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Wolfgang Huber ist einer der prominentesten Protestanten in Deutschland. Ob als Wissenschaftler, erster "Nach-Wende"-Bischof in Berlin oder EKD-Ratsvorsitzender - sein Wirken hatte und hat eine weit reichende Strahlkraft. Philipp Gessler begleitet diese Karriere als Journalist mit kritischem Respekt. Wo schlägt das Herz Wolfgang Hubers? In dieser ersten Biografie zeichnet er das Bild eines evangelischen Denkers am Puls der Zeit.

Produktbeschreibung
Wolfgang Huber ist einer der prominentesten Protestanten in Deutschland. Ob als Wissenschaftler, erster "Nach-Wende"-Bischof in Berlin oder EKD-Ratsvorsitzender - sein Wirken hatte und hat eine weit reichende Strahlkraft. Philipp Gessler begleitet diese Karriere als Journalist mit kritischem Respekt. Wo schlägt das Herz Wolfgang Hubers? In dieser ersten Biografie zeichnet er das Bild eines evangelischen Denkers am Puls der Zeit.
Autorenporträt
Philipp Gessler, geboren 1967, ist Redakteur der in Berlin erscheinenden Tageszeitung "taz".
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.06.2012

Immer unter Freunden
Werdegang und Wandelbarkeit des früheren EKD-Ratsvorsitzenden Huber

Wenige Wochen vor dem 70. Geburtstag von Wolfgang Huber am 12. August liegt die erste Biographie des früheren EKD-Ratsvorsitzenden vor. Verfasst hat sie Philipp Gessler, Historiker, Katholik und Kirchenjournalist der "Tageszeitung". Er zeichnet den Werdegang des jüngsten der fünf Söhne des bedeutenden, aber auch tief in den Nationalsozialismus verstrickten Staatsrechtlers Ernst Rudolf Huber nach - beginnend mit den kargen Nachkriegsjahren, in denen der stellungslose und vielerorts geächtete Vater für die Söhne Brei aus gesammeltem Korn kocht. Die Mutter Tula Huber-Simons arbeitet als Anwältin, um die Familie zu ernähren. Sie ist die Tochter von Walter Simons, der während der Weimarer Republik Reichsaußenminister und Präsident des Reichsgerichts gewesen ist.

Die Ernsthaftigkeit des Entschlusses des Sohnes für die Theologie stellt Ernst Rudolf Huber auf die Probe, indem er ihn bei Martin Heidegger vorsprechen lässt, der ihm in Freiburger Tagen verbunden ist. Heidegger gibt dem Huber-Sohn einen Rat, der in gewisser Weise das theologische Grundproblem vorwegnimmt, das Huber zeitlebens beschäftigen wird: Er empfiehlt ihm den Kirchenhistoriker Franz Overbeck zur Lektüre, der das Christentum - beginnend etwa mit dem Jahr 100 - für eine Anpassung an diese Welt hält und hart mit den folgenden 18 Jahrhunderten der unzulässigen Verbürgerlichung ins Gericht geht.

Verbürgerlichung, Entbürgerlichung und Wiederverbürgerlichung sollten Huber nicht nur in theologischer Hinsicht beschäftigen. Der hochbegabte Sohn scheint das Ansehen der Familie auf eine Höhe zurückführen zu wollen, die dem ungebrochenen Standesbewusstsein im Hause Huber entspricht. Von der Forschungsstelle der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST) in Heidelberg aus entwickelt sich Huber im Laufe der Zeit zu einem einflussreichen und öffentlichkeitswirksam agierenden Sozialethiker, der um Deutungshoheit nicht nur in der Universität, sondern auch in Kirche und Politik kämpft. In den siebziger und achtziger Jahren nimmt er auch auf der Bühne Kirchentag die Rolle des Mittlers zwischen entschieden linksgerichteten Gruppen und dem etablierten protestantisch-sozialdemokratischen Milieu ein. Vor die Wahl gestellt, entweder für die SPD in den Bundestag zu gehen oder Bischof in Berlin zu werden, entscheidet sich Huber in den neunziger Jahren dafür, lieber in der ersten Reihe der Kirche zu sitzen als in der zweiten der Politik.

