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Als Achtjähriger kam Joel Agee in die DDR. Im Herbst 1948 begleitete er seine Mutter Alma und seinen Stiefvater, den prominenten Schriftsteller Bodo Uhse, nach Ost-Berlin. 1960 kehrte er aus dem Osten von Deutschland in die USA zurück. Dazwischen liegt eine Jugend voller Privilegien, mit Villa in Groß-Glienicke, Dienstmädchen und Chauffeur. Doch ein guter Kommunist will Joel nicht werden. Vor der FDJ flieht er in seine Träumereien. Er malt, schreibt und entdeckt die Liebe, während seine Eltern über die Verbrechen unter Stalin, "Republikflüchtige" und den Volksaufstand in Ungarn diskutieren. Meisterhaft beschwört Agee die Atmosphäre jener Jahre herauf.…mehr

Produktbeschreibung
Als Achtjähriger kam Joel Agee in die DDR. Im Herbst 1948 begleitete er seine Mutter Alma und seinen Stiefvater, den prominenten Schriftsteller Bodo Uhse, nach Ost-Berlin. 1960 kehrte er aus dem Osten von Deutschland in die USA zurück. Dazwischen liegt eine Jugend voller Privilegien, mit Villa in Groß-Glienicke, Dienstmädchen und Chauffeur. Doch ein guter Kommunist will Joel nicht werden. Vor der FDJ flieht er in seine Träumereien. Er malt, schreibt und entdeckt die Liebe, während seine Eltern über die Verbrechen unter Stalin, "Republikflüchtige" und den Volksaufstand in Ungarn diskutieren. Meisterhaft beschwört Agee die Atmosphäre jener Jahre herauf.
Autorenporträt
Joel Agee, 1940 in New York geboren, ist der Sohn des amerikanischen Schriftstellers und Pulitzerpreisträgers James Agee. Nach ihrer Scheidung heiratete die Mutter den deutschen Emigranten Bodo Uhse. 1948 zog die Familie nach Ost-Berlin, wo Uhse Chefredakteur der Zeitschrift Aufbau und später Mitglied der Volkskammer der DDR wurde. Joel Agee lebt heute als Autor und Übersetzer in New York.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.05.2009

Von einem, der auszog, in der DDR zu leben

Zwölf Jahre lang lebte Joel Agee mit seiner amerikanischen Mutter im sozialistischen Teil Deutschlands. Seine Erinnerungen erzählen mehr von Liebe und Kunst als von Politik.

Von Tobias Rüther

Joel ist siebzehn, also interessiert er sich nicht für die DDR, sondern für Mädchen. Und außerdem für Beethoven. Er schreibt Gedichte, das liegt in der Familie, denn er ist der Sohn eines berühmten amerikanischen und noch dazu Stiefsohn eines berühmten ostdeutschen Schriftstellers. Er lernt Musils "Mann ohne Eigenschaften" auswendig, und dieser endlos lange, komplizierte Roman wird seine Anleitung zum Ausschweifen und Aussteigen. "Urlaub vom Leben" nimmt sich Ulrich, Musils Hauptfigur, und Joel will das auch. Er schwänzt die Schule. Geht dann doch hin, schwänzt wieder, will sich bessern, schreibt Fünfen, dann Einsen, lernt, schwänzt, dichtet, fährt mit seinem Freund Ralle nach West-Berlin, die Grenze ist noch offen, die Mauer nicht gebaut. "Faul wie die Sünde" sei er, schimpfen Joels Lehrer, er selbst hält sich eher für einen "konstitutionellen Bohemientyp". Und wenn all das, was er da tut, auch noch so unpolitisch ist, wird es doch als subversiv empfunden: Denn Joel lebt in den fünfziger Jahren der DDR. Sie interessiert ihn nicht, diese Deutsche Demokratische Republik, auch wenn er ständig bereit ist, Lobreden "zur Verteidigung des Ersten Deutschen Arbeiter-und-Bauern-Staates vom Stapel zum lassen". Er interessiert sich für Mädchen. Und mehr noch als für Mädchen für sich selbst.

"Zwölf Jahre" heißen die Jugenderinnerungen des amerikanischen Schriftstellers Joel Agee. Zwölf Jahre vergehen zwischen 1948, als er mit seiner amerikanischen Mutter Alma und seinem Stiefvater Bodo Uhse von Mexiko über Leningrad nach Ost-Berlin auswandert, und 1960, als Alma ihn und seinen Halbbruder Stefan mit zurück nimmt nach Amerika, in das Land seines verstorbenen Vaters James Agee, der einzige Schriftsteller, der posthum mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde. Joel Agees Buch erschien 1981 auf Englisch. Im Jahr darauf kam es auf Deutsch heraus, übersetzt vom Autor selbst, und nachdem es jahrelang vergriffen war, hat der Hanser Verlag es in diesem, von historischen Jubiläen bestimmten Jahr neu aufgelegt. Der heute neunundsechzigjährige Agee hat es um ein Vorwort ergänzt: "Ich bin schon jüngeren Deutschen begegnet", schreibt er darin, "denen das marxistisch-leninistische Deutschland, in dem ich aufwuchs, ungefähr so fern erscheint wie das Kaiserreich mit seinen Pickelhauben. Ich stelle mir vor - wünsche es mir jedenfalls -, dass dieses Buch jetzt in dem Geiste gelesen werden kann, in dem es geschrieben wurde: als die Geschichte einer Person."

