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Russland im 19. Jahrhundert: Vor vielen Jahren hat der Fürst Nechljudow die junge Maslowa verführt. Jetzt ist er Geschworener, sie aber sitzt als Prostituierte auf der Anklagebank. Und Nechljudow erkennt: Er allein trägt die Schuld an ihrem unendlichen Elend. Wie soll er mit diesem Wissen weiterleben? Im Tiefsten getroffen folgt Nechljudow der Maslowa nach Sibirien in die Verbannung. "Auferstehung" ist eine leidenschaftliche moralische und politische Anklage, das erschütternde Vermächtnis des alten Tolstoi. Barbara Conrad, 2011 für "Krieg und Frieden" mit dem Preis der Leipziger Buchmesse…mehr

Produktbeschreibung
Russland im 19. Jahrhundert: Vor vielen Jahren hat der Fürst Nechljudow die junge Maslowa verführt. Jetzt ist er Geschworener, sie aber sitzt als Prostituierte auf der Anklagebank. Und Nechljudow erkennt: Er allein trägt die Schuld an ihrem unendlichen Elend. Wie soll er mit diesem Wissen weiterleben? Im Tiefsten getroffen folgt Nechljudow der Maslowa nach Sibirien in die Verbannung. "Auferstehung" ist eine leidenschaftliche moralische und politische Anklage, das erschütternde Vermächtnis des alten Tolstoi. Barbara Conrad, 2011 für "Krieg und Frieden" mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet, hat "Auferstehung" neu übersetzt, einen Roman, der bis heute noch viel zu unbekannt ist.
Autorenporträt
Lew Nikolajewitsch Graf Tolstoi wurde am 28. August 1828 auf dem Gut Jasnaja Poljana geboren, wo er, mit der Unterbrechung langer Reisen, sein ganzes Leben verbrachte. Er starb am 7. November 1910 auf der Bahnstation Astapovo und wurde auf Jasnaja Poljana beigesetzt. Sein Werk umfasst Romane, Erzählungen, Theaterstücke und philosophische Schriften; die beiden großen Romane Krieg und Frieden (1868) und Anna Karenina (1877) brachten ihm Weltruhm. Seitdem zählt Tolstoi zu den bedeutendsten Autoren der Literaturgeschichte. Bei Hanser erschienen Anna Karenina (2009), Krieg und Frieden (2010) und Auferstehung (2016).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Urs Heftrich liest Lew Tolstois letzten Roman in neuer Übersetzung schon als Filmskript. Weglassen sollte ein künftiger Regisseur allerdings seiner Meinung nach Tolstois nervende Frömmelei, mit der er seinen moralisch darbenden Helden im Buch laut Heftrich unentwegt bedenkt. Nächstenliebe und Verzicht auf Sex sollen helfen? Heftrich glaubts nicht. Doch wie der Autor die Abgründe der zaristischen Strafjustiz schildert, gleichsam als Roadmovie zur Hölle, wie er Szenen der aufkeimenden Liebe zwischen seiner Hauptfigur, dem Fürsten Nechljudow, und dem Dienstmädchen Katja schafft und mit satirischem Biss Rituale verhöhnt, das hat für den Rezensenten mitunter die finster-absurde Kraft Kafkas.

© Perlentaucher Medien GmbH
"'Auferstehung' zu lesen, vielleicht sogar anstelle von zwei oder drei aktuellen Krimis, lohnt sich sehr. Man wird nämlich schlauer. 'Auferstehung' ist nicht Belletristik, sondern Nahkampf mit Gott. ... Das Buch hat großartige Passagen, in denen Tolstois Genie aufflackert und unvergessliche Bilder schafft." Tim Neshitov, Süddeutsche Zeitung, 29.12.16

"Großartig! Das Panorama, was erzählt wird, die Figuren, die auftreten, die Schilderungen aus dem Gefängnis, die Schilderungen dieses Zuges, der nach Sibirien verfrachtet wird ... Ich konnte gar nicht aufhören zu lesen!" Axel Hacke, ZDF "Das literarische Quartett", 09.12.16

