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Produktdetails
  • Verlag: Hoffmann und Campe
  • Seitenzahl: 351
  • Abmessung: 209mm x 134mm x 35mm
  • Gewicht: 494g
  • ISBN-13: 9783455011746
  • ISBN-10: 3455011748
  • Artikelnr.: 24843679
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.02.2000

Denn sie wissen nicht, was zu tun
Und Douglas Coupland hilft hier auch nicht weiter

Couplands neuer Roman handelt von einer Gruppe von Teenagern, die in einer übersättigten Nährlösung in Vancouver großgezüchtet werden. Die Quintessenz seines Buches lässt sich im Kalauer "Überfluss führt zu Überdruss, Überdruss zu Kurzschluss" zusammenfassen. Der Chronist der verlorenen Generation ("Generation X") wendet sich in seinem Roman "Girlfriend in a Coma" dem nordamerikanischen Durchschnittshaushalt zu. Seine Parallelbiografien gutbürgerlicher Highschool- und Collegestudenten, die sich zwischen 1978 und dem Jahr 2000 entfalten, wären ähnlich kurzweilig wie seine bisherigen gesammelten Überbrückungen gähnender Langeweile, wäre da nicht der "Plan B" und der Einbruch des Metaphysischen.

Schon der erste Satz seines Buches lässt unter der Überschrift "Alle Ideen sind wahr" das Schlimmste befürchten: "Ich bin Jared, ein Geist." Und die Befürchtungen werden nicht enttäuscht. Wie ein Dirigent verleiht Jared seinen zurückgebliebenen Freunden eine Stimme. Welch gewaltige Inszenierung das menschliche Leben ist, zeigt sich an dem jahrelangen Koma von Karen, einer rätselvollen Krankheit, von der sich erst am Ende herausstellt, dass sie ein Opfer für andere ist. Aber weder der Tod Jareds, der in der Blüte seiner Jugend durch eine aggressive Leukämie von uns geht, noch das Koma Karens genügen, um die kleine Gemeinschaft von Sündern zu bekehren. Da muss schon die Welt untergehen.

Darauf deutet die Unerbittlichkeit, mit der Coupland seine Figuren ihrem Untergang entgegenführt. Der Comedywitz und die pubertären Unflätigkeiten sollen den Leser nur davon ablenken, dass er in einen apokalyptischen Sog gerät, aus dem es kein Entrinnen gibt. Alle gehen sie ihren Vergnügungen nach, feiern Partys, ruinieren elterliche Wohnungen oder fahren Autos zu Schrott. Ihre Identitäten sind so austauschbar wie Batterien. Wäre da nicht jener "Plan B".

Jener "Plan B" besagt, dass die Existenz jedes einzelnen Teenagers umsponnen ist von einem Willen, dessen Stimme Coupland vernommen zu haben scheint. Sie raunte ihm zu: Führe die verlorene Generation aus ihrem Rausch des sinnlosen Konsums heraus. Zuerst muss aber gestorben werden, damit gelebt werden kann. So ziehen sie alle ihre Kreise um einen geheimen Mittelpunkt und können einander doch nicht entrinnen. Wie eine matte Sonne liegt Karen im Koma und lässt die Wandelsterne ihrer Freunde kreisen. Die Bahnen, die sie ziehen, werden immer weiter, immer exzentrischer, aber keiner reißt sich los. Wie ein gähnender Abgrund klafft die Zukunft vor ihnen, eine schwarze Faust, die ihre kreisenden Körper zu zerschmettern droht.

Da werden sie mit einem Mal wie durch ein Wunder in das Zentrum zurückgerissen. Karen erwacht nach achtzehn Jahren. Die Szenen, die sich im Krankenzimmer abspielen, die Rückkehr der Freunde, der Eltern, des Geliebten und der Tochter gehören zu den besten Passagen des ganzen Buches. Das Wiedererwachen zum Leben, der Ansturm der Medien, ein Fernsehinterview, zu dem sie sich doch noch entschließen, die grenzenlose Naivität der Nordamerikaner: Hier ist Coupland authentisch.

Aber zugleich wird deutlich, dass der "Plan A" schief gelaufen ist, weil die Welt übersehen hat, dass Karen nur um ihrer Freunde willen ins Koma fiel. Jetzt erlebt Jared seinen großen Auftritt. Nicht in einer Orgie der Gewalt geht die Neue Welt unter, sondern in einer Orgie der Müdigkeit. Es ist, als könnte die Menschheit der Flucht vor der Ruhe in die immer währende Beschleunigung nur durch die ewige Ruhe des Todes entrinnen. Allein die Schar der Auserwählten überlebt. Aber statt sich durch den Hingang alles menschlichen Lebens an die eigene Sterblichkeit zu erinnern, nutzen sie die Gunst der Stunde und räumen Apotheken und Drugstores leer.

Wie aus einer Versammlung von Wiedertäufern schallt es aus den letzten Kapiteln entgegen. Coupland wird zum Erweckungsprediger: "Wir werden unsere Herzen offen legen, damit die Welt danach greifen kann. Wir werden Licht sehen, wo vorher Halbdunkel herrschte. Wir werden gemeinsam bezeugen, was wir gesehen und gefühlt haben." Neue Denkweisen als Frucht des Weltuntergangs? Ihrem letzten großen Opfer entgegeneilend, ruft Karen ihren zurückbleibenden Freunden zu: "Ihr seid die Zukunft und die Ewigkeit und alles. Ihr selbst seid das, was als Nächstes kommt . . . Ihr werdet die Welt verändern." Ihre hohlen Worte verklingen ungehört zwischen den sterilen Glasfassaden globalen Größenwahns.

LORENZO RAVAGLI.

Douglas Coupland: "Girlfriend in a Coma". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Tina Hohl. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 1999. 352 S., geb., 39,90 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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