Marktplatzangebote
10 Angebote ab € 2,00 €
  • Gebundenes Buch

Ein "moralischer Tsunami" zog im Dezember 2005 durch die Welt der Wissenschaft. Hwang Woo Suk, der gefeierte Klonheld aus Südkorea, wurde des Betrugs überführt. Fast alle Daten, die die künstliche Herstellung und Weiterverwendung menschlicher Embryonen belegen sollten, waren gefälscht. Der Fall des Koreaners ist Ausgangspunkt einer spannenden Recherche: Wohin führt uns die von Menschenhand geplante Zukunft?

Produktbeschreibung
Ein "moralischer Tsunami" zog im Dezember 2005 durch die Welt der Wissenschaft. Hwang Woo Suk, der gefeierte Klonheld aus Südkorea, wurde des Betrugs überführt. Fast alle Daten, die die künstliche Herstellung und Weiterverwendung menschlicher Embryonen belegen sollten, waren gefälscht. Der Fall des Koreaners ist Ausgangspunkt einer spannenden Recherche: Wohin führt uns die von Menschenhand geplante Zukunft?
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.12.2006

Künstliche Sonne
Von SZ-Autoren: Alexander Kissler über die geklonte Gegenwart
Kann das sein? Sind die Klone „längst unter uns”? Lässt man sich von diesem munteren Buch durch das Dickicht der Zukunftsentwürfe leiten, fällt das Nein weniger leicht. Es gibt viele Belege, dass der Mensch von einer fraglosen Besonderheit zum normierten, rechtfertigungsbedürftigen Problem geworden ist. Zwischen Tier und Maschine sucht er ratlos seinen Platz: Alexander Kissler skizziert die Geschichte des utopischen Denkens bis hin zur Allgegenwart der Klone in den Künsten des 21. Jahrhunderts. Wenngleich der minutiös nacherzählte Wissenschaftskrimi um den Klon-Scharlatan Hwang Woo Suk das längste (und erstaunlichste) Kapitel bildet, ist der Fluchtpunkt ein anderer. Die Gegenwart erscheint als Zeit einer vollendeten Verschleierung: „Die vermeintlich weltanschauungsneutrale Wissenschaft neigt dazu, nach weltanschaulichen Kriterien . . . erlaubte von unerlaubten Argumenten autoritär zu scheiden.” Insofern ist das Buch ein ideologiekritischer Versuch in aufklärerischer Absicht. Der letzte Satz lautet: „Künstlich sind Sonnen, die ewiges Licht versprechen.” SZ
ALEXANDER KISSLER: Der geklonte Mensch. Das Spiel mit Technik, Träumen und Geld. Herder Verlag, Freiburg 2006. 224 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.10.2006

Grobe Klötze, grobe Keile
Zwei Bioethiker fragen, was der Mensch aus seiner Gattung macht

Neuerscheinungen zum gleichen Thema können sehr verschieden sein. Man halte etwa diese beiden nebeneinander: Franz M. Wuketits, Wissenschaftstheoretiker und Verfasser zahlreicher Monographien stramm darwinistischer Prägung, hat eine Einführung in die Bioethik geschrieben. Und dann: Alexander Kissler, Historiker, Germanist, Kulturjournalist, hat "Der geklonte Mensch", einen Essay-Band zur "neuen Ära" der Biotechnologien, publiziert.

In Wuketits' Welt ist alles in Ordnung - jedenfalls dann, wenn man sich seiner Sicht der Dinge anschließt: Alles in der Natur wie auch im menschlichen Zusammenleben strebt nach Überleben, also läßt sich auch Bioethik als "Überlebenswissenschaft" verstehen. Ausgehend von der Evolutionsbiologie, sind ethische Maßstäbe immer im Fluß. Gebraucht wird eine "individuelle Verhandlungsmoral", die den biologischen Grenzen des menschlichen Verhaltens wie auch dem für den Menschen evolutionär Nützlichen Rechnung trägt. Im Schnelldurchlauf durch Medizinethik, Tierethik, ökologische Ethik lassen sich Kontroversen auf diese Weise kurz und bündig entscheiden.

Menschenwürde? Kommt biologisch gesehen nicht "sämtlichen Lebensstadien oder Lebenssituationen eines Individuums" gleichermaßen zu. Abtreibung? Soweit es sich um gesunde Embryonen handelt, eine Verschwendung von Leben und daher bedenklich. Stammzellforschung? Kein Problem, wenn sie dem Fortschritt dient. Transplantationsmedizin? Darf denen, die sie wollen, nicht verweigert werden. Aktive Sterbehilfe, Euthanasie für alte Menschen? "Warum wollen wir ihr Leben unbedingt erhalten, während überall um uns herum ,blühendes', aber bedrohtes Leben um seine Erhaltung bettelt?" Die Funktionsfähigkeit einer Norm für das gesellschaftliche Überleben definiere ihren moralischen Charakter, so die Botschaft. Argumentiert wird im Hinblick auf die dahinterstehende naturalistische Setzung nicht. Statt dessen klotzt der Text mit Ad-hoc-Beispielen: Hatte Hitler Würde? Sind Stechmücke und Schimpanse gleich viel wert? Sind aufwendige Behandlungen bei jungen und alten Schwerverletzten gleichermaßen geboten? Klar doch: Nein! Bioethik kann so einfach sein.