Hubers Jahre als Bischof in Berlin (1994 bis 2009) und als Ratsvorsitzender der EKD (2003 bis 2009) nehmen die Hälfte des Buches ein. Kapitel über Hubers Haltung zur Ökumene, zum Islam, zur Bioethik, zum Umgang der EKD mit den Evangelikalen geben einen guten Überblick. Im Kapitel über Hubers Kirchenreform vermisst man zwei Punkte: Zum einen, dass sich im Zuge der Reform das Kräfteverhältnis zwischen den Gemeinden und den übergemeindlichen Einrichtungen verschiebt, zum anderen die Folgen der Reform für die Bekenntnisfrage. Gessler geht lediglich auf jene Kritiker ein, die Hubers Reformpapier "Kirche der Freiheit" als Dokument des Neoliberalismus und der "Ökonomisierung der Kirche" lesen. Diese Kritik übersieht, dass Huber zwar gründlich die Tonart gewechselt hat, aber mit den an Gemeindearbeit und Bekenntnis orientierten Lutheranern auch einen alten Gegner über eine neue Klinge springen lässt. Hubers innerkirchliche Politik ist zu vielschichtig, um allein mit der Kategorie des Seitenwechsels erfasst zu werden. Solche Wendigkeit wird oft auch mit menschlicher "Kühle" erklärt. Gessler differenziert dieses Bild und stellt nicht nur einen belesenen, scharfsinnigen, eminent fleißigen Mann von beeindruckender körperlicher Disposition vor, sondern auch einen durchaus anrührbaren Menschen, dem es allerdings zeitlebens schwerfällt, seiner großen Zugewandtheit den Anschein des Instrumentellen zu nehmen.

Eine große Gabe Hubers ist es, noch die Benennung des Selbstverständlichen zu einem rhetorischen Ereignis werden zu lassen. Nicht ohne Grund wird Huber also gleich zweimal, 2010 und 2012, für das Amt des Bundespräsidenten gehandelt. Im Vorwort schreibt Gessler, dass er es "aus naheliegenden Gründen" sehr bedaure, dass die Wahl nach dem Rücktritt Wulffs nicht auf Huber fiel. Das ist verständlich, doch hätte man über die Umstände dieses Scheiterns gerne etwas genauer Bescheid gewusst. Gleiches gilt für die Erfolge Hubers: Gessler schreibt, Huber habe bei Berufungen wegen "seines Engagements für den Frieden negative Konsequenzen für sich in Kauf genommen". Die steil aufsteigende Karrierekurve des vielfach protegierten Hubers legt eher das Gegenteil nahe. Sehr stark scheinen die Gegner des Friedens nicht gewesen zu sein.

Das führt zu dem Problem jeder Biographie über Huber: Sein Lebenslauf ist eng mit drei weiteren Strängen verwoben, die schon jeder für sich den Rahmen eines einzigen Buches sprengen: der Geschichte einer Institution - der evangelischen Kirche; der Geschichte eines theologischen Problems - der politischen Auslegung des Evangeliums; und der Geschichte eines staatsnahen, protestantischen Milieus, das sich angesichts eines ständigen Wechsels der Regime als Elite behaupten muss. Die Verästelungen dieses (nicht selten aus adeligen Familien bestehenden) Netzes, in dem Niederlagen gemeinsam abgefedert werden, reichen vom George-Kreis über den Wilhelmstraßen-Prozess gegen Ernst von Weizsäcker und die Reformpädagogik bis ins Präsidium des Kirchentages und die Redaktionsstuben der Wochenzeitung "Die Zeit". Vieles davon macht Gessler sichtbar, manches nicht. Im Rückblick mutet es unfasslich, ja schon skurril an, wie Wolfgang Huber mit Bonhoeffer-Büste für ein besseres Deutschland durchs Land zieht und dabei, wohin er auch kommt, auf alte Freunde der Familie trifft.

Die Frage nach den Wandlungen Hubers, also vor allem dem raschen "Nachdunkeln" seit seiner Wahl zum Bischof, ist vor diesem Hintergrund vermutlich nur die zweitinteressanteste Frage. An Wolfgang Huber sind es weniger die vielfältigen Wandlungen, die beeindrucken, als vielmehr die Kontinuität seiner Wandelbarkeit.

REINHARD BINGENER

Philipp Gessler: Wolfgang Huber. Ein Leben für Protestantismus und Politik. Kreuz Verlag, Freiburg im Breisgau 2012. 279 S., 19,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Alexander Cammann preist die Biografie, die Philipp Gessler jetzt über den ehemaligen Bischof und EDK-Ratsvorsitzenden Wolfgang Huber vorgelegt hat, als überaus erhellend. Der taz-Redakteur Gessler kann darin nicht nur mit interessanten privaten Einblicken in Hubers Leben aufwarten, er hat zudem auch viele Wegbegleiter und Gesprächspartner des bis heute politisch aktiven Theologen für sein Buch interviewt, würdigt Cammann. So wird Huber dem Rezensenten nicht nur in vielen Facetten sichtbar. Gessler erklärt auch überzeugend, woraus sich Hubers Leidenschaftlichkeit und sein politisches Engagement speist, indem er einerseits seine Herkunft aus einem "bildungsbürgerlichen Intellektuellenhaushalt", andererseits die Auseinandersetzung mit der fragwürdige Rolle des Vaters in der NS-Zeit beleuchtet.

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