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Die religiösen und gesellschaftlichen Veränderungen, die sich vom römischen Kaiserreich der Zeitenwende bis zum christlichen Imperium der ausgehenden Spätantike vollzogen, haben die Geschichte Europas und des Nahen Ostens bis in die Moderne maßgeblich geprägt. Stroumsa zeichnet einige wichtige Aspekte dieser "religiösen Revolution" nach und stellt insbesondere die häufig vernachlässigte Rolle des Judentums in diesem Prozeß heraus. Sein auch ins Englische und Italienische übersetztes Buch basiert auf vier Vorlesungen, die er im Februar 2004 am renommierten Collège de France gehalten hat. Trotz…mehr

Produktbeschreibung
Die religiösen und gesellschaftlichen Veränderungen, die sich vom römischen Kaiserreich der Zeitenwende bis zum christlichen Imperium der ausgehenden Spätantike vollzogen, haben die Geschichte Europas und des Nahen Ostens bis in die Moderne maßgeblich geprägt. Stroumsa zeichnet einige wichtige Aspekte dieser "religiösen Revolution" nach und stellt insbesondere die häufig vernachlässigte Rolle des Judentums in diesem Prozeß heraus. Sein auch ins Englische und Italienische übersetztes Buch basiert auf vier Vorlesungen, die er im Februar 2004 am renommierten Collège de France gehalten hat. Trotz seiner stupenden Gelehrsamkeit setzt Stroumsa keine spezifischen Fachkenntnisse voraus und richtet sich vorrangig an ein breites, informiertes Publikum.
Autorenporträt
Stroumsa, Guy G.Guy G. Stroumsa, geboren 1948, seit 1991 Martin-Buber-Professor für Vergleichende Religionswissenschaft an der Hebräischen Universität in Jerusalem, seit 2009 Professor für monotheistische Religionen an der Universität Oxford. Mitglied der israelischen Akademie der Wissenschaften. 2008 Forschungspreis der Alexander von Humboldt-Stiftung.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.03.2012

Ist das Christentum ein Taschenbuch?

Das Wort wurde Fleisch: Guy G. Stroumsa hat eine großartige Studie über den religiösen Wandel von Jesus bis Mohammed geschrieben

Es gibt einen antitheologischen Affekt, der besonders dann nervt, wenn diejenigen, die von dieser Erregung befallen werden, nicht merken, dass der Affekt selbst zur Geschichte der christlichen Revolution gehört. Wenn zum Beispiel der Evolutionsbiologe Richard Dawkins in seinem Kampf gegen Gott, Papst und Kirche immer wieder die Wissenschaft als das aufgeklärte Gegenbild beschwört, übersieht er leider, dass gerade seine Form der Wissenschaft sehr viel mit dem einen, einzigen Gott der monotheistischen Religionen zu tun hat.

Der Philosoph Gilles Deleuze hat es Ende der neunziger Jahre in einer Polemik gegen die sich für aufgeklärt haltenden Entmystifizierer der Gegenwart so formuliert: "Der mittelalterliche Gott hat sich in alle säkularen Winde zerstreut, ohne dabei seine tiefe, formale Einheit einzubüßen: Die Wissenschaft, die Arbeiterklasse, das Vaterland, der Fortschritt, die Gesundheit, die Sicherheit, die Demokratie, der Sozialismus - die Liste würde allzu lang - heißen seine neuen Gestalten."

Wie es zu dieser Transformation - oder genauer: Revolution - kommen konnte, die die Grundlagen der heutigen europäischen Kultur schuf, das kann man jetzt in einem wunderbaren Buch nachlesen. "Das Ende des Opferkults. Die religiösen Mutationen der Spätantike" ist sein Titel. Geschrieben hat es Guy G. Stroumsa, Professor für monotheistische Religionen in Jerusalem und Oxford. Behandelt werden darin die religiösen Wandlungen in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung, grob gesagt also die Zeit von Jesus bis Mohammed.

Dass man das Buch trotz der ungeheuren Gelehrsamkeit, die in den Text eingegangen ist, sehr gut lesen kann, hängt mit seiner Entstehungsgeschichte zusammen. Das Buch basiert auf vier Vorlesungen, die Stroumsa im Februar 2004 am Collège de France in Paris gehalten hat. Und es ist der ruhige Stil dieser Vorlesungen, der die so scheinbar weit zurückliegenden Jahrhunderte der Spätantike sehr nah erscheinen lässt. An einer zentralen Stelle gelingt es Stroumsa allein durch seine Wortwahl, seinen bis heute explosiven Stoff aus den bei religiösen Themen immer zu erwartenden Affektgewittern herauszulösen.

