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Produktdetails
  • Verlag: Heyne
  • Seitenzahl: 311
  • Abmessung: 220mm
  • Gewicht: 558g
  • ISBN-13: 9783453182202
  • ISBN-10: 3453182200
  • Artikelnr.: 24346733
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.10.2000

Die Linke war genug
Geboren mit den Augen eines Toten: Nick Tosches schreibt über den Teufel und Sonny Liston
Beginnen wir mit dem Tod: Der Boxer Charles L. Liston, genannt Sonny, wurde am 5.  Januar 1971 von seiner Frau Geraldine, die ihre Familie in St.  Louis besucht hatte, in seinem Haus in Las Vegas aufgefunden – er war vermutlich schon seit einer Woche tot, und sein Körper befand sich bereits im Zustand der Verwesung. Woran er gestorben war, konnte nicht mehr eindeutig festgestellt werden: eine Überdosis, eine Herzkrankheit – es schien auch keinen mehr zu interessieren. Nicht einmal sein exaktes Alter war bekannt: Er muss so um die fünfzig gewesen sein. Seinen Tod umgab die gleiche Leere, die auch sein Leben geprägt hatte. Oder wie es Nick Tosches ausdrückt: „Geboren mit den Augen eines Toten, tauschte er die Schrecken jener Zeit, von der die Narben auf seinem Rücken kündeten, gegen die Schrecken der kriminellen Unterwelt ein. Das Letzte, was seine Augen erblickten, war Dunkelheit. ”
Daran sieht man schon, was Tosches antreibt: ein Gefühl für die Schattenseiten des Rampenlichts, für die Nachtstunden einsamer Männer, für die starken Worte in schwachen Stunden, für die Ernüchterung nach großen Momenten. Nick Tosches hat bereits Biografien über Dean Martin und Jerry Lee Lewis verfasst sowie ein paar Kriminalromane über das organisierte Verbrechen, und hat sich als Autor für Vanity Fair hineingewühlt in die sonnenabgewandte Seite der amerikanischen Gesellschaft. Er ist ein Poet, der ein bisschen zu genau weiß, wie er seine Mittel einzusetzen hat, und ein Rechercheur, der sich ein bisschen zu häufig in den Abgründen seiner Detailwut verliert. Aber stets fördert er Dinge zutage, die anderen verborgen bleiben.
Dean Martin, Jerry Lee Lewis, Sonny Liston, das sind Männer, die sich um nichts in der Welt auf den Grund ihrer Seele blicken ließen und auch gar nicht gewusst hätten, wovon die Rede ist, wenn man sie danach gefragt hätte. Ihre Karrieren spielen sich vor allem in den Fünfzigern und frühen Sechzigern ab, in einer Zeit also, in der Amerika seine Unschuld vorgeblich noch nicht verloren hatte – und natürlich beweisen diese drei Lebensgeschichten das Gegenteil. Die Leute und ihr Land waren damals schon genauso versaut und korrupt wie heute.
Wenn Tosches nun also die Geschichte des schwarzen Boxers Sonny Liston erzählt, dann darf man davon gerade nicht jene Boxromantik erwarten, die so viele Poeten an den Ring getrieben hat. Wo David Remnick in seiner Biografie von Muhammad Ali noch das schöne Zitat ausgegraben hat, wonach Liston gesagt haben soll „Irgendwann schreibt einer mal einen Bluessong nur für Boxer: für langsame Gitarre, leise Trompete und einen Gong”, da kommen diese Worte bei Tosches noch nicht einmal vor. Kein Wunder, ihm geht es darum nachzuweisen, dass das Boxen in den Händen der Mafia lag und nur eine moderne Form der Sklaverei ist – und außerdem hasst er die Intellektuellen, die sich am Faustkampf schadlos halten.
