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Andrew Parent ist der Mann, der von allem zwei hat: Ehefrau und Vorstadthaus in London, Geliebte und Feriendomizil auf Cape Cod bei Boston. Neben seiner Existenz als erfolgreicher Schriftsteller gibt es ein zweites Leben voller sexueller Abenteuer. In Andrew Parent hat sich Paul Theroux einen Doppelgänger geschaffen: ein Alter ego, das viel und doch nicht alles von Theroux' geheimem Leben preisgibt.

Produktbeschreibung
Andrew Parent ist der Mann, der von allem zwei hat: Ehefrau und Vorstadthaus in London, Geliebte und Feriendomizil auf Cape Cod bei Boston. Neben seiner Existenz als erfolgreicher Schriftsteller gibt es ein zweites Leben voller sexueller Abenteuer. In Andrew Parent hat sich Paul Theroux einen Doppelgänger geschaffen: ein Alter ego, das viel und doch nicht alles von Theroux' geheimem Leben preisgibt.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.03.2000

Stumpfes Messer ins Herz
Paul Theroux hat einen neuen autobiografischen Versuch gewagt
„Persönliche Habe” steht auf den Kisten, die man dem Autor nachgeschickt hat aus London. Paul Theroux packt aus, im Epilog seines neuen Buches, und fängt an aufzuzählen: eine Reihe von Gegenständen, die der Ich-Erzähler nicht nur mit lebensgeschichtlichen Episoden und den von ihm bereisten Ländern verbindet, sondern immer auch mit den Büchern, die er geschrieben hat. Der unscheinbarste Gegenstand inmitten faszinierender Fetische ist eine billige Glasschüssel. Drei Jahrzehnte ist es her, dass sein afrikanischer Koch in ihr den Obstsalat anrichtete, jetzt belehrt sie ihn, der „mit fünfzig” heimgekehrt ist, nicht nur über den Sinn des Lebens, sondern auch über den Ursprung aller Kunst. „Es war zu viel Obstsalat. Nach einer Woche war die Schüssel immer noch halb voll. Julius warf den Rest jedoch nicht fort. Er schnitt noch mehr Obst, füllte die Schüssel wieder auf und mischte alles gut durch . . . Jede Woche wurde die Schüssel aufgefüllt, so dass ich noch Jahre später Obstsalat aus dieser nie geleerten Schüssel aß. ”
Dem Theroux-Leser vermittelt diese immergrüne Obstschale noch eine weitere Erkenntnis – eine Chiffre zum Verhältnis von „altem” autobiografischem Material und „neuen” Erfindungen, von frischen Erlebnissen und frühen Werken. Als Motto zitiert Theroux einen Satz aus „Borges und ich”; in einem seiner schönsten Reisebücher, „Der alte Patagonien-Expreß” (1979, deutsch 1995), hat er von einem Besuch bei dem argentinischen Dichter erzählt, bei einem Borges, der ihm „anders” vorgekommen ist, als er es von der Lektüre und von Anekdoten erwartet hätte. In diesem Sinn ist der Borges-Satz im Motto zu verstehen: „Ich weiß nicht, wer von uns beiden diese Seite geschrieben hat. ” (In Düsseldorf ist gerade eine Ausstellung zu sehen, deren Titel „Ich ist etwas Anderes” auf Rimbauds „Je est un autre” anspielt. Theroux’ Redlichkeit: dass er Selbstvergewisserung und -befremdung handwerklich betreibt. )
Zurück zur Obstschale. Theroux hat sich in seinen Reisebüchern immer auch autobiografisch geäußert, unverstellt, und neben diesen Reisebüchern hat es stets autobiografisch gespeiste Romane gegeben. Wer wollte, konnte in dem einen die Transformation des anderen lesen. Aber diese Arbeitsteilung von Dichtung und Wahrheit war Theroux offenbar nicht „gerecht” genug. Einen ersten Versuch von Enthüllung/Verbergung in einem unternahm er vor gut zehn Jahren in seinem Roman „My Secret History” („Mein geheimes Leben”, 1990). In ihm hatte eines Tages sein zweites Ich, „das des Träumers und Geheimnisträgers”, begonnen, wie ein Historiker zu beobachten – und es hatte begonnen zu handeln. Sieben Jahre später hat er dann die Schale seiner autobiografischen Sondierungen bereits wieder aufgefüllt.
