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Von der Schulbank weg wird die junge Xiao Mitglied der Staatsanwaltschaft, eine Schlüsselposition der Staatsmacht. Sie findet sich in einem System wieder, das gegen die Menschen arbeitet und selbst gegen die Gesetze verstößt. Sie merkt bald, dass nicht richtig ist, was als Recht ausgegeben wird. Sie begegnet der alltäglichen Korruption, Willkür und Gewalt - und ihren Opfern. Und sie muss auf der Hut sein - denn auch jeder Staatsdiener steht unter Beobachtung. Die junge Xiao erfährt hautnah, dass ein Einzelner keine Chance hat und Widerstand sofort geahndet wird. Erst durch die Begegnung mit…mehr

Produktbeschreibung
Von der Schulbank weg wird die junge Xiao Mitglied der Staatsanwaltschaft, eine Schlüsselposition der Staatsmacht. Sie findet sich in einem System wieder, das gegen die Menschen arbeitet und selbst gegen die Gesetze verstößt. Sie merkt bald, dass nicht richtig ist, was als Recht ausgegeben wird. Sie begegnet der alltäglichen Korruption, Willkür und Gewalt - und ihren Opfern. Und sie muss auf der Hut sein - denn auch jeder Staatsdiener steht unter Beobachtung. Die junge Xiao erfährt hautnah, dass ein Einzelner keine Chance hat und Widerstand sofort geahndet wird. Erst durch die Begegnung mit einem jungen Deutschen kommt es zu der entscheidenden Wende in ihrem Leben.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.08.2007

