am Klima oder war es menschliches Versagen und dann von wem - Pilot, Passagier oder Terrorist? Oder kam jemand entgegen? Die Blackbox merkt sich alles, zeichnet Gespräche genauso auf wie Kursänderungen und sämtliche technischen Daten - und ist so stabil, dass sie den Absturz zumeist übersteht. Man muss sie nur finden. In den hier versammelten acht Texten entwirft Benjamin v. Stuckrad-Barre acht Tragödien unterschiedlichster Art und macht sich mittels akribischer Protokollauswertung auf die Suche nach möglichen Absturzursachen.
Jemand wird verlassen und bekommt ein horrendes Schweigegeld, begibt sich damit auf Weltreise und strandet denkbar komplett. In einer Containersiedlung werden eine Gerichtsverhandlung, die Blattproduktion einer Illustrierten und das Fernsehprogramm nachgestellt - oder ist das alles echt? Eine Schauspielerin, ein Rockmusiker, ein Existenzgründer, ein Straßenhändler und ein Fremdenführer erklären sich und mehr. Ein Gästeeinkäufer für Talkshows vergisst auf der Suche nach echten Geschichten die eigene. Eine essgestörte Person weigert sich, zum Arzt zu gehen, denn sie braucht keine Erklärungen. Eine Gruppe Nachtgestalten navigiert entlang dem Betäubungsmittelgesetz durch ein so genanntes wildes Leben und landet doch nur im Bett - allein. Ein Mann wagt den Neuanfang, der keiner ist. Und so weiter. So unterschiedlich diese Themen sind, so unterschiedlich sind die Textformen, die der Autor benutzt: Protokolle, Erzählungen, Märchen, Gedichte, Dialoge, ein Dramolett - gemeinsam ist all en Texten die Konfrontation eines sicher geglaubten Ordnungssystems mit plötzlich auftauchenden Störungen, mit Problemen, die sich als Systemfehler entpuppen, Fehler grundsätzlicher Art oder bloß in der Bedienung. Blackbox ist wie alle bisherigen Bücher des Autors äußerst unterhaltsam, zugleich aber ungemein verstörend - so genau, wie hier die Abstürze nachgezeichnet sind, geben die Ergebnisse nicht nur den Hinterbliebenen Aufschluss. Sie machen auch bewusst, wie dünn der Boden ist, auf dem wir stehen, selbst wenn wir gerade nicht fliegen. Schnallen Sie sich an.
Autorenporträt
Benjamin von Stuckrad-Barre wurde am 27. Januar 1975 in Bremen geboren, lebt in Berlin, schreibt Bücher und arbeitet journalistisch für verschiedene Zeitungen, darunter die FAZ, Die Woche, Allegra und Welt am Sonntag.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.08.2000