Und das heißt: Joel Agee beschreibt sich selbst, als sei er kaum fünf Minuten klüger als dieser Teenager von damals mit seinen strubbeligen Haaren, das Hemd aus der Hose, die Finger blau von Tinte. Und genau wie dieser Junge, so nimmt sich auch sein Buch das Recht heraus, sich nicht distanzieren zu müssen. Joel wächst in den frühen, den stalinistischen Jahren der DDR auf, aber was das bedeutete, flackert nur an den Rändern seiner Wahrnehmung auf: Joel durchlebt Kritik und Selbstkritik vor einer Kommission der FDJ. Die Schülerzeitung seines jüngeren Bruders darf nicht erscheinen, weil sie nicht nur nicht auf Linie ist, sondern überhaupt keine hat. Lehrer werden "republikflüchtig", wie das damals hieß, sie setzen sich in den Westen ab. Und die Lehrer, die bleiben, fürchten sich ein wenig vor Joels Vater, dem Volkskammerabgeordneten Uhse. Dem Vorsitzenden des Schriftstellerverbands im Kulturbund der DDR. Dem Chefredakteur des "Aufbau". Dem Spanienkämpfer. Eine Respektsperson im Neuen Deutschland ist Bodo Uhse, dessen missratenem Sohn man deshalb besser eine Chance mehr gibt als seinen Mitschülern - oder ihn gerade deswegen gängelt, weil er so privilegiert aufwächst.

Neulich hat Sarah Haffner, die Tochter von Sebastian, in dem von Julia Franck herausgegebenen Erinnerungsband "Grenzübergänge", der zum zwanzigjährigen Jubiläum des Mauerfalls im S. Fischer Verlag erschienen ist, davon erzählt, wie sie Agees Buch wieder und wieder nach Ost-Berlin geschmuggelt hat, versteckt in der Innentasche einer Herrenlederjacke: Denn die "Zwölf Jahre" durften nie in der DDR erscheinen. Wie totalitär dieser Staat war, kann man daran vielleicht besser ablesen als am Buch selbst, das eben authentische Jugenderinnerungen rekonstruieren will, wenn das auch nicht immer ungetrübt gelingt: Hin und wieder sieht man doch mit den Augen des späteren auf den frühen Joel Agee. Als der zum Beispiel wieder einmal die Schule wechselt, neu anfängt und nicht weiß, ob es diesmal endlich gutgeht, heißt es: "Ich konnte mich schlecht auf eine ,Übergangszeit' berufen, wie es der Staat tat, um seine gebrochenen Versprechen zu rechtfertigen." Schwer zu sagen, ob hier der junge oder der spätere Joel spricht, der Fußnoten eingefügt hat, wo ihm ein historischerKommentar nötig erschien - etwa bei der Frage, wie judenfeindlich trotz aller antirassistischer Bekenntnisse die DDR war.

Wie menschlich und ehrlich dieses Buch geworden ist, spürt man daran, dass Agee nicht gegen den Eindruck anschreibt, der junge Joel könnte ein richtiger Unsympath gewesen sein. Im Gegenteil, seine amerikanische Jugend in Ostdeutschland erzählt er als Geschichte eines jungschen, kühlen, eingebildeten Intellektuellen, der sich in Pose wirft, wenn er Tagebuch führt, der den Mädchen rücksichtslos unter die Bluse will - "Ich bin siebzehn!", flüstert eine Mitschülerin, als die beiden knutschen, "Siebzehn! Siebzehn! Siebzehn!" - und der wieder und wieder seine Eltern enttäuscht. Und nicht nur die: Eigentlich täuscht Joel alle, die ihm eine Chance geben, erst Lehrer, dann Vorarbeiter.