Tränen einer Henkerin
Zwangsabtreibungen, Hinrichtungen und ein paar Gefälligkeiten – eine Staatsanwältin aus Changsha schildert ihre Jahre in Chinas Justizsystem
Von Edeltraud Rattenhuber
Hamburg, im August – Es war eiskalt und grau, als Xiao Rundcrantz ihre erste Hinrichtung vollstreckte. Die junge chinesische Staatsanwältin hatte sich dagegen ausgesprochen, den alleinerziehenden Vater von zwei Kindern, der seine kranke Frau ermordet hatte, erschießen zu lassen. „Er hatte Reue gezeigt, gestanden und gehofft, am Leben zu bleiben”, schreibt Xiao Rundcrantz in ihren Erinnerungen. Doch ihr Plädoyer war vergeblich. Am Tag seiner Erschießung wurde er stundenlang durch die Straßen seiner Heimatstadt gefahren – zur Abschreckung für andere. Seine beiden Kinder standen am Straßenrand und flehten ihren Vater an, nach Hause zu kommen. „Ich will nicht bei der Tante schlafen, ich will bei Dir schlafen”, bettelte der vierjährige Sohn. Am Abend nach der Hinrichtung erschien Xiao Rundcrantz der Getötete im Traum und schrie: „Gib mir meine Kinder zurück, Henkerin!”
Ihre Kollegen, alles abgebrühte Kader, empfahlen der jungen Kollegin, sich eine starke Psyche anzutrainieren. „Indem wir einen töten, warnen wir hundert”, sagte einer. Propagandasätze wie diesen hat die Staatsanwältin, die damals noch Xiao Nie hieß, 14 Jahre lang gehört und verinnerlicht. Sie überwachte Hinrichtungen, Zwangsabtreibungen, vertrat rücksichtslos die Linie der Kommunistischen Partei Chinas. Ohne Skrupel opferte auch sie als Teil des Apparates die Gesetze den Interessen der Partei. Doch irgendwann hatte sie genug. „Ich empfand Abscheu vor den korrumpierten Beamten und deren Nichtachtung des Gesetzes. Die Partei erschien mir so degeneriert, dass sie kaum eine Zukunft haben konnte.” Sie beschloss, ein neues Leben zu beginnen, ihr zweites, wie sie sagt. In Stockholm, wo sie seit 1998 mit ihrem zweiten Mann Ola Rundcrantz lebt. Dort schrieb sie auch ihr Buch „Rote Staatsanwältin”. Eine Abrechnung, eine Anklage, aber auch ein Schuldeingeständnis und ein Bestseller. In Schweden verkaufte sich das Werk bereits 25 000 Mal, in Deutschland bringt der Herder-Verlag das Buch jetzt auf den Markt. Die heute 41-Jährige schreibt darin über ihre Komplizenschaft mit der Kommunistischen Partei, über ihre Selbstzweifel, die Gleichgültigkeit der ihr Nahestehenden und die Härte der Gesellschaft. „Meine Entscheidung gegen Korruption und Machtmissbrauch in China”, lautet der Untertitel. Es ist das erste Buch, das westlichen Lesern einen Einblick in das Justizsystem Chinas gibt. Selbst wenn Xiao Rundcrantz heute sagt, sie habe mit der letzten Zeile von „Rote Staatsanwältin” auch mit der Politik abgeschlossen – ihr Buch spricht eine andere Sprache.
Ein Leben wie im Horrorfilm
Menschenrechtler könnten es anführen, wenn es um die Nutzlosigkeit beispielsweise des von der Bundesregierung geführten Rechtsstaatsdialoges mit China geht. Xiao Rundcrantzs Analyse der politischen Lage in ihrem Land ist heute illusionslos: „Solange die Kommunistische Partei an der Macht ist, ist ein wirklich gerechtes Rechtssystem in China nicht möglich.” Sie sitzt zum Pressegespräch in einem Hamburger Hotel, eine zierliche Frau, langes Haar, geblümte Bluse, leise Stimme. Sie wirkt verletzlich und so ganz anders als jene Frau, die man auf alten Fotos sieht, in Uniform, kalter Blick. Jahrelang hat sie sich in dem Netz von Parteigehorsam, Skrupellosigkeit und Korruption bewährt. Doch, so sagt sie heute, das sei nur die eine Seite von ihr gewesen. Die andere Seite hat sie immer geplagt, als sie Ermittlungsverfahren im Sinne der Partei vorantrieb. Sie habe in zwei Welten gelebt und versuchte, eine erfolgreiche Strafverfolgerin zu werden. „In China hielt ich mich anfangs nicht für schuldig”, sagt sie.
Gewidmet hat sie das Buch ihrem verstorbenen Vater. „Ich liebe ihn trotz allem.” Denn der Vater war es, der sie als junges Mädchen prügelte, „mehr als ihren großen Bruder”, brüstete sich ihre Mutter einmal. Damit wollten die Eltern dem Mädchen den Willen brechen, ihr die Ungehorsamkeit, den Starrsinn austreiben. Heute entschuldigt die Tochter die Eltern, sie hätten ihr nur ein besseres Leben verschaffen wollen. Und es gelang ja auch. Als Staatsanwältin war sie finanziell abgesichert, und wenn sie mehr Schmiergelder angenommen hätte, hätte sie ein rundum sorgloses Leben führen können. Wären da nicht die Albträume gewesen. All die Jahre fühlte sie sich wie in einem Horrorfilm, sagt sie heute. Und das sei auch die Schuld der Eltern gewesen, die sie schon als Kind in die falsche Richtung getrieben hätten.
Beworben hat sie sich bei der Staatsanwaltschaft in Changsha dann aber selber und angeblich nur deswegen, weil ihr blaue Uniformen so gut gefielen. Dabei trugen nur die Gerichtsdiener die blauen Röcke. Sie musste sich als Staatsanwältin während ihrer gesamten Karriere in graues Tuch kleiden. Ähnlich farblos war auch ihr Leben. Die Ehe mit dem Mann, einem opportunistischen Richter, ging in die Brüche, der deutsche Freund, von dem sie illegalerweise ein Kind erwartete, starb bei einem Autounfall. Sie ließ abtreiben, weil sie als alleinerziehende Mutter, noch dazu Beamtin, in China keine Zukunft gehabt hätte. Eine Woche lang weinte sie danach – „fast meinen gesamten Lebensvorrat an Tränen”.
Xiao Rundcrantzs Buch ist nicht nur eine Studie des Rechts(un)wesens in China, sondern auch ein kriminalistisches Profil des Landes. Und es zeigt das Ausmaß der Korruption bei Beamten selbst niedrigster Ebene. Verzweifelte Eltern von Angeklagten versuchten immer wieder, die mächtige Staatsanwältin mit Geschenken zu beeinflussen. Unternehmen fragten gar nicht, sie waren sich ihrer Macht bewusst. Die großen Baufirmen, schreibt Xiao Rundcrantz, „ scheuten keine Mittel, um sich gut mit uns zu stellen”. Wegen der mangelnden Sicherheit auf den Baustellen im Boomland China seien sie meist für die schweren Unfälle dort verantwortlich gewesen. Die Staatsanwaltschaft schwieg und kassierte:„Wenn wir einem Verwandten einen Job beschaffen wollten, war das kein Problem, wenn wir unsere Wohnung renovieren wollten, bekamen wir kostenlos Hilfe.”
Die derzeitigen Kampagnen in China gegen Korruption auf dem Lebensmittelsektor und im Gesundheitsschutz seien wie alle anderen zum Scheitern verurteilt, weil sie nicht aufrichtig geführt würden, sagt Xiao Rundcrantz. Sie dienten nur zur Befriedung der Massen, zur Stabilisierung des von Protesten und Unruhen geplagten Riesenreiches.
Dass sie seit Erscheinen ihres Buches keine Repressionen erfahren hat, führt Xiao Rundcrantz darauf zurück, dass China vor den Olympischen Spielen im nächsten Jahr eine weiche Linie fährt. Trotz ihrer illegalen Ausreise 1998 mit einem gefälschten Pass, den sie sich über Beziehung beschafft hat, durfte die schwedische Staatsbürgerin bereits zweimal nach China reisen. Nicht erlauben wird die Kommunistische Partei, dass ihr Buch in China erscheint, da ist sie sicher. „Obwohl der Inhalt kaum einen Chinesen überraschen wird.”
„In China hielt ich mich anfangs für nicht schuldig”: Xiao Rundcrantz (links) mit einer Kollegin. Foto: privat
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Einen erhellenden Einblick in das chinesische Justizsystem erlaubt Xiao Rundcrantz dem Rezensenten Christian Semler. Die Autorin war nach Angaben Semlers selbst über zehn Jahre als Staatsanwältin in der Provinz Hunan tätig, bevor sie ihren Dienst quittierte und nach Schweden emigrierte. Ihre Darstellung von Korruption und Machtmissbrauch hält er für überaus instruktiv. Die Autorin schildere anhand von zahlreichen Fällen den Alltag von Ermittlungen, Verhaftungen und Verurteilungen, sie zeige die menschlichen und dienstlichen Beziehungen innerhalb der Behörde auf, berichte über die Bestechung von Staatsanwälten und Richtern und die Niederschlagung von Prozessen. Zudem erlaube sie dem Leser einen Blick auf den Justizapparat aus der Sicht der Bevölkerung. Besonders die Unmittelbarkeit, Anschaulichkeit und Genauigkeit der Darstellung haben Semler beeindruckt. Für die nächste Auflage wünscht er sich allerdings ein etwas genaueres Lektorat und eine Erweiterung des Nachworts auf das juristische "Nachleben" der Autorin hin.

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