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John Burnside ist nicht nur ein großartiger Romanautor, sondern auch der bedeutendste schottische Dichter der Gegenwart. Burnsides Lyrik handelt von einfachen Ereignissen: eine Hafenszene, eine Zugfahrt, Tiere, die durch das Licht der Scheinwerfer huschen. Seine Betrachtungen der Natur seien es Wasserlandschaften in Schottland oder der Gesang einer Amsel sind Fragen nach dem Rätsel des Seins, gestellt in unaufdringlichem Ton. Mit einer luziden, leuchtenden Sprache erkundet Burnside in seinen Gedichten den unsichtbaren Raum zwischen den Dingen an der Schwelle des Unerhörten.

Produktbeschreibung
John Burnside ist nicht nur ein großartiger Romanautor, sondern auch der bedeutendste schottische Dichter der Gegenwart. Burnsides Lyrik handelt von einfachen Ereignissen: eine Hafenszene, eine Zugfahrt, Tiere, die durch das Licht der Scheinwerfer huschen. Seine Betrachtungen der Natur seien es Wasserlandschaften in Schottland oder der Gesang einer Amsel sind Fragen nach dem Rätsel des Seins, gestellt in unaufdringlichem Ton. Mit einer luziden, leuchtenden Sprache erkundet Burnside in seinen Gedichten den unsichtbaren Raum zwischen den Dingen an der Schwelle des Unerhörten.
Autorenporträt
John Burnside, 1955 in Dunfermline, Schottland, geboren, ist einer der bedeutendsten schottischen Gegenwartsautoren. Er studierte Sprachen in Cambridge und lebt seit 1996 als freier Schriftsteller im schottischen Five. Seine Gedichtbände, Erzählungen und Romane wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Zuletzt erschienen das Erinnerungsbuch A Lie About My Father (2006), die Gedichtbände Gift Songs (2007) und The Hunt in the Forest (2009) sowie die Romane Glister (2008) und In hellen Sommernächten (2012). 2011 wurde Burnside für seinen Gedichtband Black Cat Bone mit dem T.S.-Eliot-Preis ausgezeichnet. Bei Hanser erschienen die Gedichtbände Versuch über das Licht (2011) und Anweisungen für eine Himmelsbestattung (2016).

Iain Galbraith, 1956 in Glasgow geboren, ist Schriftsteller, Übersetzer und Herausgeber. Für seine Arbeit als Übersetzer wurde er zuletzt mit dem John Dryden Prize for Literary Translation ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.04.2011

Ein Feuer aus Reisig und Sprache, das alle Dunkelheit vertreibt

Dass der Schotte John Burnside ein Erzähler von Weltrang ist, spricht sich allmählich herum. Nun ist er mit einem ersten, glänzend übersetzten Gedichtband endlich auch bei uns als eminenter Lyriker zu entdecken.

Von Tobias Döring

Feldmäuse, Fledermäuse, Füchse, Möwen und Kaninchen oder auch Blindschleichen, Frösche, Amseln, Eider, Eidechsen und Rohrdommeln: Es ist allerlei Geflügel und Getier, auf das wir hier bei der Lektüre immer wieder treffen, eigentlich alles altbekannte, einst sogar alltägliche Gefährten aus den Rand- und Zwischenzonen menschlicher Behausung, doch den meisten Stadtbewohnern mittlerweile unvertraut. Unvermittelt kreuzen sie mit einem Mal den Weg von mobilen Zivilisationsbürgern und fordern die Vorüberfahrenden zur Achtsamkeit: "In manchen Nächten können wir die Tiere nicht benennen, / die durchs Licht der Scheinwerfer huschen". Wer ihren Namen wüsste, muss man schließen, hat sie auch erkannt. Und dabei ist es gerade dieses Unbekannte, Ungebannte, Namenlose, dennoch aber irgendwie von alters her Vertraute, das am stärksten fasziniert und seine Macht entfaltet, indem es uns in Bann schlägt. Viele dieser Texte lesen sich daher wie Fundstücke einer entrückten Wirklichkeit, Findlinge aus Zeiten, da die Zyklen der Natur den Lauf der Welt bestimmten.

