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Am Beginn und am Ende des Romans steht Jack Ferris auf einer Brücke und wartet auf seine Geliebte Catherine. Beim ersten Mal wartet er vergeblich, und diese Enttäuschung verändert sein Leben dramatisch. Er erlebt zunächst den furchtbaren Abstieg in die Verzweiflung. Er, der als Fischer und Schriftsteller ein zurückgezogenes Leben auf der rauhen Halbinsel Mullet geführt hatte, verliert den Boden unter den Füßen und muss versuchen, in einer anderen Welt zu leben, einer Welt ohne Catherine, Die Liebe zwischen den beiden war bis in die intimsten Momente hinein von der Politik und der Religion…mehr

Produktbeschreibung
Am Beginn und am Ende des Romans steht Jack Ferris auf einer Brücke und wartet auf seine Geliebte Catherine. Beim ersten Mal wartet er vergeblich, und diese Enttäuschung verändert sein Leben dramatisch. Er erlebt zunächst den furchtbaren Abstieg in die Verzweiflung. Er, der als Fischer und Schriftsteller ein zurückgezogenes Leben auf der rauhen Halbinsel Mullet geführt hatte, verliert den Boden unter den Füßen und muss versuchen, in einer anderen Welt zu leben, einer Welt ohne Catherine, Die Liebe zwischen den beiden war bis in die intimsten Momente hinein von der Politik und der Religion bestimmt. Protestanten und Katholiken stellten sich gleichermaßen gegen die Verbinung, die schließlich unter dem Druck der Ausgrenzung und der Angst zerbrechen musste. Dermot Healy erschafft in eindringlicheb, suggestiven Bildern die Atmosphäre eines Landes, das an seinen inneren Konflikten leidet.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.04.2000

Irischer Bocksgesang
Der Romancier Dermot Healy stellt sich dem deutschsprachigen Publikum vor
Woher kommen sie nur alle? Mit Dermot Healy, Jahrgang 1947, erscheint schon wieder ein neuer großer irischer Erzähler auf dem deutschen Buchmarkt – „der größte”, sagt Roddy Doyle, dem es an Selbstbewusstsein gewiss nicht mangelt. Healy scheint auch noch das Klischee vom ungebändigten, naturnahen Iren zu bestätigen: Er lebt und arbeitet fernab vom Literaturbetrieb Dublins, buchstäblich am Westrand Europas im County Sligo. Er hat einige Erzählungen, Stücke und Gedichte geschrieben und 1984 seinen ersten Roman veröffentlicht. Der Lachsfischer, sein zweiter, ist in Irland bereits 1994 erschienen; man musste schon befürchten, hierzulande würden ihn die Verleger übersehen.
Der deutsche Titel führt, trotz aller Hintergründigkeit, in die Irre. Healy erzählt keine Angler-Story. Im Original heißt der Roman The Goat's Song, und damit ist nicht das Lied der Ziege gemeint, sondern der antike Bocksgesang, der der Tragödie ihren Namen gegeben hat.
Das Wunderbare an diesem Roman ist seine allgegenwärtige Doppelbödigkeit. Hinter der realistischen Ebene öffnen sich immer wieder Blicke, die tief hineinführen ins verborgene Innenleben Irlands. Healy erzählt mit ungewöhnlicher Genauigkeit in den physischen Details, und seine topographische Sorgfalt erinnert an Gedichte von Yeats. Manche Landschaften im Lachsfischer könnte man mit dem Buch in der Hand durchwandern, ohne dabei verloren zu gehen – jedenfalls nicht räumlich. Sich in diesem Roman, in seiner verzweifelten, manchmal bis zur Hysterie pathetischen Liebesgeschichte zu verlieren, wäre dennoch ein Leichtes.
Jack Ferris, Dramatiker und Alkoholiker, lebt im Nordwesten der Republik, in einem einsamen Cottage auf der Halbinsel Mullet, County Mayo. Zu Beginn wartet er auf die Rückkehr von Catherine Adams. Die beiden haben viel gemeinsam durchgestanden, ihre Liebe und ihren Hass, Leidenschaft, Untreue und Eifersucht, gegenseitige Vorwürfe und Quälereien, gemeinsames Saufen bis an die Grenzen des Deliriums und schließlich die Trennung. Doch Catherine hat ihre Rückkehr angekündigt, und Jack steht auf der Brücke, die vom Festland auf die Halbinsel führt, ein ebenso realer wie symbolischer Ort. Der Mann wartet vergeblich.
