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Toby ist etwa neunzehn Jahre alt, genau weiß er es nicht. Er kennt nicht die Stadt, in der er lebt, sie ist zu groß. Er kennt nur das gesetzlose Leben in dieser Stadt. Sima, seine Schwester, ist der einzige Mensch für ihn gewesen, doch dann ist sie verschwunden. Eines Tages begreift Toby, dass auch für ihn hier kein Weiterleben ist. Christoph Meckel entwirft in seinen neuen Erzählungen eine nächtliche Welt jenseits der vertrauten. Die poetische Kraft seiner Erzählstimme zählt zu den eindrucksvollsten der deutschen Gegenwartsliteratur.

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Produktbeschreibung
Toby ist etwa neunzehn Jahre alt, genau weiß er es nicht. Er kennt nicht die Stadt, in der er lebt, sie ist zu groß. Er kennt nur das gesetzlose Leben in dieser Stadt. Sima, seine Schwester, ist der einzige Mensch für ihn gewesen, doch dann ist sie verschwunden. Eines Tages begreift Toby, dass auch für ihn hier kein Weiterleben ist. Christoph Meckel entwirft in seinen neuen Erzählungen eine nächtliche Welt jenseits der vertrauten. Die poetische Kraft seiner Erzählstimme zählt zu den eindrucksvollsten der deutschen Gegenwartsliteratur.
Autorenporträt
Christoph Meckel, 1935 in Berlin geboren, wurde u. a. mit dem Rainer-Maria-Rilke-Preis für Lyrik, dem Georg-Trakl-Preis für Lyrik, dem Joseph-Breitbach-Preis und zuletzt 2016 mit dem Hölty-Preis für sein lyrisches Lebenswerk sowie 2018 mit dem Johann-Peter-Hebel-Preis und dem Lyrikpreis Orphil der Landeshauptstadt Wiesbaden ausgezeichnet. Bei Hanser erschienen zuletzt Einer bleibt übrig, damit er berichte (Erzählungen, 2005), Seele des Messers (Gedichte, 2006), Nachtsaison (Erzählungen, 2008), Gottgewimmer (Gedichte, 2010), Luis & Luis (Erzählungen, 2012), Tarnkappe (Gesammelte Gedichte, 2015) und Kein Anfang und kein Ende (Zwei Poeme, 2017). Christoph Meckel starb am 29. Januar 2020 in Freiburg.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.10.2008

Dreckiger Jakob, frierender Franz
Schön sind Geschichten ohne Pointe und Handlungen ohne Bedeutung: Christoph Meckel ist auch in seinen zwei neuen Büchern in vielen Formen unterwegs Von Helmut Böttiger
Christoph Meckel jongliert mit vielen Formen. In diesem Herbst zeigt er sich von zwei ganz verschiedenen Seiten. Nach etlichen Porträts zuvor – am schönsten wohl dasjenige von Johannes Bobrowski – nähert er sich jetzt Marie Luise Kaschnitz an, die noch heute als klassische Lesebuchautorin gilt. Sie lebte in Bollschweil am Fuße des Schwarzwalds, eine Landschaft, die kaum einer so suggestiv wie Meckel heraufbeschwören kann: „Nebel und Raureif im Dezember. Lautloser Tagbeginn auf dem Land. Die badischen Obstgärten hochzeitlich weiß, kristallklare Weinberge des südlichen Schwarzwalds und das Dorf Sankt Ulrich lichtlos hell verschollen.”
Meckel ist hier aufgewachsen, ab und zu blitzen die Landschaftseindrücke auch in dieses Büchlein hinein – aber sie geraten im Schloss von Marie Luise Kaschnitz in ein anderes Umfeld. Meist erscheint die Autorin als „die Dame”, distanziert, „unangreifbar bis zuletzt”. Meckel beschreibt die Konturen, er beschreibt von außen, er ist nicht einfühlsam. Fast ethnologisch, mitleidlos fixiert er das Alter der Dame. Es geht ihm um Phänomene, und er findet exakte Bilder. Die wenigen Momentaufnahmen – das Buch hat ungefähr die Länge einer Zeitungsseite – ergeben jedoch kein Porträt von Marie Luise Kaschnitz. Es sind ausschnitthafte Erinnerungen des Autors, und dadurch gerät er wie automatisch selbst ins Blickfeld. Diese Subjektivität kann etwas Prekäres haben. Sie stellt sich dann vor die beschriebene Person.
