19,90 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Sofort lieferbar
payback
0 °P sammeln
  • Gebundenes Buch

1 Kundenbewertung

Carrer Robadors, das ist, mitten in Barcelona, die Straße der Diebe, Nutten und Junkies. Hier lebt, illegal und ohne Papiere, Lakhdar, 20 Jahre alt, aus Marokko. Gejagt von der Polizei, versteckt er sich auch vor der islamistischen Gruppe, für die er in Tanger gearbeitet hat. Politisch gleich weit entfernt von den Islamisten wie von den "Indignados", denen sich seine Geliebte Judit angeschlossen hat, hat er nur eines im Kopf: zu sündigen und zu beten, wann ihm danach ist, kurz: frei zu sein. Dann taucht Bassam auf. Die Anzeichen, dass sein Jugendfreund in Spanien ein Attentat plant, mehren…mehr

Produktbeschreibung
Carrer Robadors, das ist, mitten in Barcelona, die Straße der Diebe, Nutten und Junkies. Hier lebt, illegal und ohne Papiere, Lakhdar, 20 Jahre alt, aus Marokko. Gejagt von der Polizei, versteckt er sich auch vor der islamistischen Gruppe, für die er in Tanger gearbeitet hat. Politisch gleich weit entfernt von den Islamisten wie von den "Indignados", denen sich seine Geliebte Judit angeschlossen hat, hat er nur eines im Kopf: zu sündigen und zu beten, wann ihm danach ist, kurz: frei zu sein. Dann taucht Bassam auf. Die Anzeichen, dass sein Jugendfreund in Spanien ein Attentat plant, mehren sich, Lakhdar muss gegen ihn Stellung beziehen ... Ein pikaresker Abenteuerroman des großen Stilisten Mathias Enard.
Autorenporträt
Mathias Enard, 1972 geboren, lebt in Barcelona und Niort. Für den Roman Kompass erhielt er den Prix Goncourt, 2017 den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung. 2021 erschien sein Roman Das Jahresbankett der Totengräber und zuletzt Der perfekte Schuss (2023).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.08.2013

Ganz Europa wird brennen

Wohin diese Reise geht, ist schwer zu sagen: Mathias Énards "Straße der Diebe" ist ein bisschen Bildungsroman, etwas Abenteuerroman und ein Schuss Krimi.

Aus Frankreich erreichen uns in diesem Bücherherbst - der strenggenommen bereits ein Büchersommer ist, denn die ersten wichtigen Neuerscheinungen sind schon da - zwei Romane, die besondere Aufmerksamkeit beanspruchen. Zum einen erscheint in einigen Wochen der dicke, hochgelobte und, wie die Presseabteilung des Verlags nicht müde wird zu betonen, mittlerweile zu Hunderttausenden verkaufte Debütroman des erst 28 Jahre alten Joël Dicker. Zum anderen ist soeben der neue Roman von Mathias Énard veröffentlicht worden. Und Énard ist einer, dessen Büchern wir spätestens seit dem hervorragenden Mannutroman "Zone" (F.A.Z. vom 30. Oktober 2010), der eine in einem einzigen Satz geschriebene tour de force durch die Geschichte des Mittelmeerraums bot, immer erwartungsfroh entgegensehen.

Sein neues Buch heißt "Straße der Diebe" und wird, um es gleich zu sagen, diesen Erwartungen leider nicht gerecht. Dabei erfüllt der Roman nahezu mustergültig einige der Ansprüche, die zumindest in Deutschland immer wieder an die Gegenwartsliteratur gestellt werden. Vor allem aber zieht er seinen Stoff unmittelbar aus der Aktualität. Denn Énard hat die Geschichte des jungen Marokkaners Lakhdar vor dem Hintergrund der nach wie vor schwelenden Revolten in Ägypten, Tunesien und Libyen, des Bürgerkriegs in Syrien, aber auch der europäischen Krise angesiedelt. Allerdings will der damit verbundene Versuch, das Schicksal eines Einzelnen mit einem Panorama über die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse dies- und jenseits des Mittelmeeres zu verquicken, nicht recht gelingen.