Das gilt auch für ihre Sprache, die oftmals wie ein spätes Echo alter Redeweisen oder Lebenswelten wirkt. Wann haben wir in zeitgenössischen Gedichten zuletzt versunkene Vokabeln wie "Räucherkate", "Pferdegeschirr" oder "Wanderlust" gelesen? Doch was daran vielleicht nach ländlicher Idylle klingen mag, hat hier so gar nichts Schlichtes und erst recht nichts angenehm Beschauliches. Bei Burnside wohnt in der Bukolik Unbehagen, und alle natürliche Geborgenheit ist unterhöhlt. Das heißt nicht, dass man sie nicht dennoch suchen sollte oder könnte, aber dass man niemals weiß, was einem in den abgelegenen Winkeln widerfährt. Auch das romantische Vokabular, das immer wieder in den Texten anklingt, bietet keine Rettung für ein verlorenes Paradies, sondern bildet bloß Versatzstücke, um Konturen aus Erinnerung und Sehnsucht sprachlich nachzustellen.

Dabei gründen viele der Gedichte in ganz konkreten Handlungen des Alltags oder jährlichen Gepflogenheiten: "Ich stehe Ende Oktober / draußen auf dem Hof, / mache aus Fallaub und Reisig ein Feuer, / aus Briefen Fidibus: Äpfel in den Flammen, / die letzten des Sommers, fallen durch die Glut." Was hier gleichermaßen unspektakulär wie bodenständig anfängt, wandelt sich beinah unmerklich zu einer geisterhaften Szenerie, die zunehmend zeremonielle Züge annimmt und in einer Wiederkehr der Toten kulminiert: "am Kanal ist diese Leere, / die wartet, gefüllt zu werden, / und angesichts des Schweigens, des Frosts in der Luft, / hätte ich das vielleicht als etwas Anderes begrüßt". Dieser Abend Ende Oktober, so zeigt sich bald, ist Halloween, das Feuer wird zu einer rituellen Geste der Beschwörung.

Zugleich wird dieser Text zur Wiederkehr vergangener Gedichte. Der Titel seiner deutschen Übersetzung, "Der Einsiedler im Herbst", gibt erst beim zweiten Hinsehen zu erkennen, was der englische Titel "The Solitary in Autumn" sogleich zeigt: es handelt sich um eine Kontrafaktur von "Der Einsame im Herbst", eines Gedichts, das uns aus Gustav Mahlers "Lied von der Erde" noch im Ohr ist und dessen exotisch-spätromantische Sprachgebung nunmehr in eigentümlicher Verfremdung - oder eher: Aneignung - erscheint. Was hier beschworen wird, sind also auch die Geister einer Tradition, mit denen sich der aktuelle Text einlässt, ohne sie doch umstandslos als seine Ahnen aufzunehmen. Solche Überblendungen und Kontinuitäten zwischen Vergangenem und Aktuellem, Abseitigem und Handgreiflich-Konkretem sind bezeichnend für diese Gedichte. Sie erkunden sämtlich Zwischenräume einer Welt, in der wir uns nur dann zurechtzufinden glauben, wenn wir ihre tiefen Risse übersehen.

Der schottische Autor John Burnside, in Großbritannien seit langem als eine der wichtigsten Stimmen der Gegenwartsliteratur etabliert, ist durch Romane wie "Die Spur des Teufels" oder "Glister" in den letzten Jahren endlich auch bei uns als der Erzähler von Weltrang, der er ist, bekannt geworden. Mit dieser zweisprachigen Auswahl von zwei Dutzend Texten aus seinen bislang zehn Gedichtbänden der zurückliegenden zwei Jahrzehnte haben wir jetzt die Gelegenheit, ihn auch als Lyriker kennenzulernen. Er zeigt sich darin gleichermaßen als entschiedener Naturlyriker, der beständig eine Sprache für organische Prozesse sucht, wie als ein Poeta doctus, der seinem Lukrez nachfolgt, wenn er über die Natur der Dinge schreibt, und der doch weiß, dass Sprache letztlich immer ihrer eigenen Natur folgt und natürliche Gegebenheiten niemals recht begreift. In dieser produktiven Verschränkung von literarischer Gelehrsamkeit mit programmatischer Bodenständigkeit steht er dem irischen Lyriker Seamus Heaney, eine Generation älter, in nichts nach: Beide haben ihre Arbeit als einen beständigen Prozess des Grabens und des Ausgrabens beschrieben, um den Dingen auf den Grund zu gehen. Bei Burnside heißt es dazu, "dass wir immer weiter graben, auch wenn es / anscheinend nichts mehr zu finden gibt - nichts / als Gespenster und unerhörte Gebete".