Fehler mit System
„Blackbox” – Benjamin von Stuckrad-Barre will literarisch werden
Der Mann hat es wirklich schwer. Er ist erst 25 Jahre alt und hat schon drei Bücher geschrieben – die sich auch noch prima verkauften. Hunderte von ganz schön jungen Frauen füllen die Hamburger Markthalle oder die Münchner Muffathalle, wenn Benjamin Stuckrad-Barre kommt und liest. Begeistert kichern sie über seine Texte. Schwer hat er es trotzdem, denn die Literaturkritik wollte sein Werk bisher nicht recht würdigen. Zu schnell, zu leicht und zu selbstverliebt seien diese Bücher geschrieben, so die große Zahl der Rezensenten. Sie wissen nicht, wie sie mit einem Autor umgehen sollen, dessen Auftreten dem der jungen Popstars gleicht. Ein Schriftsteller, zu dessen Lesungen so viele Fans pilgern wie sonst nur zu Günter Grass, der einst Gagschreiber fürs Fernsehen war und sich für Werbekampagnen eines Modehauses ablichten lässt.
Jetzt hat Benjamin von Stuckrad-Barre schon wieder ein neues Buch geschrieben, und es ist – das wird Fans wie Gegner überraschen – tieftraurig und tragisch. Schon der Titel „Blackbox” – der Flugschreiber großer Maschinen ist gemeint – kündet von Abstürzen und „unerwarteten Systemfehlern”, die in den acht Geschichten protokolliert werden.
In seinem Debütbuch „Soloalbum” und im nachfolgenden „Livealbum” hatte sich noch alles um Stuckrad-Barre selbst gedreht: „Entschuldigung, aber über wen sonst?” – empörte sich der Egozentriker damals in Interviews. Jetzt hat er sich einem gründlichen „re-modelling” unterzogen, versucht auf großkotzige Party- und Medien-Prosa zu verzichten und sich den Lebenswelten anderer zu widmen. „Vielleicht ist dies mein erstes richtiges Buch”, hofft der Autor, der sich nicht nur thematisch, sondern auch sprachlich auf neues Terrain wagt. Benjamin von Stuckrad-Barre will jetzt ernst genommen werden, und zwar als Literat.
Schon im ersten Text „herunterfahren” über eine Nacht voller Drogen lotet er also sprachliche Untiefen aus und schreibt nicht gagversessen, nein, das liest sich eher wie konkrete Poesie. In einer Art Reizwörter-Aufsatz hat er das neudeutsche Vokabular der Computerprogramme zur Beschreibung von Betäubungsmitteln benutzt: „Press any key to continue! Sie müssen jetzt umgehend den Akku wechseln oder ans Netz gehen - noch eine Nase oder ab ins Bett. ” Wahrscheinlich nannte der Autor es ein Experiment: Einen Tag lang hat er sich von seinem Macintosh Powerbook mit irgendwelchen Anweisungen, Informationen und Auswahlmöglichkeiten zumüllen lassen, dabei alle Platten von Blumfeld rauf und runter gehört und das Ergebnis dann mit dem Partyjargon der letzten Abende in den großen Mixer gepackt. Der Cocktail schmeckt, obwohl nur neun Seiten lang, ziemlich redundant.
Schlechter Einstieg also, aber die Marschrichtung ist klar: Hier wird nicht nur einfach aufgeschrieben, was und wie der Freundeskreis gerade spricht, hier soll ernsthaft mit den Wörtern gespielt werden. Um das Erkunden von Milieus durch die verschiedenen Sprechweisen geht es in den kurzen „sound files”. Es ist, als ob der Autor am Sendersucher des Radios Berliner Republik herumdreht und dabei Zeuge von Monologen und Selbstgesprächen seiner Mitmenschen wird. Der Inhaber einer startup company – die Firma könnte wie der Text „arschloch. de” heißen – suhlt sich in neoliberalem Gequatsche, ein Berlinator verliert sich in Huldigungen an die Hauptstadt und ein alter Deutschrocker beschwert sich über das Musikmachen in den Zeiten von MTV.
Zeigestück mit Anke
Wenn Benjamin von Stuckrad-Barre den Verkäufer in der Fußgängerzone und die halbberühmte Schauspielerin von ihrem alltäglichen Leben erzählen lässt, dann zeigt sich eine ganz erstaunliche Beobachtungsgabe, die er schon in „Livealbum” unter Beweis stellte. Beim Lesen glaubt man die Protagonisten sehen und hören zu können, so detailgenau sind die Monologe. Man folgt den schalen Berichten, man denkt an Deutschland, und nicht Wut, nicht Ironie stellt sich ein, sondern Trauer.
