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Dieses Buch rückt das eingeschränkte Bild vom Märchenerzähler Andersen in ein neues Licht. Es präsentiert einen in Deutschland weitgehend unbekannten Hans Christian Andersen und versucht der Vielseitigkeit seiner Texte und seiner faszinierenden Persönlichkeit gerecht zu werden.

Produktbeschreibung
Dieses Buch rückt das eingeschränkte Bild vom Märchenerzähler Andersen in ein neues Licht. Es präsentiert einen in Deutschland weitgehend unbekannten Hans Christian Andersen und versucht der Vielseitigkeit seiner Texte und seiner faszinierenden Persönlichkeit gerecht zu werden.
Autorenporträt
Hans Christian Andersen wurde am 2. April 1805 in Odense (Dänemark) geboren und wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. Der Dänenkönig Friedrich VI., dem seine Begabung aufgefallen war, ermöglichte ihm 1822 den Besuch der Lateinschule in Slagelsen. Bis 1828 wurde ihm auch das Universitätsstudium bezahlt. Andersen unternahm Reisen durch Deutschland, Frankreich und Italien, die ihn zu lebhaften impressionistischen Studien anregten. Der Weltruhm Andersens ist auf den insgesamt 168 von ihm geschriebenen Märchen begründet. Andersen starb am 4.8.1875 in Kopenhagen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.10.1999

Das schreibwütige Entlein
Hans Christian Andersens kleine Geschichte der Herzensbildung · Von Eberhard Rathgeb

Dryaden sind Baumnymphen. Und Baumnymphen sind halbgöttliche Wesen. Und halbgöttliche Wesen sind Wesen, die nicht ganz von dieser Welt und also noch von woanders her sind. Ein Mensch nun aber, der nicht ganz von dieser Welt ist, der ist nicht ganz bei Trost. Doch er ist damit noch lange keine Baumnymphe, sondern vielleicht einer, der aller Welt Geschichten von Baumnymphen erzählt. Warum macht man das? Damit sich alle Welt an den Kopf schlägt und sich fragt, ob man denn bei Trost sei, wenn man sich nicht vor den Kopf schlagen und fragen würde, ob man denn bei Trost sei. Im neunzehnten Jahrhundert gab es vor allem einen, der sich vor aller Welt ständig an den Kopf schlug und dadurch schließlich in der ganzen Welt berühmt wurde. Das war Hans Christian Andersen aus Kopenhagen.

In London hatte im Jahr 1849 ein Mann seine Zelte aufgeschlagen, der seinen Mitmenschen schon einigen Ärger verursacht hatte und später noch, nach seinem Tod, einen noch größeren, einen weltweiten Ärger hervorrufen würde. Der Mann hieß Karl Marx und saß lange Tage und Nächte über Büchern und verbrachte tausende von Stunden in der Bibliothek und brütete vor sich hin. Dann erschien 1867 endlich der erste Band eines Buches, das später gar ein Bestseller werden sollte. Es war "Das Kapital". Nur wenige Proletarier lasen das Buch. Dafür steckten Intellektuelle ihre Nase hinein. Wenn sie auch nicht durch die über zweitausend Seiten kamen, so ackerten sie doch im ersten Band herum und dort vor allem und immer wieder durch das schön schwierige Kapitel über den Fetischcharakter der Ware, weil einem dort ja die Augen erst auf- und dann übergingen über den Gebrauchswert und den Mehrwert einer Ware.

Da schlug man sich schon beim Lesen an den Kopf, weil man in seinem ganzen langen oder auch nur kurzen nachdenklichen, auf jeden Fall aber vom Warenfetischismus verdunkelten Leben vor diesem handlichen, einem ein helles Licht aufsteckenden vierten Abschnitt im ersten Kapitel des ersten Bandes blind vor all den Waren gewesen ist. Denn man hatte bis zu diesen Seiten hin nicht gesehen, was es mit der Wirklichkeit der Wirklichkeit, was es also mit der Ware auf sich hatte, die eben nicht nur einen Gebrauchswert hat, sondern auch etwas anderes, also einen Mehrwert. Die Ware war das Baumnymphchen der Ökonomie.