Keine Poesie von Liston also – höchstens von Tosches selbst. Zum Beispiel so: „Sonny war irgendwann 1929 oder 1930 aus der Savanne und den Kiefernwäldern in ein von Alltagstrott geprägtes Schicksal hineingeboren worden, und dies auf einem Stück sandigen Land, auf dem nichts gedieh – weder Baumwolle, noch Liebe, noch Hoffnung. ” Tosches beschreibt ausführlich Listons dunkle Abstammung, ein Stammbaum aus Generationen von Sklaverei, und genauso ausführlich stellt er dar, wie dubiose Manager, Geldgeber und Drahtzieher später eine neue Form der Abhängigkeit schufen, die aus diesem Tier von einem Mann eine Marionette machte.
Liston kam vom Land, hasste die Feldarbeit, ging nach St.  Louis, verdiente Geld mit kleinen Überfällen, wanderte ins Gefängnis, begann zu boxen, landete in Chicago, verprügelte seine Gegner und wurde 1962 gegen Floyd Patterson Schwergewichtsweltmeister. Aber als Held bleibt er in diesem Buch im Dunklen, ein Mann, der nicht lesen konnte und zum Sprechen auch keine Lust hatte – umso beredter sind die Aussagen aus seinem Umfeld. Nicht zu reden vom Schweigen der Hintermänner vor den Untersuchungsausschüssen über organisiertes Verbrechen. Tatsache ist, dass Tosches genügend Belege zu haben glaubt, dass die beiden Niederlagen gegen Cassius Clay bzw. Muhammad Ali Ergebnis von Schiebungen waren. Wer auf eine Niederlage des viel schlagstärkeren Liston setzte, konnte viel Geld verdienen – und bestimmte Leute haben es auch verdient.
Der Sieg gegen Liston war die Geburtsstunde des Boxers als Medienstar – und Tosches verhehlt seine Antipathien dem Großmaul Ali gegenüber keine Zeile lang. Der Kampf zwischen ihm und Liston war wie schon der gegen Patterson zum Krieg zwischen Gut und Böse hochstilisiert worden. Und Liston mit seinen zahllosen Verhaftungen wegen Raub, Vergewaltigung und Trunkenheit war definitiv das verkörperte Böse. Tosches liegt nichts daran, in seinem Helden einen neuen Heiligen zu finden. Er plädiert lediglich dafür, dass der Mann den Unterschied zwischen Gut und Böse gar nicht kannte – er wandte nur an, was er auf der Straße gelernt hatte: das Recht des Stärkeren. Vom Vater verdroschen, von der Welt ausgenutzt, aber mit einer so starken Linken versehen, dass er es sich leisten konnte, die Rechte nur in Ausnahmefällen einzusetzen. Und die einzigen Menschen, mit denen sich Sonny instinktiv verstand, waren Kinder. Und wenn diese verdammt traurige Geschichte etwas auszeichnet, dann die Tatsache, dass Nick Tosches keinen Moment lang zulässt, dass wir uns über den Lauf der Welt irgendwelchen Illusionen hingeben. MICHAEL ALTHEN
NICK TOSCHES: Der Teufel und Sonny Liston . Aufstieg und Fall einer Boxlegende. Aus dem Englischen von Ernst Leitner. Heyne Verlag, München 2000. 312 Seiten, Abbildungen, 39,90 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.01.2001