Der erste der vier Teile dieses Romans erzählt von Jacks vergeblichen Versuchen, mit Catherine wenigstens wieder in Kontakt zu kommen. Sie spielt die Hauptrolle in seinem neuen Stück, das in Dublin uraufgeführt werden soll. Er hat ihr den Part auf den Leib geschrieben. Vielleicht beharrt Catherine gerade deshalb so unerbittlich auf ihrem Abstand.
Die verlorene Liebe wird für Jack zur Obsession; rastlos bewegt er sich durch den Winter zwischen Mayo und Dublin, gehetzt wandert er über seine stürmisch verregnete Halbinsel, um immer wieder nur in einem Pub zu landen und sich zu besaufen. So groß wird sein Bedürfnis nach Ruhe, dass er sich über Weihnachten zum Entzug in eine Klinik begibt, wo er zuerst einer Krankenschwester seine Leidensgeschichte diktiert, um sich dann die Lebensbeichten anderer Patienten anzuhören und sich so als der Arzt zu fühlen, der er einmal werden wollte.
Jack, der mit der Sensibilität und Verletzlichkeit, aber auch mit der Egozentrik eines Künstlers auf die Welt reagiert, versäumt darüber die Uraufführung seines Stücks. Die Kritiker schreiben Hymnen auf Catherine und machen dem Autor schmerzhaft bewusst: Diesen Augenblick hätten sie teilen sollen.
Wie Feindbilder entstehen
Bis dahin ist der Konflikt in Nordirland nur als Echo präsent, zum Beispiel in den Erzählungen eines katholischen Paars aus Derry, das Urlaub macht in der Republik. Der Ehemann beklagt wütend die Gewalt und wünscht sich ebenso vehement, er könnte den Anführer der IRA einfach umlegen. Healy bringt den Wahnsinn und die Widersprüche des Terrors scheinbar beiläufig auf den Punkt, bevor er mit seinem Roman die Grenze zu Nordirland überschreitet, um von Catherines Kindheit und vor allem von ihrem Vater zu erzählen.
Der Presbyterianer Jonathan Adams, der eigentlich Prediger werden wollte, landete bei der Polizei. Der Royal Ulster Constabulary (RUC) diente er als korrekter, rechtschaffener Sergeant, bis zu jenem berühmt berüchtigten Tag im Oktober 1968, als in Derry die Bürgerrechtler demonstrierten und niedergeknüppelt wurden. Der Sergeant war in vorderster Reihe dabei, und die Fernsehkameras haben ihn dabei beobachtet. Jonathan Adams, der nun nicht nur Angst um sein Leben haben muss, sondern auch seine eigene Gewalttätigkeit nicht begreifen kann, ist von da an ein gebrochener Mann. Healy, der in seinem Roman immer wieder von Feindbildern berichtet, sie aber nicht denunziert, sondern ihrer Entstehung und ihrem Nährboden nachspürt, gönnt dem Sergeant von der RUC, die ihrerseits stets die Feindbilder der Republikaner bediente, eine späte, hintergründige Versöhnung. Adams, der gottesfürchtige Puritaner, der den Katholiken ebenso misstraut wie der Belletristik, der lieber aus Sachbüchern von Fakten erfährt, statt in Romanen über Gefühle zu lesen, verbringt seine letzten Jahre teilweise in der Republik – dort, wo sie besonders irisch ist und wo auch noch Gaelisch gesprochen wird.
Das Ende der Feindbilder beginnt mit dem Abbau der Xenophobie. Jonathan Adams, der einzige Nicht-Katholik auf der Halbinsel Mullet, beginnt, Gaelisch zu lernen. Auf seinem Sterbebett lässt er sich irische Sagen vorlesen, vom „Lachs der Weisheit”, der erklärt, alles Wissen sei eine Reise. Das ist nicht nur die Versöhnung von Fakten und Fiktion; im Tod kehrt der nordirische Presbyterianer heim in die Mythologie seiner Heimat, um in ihr - und eben nicht in einer der jeweiligen Konfession unterworfenen Bibelversion – seinen Frieden und eine Transzendenz zu finden, die älter ist als das Christentum. Noch im schwindenden Bewusstsein ist dem sterbenden Mann die Stimme seiner lesenden Frau ein Trost, und er scheint zu verschmelzen mit dem sagenhaften irischen König Aengus.
