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Zum 100. Todesjahr des bedeutenden Kirchenkritikers. Auf Lord Acton (1834-1902) treffen viele Charakterisierungen zu: Journalist, Historiker, politischer Denker, liberaler Katholik, Kosmopolit im europäischen Geist. Weltweit bekannt wurde sein Ausspruch: "Macht korrumpiert, absolute Macht korrumpiert absolut": Ursprünglich auf das Papsttum bezogen, drückt das Diktum den für Acton wesentlichen Zusammenhang von Religion und Politik aus, ihre gegenseitige Verwiesenheit und Gefährdung.

Produktbeschreibung
Zum 100. Todesjahr des bedeutenden Kirchenkritikers. Auf Lord Acton (1834-1902) treffen viele Charakterisierungen zu: Journalist, Historiker, politischer Denker, liberaler Katholik, Kosmopolit im europäischen Geist. Weltweit bekannt wurde sein Ausspruch: "Macht korrumpiert, absolute Macht korrumpiert absolut": Ursprünglich auf das Papsttum bezogen, drückt das Diktum den für Acton wesentlichen Zusammenhang von Religion und Politik aus, ihre gegenseitige Verwiesenheit und Gefährdung.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.10.2000

Kein Wetter zum Eierlegen
Acton genoß die Luft der Freiheit, aber er brütete so lange über seinen Büchern, daß er sie nie schrieb / Von Benedikt Stuchtey

Wenige englische Gelehrte des neunzehnten Jahrhunderts werden bis in die Gegenwart so häufig zitiert wie jener Historiker, über den die "Times" in ihrem Nachruf urteilte, es habe ihm an patriotischer Begeisterung für sein eigenes Land gefehlt. Lord Acton: das war der liberale Katholik und unnachgiebigste Kritiker des Unfehlbarkeitsdogmas, 1834 in Neapel geboren und gestorben 1902 am Tegernsee, zeitweise Mitglied des Parlaments und erst sieben Jahre vor seinem Tod von Lord Rosebery auf die königliche Professur für moderne Geschichte in Cambridge berufen, als erster katholischer Professor in Oxbridge seit Jakobs II.; das war der familiär, kulturell und intellektuell eng mit dem europäischen Kontinent verbundene Kosmopolit, der im Unterschied zu seinen Zeitgenossen keine Nationalgeschichte verfaßte, sondern den Fortschritt der Zivilisation in der Universalgeschichte suchte. Schließlich der Programmatiker, der eine katholische Zweimonatsschrift herausgab, 1886 die "English Historical Review" mitbegründete und sich mit seiner Initiative für die "Cambridge Modern History" nachdrücklich für den Anfang der Lehrbücher der Historiographiegeschichte qualifizierte, wohin er auch nach Roland Hills Auffassung gehört.

Daß er dort noch heute nicht nur dank des Alphabets zu finden ist, liegt sicher nicht am bescheidenen Umfang seiner veröffentlichten Schriften. Der Besitzer einer Bibliothek von über 60 000 Bänden hatte keine einzige Monographie verfaßt. Längst gibt es den Topos, Acton habe sein Potential verschwendet. Hill nähert sich diesem vorsichtig und meint, nicht allein Perfektionismus und Ungeduld, sondern auch das Gefühl, isoliert, ohne Einfluß, vielleicht insgesamt gescheitert zu sein, hätten verursacht, daß die lange angekündigte, jedoch nie erschienene Geschichte der Freiheit tatsächlich zu einer "Madonna of the Future" wurde. So sah es schon Gladstones Tochter Mary, mit der Acton eng verbunden war. Die einzige Veröffentlichung in Buchform, die er erlebte, war seine Antrittsvorlesung von 1895, ein Plädoyer für sittlich-religiöse Politik, die Verteidigung der Freiheit in politischen und religiösen Belangen sowie Unparteilichkeit im historischen und Rigorismus im moralischen Urteil.

Seine verstreuten Aufsätze wurden erst nach seinem Tod gesammelt. Sie bilden eine Schatzkammer reicher Ideen und insofern die Grundlage für Actons Berühmtheit. Denn der historische Essay, auf breiter Sachkenntnis fußend und stilistisch glänzend formuliert, war das Medium, mit dem Acton der Öffentlichkeit bewies, warum er wie kein anderer die Gegensätze zwischen englischem Whiggismus und deutschem Historismus überbrücken konnte. Bei Macaulay fehlte ihm zwar die analytische Schärfe. Und bei Ranke bemängelte er die politischen Implikationen der radikalen Epistemologie des Historismus sowie dessen moralischen Relativismus. Aber es faszinierte ihn, beide Traditionen zusammenzuführen. Einer seiner wichtigsten Aufsätze handelt von der deutschen historischen Schule.