Traurig ist dann leider auch, dass dieser begnadete Berichterstatter aus dem Inneren unseres Landes sich in seinem Versuch, ein „echtes Buch” zu schreiben, etwas verzettelt. So breitet er über lange hundert Seiten eine Groteske aus, die in guter alter Manier von ihm selbst als Popstar handelt. Dieses Dramolett – ein „abstraktes Zeigestück über Sittenverfall, Klatschjournalismus und Prominentenneurosen” – handelt von der angeblichen und doch realen Affäre des Popautors mit dem Comedy-Star Anke Engelke. Superselbstreferentiell und postironisch lässt Stuckrad-Barre hier mediale Größen von Franz-Josef Wagner bis Helmut Dietl antanzen und feiert sich selbst als Opfer. Begrenzt tragisch und ziemlich nervig. In den übrigen Geschichten spürt man dann den (sehnsüchtigen) Versuch Stuckrad-Barres, mit der eigenen Schreibtradition zu brechen, oder wenigstens neue und ihm selbst fremde Objekte zu beschreiben, doch hier ist es ihm nicht gelungen.
Wenn man dem sogenannten Literaturpapst Reich-Ranicki Glauben schenken darf, so ist ein Erzählungsband immer genau so gut wie seine beste Geschichte. Beste Geschichten finden sich in Blackbox zwei. „Vom netz” ist der lapidar aufgeschriebene Versuch eines gewöhnlichen losers, einen Neuanfang zu machen. Auslöser ist der Abschied seiner Lebensabschnittspartnerin. Sie verlässt ihn, zahlt ihm aber dafür eine Abfindung von fünfundzwanzigtausend Mark: „Die ersten Liebesbriefe hatten nach Seife gerochen. Das Geld nun roch nach gar nichts. ” Der thirty-something entflieht seiner sonderlichen Wohngemeinschaft mit einem Berufsschullehrer und begibt sich mit dem Geld auf die Reise, fährt ziellos aber recht zufrieden von Land zu Land. Unterwegs fotografiert er Häuser, in denen er gerne geboren worden wäre oder gerne alt werden würde. Als er sich von seiner Heimat möglichst weit entfernt hat, bricht er zusammen. Krank und erschöpft steigt er ins Flugzeug und fliegt nach Hause, wo ihn am Flughafen nicht einmal der eigene Koffer erwartet.
Ein kaputtes Kunststoffkissen mit der Aufschrift „End of Bag” dreht auf dem Gepäckausgabeband einsam seine Runden: „Das ganze Geld war jetzt nahezu aufgebraucht. Für die Frau hatte er wenigstens noch das Geld bekommen, für das Geld allerhand Fluchtmöglichkeiten – doch jetzt war die Flucht zu Ende, Geld und Frau waren für immer fort und sein Gepäck scheinbar auch. ” Das Schlimmste am Leben ist nicht der Verlust, erkennt der loser, sondern die Illusion vom Neuanfang. Mit so einer Geschichte schafft Benjamin von Stuckrad-Barre den Neuanfang, hier wird er – trotz pseudo-pop-philosophischer Exkurse übers Musikhören an sich – zum Erzähler. Und das will er ja schließlich auch.
Modellbau mit Manuela
Tragisch komisch und zugleich ein gelungener Feldbericht eines Ethnologen ist die Geschichte „standarddokument”. Sie erzählt von einem jungen Mann, der im Gegensatz zu der Figur des namenlosen losers Erfolg hat. „Er kann seinem nicht ganz billigen Hobby, dem Modellbau, nachgehen, und wenn er am Wochenende mit seiner Freundin Manuela ausgeht, kann er sie zu allem einladen: Pizzeria, Kino, Eiskonfekt, Altbierbowle, Taxi. ” Mit seiner kleinen Firma vermittelt er den täglichen Fernseh-Talkshows die „normalen” Gesprächspartner, in den Redaktionen „Schlaftabletten” oder „Feigenblätter” genannt; die ansonsten dort geladenen Streithähne und Gewalttäter mag er nicht. Er wird als Menschenfreund und netter Spießer beschrieben, dem der unmenschliche Umgang bei Meiser und Arabella schmerzt. Der Leser erfährt von der Zivildienstzeit des jungen Mannes, von seinen 3500 falsch bedruckten Werbekugelschreibern und dem gemeinsamen Wohnen mit der Mutter. Wie bei den Kurzgeschichten von Raymond Carver ahnt man, dass solche Verhältnisse zum Scheitern führen werden. Am Ende stürzt auch der Talkshow-Vermittler ab, und die Blackbox hat für uns die Vorgänge und Reaktionen, die die Katastrophe verursachten, genau aufgezeichnet.
Vielleicht hat Benjamin von Stuckrad-Barre mit „Blackbox” tatsächlich sein erstes „richtiges Buch” geschrieben. Es könnte den Anfang vom Ende des Popstars einläuten und gleichzeitig das Debüt des Schriftstellers Stuckrad-Barre bedeuten. Kein Absturz, sondern ein Happy-End. Vielleicht wird er aber doch noch der zweite Harald Schmidt, bekommt eine eigene Late Show, verdient noch viel mehr Geld und findet einen Dauerplatz im Bunte-Index. In zwanzig Jahren wird er dann die jungen Nachwuchstalente in die Bibliothek seiner internationalen Produktionsfirma führen und ihnen stolz sein literarisches Frühwerk zeigen.
TOBIAS TIMM