Der Herausgeber und Übersetzer dieser Sammlung, Iain Galbraith, gehört zu den besten Kennern der schottischen Literatur, ist im Deutschen wie im Englischen zu Hause und auch selbst als Lyriker hervorgetreten. Seine Übersetzung setzt bisweilen eigenwillige Akzente, wenn sie durch intensivierte Wortwahl einen deutlich höheren Ton anschlägt ("how it longs for stories to contain" wird so zu "wie es nach einverleibbaren Geschichten lechzt"); dabei kommt sie gar zu kreativen Ausweitungen im vertrauten deutschen Wortschatz, wenn sie (wie im oben zitierten Text) den Ausdruck "drifting leaves" durch ein neues Wort wie "Fallaub", gebildet in Analogie zu "Fallobst", wiedergibt. Immer aber zeigen die deutschen Nachdichtungen untrügliches Gespür für Assonanzen wie für rhythmische Raffinesse.

Besonders passend trifft es sich, dass die Gedichtauswahl in diesem Frühjahr zeitgleich mit Burnsides ungeheuerlichem Memoiren-Band erscheint, "Lügen über meinen Vater" (F.A.Z. vom 12. März). So gewinnen wir als Leser eine Chance, Fährten zwischen der Erinnerungsarbeit der Lyrik und Burnsides Vatergeschichten aufzunehmen und zu verfolgen, wenn beispielsweise ein Gedicht vom Knochen zwischen Handgelenk und Ellenbogen spricht, "der manchmal noch vom Bruch / vor vielen Jahren schmerzt", ein Unfall, von dem ein Kapitel aus der Kindheit ausführlich erzählt. Auch eigene Körper hat also seine Natur, die wir mit Wörtern zu begreifen suchen, und sein eigenes Gedächtnis, in das sich die persönliche Geschichte schmerzhaft einschreibt. Und auch die Memoiren beginnen mit der Nacht von Halloween, teils Beschwörung düsterer Erinnerungen, teils Heimsuchung durch die Verstorbenen, deren ungebrochene Macht sich anschließend in der Erzählung Bahn bricht. Burnsides "Versuch über das Licht", wie das Titelgedicht heißt, versucht durchweg, der Dunkelheit durch Sprache beizukommen.

John Burnside: "Versuch über das Licht". Gedichte.

Aus dem Englischen und mit einem Nachwort von Iain Galbraith. Hanser Verlag, München 2011. 138 S., geb., 14,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.06.2011