A man, a man, ich sage euch . . .
Zuviel Masse: Nick Tosches malt Sonny Liston in Massageöl, doch er verzichtet leider auf detaillierte Bewegungsstudien

Bei Sonny Liston kam alles zusammen, was zu einem Boxerleben gehört: dunkle Herkunft und große Schlagkraft, falsche Freunde und starke Gegner, Knasterfahrung und sanfte Freundlichkeit. Sonny Liston, ein Gigant von schwarzer Hautfarbe, lebte mit und in schroffen Gegensätzen. Sein Grab auf einem Friedhof in Las Vegas schmückt ein Stein, auf dem sein Name, die Jahreszahlen 1932 und 1970 und zwei Worte zu lesen sind: "A man". Das sind wohl die richtigen Worte für einen Boxer, dessen genaues Geburtsdatum im Dunkel einer Plantagenbewohnerherkunft liegt und dessen Todesursache "Drogenüberdosis" ahnen läßt, unter welch traurigen Umständen dieser Mann aus seinem Leben hinausdämmerte.

Seine Geschichte könnte auf mindestens dreierlei Art erzählt werden: Einmal als Blues. Oder aber als Folge harter kleiner Sportreportagen und harter kleiner Polizei- und Gerichtsberichte, mit ein paar weichen Beschreibungen der Cadillacs, für die Sonny Liston sein Geld ausgab. Und schließlich als Legende, die das Leben Sonny Listons mythisch verklärt. Eine solche hat Nick Tosches geschrieben.

Die Versuchung zur Legendenbildung ist groß: Sonny Liston war viele Jahre ein Champion im Schwergewicht. Er hat gegen Muhammad Ali verloren. Er war ein schwarzes Boxidol in einer Zeit massiver Rassenauseinandersetzungen. Er war ein musikalischer Boxer, der beim Training am liebsten die Musik des Saxophonisten Jimmy Forrest gehört haben soll. Und offenkundig war er ein Boxer mit Beziehungen zum Geld der Syndikate, das Männer mit italienisch klingenden Namen verwalteten. Wer die Geschichte von Sonny Liston erzählt, der schreibt auch über Frank Carbo und über Blinky Palermo. So hießen amerikanische Geschäftmänner, die - lebten sie heute noch - der "organisierten Kriminalität" zugerechnet würden.

Nick Tosches erzählt das Leben des Boxers Sonny Liston als Geschichte eines Mannes, der ganz automatisch mit finsteren Gestalten zusammenkommen mußte. Ein schwarzer Boxer aus den Südstaaten, geboren in einer "Hütte aus Zypressenholz", wie Tosches schreibt, an einem Tag ohne Datum - ein solcher Mann mußte einfach an die Mächte des Bösen geraten. Tosches schreibt in einer der langen Passagen, in denen es sich um die Verquickung des Gelds der Syndikate mit den Boxerfolgen Sonny Listons handelt: "Sonny hatte den Überblick darüber verloren, wer nun welchen Anteil an ihm besaß und durch wie viele und wessen gierige Hände sein Geld und seine Freiheit flossen."

Der Satz läßt alle Stärken und alle Schwächen von "Der Teufel und Sonny Liston" ahnen. Die Stärken: Nick Tosches hat recherchiert, wie es unter amerikanischen Sachbuchautoren üblich ist. Er hat mit dem ersten Polizisten gesprochen, der Sonny Liston je verhaftet hat, und er hat den letzten Bruder des Boxers getroffen, der in einem Altersheim aufzutreiben war. Tosches hat alte Zeitungen und alte Anklageschriften gelesen. Er weiß, woher der Name "Liston" kommt, und er weiß, wo Blinky Palermo gestorben ist - "am 12. Mai 1996 im Alter von 91 Jahren in einem Krankenhausbett in Philadelphia". Nick Tosches weiß, als sei er stets dabeigewesen, daß Sonny Liston "oralen Sex" liebte - aber er weiß nicht immer, was er mit diesem enormen Faktenwissen anfangen soll.

Passagenweise liest sich diese gloriose Boxergeschichte, als habe ihr Verfasser den Überblick über seine Quellen verloren - oder als habe Tosches nicht gewußt, aus welcher seiner vielen Quellen er schöpfen sollte. Mal heißt es zum Beispiel, Sonny Liston sei ein Trinker gewesen - bemerkenswert genug für einen Profisportler. Dann wieder zitiert Tosches Leute, die beteuern, Liston habe "nie auch nur einen Schluck getrunken". Man mag Unschärfen im Detail nebensächlich finden, wenn doch der Boxer in Überlebensgröße. sozusagen in Öl, vor einem ersteht. Aber gerade in den Passagen, in denen es um den Fall der Legende Sonny Liston geht, liest sich das Buch, als sei sich Tosches seiner Analyse nicht wirklich sicher. In der Lebensgeschichte eines Boxers ist es nun mal wesentlich, warum er den wichtigsten Kampf seiner Laufbahn verloren hat. Sonny Liston hat 1964 gegen Cassius Clay verloren und 1965 gegen Muhammad Ali, wie Clay nun hieß.