BENJAMIN VON STUCKRAD-BARRE: Blackbox. Unerwartete Systemfehler. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2000. 349 Seiten, 19,90 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.11.2000

Gießkannengebrüll vor Hirschen und Hirschkühen im Harz
Benjamin von Stuckrad-Barres neues Soloalbum heißt "Blackbox" · Von Hans-Herbert Räkel

Benjamin von Stuckrad-Barre ist ein Senkrechtstarter: "Teenie-Star" und "Mädchenschwarm", "Gagschreiber" und "Talk-Show-Held", "Jung-Autor" und "Pop-Literat" heißen die Motoren, mit denen er sich in den Himmel des Medienruhms katapultiert hat. Sein neues Buch heißt "Blackbox" und hat einen schwarzen Umschlag. Daß auf der Klappe "Letzte Worte von Flugkapitän Ahmed al-Habashi (31. 10. 1999) an Bord der EA 990 New York-Kairo, aufgezeichnet vom Videorecorder um 01 Uhr 50.15", neben Walter Fabers fiktionaler Notlandung seiner "Super-Constellation" in der mexikanischen Wüste festgehalten werden, gehört zu den Geschmacklosigkeiten, die man coolen Büchern nachsehen muß. Ansonsten ist der Jung-Autor viel zu publikumsfreundlich, um sich auf Makabres einzulassen. Der Absturz von EA 990 ist schnell vergessen, wenn es vordergründig um Abstürze von Betriebssystemen geht, hintergründig um "die Suche nach möglichen Absturzursachen" für die in acht Kapiteln niedergelegten "Tragödien".

Das Inhaltsverzeichnis sieht aus wie der Ausdruck eines PC-Menüs, seine Titel sind dem Jargon entlehnt. In "heruntergefahren" wird ein Drogentrip als Stilübung durchgezogen ("das Betriebssystem kollabiert"); "vom Netz" erzählt eine Novelle von einem jungen Mann, den seine Geliebte mit 25 000 Mark Abfindung sitzenläßt; in "speichern unter: krankenakte dankeanke" recycelt der Autor das Gerücht seines Verhältnisses mit der "Comedy-Queen" Anke Engelke als Mediensatire; "strg s" erzählt im Ton des erschütterten psychiatrischen Beraters mit literarischen Ambitionen einen Fall von Hyperorexie (aus Liebeskummer); "sound files" lassen den Ton von Quasslern erschallen, die sich mit ihrem Gerede bloßstellen; "standarddokument" entwirft die Figur eines Interviewvermittlers, der für die Talkshows die "normalen" Menschen anwirbt.

Das letzte Kapitel "neustart" behandelt das Lieblingsmotiv auch anderer Jung-Autoren mit der ihrem Alter und sozialen Status angemessenen Lebenserfahrung: Studentenumzug und WG! Vorher gibt es eine Reihe von "dialogfeldern". Darin steht der einzige Text, der nicht zu lang geraten ist. Es ist ein Vierzeiler, Benjamin von Stuckrad-Barres Gottesbeweis: "Wenn es dich gibt / Dann mach was / Wenn nicht / Trotzdem." Oder war das das Selbstgespräch eines Autors, der wissen möchte, ob es ihn gibt?