Indem er im Titel von religiösen Mutationen und nicht von der Revolution spricht, verweist Stroumsa auf seine Perspektive. Der aus der darwinianischen Biologie entnommene Begriff der Mutation steht zum einen für Stroumsas laizistischen Blick auf das Geschehen der religiösen Wandlungen. Zum anderen entschärft er aber auch den argumentativen Sprengstoff, mit dem Stroumsa in die Geschichte der Forschung um das frühe Christentum einsteigt.

Seine zentrale These lautet nämlich, dass "das Christentum das römische Reich mit jüdischen Waffen eroberte". Das Christentum habe es weitgehend seinem jüdischen Erbe zu verdanken, dass es neue Rahmenstrukturen entwickeln konnte, in denen sich die Religion neu definierte. Das jüdische Erbe und anhaltende Element im Christentum ist aber in der christlichen Religionsgeschichtsschreibung stets unterbelichtet geblieben. Stroumsa geht mit dieser an sich skandalösen Tatsache sehr nobel um. Als er einen besonders krassen Fall der Ignoranz christlicher Geschichtsschreibung gegenüber den Juden anspricht, verweist er darauf, dass das natürlich auch an der Sprachbarriere liegen könne, aber wahrscheinlich sei das nicht der einzige Grund. Allerdings muss Stroumsa am Collège de France nicht unbedingt in die Niederungen der christlichen Literatur hinabsteigen, um die Schwächen bisheriger Deutungen aufzuzeigen. Er kann sich direkt auf Michel Foucault beziehen, der bis zu seinem Tod 1984 am Collège lehrte. 1981/82 hielt Foucault dort seine Vorlesungen zur Hermeneutik des Subjekts, in denen er seine eigenen Forschungen zum Verhältnis von Subjektivität und Wahrheit und der damit verbundenen Sorge um sich selbst in der Antike und Spätantike vortrug.

So sehr Stroumsa Foucaults Entdeckungen achtet und für hilfreich hält, so kann er ihm doch einen Vorwurf nicht ersparen. Indem Foucault - wie alle Welt möchte, man meinen - direkt von der griechischen Sorge um sich in die christliche springt, bemerkt er zwar einige relevante Veränderungen, interpretiert sie aber falsch. Denn er übersieht den jüdischen Einfluss, selbst wenn er von historischen Figuren spricht, die definitiv Juden waren. Wenn Stroumsa also seine erste Vorlesung mit "Eine neue Sorge um sich selbst" überschreibt, dann tut er dies in einer direkten Auseinandersetzung mit Foucault.

Aber was ist neu an der Sorge um sich selbst im Christentum? Es ist die schlichte Erkenntnis, dass das Individuum sich nicht alleine retten kann. Um sich zu retten, bedarf das christliche Individuum des anderen. Diese ethische Sorge war aber über das hebräische Prophetentum in die Religion gekommen. "Seid heilig, wie ich heilig bin", lautete die Forderung. Das Ideal der Heiligkeit bedeutet Selbstsorge, aber zugleich auch mehr als Sorge um sich selbst, denn in der Ethik ist das Ich auf den anderen angewiesen. Darin liegt ein tiefgreifender Unterschied zum Ideal des Weisen, wie er etwa bei Seneca oder Plutarch zu finden ist. Der griechische Weise ist allein für die Sorge um sich und für sonst nichts verantwortlich. So einfach ist es für einen Christen nicht mehr. Stroumsa sieht in dieser Abkehr von der bloßen Sorge um sich aber nicht wie Foucault eine Begrenzung oder Auslöschung des Selbst, sondern eine Ausweitung. Die mit dem Christentum zu beobachtende Wandlung des Personenbegriffs erweiterte die Grenzen des Selbst und zog sie nicht enger, schreibt er. Auch dadurch wurde es möglich, dass Frauen, Nicht-Bürger und Sklaven einen Körper in der Gemeinschaft bekamen. "Das christliche Selbst ging nicht in der Gemeinschaft unter, sondern wurde zu einem Wahrzeichen derselben." Nach Stroumsa verläuft die Trennungslinie nicht mehr zwischen Körper und Seele, sondern zwischen dem sündigen und dem geretteten Ich. Von der oft zitierten Körperfeindlichkeit des Christentums ist hier also nichts zu spüren. Im Gegenteil, der Körper wird den frühen Christen in seiner Sündigkeit zum Buch, in dem man lesen lernen muss.