Schon über dem Kampf von 1964 liegt in diesem Buch der Ringstaub in dicken Schichten. Folgt man Tosches, war Listons technischer K. o. gekauft - als habe Cassius Clay boxerisch nicht viel zu bieten gehabt. Aus der Beschreibung dieses Boxkampfes - es ist eine der wenigen, die sich überhaupt in dieser Boxerbiographie finden - geht nicht hervor, wer der bessere war. Als die beiden 1965 wieder zusammentrafen, ging Liston in der ersten Runde k. o. Er habe dabei "weniger schauspielerisches Können" gezeigt als in einer Fernsehserie, in der Liston später einmal auftrat, schreibt Tosches. "Dieser Kampf war nicht nur eine Schiebung, er war eine zur Schau gestellte Schiebung."

Dröhnende Worte. Genau zweiundzwanzig Zeilen zuvor hat Tosches einen Boxfachmann zitiert, der Sonny Liston beim Training zusah und beobachtete, wie der Schwergewichtler "mit solcher Kraft einen linken Haken" in den Sandsack schlug, daß der "aus seiner Verankerung gerissen wurde und zu Boden fiel". Nun war Muhammad Ali gewiß schon in jungen Jahren ein ausgezeichneter Boxer und besser als jeder Sandsack, doch Tosches beschreibt den Mann, der Liston nachhaltig fertigmachte, als Marionette eines neuen, das Boxgeschehen bestimmenden "Konsortiums", als einen mikrophonversessenen Komiker, dessen Humor "nicht über Schulhofniveau" hinausgekommen sei. Ist es nötig, daß sein Biograph Liston größer zu machen versucht, indem er einen anderen großen Boxer, dessen Fähigkeiten ziemlich unbestritten sind, herunterschreibt?

Statt dessen hätte Tosches den Boxer Sonny Liston etwas genauer ansehen sollen. Die Sandsackgeschichte läßt einige seiner Fähigkeiten ahnen. Doch Liston war nicht nur ein K.-o.-Schläger. Ein paar analytische Erinnerungen an seine Fähigkeiten im Ring hätte er gewiß verdient. Doch wie Liston wirklich boxte, erfährt man nur in wenigen Passagen. Das ist schade, denn Nick Tosches hat es - das merkt man dem Buch und der modellathletenhaften Legende an - gut gemeint mit diesem großen Verlierer.

WERNER VAN BEBBER

Nick Tosches: "Der Teufel und Sonny Liston". Aufstieg und Fall einer Boxlegende. Aus dem Amerikanischen von Ernst Leitner. Wilhelm Heyne Verlag, München 2000. 312 S., geb., 39,90 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Michael Althen ist zwar nicht rundum glücklich mit dieser Biografie der Boxlegende Sonny Liston, aber eine interessante Geschichte erzähle Nick Tosches in jedem Fall. Bemängelt wird, dass Tosches "ein bisschen zu genau weiß, wie er seine Mittel einzusetzen hat" und dass manche Recherche nicht so ausführlich ausgebreitet werden müsste. Konsequent, so Althen, ist Tosches darin, dass er die Heldengeschichte des Boxweltmeisters weitgehend weglässt und ein Bild der 50er und 60er in Amerika zeichnet, das belegt, dass man "damals schon genauso versaut und korrupt wie heute" war. Der Autor verstehe es, glaubhaft zu machen, dass die Niederlagen gegen Muhammad Ali Schiebungen waren. Keineswegs freilich leugnet Tosches dabei, dass Liston selbst, ohne viel dafür zu können, die Verkörperung des Bösen war, jemand, der "den Unterschied zwischen Gut und Böse gar nicht kannte". Alles in allem, befindet der Rezensent, "eine verdammt traurige Geschichte."

© Perlentaucher Medien GmbH