"Das Großartige an dem Buch ist die Kombination: Es ist total modern, weil es praktisch dokumentarische Literatur ist. ... Gleichzeitig ist es ein Gesellschaftspanorama von einem größenwahnsinnigem Mann, der das Eigentum abschaffen will, die Kirche abschaffen will, den Staat abschaffen will und das alles mit dem Mittel des Romans zu erreichen versucht. ... Es ist Barbara Conrad so toll gelungen, es nicht blöd zu gegenwartisieren, sondern einfach zu entstauben und eine schöne Sprache zu finden." Volker Weidermann, ZDF "Das literarische Quartett", 09.12.16

"Wozu überhaupt noch Gegenwartsautoren lesen, wenn man doch auch mit den Russen durch den Winter käme?" Die Welt, 03.12.16

"Vollständig ist das Bild des Tolstoischen Werks nur mit diesem letzten seiner Riesenromane. Gnadenlos und gesellschaftspolitisch radikal." Die Zeit, 24.11.16

"Eine geschmeidige Neuübersetzung, die durchaus zur Lektüre verlockt. ... Gesellschaftsromane - dies sind Tolstois belletristische Werke immer. Und dennoch versucht keiner der Romane so penibel wie 'Auferstehung', die Totalität aller Lebensbereiche, aller Institutionen, aller Klassen von Menschen, all ihrer Affekte und seelischen Stimmungen so vollständig und mit geradezu fanatischem Eifer zu katalogisieren wie dieses Werk." Hannelore Schlaffer, Neue Zürcher Zeitung, 09.11.16

"Eine vollständig neue Übersetzung, die alle Eigenheiten des Originals mit erfreulicher Präzision wiedergibt." Urs Heftrich, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.10.16

"Barbara Conrad, die dicht an seinen Sätzen bleibt, hat die Vorlage in ein kräftiges, modernes Deutsch gebracht. Sie sorgt überdies mit Anmerkungen und dem Nachwort für hilfreiche Informationen über Autor, Roman und Zeit. So großartig, auch so attraktiv ist der Roman lange nicht präsentiert worden. Der Verlag hat »Auferstehung« in seiner wunderschönen, inzwischen vielbändigen Klassikedition herausgebracht, einer Reihe, die allein durch die noble, hochwertige Ausstattung (Dünndruck und Einbände in Leinen) entzückt." Klaus Bellin, neues-deutschland.de, 26.11.16
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2016

Erlösung ist hier nur für die Heteros vorgesehen

Ein umstrittenes Buch, gerade weil es heute wieder so aktuell wirkt: Lew Tolstois später Roman "Auferstehung" wird neu aus dem Russischen übersetzt.

Von Urs Heftrich

Es ist seltsam: "Krieg und Frieden" und "Anna Karenina", die beiden Romane, mit denen Lew Tolstoi sich in den Kanon der Weltliteratur einschrieb, haben zwar eine Flut von Verfilmungen ausgelöst, und die Karenina reitet seit jeher ganz oben auf dieser Welle. Alle paar Jahre fühlt sich ein Studio bemüßigt, eine neue, noch edelschönere Anna auf die Leinwand zu bringen oder eine noch jüngere Kitty noch verschämter erröten zu lassen. Was alle diese Kostümschinken aber verbindet, ist, dass sie die Entwicklung des Kinos als Kunstform um keinen Deut vorangebracht haben.

Anders steht es mit den Werken aus Tolstois Spätzeit, als der Schriftsteller sein Genie endgültig unter die Fuchtel des Weltverbesserers stellte, der im Grunde von Anfang an in ihm steckte. Paradoxerweise haben ausgerechnet diese Texte, moralisierende Erzählungen wie "Vater Sergius", "Der gefälschte Kupon", "Das Göttliche und das Menschliche" und Tolstois letzter Roman, "Auferstehung" von 1899, einige der originellsten Regisseure der Filmgeschichte inspiriert, von D. W. Griffith über Robert Bresson bis zu den Brüdern Taviani. Woran liegt das? Die Brüder Taviani, die nicht weniger als drei Alterswerke Tolstois, darunter auch "Auferstehung", auf Zelluloid bannten, haben dafür eine zweischneidige Erklärung: Die zwei großen Epen des Meisters seien schlicht zu vollkommen, als dass man Hand an sie legen dürfte. Fällt der dritte Roman gegen seine beiden Vorgänger also dermaßen ab, dass er eher zur Drehbuchvorlage taugt - wie so viel zweitrangige Literatur?