Stroumsa illustriert dies mit einem wenig beachteten Detail der Geschichte: Mit dem Sieg des Christentums verschwinden die aus der Antike bekannten Traumdeuter. Der Traum kündet den Christen nicht mehr von der Zukunft, sondern bringt dem Individuum seine Schuldhaftigkeit zu Bewusstsein und ruft zur Reue auf. Der Traum bezieht sich nicht mehr auf äußere Realitäten, sondern bringt etwas vom Individuum zum Ausdruck und verweist dieses auf sich selbst. Zu Freuds Traumdeutung scheint es von hier aus nur ein Katzensprung zu sein. Tatsächlich sieht Stroumsa in der christlichen Deutung des Traumes als individuelles Ereignis eine Entzauberung der antiken Welt im Sinne der modernen Wissenschaft. In Gang gesetzt wurde diese christliche Abwendung vom griechischen Mythentraum allerdings durch die Zuwendung der jüdischen Propheten zum anderen.

Und so steht es auch mit dem zweiten herausragenden Punkt der christlichen Religion: ihrer Fixierung auf das Buch. Die Buchreligion par excellence war schon früh das Judentum. Während Platon noch Angst vor der Schrift hatte, weil sie zur unkontrollierbaren Verbreitung führe, predigten Juden und frühe Christen geradezu die Abkehr vom gesprochenen zum gelesenen Wort.

Dass das Christentum sich dann im Unterschied zu den Juden auf nur ein Buch festlegte, kann man als Einschränkung begreifen. Wichtiger ist aber etwas anderes: Das Wort ist Fleisch geworden und damit auch einigermaßen beweglich. Anders als die jüdische "Buchreligion" wird für Stroumsa das Christentum zur "Taschenbuchreligion". Das Christentum als marginale Religion verstand es im dritten Jahrhundert besser als die etablierten Religionen, sich der neuen Techniken der Wissensvermittlung zu bedienen, um sich wirksam auszubreiten. Ein Phänomen, das heute über das Fernsehen, über Audio- und Videokassetten von den verschiedensten radikalen, religiösen Bewegungen fortgeführt wird.

Stroumsa gelingt es so immer wieder, Fäden vom großen Umbruch im ersten Jahrhundert, der mit der Vernichtung des zweiten Tempels in Jerusalem im Jahr 70 einen Kulminationspunkt fand, in die Gegenwart zu ziehen. Dabei übersieht er nicht die jüdischen Einflüsse und verschweigt auch nicht die Gewalt der Auseinandersetzungen zwischen den Religionen und deren Folgeerscheinungen. Das ist nicht nur neu, sondern sehr spannend. Besonders angesichts der aktuellen Kämpfe, nicht nur in Jerusalem.

CORD RIECHELMANN

Guy G. Stroumsa: "Das Ende des Opferkults: Die religiösen Mutationen der Spätantike". Verlag der Weltreligionen / Insel, 208 Seiten, 29 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.03.2012