Wenn wir ehrlich sind, müssen wir sagen, daß er mit der Blackbox "trotzdem" was gemacht hat. Der Erfolg seines Romans "Soloalbum" enthält eine Reihe von Ingredienzien, auf die man nicht ungestraft verzichten kann, wenn es um die Fortschreibung des Erfolgs geht. Die Aufmachung des Buches, eben als Soloalbum, das mit dem Inhaltsverzeichnis zweier CDs und lauter Songtiteln als Kapitelüberschriften schon so ähnlich wie die Blackbox arbeitete, erklärt sich inhaltlich recht gut, ist der Held doch ein Pop-Fan und Plattenverkäufer, als solcher ein Klon des, literarisch gesehen, erheblich massiveren älteren Helden von "High Fidelity": dessen Laure kommt schließlich zurück - diesem Loser des Soloalbums wagt man nicht zu wünschen, daß seine Katharina sich noch mal für ihn erwärmt. Aber er schreibt doch wenigstens, genau wie der Held Nick Hornbys, alles selber auf.

So etwas zu motivieren fällt jedem Autor schwer, und nur wenige reüssieren damit wie der Schöpfer des briefeschreibenden Werther. Für Benjamin von Stuckrad-Barre ist dies der entscheidende Schritt, denn nun kann er sich in seinen Helden versetzen; und sich in jemanden versetzen, das kann er wirklich. Er hat die Begabung eines Tierstimmenimitators: seine Rekonstruktion der Jargons ist umwerfend. Das kann er so gut, daß die Nachgeahmten (zum Beispiel im Show- und Mediengeschäft) sich darin wiedererkennen und ihn für einen der Ihren halten - wie die Hirsche und Hirschkühe im Harz, denen ein gekonntes Gießkannengebrüll bekanntlich einen Adrenalinstoß versetzt. Die Sprache ist das, was von Stuckrad-Barres "Soloalbum" über ein schlecht aufgewärmtes "High Fidelity" erhebt. Auch für ein Quentchen Ironie ist man zwar dankbar (der Held schreibt zum Beispiel einmal: "Soloalben sind fast immer scheiße"), aber das ist beiläufig.

In seiner "Blackbox" geht es ihm nun aber wie dem Tierstimmenimitator, der nicht mehr Tierstimmen imitiert, sondern seine eigene Stimme erhebt: Er verliert an Interesse. Das gilt nicht für das satirische Spiel "krankenakte dankeanke", wo der Medienjargon Orgien feiert, von denen einem das Wasser im Munde zusammenlaufen würde, wenn es dabei nicht plump um den Autor ginge; es gilt auch nicht für einige glossenhafte Stücke, welche fremde Stimmen imitieren. Aber in den novellenhaften Partien "Vom Netz", "Strg s", "Standarddokument" und "Neustart" schlägt die eigne Stimme mit ethischer Überfettung bei epischer Anämie durch: Der junge Mann ohne Namen wird nur namenloser, wenn ihn kokette Sätze wie dieser beschreiben: "Dieses Foto aufzubewahren, wäre dem jungen Mann vorgekommen wie das Sammeln gebrauchter Q-Tips." Die Geschichte vom Essen sagt die Wahrheit. Vielleicht ist es eine "wahre Geschichte", wie man sie in den geschmähten Frauenzeitschriften findet? Jedenfalls würde sie sich unzensiert als Werbetext für die Finanzierungskampagne eines Forschungsprogramms gegen Fettleibigkeit empfehlen.

Auch die Studie des Talk-Show-Vermittlers und das Abenteuer des Studentenumzugs haben diesen Hautgout altkluger Wahrheit. Es sind gelängte Glossen nach Art der Kolumnen eines Max Goldt, deren alltäglicher Inhalt trotz genauer Beobachtung und penibler Beschreibung langweilig werden würde, wenn nicht stilistische Glanzlichter die Aufmerksamkeit wecken und das Ego des Autors polieren würden. Da gibt es Lebensprobleme wie das "Handschmutzüberbleibselpfützchen" auf dem Waschbecken, da kann das Zusammenleben in der WG "wie tägliches Auslutschen des gemeinsam vollgehaarten Duschsiebs" werden - sind das nicht würdige Nachkommen der "resttröpfchengetränkten Klofußumpuschelung" des Altmeisters?