Was das andere Leben angeht, den Mann, der so aussieht wie Paul Theroux – das ist, heißt es in einer „Vorbemerkung des Autors”, irgendein Mann mit einer Maske. „Es ist das Vorrecht des Schriftstellers, gewisse Fassaden aufrechtzuerhalten und im Getümmel des Maskenballes auch sein eigenes Gesicht erscheinen zu lassen. Das war der einzige Bereich, in dem ich mir keine Freiheit gestattet habe. Der Mann ist erfunden, aber die Maske ist echt. ”
Vordergründig folgen die achtzehn Kapitel – die im Umfang mal in die Nähe eines kleinen Romans geraten, mal die Handvoll Seiten einer pseudobiografischen Glosse nicht überschreiten – den wichtigsten Lebensstationen des „wirklichen” Paul Theroux: Amerika, Afrika, Asien, England, Amerika. Es sind Stationen des Schriftstellers, der in Moyo seine ersten Gedichte verwirft, in Singapur Lyrikunterricht gibt, in London mit Sammelrezensionen überlebt – ehe ihm der Erfolg sogar eine „Königliche Berührung” beschert. Jedes einzelne Kapitel kann für sich stehen: als farbige, noch in ihren klatschhaften oder eitlen Elementen aufklärende Erzählung, und als eine Art „Versuch” über den Dichter, der ein anderer ist, auch wenn er das noch nicht weiß (und erst recht, wenn er es weiß).
Es hat Methode, wenn Paul Theroux von einem Onkel Hal schwärmt, dessen anarchistischen Lebensstil der Neffe lange Zeit nicht als die Tarnung schriftstellerischer Disziplin „durchschaut”. Wenn er später in „George und Ich” die (politische) Parallelbiografie eines schwarzen Mitschülers erzählt. Wenn er im Kapitel „Vorläufer” einen ostdeutschen Reiseschriftsteller namens Andreas Vorläufer porträtiert, der tatsächlich sein alt gewordenes Alter ego zu sein scheint. Und wenn er ausgerechnet im letzten Kapitel – „Mein anderes Leben” – davon berichtet, wie ihn aus obskurer Quelle wiederholt die Mitteilung erreicht habe: „Paul Theroux ist tot. ” All dies sind erzählerische Studien über die Einsamkeit und Freiheit der Kunst: „Was wäre gewesen, was würde sein, wenn oder wenn nicht?”
Indes, Paul Theroux kokettiert nicht mit all den denkbaren Alternativen, er spielt sie existentiell durch. Das wird besonders deutlich im „Vorläufer”-Kapitel. Da wird das zentrale Motiv für Theroux’ Suche nach dem anderen Ich deutlich – die Notwendigkeit, über die Trennung von seiner Frau zu sprechen, und die Unmöglichkeit, dies unmaskiert zu tun. „Als würde mir ein stumpfes Messer ins Herz gestoßen”, so kommen ihm Vorläufers Antworten auf die Frage vor, warum er sich von seiner Frau getrennt habe: „Ein Schriftsteller ist zu viel allein . . . Dadurch kann bei ihm der Gedanke aufkommen, dass er etwas versäumt. Dass er nicht lebt. ” Und Vorläufer beruft sich auf „Dantes Ulysses”, dessen Begierde, die Welt kennen zu lernen, weder durch die Ehrfurcht vor seinem Vater noch durch die Liebe zu seiner Frau habe gedämpft werden können. Vielleicht ist – im Vergleich zu den bisherigen Büchern – eben dies das Neue: Paul Theroux hat noch nie so „tapfer” über das gelungene Werk um den Preis eines gelingenden Lebens gesprochen.
„Mein anderes Leben” trägt keine Gattungsbezeichnung. Seine helle Beweglichkeit und „dunkle” Bewegtheit ist seinem Gegenstand angemessen. In Afrika trifft der Erzähler einen alten Priester: „Und in dieser ersten Nacht brachte er mir, als ich auf das Dorf und die durch die löchrigen Vorhänge der Lehmhütten scheinenden Lampen hinab sah, das Wort mberetemberete bei. Es bedeutete ,schwach hindurch schimmern‘ – wie der Körper einer Frau in einem dünnen Kleid, wenn sie vor einer Lampe steht, ein Anblick, der mich in afrikanischen Nächten oft innehalten ließ. ” Die erotische Impression, die der Erzähler mit jedem Wort verbindet, hat ihre Entsprechung da, wo der Leser durch das „andere” schwach das eine Leben schimmern sieht.
HERMANN WALLMANN
PAUL THEROUX: Mein anderes Leben. Aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2000. 559 S. , 49,90 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.07.2000