Das Ende des Opferkults und der Aufstieg der Taschenbuchreligion
Guy G. Stroumsa entwirft eine revolutionär neue Perspektive auf die Christianisierung des Römischen Reiches
Wenn der Papst noch heute den Titel des Pontifex Maximus trägt, so beerbt er damit unmittelbar den ranghöchsten Priester der römischen Antike sowie die Kaiser, die das Amt schon von Augustus an in Personalunion ausübten. Wie solcher hohepriesterliche und staatskirchliche Geist mit dem latent priesterkritischen Ton der Evangelien zusammengeht, ist deshalb stets eine Frage an die Kirche geblieben. Von den Katharern über Martin Luther bis zu gegenwärtigen innerkirchlichen Protestbewegungen: Im Zentrum der Auseinandersetzung stand stets der Kult. Der traditionelle Katholizismus versteht noch heute die Messe als Wiederholung der Selbstopferung Jesu, mithin als Opferkult, der deshalb nur von einem Priester versehen werden kann; Protestanten dagegen betonen den ethischen Geist des Christentums und entwickeln gern Kultformen aus der Gemeinde und der individuellen Frömmigkeit heraus.
Liest man „Das Ende des Opferkults - Die religiösen Mutationen der Spätantike“ von Guy G. Stroumsa, dann erscheinen selbst solche Sollbruchstellen quer durch die Jahrhunderte plötzlich schlüssig. Die römische Religion, ruft das schmale Bändchen ins Gedächtnis zurück, war eine „Zivilreligion“, die für den Einzelnen keine ethischen Implikationen hatte: Die Tieropfer auf den großen öffentlichen Altären sicherten das Verhältnis zu den Göttern und stabilisierten den Staat. Der Gelehrte Marcus Terentius Varro hatte denn auch ausdrücklich den Unterschied zwischen Religion und Wahrheit etabliert, und viele spätantike Philosophen waren Monotheisten.
Das Neue am Christentum war, dass es von jedem Einzelnen das verinnerlichte Bekenntnis zu Glaubensinhalten einforderte und Religion mit einer ethisch orientierten „Arbeit an sich selbst“ verband. Für Stroumsa, Professor für monotheistische Religionen in Oxford sowie Martin-Buber-Professor für Vergleichende Religionswissenschaft an der Hebräischen Universität Jerusalem, ist der Siegeszug des Christentums in der Spätantike deshalb nicht nur wie in anderen Deutungen eine innerkulturelle Transformation, sondern eine „anthropologische Revolution“: eben von einer wesentlich kulturell zu einer wesentlich religiös gestifteten gesellschaftlichen Identität.
Nun ist der mit dem Christentum einhergehende Individualisierungs- und Verinnerlichungsschub oft gesehen worden. Doch legt Stroumsa in den vier Vorträgen, die er 2004 am Collège de France gehalten hat, eine womöglich ihrerseits revolutionäre Deutung des Umbruchs vor, indem er die bislang übersehene Rolle des Judentums in dem Prozess betont. Indem die Römer im Jahr 70 n. Chr. den Tempel zu Jerusalem zerstört hätten, so seine Argumentation, hätten sie den dortigen Tieropferkult und dessen ebenfalls kollektivitätsstiftende Funktion beendet. Damit aber hätten sie schon das Judentum zu eben jenem Paradigmenwechsel gezwungen, den man gemeinhin erst dem Christentum zuschreibe.
Denn nun „kommt es dem Bewusstsein des Einzelnen zu, die Verbindung mit dem Göttlichen, das noch unsichtbarer und unfassbarer als zur Zeit des Tempels ist, immer wieder zu beleben“. Gebete, Almosen und Fasten, also eher individuelle Formen der Frömmigkeit, ersetzen nun die Liturgie; die persönliche Gesetzestreue im Alltag, also eine ethische Dimension, tritt an die Stelle des Tempeldienstes. Zum ersten Mal in der Geschichte entkoppelt sich Religion damit von öffentlichen und kollektiven Autoritäten. Das Judentum begründet sich neu aus den Gemeinden als – zumindest potentiell – bereits selbstgewählten Gemeinschaften. Diese rücken, einhergehend mit der Suche nach einfacheren, weniger rituellen Kultformen, den heiligen Text statt des Opfers in den Mittelpunkt und entwickeln den Seelsorger statt des Priesters als neue geistliche Leitungsfigur.
Dieser hochdynamische, potentiell offene Prozess muss von den wachsenden christlichen Gemeinden nur noch aufgenommen werden beziehungsweise verläuft in ihnen parallel: „Das Christentum eroberte das Römische Reich mit jüdischen Waffen.“ Der christliche Heilige etwa, so zeigt Stroumsa, entspreche als ethische Vorbildgestalt dem priesterkritischen jüdischen Propheten. Die Verbreitung des Christentums als regelrechter „Taschenbuchreligion“ entspricht der neuen Bedeutung der Schrift. Vor allem aber realisiert das Christentum radikal, was in der Personalisierung von Religion schon angelegt ist: dass die Glaubensgemeinschaft nicht nur lokal, sondern gleichzeitig auch potentiell universal ist. Religion bildet eine neue Art von Volk, die die alten ethnischen und kulturellen Schranken in beide Richtungen überschreitet.
