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Es ist das Jahr 1964, als die moralischen Gewißheiten einer ganzen Nation durch einen "Lady Chatterley"-Prozeß und einen Profumo-Skandal erschüttert wurden. Die ehrgeizige Literaturwissenschaftlerin Frederica Potter hat einen wohlhabenden Unternehmer geheiratet, auf dessen Landsitz sie argwöhnisch beaufsichtigt lebt. Nach einer tätlichen Auseinandersetzung entschließt sich Frederica, ihren Mann zu verlassen und nach London zu gehen, wo sie sich mit Abendkursen und Lektoratsgutachten durchschlägt. Eines Tages liest Frederica das Manuskript eines gewissen Jude Mason, der als Dichter und…mehr

Produktbeschreibung
Es ist das Jahr 1964, als die moralischen Gewißheiten einer ganzen Nation durch einen "Lady Chatterley"-Prozeß und einen Profumo-Skandal erschüttert wurden. Die ehrgeizige Literaturwissenschaftlerin Frederica Potter hat einen wohlhabenden Unternehmer geheiratet, auf dessen Landsitz sie argwöhnisch beaufsichtigt lebt. Nach einer tätlichen Auseinandersetzung entschließt sich Frederica, ihren Mann zu verlassen und nach London zu gehen, wo sie sich mit Abendkursen und Lektoratsgutachten durchschlägt. Eines Tages liest Frederica das Manuskript eines gewissen Jude Mason, der als Dichter und Aktmodell bereits von sich reden gemacht hat. Babbletower heißt sein literarisches Opus, zu dessen Publikation Frederica dem Verleger trotz einiger Bedenken rät. Masons Roman erzählt von einer Gruppe Überlebender der Französischen Revolution und von der Gründung einer Gemeinschaft, die jedoch bald durch sexuelle Exzesse, Gewalt und Folter zugrunde geht.
Der Verlag wird wegen der Veröffentlichung des
Autorenporträt
A. S. Byatt gelangte mit ihrem Roman "Besessen", der 1990 mit dem Booker-Preis ausgezeichnet wurde, zu Weltruhm. Ihr Werk umfasst neun Romane, zahlreiche Erzählungen und literaturkritische Texte; für ihr Schaffen wurde sie vielfach ausgezeichnet und 1999 von der Queen zur Dame Commander of the British Empire ernannt. A. S. Byatt kam 1936 in Yorkshire zur Welt, hat drei Töchter und lebt in London.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.11.2004