Die Geschichte eines troubled kid, systemunabhängig und von zeitloser Dramatik: Das ist die eine Seite des Buchs. Die andere widmet sich der jungen DDR-Elite, zu der Joels Eltern gehörten: Wie sie mit Chauffeur und Dienstwagen an den Seen rund um die Hauptstadt der DDR residierten und für den neuen Staat dachten und schrieben. Wie sie im schönen Ahrenshoop an der Ostsee Strandurlaub machten, nackt natürlich - was Johannes R. Becher, dem Kulturminister, Stalinsänger und Dichter rotmarmorner Zeilen, der auch dort war, gar nicht gefiel. Einmal nimmt uns Agee mit in das Wohnzimmer von Bodo und Alma, wie er seine Eltern selbst nennt, und verharrt kurz mit seinen Lesern vor "dem dicken cremefarbenen Teppich, den sonnendurchfluteten Atelierfenstern, dem Bronze-Akt von Fritz Cremer, dem Flügel, der chinesischen Schriftrolle und Almas Gemälden an der Wand, den Hunderten von Büchern, den überschwenglich farbenfrohen mexikanischen Papiermaché-Teufeln, die an Schnüren von der Decke hingen". Irgendwo zwischen dem klassischen Erbe und der progressiven Bekenntniskunst ist ein Eigensinn aufgehoben, der sich nicht kollektivieren lässt und nicht mehr bürgerlich nennen möchte. Wollte Joel Freud lesen, würde er dessen Werke hier zwischen den Büchern seiner Eltern finden, sie würden es ihn lesen lassen, weil sie ihm vertrauen. Als Joel später versucht, Freuds "Psychopathologie des Alltagslebens" in der Stadtbibliothek von Warnemünde auszuleihen, geht das "nur mit Sondergenehmigung und zu Studienzwecken".

Joel Agee braucht nicht mehr als Anekdoten wie diese, um seinen Erinnerungen, die er erzählerisch naiv hält, dann doch eine historische Tiefe zu geben. Man muss diese "Zwölf Jahre" nur aufmerksam lesen, quasi zwischen den Zeilen - eine Technik, die damals in den fünfziger Jahren in der DDR langsam populär wurde. Je älter Joel wird, desto häufiger tritt aus diesen Zeilen der totalitäre Charakter dieses neuen Staats ohnehin hervor.

Das Drama bleibt im Buch aber der Liebe vorbehalten. Als die zwölf Jahre ablaufen, entzweien sich Joels Eltern. Bodo Uhse, der Repräsentant des Neuen Deutschland, ist ein unsicherer Kommunist. Einmal klagt er sturzbetrunken, sein Leben sei verpfuscht, er habe sein Talent vergeudet, er habe diesem Schweinehund Stalin seine Seele verkauft. Irgendwann lernt Uhse eine andere Frau kennen, kann sich nicht von ihr trennen, die Geliebte wird schwanger. Alma, die Exotin mit bunten Bändern im Haar, verzweifelt an der Situation, Bodo auch. Schließlich entschließt sie sich, mit ihren Söhnen zurück nach Amerika zu gehen. Alles stehen und liegen zu lassen - für Joel ist das nichts weniger als eine "vollständige Begnadigung". Er geht einfach. "Ein sozialistisches Land gegen ein kapitalistisches einzutauschen, kümmerte mich nicht im Geringsten: was hatte das mit meinem Glück zu tun?" Er sucht nicht nach dem neuen Menschen, er sucht die Liebe einer Frau.

Zwei Jahre nach dem Mauerbau, hat Joel Agee im Oktober 1975 im "New Yorker" geschrieben, war er wieder in Ost-Berlin - mit einem amerikanischen Pass und einem aus der DDR, den ihm keiner abgenommen hatte, als er ging. Sein Vater liegt auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof, wie damals schon Brecht, wie später Heiner Müller. Joel wird für einen Spion gehalten, verhört, endlich lassen ihn die Vopos gehen, fahren ihn ans Grab und bitten vielmals um Entschuldigung. Seine beiden Pässe darf er behalten.

Joel Agee: "Zwölf Jahre". Eine amerikanische Jugend in Ostdeutschland. Aus dem Amerikanischen von Joel Agee und Lolo Gruenthal. Hanser Verlag, München 2009. 400 S., geb., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die zwölf Jahre des Titels sind die Jahre 1948 bis 1960 und Joel Agee verbringt sie in der DDR. Unwahrscheinlicherweise, denn geboren ist er in den USA als Sohn des 1945 dann früh verstorbenen Autors und Filmkritikers James Agee. Seine Mutter heiratet den Sozialisten Bodo Uhse, zieht mit ihm in die DDR, Uhse wird dort rasch zum hohen Schriftstellerfunktionär. Agees Leben scheint, darüber staunt Rezensent Tobias Rüther ob der Umstände schon, von der Politik wenig berührt. Seine erstmals 1981 erschienenen Erinnerungen sind im wesentlichen persönlich, um Frauengeschichten gehe es und ein wenig angepasstes Leben. Was es aber hieß, in der stalinistischen DDR der fünfziger Jahre zu leben, das werde nur am Rande und in kurzen Nebenepisoden deutlich. Und zwar nicht zuletzt, meint Rüther, weil Agee bemüht bleibt, die Perspektive des Heranwachsenden im Rückblick nicht zu überschreiten.  Trotzdem, wenn nicht gerade deshalb hat er den wiederaufgelegten und um ein aktuelles Vorwort des Autors erweiterten Band mit großem Interesse gelesen.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Es ist ein kleines literarisches Meisterstück. Seit Musil sind Kindheit und Erwachsenwerden nicht mehr so genau beschrieben worden." Alan Posener, Die Welt am Sonntag, 01.03.09

"Das Buch fesselt den Leser von der ersten Seite an." Reiner Neubert, Freie Presse Chemnitz, 24.04.09