Bei Alexander Kissler hingegen ist die Welt aus den Fugen - und zwar ganz und gar. Die biotechnische Revolution hat den Menschen zum Projekt gemacht. Der "Abschied vom Menschen, wie wir ihn kannten", ist vollzogen. Zur "historisch vielleicht letztmöglichen Stunde" zieht der Kritiker der sich abzeichnenden neuen Ordnung eine alarmierende Bilanz. Lebensoptimierung hat Weltverbesserung, offensiver Pragmatismus hat moralische Rede ersetzt. Evolutionismus, Bio- und Tierethik reduzieren den Menschen darauf, ein "Tier mit Bewußtsein" zu sein. Gefordert wird bloß noch, "daß das Zusammenleben nicht kollabiert, daß Fortpflanzung und Verbrauch gesichert sind". Alles Weitere regelt das Recht des Stärkeren: Körperbau, Fitness und Genstruktur zählen - oder, ethisch gesprochen: Bedürfnis und Interesse. Die Ethik ist oft nicht mehr als "das Geräusch, das entsteht, wenn die Moral beiseite geräumt wird". Dabei gebärden sich Bioforscher wie Wagners Siegfried - als moderne Helden. Kissler greift Personen an, er entzaubert Heroen, liest zugleich aber auch die Ideengeschichte Europas als Verblendungszusammenhang: Eine direkte Linie führt von antiken und frühneuzeitlichen Utopien über die moralphilosophische Kategorie des "Interesses" zu allen Pragmatisten, Transhumanisten und Klon-Scharlatanen der Gegenwart: "Die ganze Dialektik der Aufklärung" werde hier "gutgelaunt negiert".

Wuketits bietet schlichte Parolen, grobklotzig hingestellt. Seiner Einführung fehlt fast jeglicher Bezug auf anderslautende Literatur. Kisslers Zeitdiagnose hingegen setzt sich auseinander und ist hitzig empört. Biopolitische Akteure, skrupellose Ethiker, naive Politiker werden ausführlich zitiert. Der Leser erfährt Fakten, die für sich selbst sprechen, und wird aufgerüttelt durch ein wahres Feuerwerk von Formulierungen: Es droht eine "neue Mengenlehre des Menschlichen", ein "Kleid aus Zahlen und Worten" bedeckt den "Möglichkeitscharakter der Zukunft", "unsere Gegenwart steht zwischen zwei Feuern, zwischen Zukunftsmache und Zukunftsverdrossenheit" - und Prometheus kettet sich "an seine nun selbstgeschmiedeten Ketten". Ein bißchen viel des Guten, denkt man zuweilen unter dem Druck dieser Prosa.

Freilich mag Kissler vor Augen stehen, daß die Karten ungleich verteilt sind zwischen ihm und denen, über beziehungsweise gegen die er schreibt. Bioforscher äußern sich zwar gern populärwissenschaftlich, aber die Expertenkultur schottet sich ab. Wuketits etwa fordert ausdrücklich, professionelle bioethische Reflexion solle "Priorität gegenüber juristischen und politischen Entscheidungen" haben. Kissler bezieht demgegenüber als Anwalt von Öffentlichkeit, als politischer Intellektueller und als Bürger Stellung. Auch er argumentiert populär. Sein Buch ist nicht frei von großtheoretischen Gesten und macht exzessiv Gebrauch vom Pathos eines in der existentiellen Krise gesehenen, gesamt-menschheitlichen "Wir". Aber auf grobe Klötze gehören auch grobe Keile: Kisslers Zorn jedenfalls ist authentisch, und das von ihm verarbeitete Material rechtfertigt diesen Zorn.

PETRA GEHRING

Franz M. Wuketits: "Bioethik". Eine kritische Einführung. Verlag C. H. Beck, München 2006. 192 S., br., 12,90 [Euro].

Alexander Kissler: "Der geklonte Mensch". Das Spiel mit Technik, Träumen und Geld. Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2006. 224 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Mit Gewinn hat Rezensentin Petra Gehring diese zeitdiagnostischen Essays über die neue Ära der Biotechnologien von Alexander Kissler gelesen. Sehr gut kann sie dessen wütende Kritik an der Vorherrschaft von Evolutionismus in der Bio- und Tierethik nachvollziehen. So äußert sie sich überwiegend zustimmend über Kisslers engagierte Auseinandersetzung mit dem reduktionistischen Menschenbild der Bioforscher, mit "skrupellosen Ethikern" und "naiven Politikern". Sie bescheinigt dem Autor, den Leser durch ein "wahres Feuerwerk von Formulierungen" wachzurütteln. Gelegentlich schießt Kissler ihres Erachtens mit seinem Pathos und seinen "großtheoretischen Gesten" über das Ziel hinaus. Aber angesichts der zahllosen ebenso kritikfreien wie schlichten Lobeshymnen auf die Biotechnologien und angesichts des verarbeiteten Materials hält sie den Zorn des Autors für völlig legitim.

© Perlentaucher Medien GmbH