Lakhdar lebt in der Banlieue von Tanger. Er wirkt, trotz bescheidener Verhältnisse, nicht unglücklich und ist entsprechend verzweifelt, als er eines Tages beim heimlichen Liebesspiel mit seiner Kusine vom Vater überrascht wird. Wie die Sitten es vorschreiben, muss Lakhdar die Familie daraufhin verlassen. Zwei Jahre lang irrt er durchs Land, bettelt, prostituiert sich, wird misshandelt und verhaftet und ersucht schließlich seinen Jugendfreund Bassam um Hilfe. Der, ein einfacher, gutmütiger Kerl, der sich für nichts so begeistern kann wie für vorbeilaufende Touristinnen in engen T-Shirts, organisiert Lakhdar Unterschlupf bei einer "Gruppe zur Verbreitung des koranischen Gedankenguts".

Hier gewährt man Lakhdar nicht nur ein eigenes Zimmer, sondern auch einen kleinen Vorschuss und vertraut ihm überdies die Verwaltung der Bücherbestände an, die überwiegend aus saudi-arabischer Erbauungsliteratur bestehen. Und hier bekommen wir es zum ersten Mal mit einem auch für den weiteren Verlauf des Buches typischen Glaubwürdigkeitsproblem zu tun, was die Person dieses Lakhdar angeht. Denn man fragt sich: Wie kann einer, der zwei Jahre lang in Marokko auf der Straße lebte, so naiv geblieben sein, dass er nicht sofort begreift, welchen Preis die Großzügigkeit dieser offensichtlich sehr religiösen Gruppe eines Tages haben könnte?

Dass es so weit schließlich nicht kommt, hat Lakhdar denn auch keineswegs eigenem, gar entschiedenem Handeln zu verdanken, sondern einer Reihe von Zu- und Glücksfällen, auf die der Roman immer wieder zurückgreift, wenn die Geschichte sich anders nicht voranbringen lässt. So begegnet er auf einem seiner Streifzüge durch die Stadt der spanischen Studentin Judit. Sie will Arabisch lernen, er liebt Bücher und hilft ihr gern. Die beiden verbringen ein paar magische Tage in Tunis, und schon bald wird Lakhdar der Traum vom Exil in Spanien, den er, anders als viele seiner Altersgenossen, eigentlich nie gehegt hat, ständig begleiten. Es würde an dieser Stelle zu weit führen, die verschlungenen Pfade, auf denen es Lakhdar irgendwann tatsächlich gelingt, nach Barcelona zu reisen, nachzuzeichnen. Erwähnenswert ist nur, dass wir mit ihm abermals einer Reihe von Personen begegnen, etwa dem alten Seemann Saadi und dem spanischen Bestatter Cruz, die dem jungen Marokkaner aus Gründen, die sich dem Leser nicht erschließen, freundlich gesinnt sind und ihm helfen.

Das Fehlen plausibler Verbindungen, das die Figurenkonstellation insgesamt kennzeichnet, setzt sich auch auf einer anderen Ebene fort. Énard lässt seinen Protagonisten, der als Ich-Erzähler durchs Geschehen führt, eine Reihe von politischen Überlegungen anstellen. So kommt die Rede oft auf den Anschlag, der im April 2011 ein Café in Marrakesch verwüstete und mehrere Menschen tötete. Immer wieder geht es um die Aufstände in der arabischen Welt und um die schwierige wirtschaftliche Lage in Spanien. Das klingt dann zum Beispiel so: "Natürlich war Barcelona anders, hier gab es die Demokratie, aber man spürte, dass all das auf der Kippe stand, dass es nicht viel brauchte, damit sich auch hier im ganzen Land Gewalt und Hass ausbreiteten, dass Frankreich folgen würde und dann Deutschland, dass ganz Europa brennen würde wie die arabische Welt."

Das mag Lakhdar durchaus so sehen. Das Problem ist aber, dass er hier Verallgemeinerungen walten lässt, über die er sich an anderer Stelle zu Recht beklagt, etwa als er einmal bemerkt: "Die Einheit der arabischen Welt existierte nur in Europa." Außerdem klingen die Exkurse bei ihm immer ein wenig so, als referierte er einen schlecht geschriebenen Leitartikel. Denn der Lakhdar, den die Leser kennenlernen, ist kein Mann, aus dessen Mund sich eine so umfassende Analyse der arabischen und europäischen Probleme besonders glaubwürdig anhört.