Von hierher kann Stroumsa auch neu verständlich machen, wieso die in Glaubensangelegenheiten angeblich laxen Römer das Christentum als staatsgefährdend betrachten und geradezu obsessiv dessen „Heimlichkeit“ beargwöhnten. Dass die Christen dauerhaft nicht am Opferkult an den öffentlichen Altären teilnahmen, erklärte den öffentlichen automatisch zum profanen Raum und private Gemeindetreffpunkte zu heiligen. Die Repräsentanz und damit die Macht Roms galt damit gerade in den Provinzen nicht mehr als sicher, die, so Stroumsa, tatsächlich realgeschichtlich als erstes zentrifugale Kräfte entwickelt hätten. So argumentiere der Christ Origenes gegen den konservativen Philosophen Kelsos, dass „die wahre Religion im Herzen der Menschen verankert (sei) und . . . zur Auflehnung gegen die bestehenden Verhältnisse“ aufruft. Es gehört zu den Ironien der Geschichte, dass Konstantin dieses Potential entschärfte, indem er das Christentum zur Staatskirche machte. Doch „selbst als Staatsreligion blieb das Christentum eine Religion, die auf der persönlichen Entscheidung, der Umkehr und dem Glauben gründete und damit auf der Idee der Religionsgemeinschaft“.
Guy G. Stroumsa argumentiert keineswegs einseitig, so weist er selbst darauf hin, dass schon das junge Christentum sich dezidiert auch als Opferreligion und zwar als (unblutige) Fortsetzung des jüdischen Tempelkultes verstand. Deutlicher in den Gesamtprozess einzubeziehen wäre allenfalls, dass das Judentum sich schon lange vor der Zerstörung des Tempels, und zwar letztlich seit seinen großen Propheten, in einer geistigen Abwendung vom Opferkult befand.
Dass sich aber ein Historiker wieder einmal traut, eine mehrere Jahrhunderte breite Deutungsschneise in die Geschichte zu schlagen, bleibt herausragend und war wohl vielleicht nur in der freien und knappen Form des Vortrags möglich. Auch so breitet Stroumsa rund um sein Zentralthema eine Fülle an Seitenthemen und Nebenbemerkungen – vom neuen Leiblichkeitskonzept des Christentums über den Islam bis zur Bedeutung des stillen Lesens – aus, die jede Seite der Lektüre zu einer assoziativen Quelle brillanter Erleuchtungen macht. Dieser kleine Band ist ein ganz großer, echt innovativer Wurf. MICHAEL STALLKNECHT
GUY G. STROUMSA: Das Ende des Opferkults. Die religiösen Mutationen der Spätantike. Aus dem Französischen von Ulrike Bokelmann. Mit einem Vorwort von John Scheid. Verlag der Weltreligionen, Berlin 2011. 208 Seiten, 29 Euro.
Das Christentum
eroberte das Römische Reich
mit jüdischen Waffen
Das Relief am Titusbogen zeigt römische Soldaten nach der Zerstörung des Tempels in Jerusalem – für Guy G. Stroumsa ein Schlüsselereignis Foto: B. Megele
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Michael Stallknecht feiert Guy G. Stroumsas Untersuchung vom Niedergang des antiken Opferkults als "ganz großen" und umwälzenden Wurf. Absolut überzeugend findet der Rezensent die Darstellung des Religionswissenschaftlers, dass insbesondere das Judentum an der Transformation von einer Zivilreligion zu einer vom Einzelnen Glaubensbekenntnisse und individuelle Anstrengungen mit ethischen Implikationen fordernden Religion einen großen Anteil hatte. Nach einer These des Autors hat aber schon die Zerstörung des Tempels in Jerusalem 70 n. Chr. diesen Paradigmenwechsel hervorgerufen, wie der Rezensent erklärt. Das eigentlich Neue an Stroumsas Arbeit ist die Rolle des Judentums bei der Abwendung vom Opferkult, die man gemeinhin erst dem Christentum zuschreibt, so Stallknecht. Vielleicht hat ja auch die offene Form der Vorlesungsreihe, aus der dieses keineswegs dickleibige Buch hervorgegangen ist, erst den Weg für diese neue Sichtweise freigemacht, mutmaßt der Rezensent, der in den Darlegungen auch eine "Quelle brillanter Erleuchtungen" preist.

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»Stroumsa gelingt es immer wieder, Fäden von großem Umbruch im ersten Jahrhundert ... in die Gegenwart zu ziehen.« Cord Riechelmann Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 20120311