Mit feuchten Socken
Reise rückwärts: Paul Theroux' "Mein anderes Leben"

Als Paul Theroux den Roman "My secret history" (1989) veröffentlichte, wurde das Buch als kaum verschleierte Autobiographie gelesen. Doch die Geschichten, die Theroux darin erzählte, hatten Anfang, Mitte und Ende, wie das zwar in der Literatur, selten aber im Leben vorkommt. Als wollte er sich an oberflächlichen Rezensenten rächen, legte er 1996 ein Buch vor, das als Autobiographie getarnt war und "My other life" hieß. Hauptfigur war der Schriftsteller Paul Theroux. Er schrieb Bücher wie "The Great Railway Bazzar" oder "Mosquito Coast". Er war ein amerikanischer Reiseschriftsteller, der als junger Mann auf einer Leprastation in Malawi Englisch unterrichtete, der in Afrika eine englische Frau heiratete, mit ihr nach Singapur, darauf nach London zog und nach dem Scheitern der Ehe als Fünfzigjähriger in die Vereinigten Staaten zurückkehrte.

Die Daten stimmten überein. Doch in der Vorbemerkung warnte der Autor seine Leser, dass es sich um einen erdachten Lebensbericht und um einen Mann handle, der nur eine Paul-Theroux-Maske trage. "Der Mann", so heißt es, "ist erfunden, aber die Maske ist echt." Als im "New Yorker" ein Kapitel vorabgedruckt wurde, in dem Theroux die englische Königin trifft und mit ihr, die unter Hämorrhoidenbeschwerden zu leiden scheint, zu Abend isst, wurde darüber diskutiert, ob das wahr oder erfunden sei. Doch wer in dieser Melange aus Erfundenem und Erfahrenem nach der Wahrheit der Fakten sucht, ist für die Literatur verloren. "Mein anderes Leben", jetzt auf Deutsch erschienen, ist eine Sammlung von Lügengeschichten, die als Wahrheiten getarnt sind. Doch wie alle Lügen enthalten auch diese viel Wahrheit. Immerhin ist es der echte Paul Theroux, der sie erfunden hat und der in den Imaginationen eines "anderen" Lebens, das er "gelebt haben könnte, wenn einiges anders gelaufen wäre", vieles von sich offenbart. Die Königin hat er zwar nie getroffen, und auch das desaströse Abendessen mit einem betrunkenen Anthony Burgess fand nicht statt. Doch könnte es so gewesen sein. Wahr ist alles, was gesagt wird, heißt es einmal im Text.

Paul Theroux erzählt keine lineare Lebensgeschichte. Er belässt es bei Momentaufnahmen, die der Leser zu einem "Leben" zusammensetzen kann. Jedes Kapitel funktioniert als abgeschlossene Story. Manche haben eine haarsträubende Pointe. Die Lust am Erzählen dominiert über die Pflicht, einen stringenten "Charakter" zu entwerfen - der ergibt sich von selbst. Paul Theroux ist ein Reiseschriftsteller, er schaut mehr auf die Menschen um ihn herum als auf sich selbst. So geht der Blick nach außen, aber es sind stets seine Wahrnehmungen, die in der Summe, als Negativbild, eine Art "Ich" entstehen lassen. Die Psychoanalyse, die der fiktive Theroux nach der Trennung von seiner Frau unternimmt, schlägt fehl. Sie muss scheitern, weil kein williger Patient auf der Couch liegt, sondern ein distanzierter Autor, der Erfahrungen als Material sammelt und sich mehr seiner Leidenschaft für die kühle Analytikerin widmet als der Analyse eigener Seelennöte.

Paul Theroux, der echte, hasst Bücher, die von Schriftstellern und von den Schwierigkeiten des Schreibens handeln. Doch ist "Mein anderes Leben" ein Buch über das Schreiben und die persönlichen Defizite, die es nötig machen. Das Schreibenkönnen dient als Maßstab für ein gelungenes Leben. Die Krise nach dem Scheitern der Ehe äußert sich als Schreibblockade, wie überhaupt das Schreiben und die Beziehungen zu Frauen eng verkoppelt sind, und so ist es kein Zufall, dass die Begegnungen mit Frauen das zweite große Thema dieses erfundenen Lebens sind.