Wenn der Autor solche stilistischen Glanzleistungen in seinen Talk-Shows zum besten gibt, verlangsamt er den Vortrag und hebt die Stimme, damit nichts verlorengeht, und das jugendliche Publikum quittiert die Virtuosität mit Kichern: so zu hören auf den beiden CDs des Albums "bootleg", das in seiner Aufmachung der Blackbox nachempfunden ist, nur nicht schwarz, sondern weiß. Da setzt sich der Showmaster als ein sympathischer und etwas schüchterner, entwaffnend ehrlicher junger Mann in Szene, der aber nicht gern jemanden zu Wort kommen läßt. Wenn Katja Kessler ihre "Nackedei-Poeme" - auf dem Plattenumschlag heißt es großsprecherisch "Porno-Poeme" - vorliest, hört man sie erröten. Froh muß sie sein, wenn der dreinredende Showmaster nicht die Pointe vorher erklärt.

Benjamin von Stuckrad-Barre wird authentisch, wenn er andere nachmacht. In einem Kurzinterview wird ihm ein Angelhaken hingeworfen: "Sie wurden schon mal mit Zlatko verglichen." Er antwortet: "Ich bin ja nicht wie Zlatko, der nichts kann. Oder wie Gerhard Schröder, der auch nichts kann, aber ein Land leiten darf. Ich kann ja was: Ich kann schreiben." Simuliert er hier den, der er sein möchte? Obwohl schon 25 Jahre alt, nutzt er beherzt das Vorrecht der Jugend, dick aufzutragen wie die kleinen Mädchen à la Alison Ashworth bei Nick Hornby, die sich mit dem Lippenstift den Mund verschmieren und damit ihr dunkel gefühltes Ziel erreichen: bemerkt zu werden, am liebsten von großen Jungs. In einem Punkt ist er vielleicht doch wie Zlatko, der da singt: "Verdammt, ich bleibe, wer ich bin, denn ich mag mich so!"

Benjamin von Stuckrad-Barre: "Blackbox - unerwartete Systemfehler". Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2000. 348 S., br., 19,90 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Ziemlich süffisant geht Tobias Timm mit dem Autor und seinem Werk um. Immerhin gesteht er ihm zu, nachdem er sich lang und breit über die Selbstinszenierungen des jungen Autors und seiner "Party- und Medienprosa" ausgelassen hat, dass dies womöglich sein erstes "echtes Buch" sein könnte. Zumindest geht es "tieftraurig und tragisch" zu in den acht Geschichten, die hier präsentiert werden. Die meisten davon findet der Kritiker nicht besonders gelungen. Er nimmt den Anspruch des Schriftstellers wahr, sich in seinem Schreiben nicht nur mehr selbst darzustellen, sondern "den Lebenswelten anderer zu widmen", aber recht eingelöst findet Tobias Timm das noch nicht. Neudeutsches "Computervokabular" gemischt mit "Partyjargon", Selbstgespräche von nicht immer so interessanten Zeitgenossen, ein langatmiges "Dramolett" über sich selbst als Popstar und Opfer haben den Kritiker nicht überzeugt. Interessanter findet er die beiden Geschichten: "Vom netz" über einen Verlierer (oder loser, wie es heute heißt) und "standarddokument", eine Geschichte über einen erfolgreichen Talkshowvermittler, der am Ende auch nicht glücklich wird. Alles in allem sieht Tobias Timm immer noch zwei Möglichkeiten offen für Stuckrad-Barre: entweder ist dies jetzt ein Auftakt für ihn als Schriftsteller - oder es wird bald ein schnelles Verschwinden hinein in die eigene "Late-Show" geben.

© Perlentaucher Medien GmbH
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