Ach, Sie waren nicht in Oxford?
Antonia S. Byatts Roman „Der Turm zu Babel”
„Es hat mich davon abgehalten, ich selbst zu sein”, klagt Frederica Potter, verheiratete Reiver, über das Verhalten ihres Mannes. „Diese Wirkung wird von der Ehe erwartet”, antwortet ihr Scheidungsanwalt. Die Überraschung, die in der Entgegnung steckt, verdankt sich nicht, wie wir in Bezug auf Überraschungen meist wähnen, ausufernder Phantasie. Trockene Präzision des Wahrnehmens und Denkens ist vielmehr, woher sie kommt. Ihr von Sympathie gebändigter Zynismus ist vielleicht nicht exklusiv britisch; doch dass dergleichen in der englischen Kultur besonders gepflegt wird, ist unbestreitbar. Momente der Lakonik wie den zitierten, die solcher Haltung nahe liegen, gibt es hin und wieder in dem Roman „Der Turm zu Babel” der 1936 in Yorkshire geborenen Schriftstellerin Antonia Susan Byatt; bezeichnend für das Buch sind sie nicht.
Eher breit und redselig erzählt die Autorin die Geschichte dreier Gerichtsverfahren Mitte der 1960er Jahre: des Scheidungsprozesses Fredericas, des Rechtsstreits mit ihrem Mann um das Sorgerecht für den gemeinsamen Sohn, und der Auseinandersetzungen vor einem Schwurgericht, welches über die Klage wegen Obszönität gegen das Buch „Babbletower” von Jude Mason zu entscheiden hat - ein Buch, das Frederica ihrem Verleger, für den sie Manuskripte liest, empfohlen hatte. Das Band, das diese Verfahren und diverse andere Episoden zusammenhält, ist im Titel des vielstimmigen Buches mit der biblischen Geschichte des Turmbaus zu Babel benannt: ausnahmslos geht es um die Frage nach der Möglichkeit einer gemeinsamen Sprache oder, wäre eine solche illusorisch, den Verfall des Redens in wechselseitige Unverständlichkeit.
Die Frage nach der Sprache ist für Byatt zugleich die Frage nach Freiheit; in „Babbletower”, im Untertitel als „Ein Märchen für die Kinder unserer Zeit” bezeichnet, schlägt die proklamierte totale Freiheit in Zwang und Zerstörung um - eine implizite Kritik Byatts am Zeitgeist der 1960er Jahre -, während Frederica in ihrer Ehehölle unter ganz traditionell institutionalisierter Freiheitsberaubung durch ihren Mann leidet. Die unterschiedlichen Geschichten, in denen Byatt die Thematik von Sprache und Freiheit zu entfalten sucht, lösen einander in Stücke zerlegt ab, so dass das Buch insgesamt keinen linearen Erzählfaden aufweist. Wann die Autorin sich jeweils selbst unterbricht, erscheint eher willkürlich, und die Wahl einer anderen Schrifttype für „Babbletower” mag fast als Einladung an den Leser zu deuten sein, dieses Buch im Buch, falls er es wünscht, an einem Stück zu lesen.
Auf dem Silberlöffel serviert
Zwischen den Strängen des Romans gibt es mannigfaltige Querverbindungen, teils eher versteckte, in ihren Verstecken belassene, teils der Art, dass die Autorin ihre Leser mit erhobenem Zeigefinger auf sie weist. Mancher Konnex auch scheint eher für Literaturkritiker als für Leser in den Text investiert. Doch mit all dem ist der Beziehungen längst noch nicht genug. Denn „Babel Tower”, wie das Buch im Original heißt, steht nicht für sich. Es ist Teil einer Tetralogie Byatts über eine Familie aus Yorkshire, die 1978 mit „The Virgin in the Garden” begann, 1985 mit „Still Life” fortgeführt wurde und 2002 mit dem noch nicht ins Deutsche übersetzten Roman „A Whistling Woman” zum Abschluss gelangte. Hat man die beiden Vorgänger nicht gelesen, bleibt manches an diesem Roman nur halb verständlich. Und am Schluss dieses Buches bleiben lose Enden hängen, zu denen Byatt seinerzeit im Projekt eines Nachfolgeromans, eben „A Whistling Woman”, die Lizenz fand.
Man mag die Bücher, zwischen die Byatt den Turm zu Babel stellt, als Stützen ansehen. Und dieser Turm bedarf wohl auch solcher. Einen 800-Seiten-Roman trägt Byatts erzählerische Erfindungskraft in diesem Fall denn doch nicht. Dass er lang ist, könnte ein ausschweifendes intellektuelles Abenteuer bedeuten; aber er ist nicht selten langatmig und zuweilen gar langweilig. Auf 300 Seiten kondensiert, mit den suggestiven, hellsichtigen Passagen über Sexualität und Gewalt als seinem Zentrum, wäre ein besseres Buch entstanden. Dass Byatt dergleichen nicht einmal erwogen hat, steht zu befürchten. Denn gleich ihrem Idol Iris Murdoch - beide haben in Cambridge und Oxford studiert - ist auch Antonia Byatt verliebt in eine Sorte Bildungsschmock, deren Zweck eher ein moralischer als ein literarischer ist: ihrer Gemeinde zu signalisieren, dass man zusammengehört, weil man die Weisheit am selben Ort mit silbernen Löffeln gefressen hat. Und an diesem Punkt rächt sich Fundamentaleres vielleicht als die babylonische Sprachverwirrung an Byatts Babel-Buch; denn wohl sind die Wörter von einer der vielen Sprachen in die andere übersetzbar, nicht unbedingt hingegen die Neigungen derer, die sie sprechen.
Zwar schauen auch in Deutschland Akademiker gern auf die Armen des Geistes herab, aus denen in ihrer Sicht der Rest der Gesellschaft besteht; Byatts Variante dieser erhebenden Regung dürfte indes doch zu sehr auf die spezifischen Bedürfnisse des relevanten Ausschnitts ihrer eigenen Nation zugeschnitten sein, um hierzulande recht genossen werden zu können.
ANDREAS DORSCHEL
ANTONIA S. BYATT: Der Turm zu Babel. Roman. Aus dem Englischen von Brigitte Heinrich und Melanie Walz. Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 2004. 815 Seiten, 26,80 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2004

Mit der Axt im Salon
Antonia S. Byatt als Scheidungsanwältin / Von Ingeborg Harms

Das Jugendbeben der sechziger Jahre ließ sich von London aus besonders gut beobachten. Antonia S. Byatt war damals um die Dreißig und behielt einen kühlen Kopf. Jetzt hat sie einen historischen Roman über jene Phase des weltweiten Umbruchs geschrieben, dessen Erschütterungen und Trümmer vielleicht erst heute der emotionslosen Besichtigung zugänglich sind.