Wer sich selbst ein Urteil bilden möchte, hat jetzt die Gelegenheit dazu, da der Carl Hanser Verlag nach "Anna Karenina" (2009) und "Krieg und Frieden" (2010) nun noch "Auferstehung" in einer vollständig neuen Übersetzung präsentiert, die alle Eigenheiten des Originals mit erfreulicher Präzision wiedergibt. Gleich der lange erste Satz, dem ein Sperrfeuer von vier Zitaten aus den Evangelien vorangeht, zeigt den Ideologen Tolstoi in Aktion: "Wie sehr die Menschen, die sich zu Hunderttausenden auf einem kleinen Erdenfleck angesammelt hatten, diese Erde, auf der sie sich drängten, zu verunstalten suchten, wie sehr sie sie mit Steinen zupflasterten, damit nichts mehr auf ihr gedeihen konnte, wie sehr sie noch jedes Kräutchen, das da keimte, wegrupften, wie sehr sie alles mit Steinkohle und Petroleum verqualmten, wie sehr sie die Bäume stutzten und Tiere und Vögel samt und sonders verjagten - der Frühling war Frühling, selbst in der Stadt."

Es ist verblüffend, wie aktuell dieser Romanauftakt heute wirkt. Äußerst kompakt, in einem einzigen Satz, beschwört Tolstoi hier die Umweltzerstörung durch fossile Brennstoffe, die Verwandlung des urbanen Raums in Steinwüsten, den Artenschwund - kurz: die Verdrängung der natürlichen Lebensgrundlagen durch das massierte Auftreten unserer eigenen Spezies. So weit, so hellsichtig. Nur ist beim späten Tolstoi das Luzide nie ohne dessen dunkle Kehrseite zu haben, die Diagnose nicht ohne einen ungesunden Therapievorschlag. Wer weiterliest, wird beides allzu bald kennenlernen: den tiefsitzenden, antiaufklärerischen Hass auf das moderne Leben schlechthin, auf sexuelle Freizügigkeit als angebliche Wurzel allen Übels, und die Rückkehr zum Buchstaben einer - von Tolstoi freilich kräftig zensierten - Bibel als Remedium. Wenn die Romanhandlung im letzten Kapitel von "Auferstehung" sich darin auflöst, dass wir seitenweise das Evangelium nach Matthäus zitiert bekommen, fragen wir uns das Gleiche wie Tolstois Protagonist: "Es kann doch nicht sein, dass das so einfach ist."

Fatalerweise will uns Tolstoi aber genau dies weismachen. Er stellt seinem moralisch darbenden Helden als Heilmittel dasselbe Rezept aus, das er in der berüchtigten Nachschrift zur "Kreutzersonate" gleich der ganzen Menschheit verschrieb: Universale Nächstenliebe und der Verzicht auf Sex, in Kombinationspackung täglich angewendet, sollen die Rettung bringen. Nach mehr als 600 Seiten des Mitfieberns mit dem zentralen Liebespaar erfahren wir, was "Auferstehung" im Sinne Tolstois heißt: Fürst Nechljudow und Katja Maslowa können am Ende des gemeinsamen Leidensweges nur deshalb geistig zusammenfinden, weil sie jedes sinnliche Begehren in sich ausgelöscht haben.