Von diesem großen Todeskapitel aus, das den Kern und den Höhepunkt seines Romans ausmacht und eine archaische irische Seelenlandschaft durchmisst, wendet sich Healy wieder dem Rückblick auf die Liebesgeschichte zwischen Sergeant Adams' Tochter Catherine und Jack Ferris zu – jetzt mit einem veränderten Blick und mit einem anderen Bewusstsein. Erneut erzählt er von einer Grenzüberschreitung.
Diesmal ist es Jack, der Heimat und Wurzeln aufgibt und zu Catherine nach Belfast zieht, die ausgerechnet in einem protestantischen Viertel eine Wohnung gefunden hat. Jetzt wird nachvollziehbar, warum die unterschiedlichen Konfessionen auf diesem Paar, das nichts mehr mit der Kirche verbindet, dennoch wie Blei lasten. Wieder und wieder sind es Misstrauen und Xenophobie, die kein normales Leben zulassen. Es genügt schon, in den falschen Kneipen mit den falschen Leuten zu trinken, um sich verdächtig zu machen. Den Rückzug in die eigenen vier Wände erlebt Jack als Gefangenschaft; gegen den wachsenden Druck und die nächtlichen Albträume scheint wieder nur der Alkohol zu helfen, der in Wirklichkeit alles nur noch schlimmer macht.
Dermot Healy erzählt vom Nordirlandkonflikt, wie es bislang noch kein anderer Autor riskiert hat: Es geht nicht mehr um Konfessionen, Jobs oder Besitzverhältnisse, auch nicht um Royalismus oder Republik, sondern um das Erbe in den Köpfen und in den Emotionen. Catherine wird nach Dublin gehen; Jack fährt zurück nach Mullet, um sich bis zur Todesangst ins Delirium zu saufen. Am Ende des Romans sieht er sich wieder auf der Brücke stehen und auf Catherine warten. Ob die Überwindung der Grenze, die dann endgültig wäre, wirklich stattfindet oder nur noch in Jacks Sehnsucht, lässt der kluge, hoch empfindliche Dermot Healy offen.
H.G.PFLAUM
DERMOT HEALY: Der Lachsfischer. Roman. Aus dem Englischen von Brigitte Walitzek. Hoffmann und Campe, Hamburg 2000. 479 Seiten, 44,90 Mark.
Dermot Healy erzählt im Lachsfischer keine Angler-Story.
Foto: Franck Ferville
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Wieder ein großer irischer Erzähler, der eine Geschichte zu Nordirland und Irland geschrieben und sie mit "allgegenwärtiger Doppelbödigkeit" und großer "topografischer Genauigkeit" gemeistert hat, schreibt H. G. Pflaum begeister in seiner ausführlichen Besprechung. Zunächst kritisiert der Rezensent allerdings den deutschen Titel: das englische Original heisst "The Goat?s Song" und meint den antiken Bocksgesang, - ein deutlicher Hinweise auf die große Tragödie, die hier verhandelt ist. Obwohl es im Wesentlichen um die unglückliche protestantisch-katholische Liebesgeschichte zwischen Jack und Catherine, Bühnenautor und Schauspielerin, geht, ist "Kern und Höhepunkt" des Romans, so Pflaum, ein "großes Todeskapitel". In ihm ist Rückzug und Tod des nordirischen Presbyterianers Jonathan Adams, Vater von Catherine, verhandelt, dessen grösster Schock seine eigene Gewalt gegen demonstrierende Katholiken 1968 in Derry gewesen ist, und der sich im Alter aufs Gälisch-Lernen inmitten einer katholischen Umgebung konzentriert hat. Hier durchmisst der Autor, schreibt Pflaum "eine archaische irische Seelenlandschaft", die sich von konfessionellen Glaubensvorstellungen entfernt hat und die "Mythologie" Irlands als Ruhepunkt findet. Er sei "der größte", hat sein Kollege Roddy Doyle über Healey gesagt, zitiert Pflaum, und ist selbst wohl nicht abgeneigt, ihm nach dieser "hoch empfindlichen" Darstellung des irischen "Erbes in den Köpfen und in den Emotionen" zuzustimmen.

© Perlentaucher Medien GmbH
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"Der Lachsfischer, die Geschichte zweier grausamer Trennungen, ist ein ungewöhnliches und kraftvolles Buch, eines der Besten, das je über die irische Trennung geschrieben wurde. Geistig stimuliert, emotional erschöpft und voller Staunen über die Bilder der Natur, endlosen Trinkens und zerstörter Hoffnung, war ich am Ende im wahrsten Sinne des Wortes erschüttert." (E. Annie Proulx)