Nur einmal unterbleibt das Schreiben freiwillig, weil sich jedes Wort an der Wirklichkeit blamieren würde. Das geschieht gleich nach der Ankunft des jungen Lyrikers in einem abgelegenen Dorf in Malawi, wo fatalistische Lepra-Kranke von fatalistischen Priestern betreut werden. Theroux vergräbt nach wenigen Tagen seine Manuskripte und Kafkas Tagebücher, die er als Reiseliteratur mitgebracht hatte, in der afrikanischen Erde. Kafkas tuberkulöses Kränkeln als metaphorisches Leiden am Dasein kommt ihm an diesem Ort falsch vor, wo Lepra Lepra bedeutet und sonst nichts. Hier gibt es keine Metaphern. Alles ist, wie es ist. Im Rückblick erscheint dem Erzähler die Leprastation als sein persönliches Paradies. Sie ist eine negative Utopie, die wie ein Eingangsportal vor diesem Leben als Schriftsteller steht: Man muss das Schreiben aufgegeben haben, bevor man damit beginnt. Ausgerechnet hier gelingt zum einzigen Mal ein amouröses Abenteuer. Theroux, der Mann mit der Maske, verliebt sich in eine schöne junge Frau und schläft mit ihr, obwohl sie mit Lepra infiziert ist.

Auf den späteren Lebensstationen begegnen Theroux Frauen, die ihn verführen wollen oder die er begehrt, ohne dass sie seine Leidenschaft erwidern. Es sind Variationen darüber, wie man sich verpassen kann. Die Geschichte seiner Ehe bleibt dabei weitgehend ausgespart. Die Frauen werden für den Paul Theroux des Buches umso unerreichbarer, je zentraler das Schreiben für ihn wird. Immer wieder will er, der gerne inkognito reist, wissen, was sie von dem Schriftsteller Paul Theroux halten. In einer düsteren Nacht an der englischen Ostküste lädt ihn eine rätselhafte Frau in ihr Haus über den Klippen. Während sie sein Gerede, seine dreckigen Wanderstiefel und die Abdrücke seiner feuchten Socken auf den Fliesen enervieren, schwärmt sie ihm von den Büchern dieses Theroux vor.

Immer wieder geht es um den Unterschied zwischen Kunst und Leben, zwischen Geschriebenem und Schreiber. Theroux hat als Reiseschriftsteller mit Fakten zu tun und verwandelt sie in Fiktion. In "Mein anderes Leben" fiktionalisiert er das eigene Leben. Vermutlich tun Schriftsteller nie etwas anderes. Vielleicht schreiben sie nur deshalb, weil sie es nicht gewohnt sind, über sich selbst zu sprechen. So sieht es der Romanheld Paul Theroux, dessen Methode "darin bestand, Fiktionen zu erschaffen und mich durch die Protagonisten meiner Bücher auszudrücken". Der Schriftsteller spielt den Schriftsteller. Er setzt die eigene Maske auf, wird dadurch wahr und schreibt: "Ich war echt. Ich war der Schriftsteller Paul Theroux."

JÖRG MAGENAU

Paul Theroux: "Mein anderes Leben". Aus dem Amerikanischen übersetzt von Dirk van Gunsteren. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2000. 560 S., geb., 49,90 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Wie schon in seinem vorherigen Buch "Mein geheimes Leben" spielt der amerikanische Erfolgsautor Paul Theroux in seinem neuesten Roman "Mein anderes Leben" recht erfolgreich, aber zumindest ebenso eitel mit dem eigenen Bekanntheitsgrad, meint Gustav Mechlenburg in seiner Besprechung dieses jüngsten Theroux-Werkes. Solange der Ich-Erzähler von seinen literarischen Anfängen berichte, habe der Roman die für den Autor typische Leichtigkeit und Ironie, doch je bekannter er wird, "desto unerträglicher sein Auftreten". Theouroux selbst hat gesagt, zitiert Mechlenburg den Autor, es käme nicht darauf an, ob die Geschichte wirklich passiert sei, sondern ob sie gefalle - Gustav Mechlenburg hat die Pseudobiografie nur teilweise angesprochen.

© Perlentaucher Medien GmbH