Wie die Autorin selbst ist ihre Protagonistin Frederica Potter eine der ersten Cambridge-Absolventinnen gewesen. Wir werden Zeugen ihres schmerzhaften Reifeprozesses, zu dem eine Scheidung, die ersten Schritte in die berufliche Autonomie und die Erkenntnis gehören, daß der zweijährige Sohn Leo ihr eine existentielle Verantwortung auferlegt.

Frederica ist Opfer der Lady-Chatterley-Illusion. Die aus einem liberalen Lehrerhaus Stammende hat für guten Sex in die Oberschicht geheiratet und findet sich nun vernachlässigt und mißhandelt auf einem Landgut wieder, wo ihr Gatte Nigel Reiver ihr die Erfüllung der traditionellen Hausfrauenrolle abverlangt, zu der es gehört, daß sie im Kinderzimmer ißt, wenn er Besuch empfängt. Während seiner langen Abwesenheiten treibt er sich in Londoner Nachtklubs von der Art herum, die durch die Profumo-Affäre traurige Berühmtheit erlangten. Wie ein großer Teil des Romanpersonals ist Nigel sadistisch geprägt und wirft im Jähzorn gezielt eine Axt nach Frederica. Sie flieht und zieht in den Londoner Stadtteil Bloomsbury, wo sie als Verlagslektorin und Volkshochschullehrerin ihren Unterhalt verdient. Damit taucht sie in die Welt ihrer früheren Kommilitonen ein, sammelt Erfahrungen mit diversen Aufbruchsgestalten und beteiligt sich lebhaft an Zeitgeist-Debatten.

Die Labour-Partei hat eben die Regierung übernommen und beauftragt eine Kommission, zu der viele von Fredericas Bekannten zählen, mit einem Gutachten über das Schulsystem. Dieser Handlungsstrang führt ins Zentrum des Buches, denn Byatts Kritik der sechziger Jahre kreist um die neuen Erziehungsmaximen und gipfelt in einem Schülervotum zur Notwendigkeit der Grammatik: "Das Abstimmungsergebnis ist überwältigend."

Es wimmelt in der Pädagogenszene von selbsternannten Propheten, narzißtischen Krawallmachern, die arglose Schüler zum Aufstand anstiften. Daß Kinder nicht gedrillt werden, sondern nach eigenem Gutdünken das Lernenswerte entdecken sollen, treibt unter Byatts Feder ebenso groteske Blüten wie der Rousseausche Glaube an die Unschuld der kindlichen Natur. Mit dem Schicksal Fredericas verknüpft die Autorin die düstere Vita des Schriftstellers Jude Mason, eines verkorksten Produkts englischer Eliteschulen, der sogenannten Public Schools, deren Schüler und Lehrer in eine lange Geschichte der Mutproben und Schlafsaalfoltern verstrickt sind. Jude hat einen Roman über eine libertinäre Lebensgemeinschaft zur Zeit der Französischen Revolution verfaßt, in der die Beherzigung des Lustprinzips bestialische Gewalttaten gebiert. Collagenartig wird dieses Buch im Buch, das den ironischen Titel "Babbletower", Blubberturm, trägt, mit Fredericas Geschichte zusammengeschnitten. Die Implikationen der Edmund-Burke-Schülerin Byatt sind überdeutlich: Die "Twist and shout"-Revolution der Sechziger hat nichts von den Fehlern der Sansculotten gelernt: Unqualifizierte Freiheit führt zur Herrschaft der Skrupellosesten und Stärksten, so wie die hemmungslose Erkundung der menschlichen Natur deren perfideste Potentiale kultiviert.

Daß diese ernüchternde Erkenntnis sich zum konservativen Credo kristallisierte, verhindert Antonia S. Byatts Feminismus. Die weibliche Perspektive seziert vorurteilsbeladene Scheidungsrichter und scheinheilige Ehemänner, die unter dem Banner der guten, alten Kleinfamilie ein erbarmungsloses Regiment ausüben. "Der Turm zu Babel" ist daher keine Streitschrift gegen die moderne Kommunikationsgesellschaft. Denn die Autorin weiß nur zu gut, daß verdeckte Mißstände ein Forum brauchen und sensible Theorien, mit denen sich ihnen zu Leibe rücken läßt. Deshalb sind die Höhepunkte des Romans zwei Gerichtsverhandlungen, bei denen den Fragen nach ehelicher Schuld und der Publikationswürdigkeit des von sexueller Grausamkeit strotzenden "Babbletower" öffentlich nachgegangen wird. "In unserer Gesellschaft setzt man sich mit dem Bösen nämlich nicht auseinander", bemerkt einer der Sachverständigen.