Dieser Leidensweg führt über die volle Distanz der russischen Weiten, vom Westen des Imperiums bis in die sibirischen Straflager. Es ist ein Weg in die Hölle, in doppeltem Sinn: eine lange Fahrt in die Abgründe der zaristischen Strafjustiz und zugleich ein Sühneweg, auf dem der Held für seine Ursünde bezahlt. In einem gewaltigen Roadmovie der Zerknirschung sucht Tolstois Alter Ego Nechljudow Absolution für eine Jugendsünde: die Verführung des Dienstmädchens Katja. Die Geschichte basiert, wie Barbara Conrad in ihrem aufschlussreichen Nachwort rekonstruiert, auf einer wahren Begebenheit, die Tolstoi von einem befreundeten Juristen erzählt wurde. Ein Herr aus dem Adel wirkt bei Gericht an der Verurteilung einer straffällig gewordenen Prostituierten mit - nur um zu entdecken, dass niemand anderer als er selbst es war, der die Angeklagte einst verführt und damit auf den Pfad der Sünde gestoßen hat. Diese russische Variante des "Zerbrochenen Kruges" war für Tolstoi aber weit mehr als lediglich eine passende Vorlage für einen zeitkritischen Roman; sie hielt ihm einen Spiegel vor.

Der Appetit des Gutsherrn von Jasnaja Poljana auf seine weiblichen Untergebenen war enorm und für einen Schriftsteller mit solch hohen ethischen Ansprüchen ein Quell enormer Gewissensbisse. Für große Männer im Büßerhemd scheint das Verdrießlichste an ihren kleinen Schwächen, dass man sie für klein halten könnte. Tolstois Lösung des Dilemmas bestand denn auch in einer grandiosen Verteufelung der Sexualität - buchstäblich, wie etwa seine späte Erzählung "Der Teufel" belegt. Auch "Auferstehung" hebt das Drama des Eros auf die größte verfügbare Bühne. Manch einer hätte daraus die Funken für eine Komödie geschlagen. Nicht so Tolstoi. Das gesamte Elend des russischen Strafvollzugs der Jahrhundertwende ist ihm gerade elend genug als Kulisse für seine eigene liebe Not mit der Keuschheit.

Man fände das vermutlich grotesk, wäre Tolstoi ein minder begnadeter Autor. Denn die Natürlichkeit, mit der er das Aufkeimen der ersten, noch schüchternen Liebe zwischen Katja und dem Fürsten beschreibt, steht den entsprechenden Szenen aus "Anna Karenina" und "Krieg und Frieden" kaum nach. Der satirische Biss, mit dem er einen Gefängnisgottesdienst als hohles Ritual, bar allen Trostes für die Betroffenen, entlarvt, hat der Literaturwissenschaft einen Mustertext für die Verfremdungstheorie geliefert. Und die Präzision, mit der er einen Justizapparat auseinandernimmt, dem es statt um Gerechtigkeit allein darum geht, die in sein Räderwerk Geratenen, ob schuldig oder unschuldig, in Sibirien abzuliefern, nimmt in ihrer düsteren Absurdität Kafka vorweg. Tolstoi hat für diese Kapitel seines Romans, wie Barbara Conrad zeigt, intensive Nachforschungen angestellt.

Nur an einer Stelle schweigt ihr vorzüglicher Kommentar, wo er eigentlich Bände sprechen könnte. Es geht um die nach Paragraph 995 Verurteilten. Dieser Paragraph, von dem Finsterling Nikolaus I. ins russische Recht eingeführt, stellte das "Beiliegen unter Männern" unter Strafe. Das wäre eine Marginalie, machte Tolstoi, der in "Auferstehung" doch so beredt dafür wirbt, man solle alles verzeihen, von seinem obersten Gebot nicht selbst just dort eine Ausnahme, wo es um Homosexualität geht. Die Häme, mit der er einen als "995er" Überführten schildert, die Kälte, mit der er in diesem Fall offenbar für die volle Härte des Gesetzes eintritt, ist nicht einfach nur inkonsequent. Sie ist verräterisch, wenn man weiß, dass derselbe Tolstoi schon ein halbes Jahrhundert zuvor, am 29. November 1851, in seinem Tagebuch eine Liste der Männer aufstellte, für die er bis dato entflammt war. Die Liste ist lang - und längst nicht erschöpfend. Welch Thema für einen Film!