Das Gewebe der unsichtbaren Welt
In seinem Erinnerungsbuch „Lügen über meinen Vater“ und in seinen Gedichten deckt der schottische Schriftsteller John Burnside hinter jeder Gewissheit die Lüge auf
Es beginnt stets im Dunkeln. Mit einem Geräusch, als sei etwas aufs Bett gefallen. Ein Scharren wird hörbar, ein Huschen. Und plötzlich ist der Erzähler hellwach, sieht blaugraue Schatten und die Umrisse von Vögeln über die Wände ziehen. Der Schrecken dauert nie lange. Nach kaum einer Minute schüttelt der aus dem Schlaf Geholte den Kopf, verscheucht das Phantom – und weiß gleichwohl, die Erscheinung lässt sich nicht fortreden, zu tief wurzelt sie im Verstand, im Gedächtnis und in den Nervenbahnen. Doch die Morgenstunden kennen nicht nur das Entsetzen. Sie kennen auch feinere Erlebnisse, geschmeidig, durchsichtig fast. Dann verdichtet sich die Wahrnehmung zu kleinen Epiphanien, die sich später einmal in Verse verwandeln: „Wie ich wachst du manchmal / früh im Dunkeln auf / und glaubst du bist durch eine innere Landschaft / meilenweit gefahren, // spürst um dich herum die Bäume / noch tropfnass, die aufgescheuchten Wasservögel, / die sattgefressenen Rinder / im Kegel deiner Scheinwerfer taumeln.“
Wenn der schottische Schriftsteller John Burnside zu schreiben beginnt, erinnert er ein wenig an jene Doppelwesen aus dem Mythos, halb Mensch, halb Tier, halb gut, halb böse, die zwischen den Welten wandeln und alle Möglichkeiten in sich tragen. Seine Studien der Nacht faltet er mal in atmosphärisch gewundenen Prosasätzen aus. Dann wieder in Gedichten, die von einer Leere sprechen, die darauf wartet, gefüllt zu werden, von einem „Augenblick der Trennung, um sich / voneinander zu unterscheiden“. Hier wie dort entwirft er Orte, die zugleich gewöhnlich sind und doch der Zeit und der vertrauten Bedeutung enthoben. Und er entwirft Geschichten, die vom Verschwinden erzählen und von den Nachtseiten des Bewusstseins.
Das Sichtbare, so könnte man seine Ideen zusammenfassen, ist nur eine Handbreit vom Unsichtbaren entfernt, ja ist eigentlich mit ihm verschwistert. Oder anders gesagt: Was wir wissen, entspricht nie ganz der Summe dessen, was wir vorfinden. Alle unsere Begriffe, Vorstellungen und Perspektiven sind nur Setzungen, wie schon das Selbst nichts Gegebenes ist, sondern nur „jenes Bündel Erinnerung und Furcht, / das will, erinnert, versteht, leugnet“. Und es gibt immer eine Lücke, in der so etwas wie eine Abwesenheit spürbar, in der ein Gefühl von Transzendenz erahnbar wird. So webt John Burnside an jener Idee von „Welt“ weiter, die der australische Dichter Les Murray einmal in den luziden Vers geschnürt hat: „Eine Tatsache ist ein kleiner kompakter Glaube.“
Es ist schön zu sehen, wie Burnside für diese Verschränkung der Sphären immer neue literarische Formen findet. Nicht zu Unrecht erhält er deshalb an diesem Wochenende den Petrarca-Preis. Erst zwei seiner sieben Prosabücher sind bislang in deutscher Übersetzung erschienen, die Romane „Die Spur des Teufels“ und „Glister“. Sie verbinden auf je eigene Weise die Beschreibung der kargen schottischen Landschaft mit apokalyptischen Szenarien. Die Menschen in diesen Büchern sind misstrauisch und nur mit der Pflege ihrer Rollen und Masken beschäftigt. Die Suche nach Sinn haben sie noch nicht aufgegeben, doch Hass und Schuld weichen nach und nach jede Grenzziehung auf. In einem dunklen Kammerton erzählt Burnside davon, wie noch in den scheinbar harmlosen Alltagskulissen der Dörfer und kleinen Städte der Tod stets anwesend ist.
Für sein jüngst übersetztes Buch, dessen Original bereits vor den beiden Romanen erschienen ist, hat Burnside sich die eigene Geschichte zum Stoff genommen. Als gäbe es eine geheime Verbindung zwischen Fiktion und Leben, setzt „Lügen über meinen Vater“ dort ein, wo die Romane anschließen werden: bei der Beschwörung der Gestorbenen: „Mir wurde in meiner Kindheit nicht beigebracht, dass die Toten an Halloween wiederkehren, doch wurde die Möglichkeit auch nie ganz ausgeschlossen . . . da draußen geisterte die Seele in einer ihrer vielen Gestalten umher, als Gespenst oder Wiedergänger, als Lufthauch, Licht- oder Feuergespinst, vielleicht auch nur als unerklärliche Erinnerung.“ So macht Burnside gleich zu Beginn deutlich, welche Richtung er diesmal einschlagen will. Es geht zurück in die Vergangenheit, zurück zur eigenen Geburt, vor allem aber: zurück zur Geschichte seines Vaters.