Byatts ganzes Buch funktioniert nach dem Muster eines vielstimmigen Prozesses, in dem alle erdenklichen literarischen Ausdrucksformen zur Sprache kommen. Der anspielungsreiche Roman ist aus den Scherben des kulturellen Kanons zusammengesetzt, aus den Trümmern aller babylonischen Versuche, eine einzige Wahrheit zu behaupten. Gedichte, Träume, Briefe, Tagebücher, Märchen, galante, realistische und sensualistische Schreibweisen kreuzen sich mit Anklängen ans biblische Hohelied, mit wissenschaftlichen Traktaten, philosophischen Abhandlungen und trockenen Protokollen. Das ambitionierte Projekt der britischen Zeitgeistanalytikerin strebt einen geologischen Querschnitt durch sämtliche mitgeschleppten Zivilisationsadern an. Dabei ist der Perspektivreichtum selbst schon das Argument gegen alle eindimensionalen Subversionen. Auf dem Grunde der widerstreitenden Diskurse, die ihre Netze schon nach dem Säugling auswerfen, liegt für Byatt keine allwissende Ursprache, sondern das, was mit einer quasireligiösen Scheu "nicht benannt, nicht definiert, nicht verstanden werden kann": widersprüchliche Intensitäten, die man mangels eines besseren Ausdrucks Liebe nennt.

Weil "Der Turm zu Babel" ein klug gebautes Traktat ist, liest der Roman sich nicht leicht; die verhaltene didaktische Absicht ist trotz seiner raffinierten Spiegelungen, romantischen Ironien und allegorischen Figuren immer gegenwärtig. Abgesehen von allen vernünftigen Argumenten, ist die permissive Lebensform der Autorin zutiefst suspekt.

Alle Blumenkinder der Babel-Szenerie kommen als dämonische Clowns, sabbernde Penner und perverse Schreihälse daher. Der verhüllte Puritanismus zeigt sich am deutlichsten in den Liebesszenen, die manieristisch konstruieren, was literarisch nicht gefühlt wird: "Das Begehren umwallt Fredericas Rückgrad wie die Spirale eines Toboggans, in dem sie vor Furcht und vor Freude kreischend wirbelt." Die komplizierte Metapher versetzt Byatts Heldin in den kindlichen Moment eines wirbelnden Rodelschlittens zurück. Regression als Gegenzauber zu den Abgründen des Sexus? Vielleicht ist es besser, daß wir in den Ruinen von Babel nicht mehr jede Empfehlung beim Wort nehmen müssen.

Antonia S. Byatt: "Der Turm zu Babel". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Brigitte Heinrich und Melanie Walz. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2004. 815 S., geb., 26,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Antonia Byatt besichtigt die umstürzlerischen Sechziger in London - die Debatten, den Zeitgeist, das Absurde. Sie tut das, so die Rezensentin Ingeborg Harms, indem sie die "Scherben des kulturellen Kanons" zu einem Mosaik der Schreibweisen zusammensetzt: Gedichte, Briefe, Traktate - eine Vielfalt an Texten und Stimmen, die jeden Versuch, eine einzige Wahrheit gelten zu lassen, ad absurdum führen. Denn in der Pädagogenszene, in die ihre Protagonistin eintaucht, tummeln sich lauter Weltverbesserer und antiautoritäre Lehrer . Und so sei die Absicht der Autorin, wenn auch gut verborgen zwischen "raffinierten Spiegelungen", deutlich zu erkennen: Sie wendet sich gegen das Hemmungslose des damaligen Freiheitsbegriffs, der am Ende die Lautesten und Brutalsten dominieren lässt. Konservativ ist Byatt deshalb nicht, so Harms, davor bewahre sie ihre feministische Haltung. Nur den "verhüllten Puritanismus" (alle Blumenkinder sind pervers oder idiotisch) möchte die Rezensentin ihr nicht durchgehen lassen.

© Perlentaucher Medien GmbH"
"Antonia S. Byatt betreibt in Der Turm zu Babel die kunstvolle Kartographie einer Epoche und ihres Geisteslebens. Und die Lektüre des grossen Finales - des vierten Frederica-Bandes, A Whistling Woman - offenbart, dass sie uns damit einen Reiseführer an die Hand gegeben hat für den Gang durch eine unvergleichliche Erzähllandschaft voller Geist und Leben." Neue Zürcher Zeitung