Im Jahrhundert des Kapitals machten auch die Romane des dänischen Schriftstellers Hans Christian Andersen ihren Weg hinaus und brachten dem Autor einiges Geld und mehr Ruhm zurück. Er war, wie der Herausgeber einer neuen Andersen-Anthologie, Johan de Mylius, feststellt, "von Russland bis Amerika" als Romanautor damals schon berühmt. In den fünfziger Jahren, also einige Jahre darauf, sattelte Andersen um und schrieb von nun an mehr Märchen, und zwar nicht nur für Kinder. Ihm wurde das Märchen, so Johan de Mylius, "zum Inbegriff der Dichtung". "Unsere Zeit", erklärte Andersen 1868, ein Jahr nach dem Erscheinen des ersten Bandes des "Kapitals", sei "die große, wunderbare Zeit des Märchens", und schlug sich vor den Kopf.

Was ist die Wirklichkeit der Wirklichkeit? Der seelensezierende Sören Kierkegaard hatte Andersen früh schon vorgeworfen, er, Andersen, würde nicht in "die Geschichte der Herzen" hineinblicken, sondern lieber in einer Postkutsche in Europa durch die Gegend fahren, aus dem Wagenfenster mal links, mal rechts schauen und sich zerstreuen lassen. Für eine Geschichte der Herzen, wie sie Kierkegaard vorschwebte, wird sich Andersen aber herzlich wenig interessiert haben. Herzlich viel dagegen lag Andersen an einer wenn auch kleinen, wenn auch unvollständigen "Geschichte der Herzensbildung" in seinem kapitalgetriebenen Jahrhundert.

Andersens "Ware" war "das Leben", das durch das neunzehnte Jahrhundert und also immer tiefer hinein in die technische Zivilisation und also immer weiter weg von einer heimatlichen und menschlichen Natur wanderte, weil es dorthin nun wandern mußte. Diese Ware hatte einen Gebrauchswert, und das waren die Konventionen, die alles Menschliche oberflächlich regelten und am geschäftigen Laufen hielten. Und sie hatte auch einen Mehrwert, und das war ein Herz auf dem rechten Fleck. Dieser "Ware" widmete Andersen nicht nur ein Kapitel, sondern hunderte von Geschichten, seine berühmten Märchen.

Wer nun also ein Märchen von Hans Christian Andersen las, der sollte sich dabei oder spätestens danach vor den Kopf schlagen, weil er in seinem Gebrauchswertleben immer nur ganz bei Trost und also immer nur ganz mit von der Partie der konventionellen Wirklichkeit gewesen war, während doch ein menschliches Herz darunter anrührend und heimatlich und eben mehrwertig schlug. Damit war "das Leben" zum Baumnymphchen der Literatur geworden. Und damit war das neunzehnte mit dem zwanzigsten Jahrhundert verbunden, das ja in den ersten Jahrzehnten sich den Kopf über das "Leben" zerbrach, nicht zuletzt auch Thomas Mann.

Hans Christian Andersen aber wurde zum Märchenonkel für Kinder. Diese Einschätzung änderte sich erst in den vergangenen Jahren, als man den literarischen Einflüssen Andersens auf die moderne Literatur nachspürte und man seine Geschichten neu übersetzte. Einen anderen, einen Andersen für Erwachsene möchte nun auch die Textauswahl von Johan de Mylius vorstellen. Also nahm man unbekannte Texte oder übersetzte bekannte Texte neu, und zusammengenommen sollen sie nun ein vollständiges Bild Hans Christian Andersens ergeben. So wird aus dem Märchenplauderer Andersen ein Zeitgenosse seines Jahrhunderts, der sich für Seele und Technik, Wissenschaft und Poesie, Glauben und Wissen, soziale Erfahrungen und politische Missstände mehr interessierte, als man lange angenommen hatte.

Hans Christian Andersen: "Märchen, Geschichten, Briefe". Ausgewählt und kommentiert von Johan de Mylius. Aus dem Dänischen von Ulrich Sonnenberg. Insel Verlag, Frankfurt am Main 1999. 432 S., geb., 49,80 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