Dieser Vater ist alles andere als der Idealvater, den der Erzähler sich als Kind erträumt. Kein Mann mit Bart und Pfeife, der hinter seiner Zeitung sitzt, nur dem Schweigen und der Unsichtbarkeit verpflichtet. Vielmehr eine „Naturgewalt“, wie es einmal heißt, einer, der säuft und die Frau und die Kinder miserabel behandelt, um das Gefühl der eigenen Wertlosigkeit zu betäuben, das Gefühl „ein Niemand von nirgendwo“ zu sein, „ein uneheliches Kind und obendrein kein Katholik“. Während die Mutter sich aufreibt für die Familie, Restposten aus den Läden heimschleppt und immerzu strickt und stopft, damit die Kinder sich anständig kleiden können, vertrinkt der Vater das Gehalt in den Pubs der ständig wechselnden Wohnorte. Seine Stimme kann hart und dunkel werden – ein Vorbote von Schmerz und Entsetzen, wenn er den Kindern wieder einmal das Recht abspricht, überhaupt einen Platz in der Welt einzunehmen.
Doch die Erforschung der Geschichte des Vaters ist kein Selbstzweck. Sie ist Teil einer größeren Selbsterkundung. Schon in der ersten Hälfte des Buches skizziert der Erzähler, wie ihn die Gewalt und die Launenhaftigkeit des Vaters dazu bringen, die „heißen Freuden des Alleinseins“ zu entdecken. In den schottischen Wäldern schafft er sich eine phantastische Gegenwelt, ebenso in den Wörtern, die er in Büchern findet. Als sei es Notwehr, denkt er sich eigene Geschichten aus, um den Geschichten des Vaters zu begegnen, setzt dessen Halbwahrheiten „die reine Wirklichkeit der Fiktion“ gegenüber. Besser ließe sich die Geburt eines Schriftstellers kaum erfinden. Diese Selbstbeschreibung spitzt Burnside im zweiten Teil des Buches noch zu. In schimmernden Bildern erzählt er davon, wie sich der eigene Lebensweg der „via negativa“ des trinkenden Vaters angleicht, bis er sich zwischen LSD-Trips und tagelangen Alkoholträumen fast verliert.
Bei seiner umfassenden Recherche begnügt sich John Burnside nicht mit bloßem Erzählen. Immer wieder greift er zu Fotos und Geschichten aus der Familie, überblendet Erlebnisse aus der Kindheit mit heutigen Vorstellungen, denkt über das Erinnern nach. Der Übersetzer Bernhard Robben hat Burnsides Satzschleifen in ein mal dunkel raunendes, dann wieder zwischen „Hitze und Licht“ flirrendes Deutsch verwandelt. Bisweilen entkommt Burnside dem Moralisieren nicht ganz. Auch haben seine Worte eine nicht immer angenehme Tendenz, sich zu Weisheiten zu verdichten. Es mag dies die Kehrseite eines Schreibens sein, das eine klare Deutung der Welt entfaltet, „die Schwärze in allem“ sieht und jede Hülle, die man sich schafft, jede Vorstellung von Identität nicht einfach als Auslegung, sondern als „Lüge“ begreift.
Umso beeindruckender ist es, dass Burnside bei aller Skepsis nicht aufhört, das Licht zu feiern: das Licht, das sich an Weihnachten im Schnee spiegelt, das Licht der Kirchenkerzen oder der kleinen Höfe, die in den Furchen der Dunkelheit liegen. „Das Gewebe der unsichtbaren Welt aufzuzeigen“ – wenn ein Vater etwas für seinen Sohn tun könne, heißt es am Ende des Erinnerungsbuches, sei es dies. Treffender ließe sich auch die Poetik nicht beschreiben, die Burnside in seinen Gedichten entwirft. Immer wieder ist dort vom Verschwinden und von der Abwesenheit die Rede. Seine Verse sprechen von der Suche nach einem Leben jenseits des Lebens und zeigen uns, dass alles in Bewegung ist, „nicht ganz da, / doch auch nicht ganz abhanden“.