Lew Tolstoi: "Auferstehung". Roman.

Aus dem Russischen und kommentiert von Barbara Conrad. Hanser Verlag, München 2016. 717 S., geb., 38,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.12.2016

Nahkampf
mit Gott
Tolstois letzter Roman „Auferstehung“ in neuer
Übersetzung. Der Autor selbst hielt ihn für verpfuscht
VON TIM NESHITOV
Auferstehung“ hat in Russland den Ruf, der am wenigsten gelesene Roman von Lew Tolstoi zu sein. Tolstoi hat, das vergisst man angesichts seiner Dauerwirkung auf die Weltliteratur, nur drei Romane geschrieben, „Krieg und Frieden“, „Anna Karenina“, „Auferstehung“, in dieser Reihenfolge. Was für einen „Ruf“ ein Buch hat, ist natürlich nicht so wichtig. „Krieg und Frieden“ etwa hat den hartnäckigen Ruf, dass russische Mädchen in der Schule nur die Salon- und Liebesszenen lesen und die Kriegsszenen überblättern, während die Jungs das Gegenteil tun.
Im Vergleich zu den anderen Romanen Tolstois ist „Auferstehung“ schwer verdaulich. Weil im Grundton pathetisch und stellenweise künstlich zusammengewürfelt, als hätte Tolstoi keine Lust mehr am Schreiben gehabt, sondern die Geschichte nur zu Ende bringen wollen. Seine Tagebücher bestätigen diesen Eindruck. 5. Januar 1897: „Wollte mir Auferstehung wieder durchlesen und habe an der Stelle, wo er zu heiraten beschließt, angeekelt aufgehört. Alles unrecht, konstruiert, schwach. Es ist schwer, Verpfuschtes besser zu machen … Werde den Roman wohl kaum vollenden. Es ist alles sehr verpfuscht.“
Tolstoi vollendete den Roman zwei Jahre später, nach mehr als zehn Jahren Arbeit, vor allem weil er Geld brauchte. Er unterstützte die Sekte der Duchoborzen (Geistkämpfer), die von der russisch-orthodoxen Kirche verfolgt wurde. Die Duchoborzen verweigerten den Kriegsdienst, lehnten eine weltliche Regierung ab und hatten, wie Graf Tolstoi, ein großes Problem mit der Übermacht der orthodoxen Kirche. Tolstoi sammelte Geld, um ihre Übersiedlung nach Kanada zu finanzieren.
Der Roman war eine schwere Geburt, aber er verkaufte sich prächtig und wurde in viele Sprachen übersetzt – zwölf Übersetzungen in zwei Jahren allein in Deutschland –, aus dem einfachen Grund: Tolstoi war Tolstoi. Man sehnte sich 22 Jahre nach „Anna Karenina“ nach einem neuen Tolstoi, wie man heute sagen würde. Und weil Tolstoi Tolstoi bleibt, ist es nun eine gute Idee vom Hanser-Verlag gewesen, „Auferstehung“ neu zu verlegen in der klugen Übersetzung von Barbara Conrad und mit einem Nachwort, das die Entstehungsgeschichte verdeutlicht.
„Auferstehung“ zu lesen, vielleicht sogar anstelle von zwei oder drei aktuellen Krimis, lohnt sich sehr. Man wird nämlich schlauer. „Auferstehung“ ist nicht Belletristik, sondern Nahkampf mit Gott. Der späte Tolstoi ist angewidert von der Beschaffenheit der Welt, insbesondere von den Gesetzen der Menschen, von ihren institutionalisierten Lügen, und er will seine entsetzte Fassungslosigkeit einfach nur noch schwarz auf weiß aufschreiben, ohne schöne Worte und ohne erzählerische Spannungsbögen. Ein Satz kann dann so klingen: „Das, was Nechljudow im Laufe dieser drei Monate gesehen hatte, stellte sich ihm folgendermaßen dar: Unter sämtlichen in Freiheit lebenden Menschen wurden mit Hilfe von Justiz und Administration immer die sensibelsten, leidenschaftlichsten, reizbarsten