Vielmehr erscheint es daher so, als habe sich der einundvierzigjährige Autor Mathias Énard, der eigentlich ein intimer Kenner der Materie ist, weil er als Arabisch-Dozent an der Universität in Barcelona lehrt und mehrere Jahre in verschiedenen Ländern des Orients gelebt hat, nicht richtig entscheiden können, welche Geschichte er seinem Protagonisten denn nun angedeihen lassen wollte. Sollte es ein Bildungsroman werden, ein Abenteuerroman oder ein Krimi? "Straße der Diebe" hat von alldem etwas und doch von allem nicht genug.

LENA BOPP

Mathias Énard: "Straße der Diebe". Roman.

Aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller. Hanser Berlin Verlag, Berlin 2013. 345 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Lobend nimmt Elise Graton den neuen Roman von Mathias Énards auf. "Straße der Diebe" erzählt für sie packend von einem jungen Marokkaner, der von zu Hause wegläuft, von einer Gruppe Islamisten unterstützt wird, vor der er schließlich nach Barcelona flieht, wo er illegal lebt, bis er mit seiner Vergangenheit konfrontiert wird. Dem Autor gelingt in ihren Augen zugleich ein präzises und bedrückend überzeugendes Panoramabild der arabischen Revolutionen und der europäischen Wirtschaftskrise und ihrer Auswirkungen. Mit der abenteuerlichen Geschichte seines Protagonisten erweist sich Énard zur Freude der Rezensentin einmal mehr als "meisterlicher Geschichtenerzähler" und "präziser Chronist der Geschichte".