Wenn die Prosa das Schweigen und die Leere immer nur in ihren dunkelsten Ausformungen kennt, so wissen die Gedichte auch von Momenten der Erfüllung, die plötzlich aufscheinen können und ein Gefühl der Ganzheit herstellen. Es ist die schottische Küstenlandschaft mit ihren kräftigen Winden, mit ihren Meeresvögeln und dem Geruch unbekannten Wassers, die am Grund vieler Gedichte erahnbar wird. Dort, in einem kleinen Fischerdorf, wohnt Burnside seit einigen Jahren mit seiner Familie. Und dort findet er jene Bilder, die einen „Schimmer von Anderssein“ aussenden wollen. Manchmal, zu unserem Leseglück selten, erzählt er von diesen Momenten nur, anstatt sie in der Form seiner Texte auch spürbar zu machen. Meist aber schickt er die Verse in hypnotischen Langzeilen über die Seiten oder bricht sie so, dass die Bewegung der Wahrnehmung und die Bewegung des Denkens sich durchdringen.
Seine „Geschichte von Licht / und Schwerkraft“ hat Burnside in bislang elf Gedichtbänden ausgebreitet. Iain Galbraith hat in seiner klugen Auswahl fast alle berücksichtigt und die Texte chronologisch angeordnet. Leider lässt die Übersetzung dieses Feingefühl vermissen. Nicht selten ist Galbraith ungenau in der Satzstellung, macht zum Beispiel aus „the glide of skin and bone across a floor“ das ungut mehrdeutige „Gleiten über den Boden von Haut und Knochen“. Oder er gibt den Versen einen unnötig gestelzten Ton, etwa wenn er kleine „creatures“ in preziöses „Getier“ oder „stars“ in „Gestirn“ verwandelt. Wie gut, dass die Ausgabe zweisprachig ist und man jederzeit einen Blick auf den englischen Text werfen kann. So lässt sich etwas erhaschen von John Burnsides Kunst, mit Klängen oder rhythmischen Verschiebungen zu spielen. Und für Momente wird der Geist hellwach, ein Scharren ist hörbar – und Schatten huschen über die Wände.
NICO BLEUTGE
JOHN BURNSIDE: Lügen über meinen Vater. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. Knaus Verlag, München 2011. 382 Seiten, 19,99 Euro.
JOHN BURNSIDE: Versuch über das Licht. Gedichte. Aus dem Englischen von Iain Galbraith. Hanser Verlag, München 2011. 144 Seiten, 14,90 Euro.
„Draußen geisterte die Seele
umher, als Lufthauch,
Licht- oder Feuergespinst“
Das Büchergebirge wächst, die Zimmerpflanze auch: John Burnside in seinem Haus in Pittenweem, Schottland. Foto: Rob McDougall/TSPL/Camera Press
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Spät erst und vor allem dank seiner Romane und seiner Autobiografie wurde in den letzten Jahren der Schotte John Burnside auch in Deutschland als einer der ganz großen Autoren der angelsächsischen Gegenwartsliteratur anerkannt. Als Folge des Ruhms gibt es nun zur Freude des Rezensenten Tobias Döring erstmals auch Einblicke in seine Arbeit als Lyriker. Der Band ist ein Konzentrat aus zehn Bänden, die in den vergangenen zwanzig Jahren veröffentlicht worden sind. Nah an der Natur bewegen sich diese Texte, zumindest auf den ersten Blick. Auf den zweiten werde klar: Idyllisch ist hier in Wahrheit recht wenig, stets lauert Unheimliches hinter den beschriebenen Dingen. Und auch der poeta doctus versteckt sich nie, in letzter Instanz leugne Burnside den sprachlichen Charakter der Texte nicht. Lob gibt es auch für den Übersetzer Iain Galbraith, dem Döring einen Eigensinn attestiert, der sich in seinen Ergebnissen meist als gerechtfertigt erweise.

© Perlentaucher Medien GmbH
"In den Gedichten scheint das Licht sanft. Gut, dass sie endlich für den deutschen Leser entdeckt werden." Dorothea von Törne, Die Welt, 19.03.11

""Versuch über das Licht" zeigt den Autor als so wortmächtigen und musikalischen wie exakten Dichter, der die Welt hinter und zwischen den Dingen sucht." Manfred Papst, Neue Zürcher Zeitung am Sonntag, 27.03.11

"Dass der Schotte John Burnside ein Erzähler von Weltrang ist, spricht sich allmählich herum. Nun ist er mit einem ersten, glänzend übersetzten Gedichtband endlich auch bei uns als eminenter Lyriker zu entdecken." Tobias Döring, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23. April 2011

"Gedichte von zeitloser Schönheit und messerscharfer Präzision, kein Wort ist hier zu viel...". Martin Becker, Deutschlandradio Kultur, 22.07.11