In einer Sammelrezension bespricht Hanns Grössel die folgenden vier Bücher von und über Hans Christian Andersen: "Ja, ich bin ein seltsames Wesen, Tagebücher von Hans Christian Andersen", hrsg. von Gisela Perlet, "Märchen, Geschichten, Briefe von H.C.Andersen" hrsg. von Johan de Mylius ,"Reise nach Dresden und in die Sächsische Schweiz" von H.C.Andersen, "Hans Christian Andersen in Berlin" von Heinz Barüske.
1) H.C. Andersen: "Ja, ich bin ein seltsames Wesen". Tagebücher.
Sehr ausführlich beschäftigt sich der Rezensent in seinem ausführlichen Aufsatz mit dem Tagebuchschreiber und Autobiografen H.C.Andersen, mit der Mischung aus "Selbstausstellung und Selbstverhüllung", die ihn auszeichnete. Der Schwerpunkt dieser von G. Perlet besorgten Auswahl liegt auf den Reisetagebüchern, und das, so der Rezensent, entspricht der Bedeutung des Reisens für den dänischen Schriftsteller. Immerhin neun Jahre hat er zusammengerechnet auf Reisen außerhalb seines Landes verbracht, und was ihm in der Fremde begegnete, hat ihn zu genauem Hinsehen erzogen. Auch sein "Innenleben" hat Andersen "mit hypochondrischer Wachsamkeit" beobachtet, notiert Grössel, vor allem Stimmungsschwankungen, Träume und Zustände der "Brunst" sind in seinen Tagebüchern penibel verzeichnet. In Sachen Sexualität scheint sich zu bestätigen, was allgemein vermutet wird: dass Andersen latent homosexuell war und weder mit Frauen noch mit Männern je schlief. Andersens Tagebuch ist kein Arbeitsjournal, nach Diskussionen literarischer Projekte sucht man also vergebens, schreibt Grössel, "doch werden die Eckpunkte des Rahmens, in dem sein Schreiben sich bewegt, deutlich erkennbar."
2) "Märchen, Geschichten, Briefe von Hans Christian Andersen".
Durch seine Auswahl hat der Leiter des H.C.Andersen-Centrums der Universität Odense den Schriftsteller als einen präsentiert, dessen "Werk in der dänischen Literatur die Brücke zwischen Romantik und Moderne" schlägt, zitiert Grössel den Herausgeber. Andersen war tatsächlich ständig an Neuerungen interessiert, reiste 1840 das erste Mal mit der Eisenbahn und besuchte die Pariser Weltausstellung. Sein jugendlich romantisches Eintreten für eine "vernünftige Freiheit" streicht er in späteren Werkausgaben, wie Mylius bemerkt, und sah darauf, dass er seiner Karriere nicht schadete. Mit welchem besonderen Gewinn die ausgewählten Märchen und Geschichten gerade dieser Ausgabe vielleicht gelesen werden könnten, darüber gibt der Rezensent leider keine Auskunft.
3) H. C. Andersen: "Reise von Leipzig nach Dresden und in die Sächsische Schweiz"
"Deutschland war das Ziel seiner ersten Auslandsreise", schreibt Grössel, und in erster Linie war dies ein kühl kalkulierter Schritt, sich nämlich mit namhaften deutschen Schriftstellern und Verlegern bekannt zu machen. Auf die Weise kam er auch nach Dresden, wo er Ludwig Tieck besuchte. Seine Reisebeschreibung, die ursprünglich u.a. auch Schilderungen aus dem Harz enthielt, sind hier in "kastrierter" Form vorgelegt; in einem Akt der Selbstzensur strich Andersen kritische Passagen, die in der dänischen Erstausgabe noch vorhanden waren, schreibt Grössel. Die Kenntnis darüber, welche Art von Reflexionen und Schilderungen in diesem Text enthalten sind, setzt der Rezensent gewissermaßen voraus.
4) Heinz Barüske: "Hans Christian Andersen in Berlin"
Der Autor hat die erste Reise H.C. Andersens nach Berlin, auf der er Adelbert von Chamisso besuchte, sowie auch spätere Aufenthalte in der Stadt hier nachgezeichnet, schreibt Grössel. Viel mehr erfährt der Leser nicht über die Besuche des dänischen Märchendichters in Berlin - auch nicht, ob der Autor sich auf spannende Weise oder eher akademisch-trocken seiner Aufgabe entledigt hat. Grössel betont vor allem den Aspekt der Karriere: da Chamisso, der Dänisch konnte, einige Texte von Andersen nach dessen Besuch schnell übersetzt und publiziert hat, trug Andersens Besuch in Berlin ganz entschieden zum Beginn seiner Weltkarriere bei.

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