Historisches Denken und Traditionskritik sah er eng verflochten mit dem im Christentum wurzelnden moralischen Urteil. Die Geschichte als das Weltgericht und ihre wissenschaftliche Rekonstruktion als religiöse Übung: das machte die Historie zur Mission, ihren Gegenstand zum Heilsgeschehen. Die schönsten Passagen in Hills exzellent recherchierter, einfühlsamer, dabei keineswegs unkritischer Biographie beschäftigen sich gerade mit den Spannungen zwischen dem Anspruch auf historische Objektivität einerseits und der Verpflichtung auf überzeitliche Maßstäbe andererseits. Zuweilen verliert die Studie etwas an Gleichgewicht, wenn sie die Analyse der historischen Schriften gegenüber dem Problem der Religiosität vernachlässigt.

Als Student hatte Acton in München bei Ignaz von Döllinger Katholizismus und Liberalismus zu verbinden gelernt, was er auch in England, an der Seite des Oxforder Konvertiten Kardinal Newman und seines politischen Freundes William Gladstone, anzuwenden versuchte. Acton soll keinen geringen Einfluß auf Gladstones Vorgehen in der irischen Home-Rule-Frage ausgeübt haben. Er meinte einmal, er lehne alles am Katholizismus ab, was nicht mit dem Liberalismus vereinbar sei, sowie alles in der Politik, was sich nicht mit seinem Verständnis von Katholizismus vertrage. Persönlich zog er die Konsequenz aus dem Ultramontanismus mit einer inneren, ihn sehr belastenden Distanz zur Kirche, von der er sagte, er habe sich von ihrem Körper, nicht aber von ihrer Seele getrennt.

Wissenschaftlich jedoch blieb Acton kämpferisch. Aus seiner vernichtenden Kritik an der Apologetik der Borgia-Päpste, die der anglikanische Bischof Mandell Creighton betrieb, stammt sein vielzitierter Satz, Macht korrumpiere und absolute Macht korrumpiere absolut. In Actons Gedankenwelt zu tauchen ist wie in einem Zettelkasten genialer Pascalscher Unordnung zu stöbern. Wäre da nicht die Schwierigkeit, daß er nicht systematisch vermerkte, ob er eigene Ideen oder Zitate anderer aufschrieb. Treffend bezeichnet Hill den Professor als einen englischen Europäer. Sein Bild von Europa reichte freilich nur bis an die östlichen Grenzen Preußens.

Acton waren blinder Fortschrittsglaube und Mills Utilitarismus ebenso fremd geblieben wie der insulare Nationalismus und aggressive Imperialismus seiner Zeit. Sein Vorgänger John Robert Seeley hatte die historische Ausbildung noch als Schule angehender Politiker im Dienste von Nation und Empire verstanden. In dem Schlüsseltext zum Verständnis seines Denkens, dem Brief an die Mitarbeiter der "Cambridge Modern History", forderte Acton nun, nichts solle auf die Nationalität, Religion und Parteizugehörigkeit des Verfassers schließen lassen. Und Waterloo als ein europäisches Ereignis müsse Franzosen und Engländer, Deutsche und Holländer gleichermaßen überzeugen. Dennoch wollte dieser vielleicht bedeutendste viktorianische Bewunderer von Edmund Burke das Kapitel über die Französische Revolution und ihre Nachwirkung nicht selber schreiben. Vertraulich hatte sich Acton notiert, daß andere für ihre Werke, er jedoch für sein Schweigen mit der Professur belohnt worden sei. Roland Hills beredtem, sympathischen Lebensbild, der ersten biographischen Erfassung dieses Universalgelehrten überhaupt, ist zu danken, viele interessante Geheimnisse aus Actons Zettelkasten ans Licht geholt zu haben.

Roland Hill: "Lord Acton". Yale University Press, New Haven 2000. XXIV, 548 S., geb., 25,- brit. Pfund.

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Der englische Historiker Lord Acton hat zwar kein großes Buch geschrieben, war aber dennoch einer der größten Gelehrten seiner Zeit, schreibt der Rezensent mit dem Kürzel "cjos". Nicht nur als liberaler Katholik war er ein Schwieriger, als Zugehöriger des europäischen Adels widersetzte er sich nationaler Vereinnahmung, legte sich wegen seiner Ablehnung des Unfehlbarkeitsdogmas mit der katholischen Kirche an und focht auch als Unterhausabgeordneter so manchen Streit aus. Für "cjos" ist Lord Acton ein "liberaler Visionär", der die beiden Absolutismen des folgenden Jahrhunderts vorausgesehen und abgelehnt habe. Der Rezensent begrüßt es sehr, dass diese "große Biografie" nun in einer "gelungenen deutschen Übersetzung" nachzulesen ist.

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