und begabtesten, die stärksten und nicht so schlauen und vorsichtigen wie andere abgesondert, und diese Menschen, die keineswegs mehr Schuld auf sich geladen hatten oder gefährlicher für die Gesellschaft waren als diejenigen, die in Freiheit blieben, wurden in Gefängnisse, Etappengefängnisse und Zuchthäuser weggesperrt, wo sie monate- und jahrelang in völliger Untätigkeit gehalten wurden, materiell versorgt, aber fern von Natur, Familie und Arbeit, das heißt außerhalb aller Voraussetzungen für ein natürliches und sittliches Menschenleben.“
Ein genialer Schriftsteller verzichtet hier absichtlich auf sämtliche Mittel der Literatur und etabliert auf 700 Seiten einen minimalistischen, spuckdirekten, postliterarischen Stil, der ihm als die einzige ehrliche Form zu schreiben erscheint. Tolstoi stellte die ganze Gattung Roman infrage. In einem Brief an den Schriftstellerkollegen Nikolai Leskow schrieb Tolstoi, während er sich an „Auferstehung“ abquälte: „… man sollte sich doch schämen, über Menschen zu schreiben, die nicht gelebt, nichts dieser Art getan haben. Das ist nicht das Rechte. Ob sich diese künstlerische Form überlebt hat, ob es mit den Erzählungen, oder ob es mit mir zu Ende geht?“
Mit Tolstoi ging es schriftstellerisch leider tatsächlich zu Ende, und dieses jahrhundertgroße, kinoreife Drama (Armin Mueller-Stahl würde in der Hauptrolle glänzen) wird nur greifbar, wenn man „Auferstehung“ liest. Auf der Oberfläche ist es die Geschichte eines jungen Lebemannes, der ein Dienstmädchen schwängert und abhaut. Jahre später begegnet er ihr im Gericht: Er ist Schöffe, sie Angeklagte. Sie arbeitet nun im Bordell und soll einen Kunden vergiftet und ausgeraubt haben. Der Lebemann verspürt Gewissensbisse und folgt der Frau in die Verbannung nach Sibirien, in der Absicht, sie zu heiraten. (Eine ähnliche Geschichte hatte sich in Russland tatsächlich zugetragen und Tolstoi das Gerüst für seinen Roman geliefert.)
In Wirklichkeit ist „Auferstehung“ die Geschichte einer wachsenden Verzweiflung. Einer Verzweiflung an der Welt, die Tolstoi am Ende, im Alter von 82 Jahren, zur Flucht von seinem Gut und zum Tod an einer Bahnstation treiben wird. Das Buch hat großartige Passagen, in denen Tolstois Genie aufflackert und unvergessliche Bilder schafft. Etwa die Szene mit dem alten General, dem obersten Gefängnisaufseher von Sankt Petersburg, der einen jungen Künstler zu sich einlädt, um mit der Seele der Johanna von Orleans Kontakt aufzunehmen. „Die schlanken, schwachen, feuchten Finger des Künstlers waren zwischen die runzligen, in den Gelenken verknöcherten harten Finger des alten Generals geschoben, und diese vereinten Hände zuckten mit dem umgedrehten Schälchen krampfhaft über das Papier, auf dem sämtliche Buchstaben des Alphabets dargestellt waren.“
Aber solche Szenen sind selten. Zur Tragik des späten Tolstoi gehört auch, dass er seinen letzten Roman mit ausgiebigen Zitaten aus dem Evangelium beendet, also aus einem Buch, an das er nicht mehr wirklich glaubte.
Der späte Tolstoi ist
angewidert von der
Beschaffenheit der Welt
Lew Tolstoi: Auferstehung. Roman. Aus dem Russischen neu übersetzt von Barbara Conrad. Carl Hanser Verlag, München 2016. 717 Seiten, 38 Euro.
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