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.09.2013

Der Geschmack des Lebens
In seinem Roman „Straße der Diebe“ verliert sich Mathias Énard
mit seinem Helden zwischen Tanger und Barcelona
VON JOSEPH HANIMANN
Wenn eine gut erzählte Geschichte schon einen guten Roman ergäbe, wäre dies ein ganz hervorragender Roman. Dies ist leider nicht der Fall. Mathias Énard, der mit seinem monumentalen Werk „Zone“ und dann mit dem reizvoll minimalistischen „Erzähl ihnen von Schlachten, Königen und Elefanten“ die Randformen des Romans ausprobiert hat, wollte sich hier offenbar im konventionelleren Register eines Zeitspiegels zwischen Thriller und kritischer Auseinandersetzung versuchen. Arabischer Frühling und spanische „Indignados“, Terroranschlag in Marrakesch und Liquidierung Osama bin Ladens in Pakistan, afrikanische Flüchtlingsleichen auf den Stränden Europas und Migrantenschicksale an der Bruchkante der europäischen Sozialkrise werden in diesem Buch aufgeboten.
  Die Geschichte des jungen Marokkaners Lakhdar, der auf seinem Lebensweg von Tanger nach Barcelona an den Abgründen dieser Aktualität vorbeistolpert, ist aber so brav auf das chronologische Handlungsraster gefädelt, dass Hauptsache und Hintergrund, Anekdote und Weltgeschehen seltsam durchhängen. Wohl ist das Buch – zugleich Schelmenroman, Krimi und zeitgeschichtliches Feature – unterhaltsam und spannend. Die unerwarteten Durchblicke und originellen Figuren gehen aber unter im Ballast von Standard und Klischee. Trotz der literarischen Spiegeleffekte von Ibn Battuta bis Mohamed Choukri und Nagib Machfus blättern die Romanszenen von der weltpolitischen Unterlage wie Bildminiaturen unter zu schnell getrocknetem Lack.
  Lakhdar und sein Freund Bassam gehören zu den jungen Zukunftswaisen, die auf den Felshängen von Tanger den ausfahrenden Schiffen nachschauen, von Weggehen, Erfolg und europäischen Mädchen träumen – ein Motiv, das nach Tahar Ben Jellouns „Verlassen“ und Boualem Sansals „Harraga“ schon ein literarischer Topos geworden ist. Lakhdar, wegen einer Liebesaffäre mit seiner Cousine von der Familie verstoßen, ist beim Herumhängen zwischen Tanger und Casablanca auf den Geschmack des Lesens gekommen. Bei einer „Muslimischen Gruppe zur Verbreitung des koranischen Gedankenguts“ findet er Unterschlupf. Er frönt zwar weiterhin seinem Laster der Krimilektüre, lässt sich aber auch zur Schlägertour gegen „gotteslästerliche“ Buchhandlungen mitnehmen.
  Die Bekanntschaft mit einer spanischen Studentin bringt dem Wunsch nach Weggehen dann weiteren Auftrieb. Über unwahrscheinliche Zwischenstationen kommt der junge Mann bis nach Barcelona in die Carrer Robadors, die Straße der Diebe, Nutten und sonstiger Nachtgestalten, die dem Roman den Titel gibt. Lakhdars spanische Freundin Judit hat da zwar etwas weniger Zeit für ihn, sie ist bei den „Empörten“ engagiert und hat überdies auch noch andere Probleme. Dafür melden sich, bedrohlich verändert, Lakhdars verschollener Freund Bassam und sein ehemaliger Mentor, Cheikh Nouredine, aus der „Muslimischen Gruppe“ zurück.
  Das alles ergäbe Stoff für einen Roman, bei dem man stockt, sich wundert, aus gewohnten Denkbildern fällt. Solche Momente kommen aber zu spärlich und zu spät. Dem Autor scheint es zunächst eher aufs wirksame Erzählen angekommen zu sein. Wie die Hauptfigur aus ihren Klischeeträumen von „Ärschen, Blondinen, schnellen Schlitten, Whisky und Knete“ innert zwei Jahren zur Liebe für klassische arabische Literatur, zur Vertiefung in Koransuren und zum aufrichtigen Bedürfnis nach Beten gelangt, bleibt schleierhaft. Interessant ist zwar, dass die Leute aus der „Islamischen Gruppe“ nicht als zähnefletschende Fundamentalisten auftreten, sondern als weltgewandte Drahtzieher eines skrupellosen politischen Geschäfts zwischen Saudi-Arabien und Europa, beziehungsweise als deren gestresste Handlanger. Doch bleibt ihre Darstellung schemenhaft.
  Die Habenichtse von Globalisierung und Emigration wiederum, die in der Carrer Robadors per Internet und SMS ihre Verbindungsnetze spinnen, wirken konventionell und die in die Romanhandlung eingestreuten Weltereignisse wie die Tötung Osama bin Ladens bleiben bloße Aktualitätskulisse. Zu den wenigen originellen Figuren gehört jener Señor Cruz, für den Lakhdar zeitweilig arbeitet: ein Mann, der für die spanischen Behörden an den Stränden Flüchtlingsleichen einsammelt und den Angehörigen zurückbringt, zu sechzig Euro pro Stück und Verwahrungstag. Er ist ein seltsames Wesen, das die Toten respektiert, zugleich in seiner Freizeit aber stundenlang auf Youtube sich Folterszenen reinzieht, bis er dem Ganzen auf grässliche Weise ein Ende setzt.
  Er wolle nichts weiter als die Freiheit zu reisen, Geld zu verdienen, zu vögeln, zu beten, zu sündigen oder Krimis zu lesen, wenn er Lust dazu habe, sagt Lakhdar und beklagt sich über die Islamisten, „die uns unsere Religion stehlen“, wie auch über die arabische Linke, „die immer einem Streik hinterherhinkt“. Dieser Individualismus führt den jungen Mann am Schluss zu einer großen Tat zwischen Heroismus und Wahnsinn, die nach der Inkohärenz des Vorhergehenden aber anekdotisch verglüht.
  Es ist dem in Barcelona lebenden Énard leider nicht gelungen, seinen scharfen Sinn für Zeitprobleme, sein tiefes Verständnis für die arabische Welt und sein großes Erzähltalent bündig zusammenzubringen. Was ein grandioses Buch hätte werden können, bleibt ein guter, gut lesbarer Roman, nicht zuletzt dank der soliden Übersetzung, die den dünnen Faden zwischen Thriller und Zeitporträt nie reißen lässt.
Mathias Énard: Straße der Diebe. Roman. Aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller. Carl Hanser Verlag, München 2013. 350 Seiten, 19,90 Euro.
Lakhdar und Bassam gehören zu
den jungen Zukunftswaisen, die in
Tanger den Schiffen nachschauen
Tanger, Träume: Mathias Énards Helden wollen weg, übers Meer.
FOTO: FRANCESCO COCCO/CONTRASTO/LAIF
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr
"Die Faszination, die von Mathias Enards Roman ausgeht, verdankt der Text neben seiner Aktualität der düsteren, unheilschwangeren Atmosphäre. Zudem lassen seine langen, verschlungenen Sätze den Leser nicht mehr los und ziehen ihn in den Roman - vor allem die albtraumhaften Passagen sorgen für verstörend sinnliche Leseerlebnisse." Georg Renöckl, Neue Zürcher Zeitung, 25.02.14