Gleichzeitig mit dem Kaschnitz-Bändchen ist in diesem Herbst ein neues Buch mit Erzählungen Christoph Meckels erschienen. Man erkennt denselben Autor, denselben „Strich”, dennoch verblüfft der Unterschied. In diesen literarischen Texten scheint es zunächst gar keine Subjektivität zu geben. Wir tauchen ein in eine Riesenmetropole, wie sie der 1935 geborene Autor schon des öfteren imaginiert hat. Dieses Mal heißt sie Montza, und sie ist der Prototyp einer Mega-Citys, wie Bombay, Djakarta, Sao Paulo. Der Held der ersten Geschichte ist sehr stilisiert, er kann alles sein zwischen Detektiv, Lonesome Rider und Dichter. Als er in Montza ankommt, nimmt er ein Hotel, stellt dort den Koffer ab und geht hinaus in die Nacht: „Schließmuskel-Gesichter, geschlossene Visiere, sein Alleinsein war perfekt zwischen ihnen, ihm fehlte nichts.” Es ist ein alter, verlorener, existenzieller Traum, der hier inmitten aller Entwurzelung und Ausbeutung geträumt wird: der Held findet sein Hotel nicht mehr. Er wird entführt und erpresst, kann schließlich, vorerst, ins Unwägbare entfliehen. Die Geschichte ist ein Spiel mit verschiedenen Genres, aber sie lebt durch eine atmosphärisch dichte Sprache, durch präzise geschilderte, aufgeladene Details. Es ist nicht deutlich zu unterscheiden, ob sich das alles in der Gegenwart oder doch in der Zukunft oder überhaupt nicht ereignet.
In der ersten Hälfte des Buches, vor allem in der längsten Erzählung „Nachtsaison”, wird dieses Feld immer wieder neu ausgeschritten. Das anonymisierende, austauschbare Montza, das gelegentlich wiederkehrt, ist eine Chiffre für die Globalisierung des Elends, das Ende des landläufig westlichen Ich. Die Figuren erinnern an die Grafiken und Holzschnitte des Autors: Sie wandern als geometrisch exakte Ornamente über das Blatt, und manchmal sind sie festgehalten wie in Trance; vorübergehende, magische Momente. Meckels Prosa braucht kaum Handlung. Nur manchmal wirkt die Verrätselung zu gewollt und übertrieben, so, wenn zum Schluss von „Piemonte” die Aufspaltung einer Figur in mehrere noch einmal programmatisch erläutert wird. Aber in „Perlesöd” – einer sorgsam ausdifferenzierten Landschafts-Seelenerfahrung mit Halbinsel und Landzunge und einsamem Ausgesetztsein – erscheint alles kristallin und unfassbar, eine in sich geschlossene Welt, die nur aus einem eigenen Sprachraum heraus entstehen kann.
In der zweiten Hälfte des Buches stellt sich ein anderer Ton ein, es ist der bekannte Ton des jungen, verspielten, zauberischen Meckel. „Dreckiger Jakob, Frierender Franz”: da kehren die frei umherschweifenden Figuren der frühen Erzählungen dieses Autors wieder, die Lust der frühen Gedichte. Das Leben erscheint als ein schier endloser Reigen von einzelnen, unwiederholbaren, unverbundenen Momenten, die in den frühen Texten reine Glücksmomente waren und nun melancholischer geworden sind. Die Erzählung „Weiße Nacht” endet stimmig mit der Formulierung eines Ideals: „Schön sind Geschichten ohne Pointe, Handlungen ohne Bedeutung, man weiß nicht, warum sie erzählt worden sind.” Aber dass sie erzählt worden sind, bildet einen bleibenden Nachhall.
Am eindringlichsten werden die Motive des frühen Meckel in dem Text mit dem Titel „Es ist” beschworen: „Es ist”, das ist eine Anrufung, die der Autor schon des öfteren praktiziert hat, im Geiste des Rimbaudschen „Il y a”, und hier vergewissert er sich noch einmal, was die Landschaft und das Haus in der Drome in Südfrankreich für ihn bedeuten: der Alltag des benachbarten Bauern, die Wege, die Pinien, die Raubvögel, der Stein. In diesen Absätzen wird die Sehnsucht am greifbarsten, aber es ist wie ein letzter Blick, ein Blick zurück auf das Verschwindende: „Die nicht sichtbaren Substanzen sind verbraucht.” Was ist, kann jetzt noch einmal festgehalten werden, aber: „Unsere Landschaften werden andere sein, von uns nicht erkannt, nicht mehr zu erkennen, beansprucht von Leuten, die später kommen und nicht mehr wissen, nicht mehr zu wissen brauchen, was vor ihnen da war.”
„Einer bleibt übrig, damit er berichte” lautete bereits der Titel des letzten Prosabandes von Meckel, es ist ein Satz, der das Schmerzhafte des Rückblicks erfasst. Im neuen Band „Nachtsaison” nimmt er dies auf, konfrontiert den endzeitlichen Science-Fiction-Stil mit den vagabundierenden Sehnsüchten von früher. Diese tauchen, verwandelt, in den schwarzen Sprachradierungen und –skizzen wieder auf, die in Montza und Global-City immer noch möglich sind. Der Autor greift auf den eigenen, künstlerischen Bildervorrat zurück und schöpft ihn aus. Es ist ein hohes Risiko, wie sich in diesem Band die Sehnsüchte mischen. Aber um dieses Risiko geht es.
Christoph Meckel
Nachtsaison
Erzählungen. Hanser Verlag, München 2008. 254 Seiten, 19,90 Euro.
Christoph Meckel
Wohl denen die gelebt
Erinnerung an Marie Luise Kaschnitz. Libelle Verlag, Konstanz 2008. 60 Seiten, 16,90 Euro.
Der Literat ist der, der übrig bleibt und über alles berichtet
Auch in den schwarzen Sprachradierungen und -skizzen von Christoph Meckel tauchen jene Global-Citys wieder auf, in denen das westliche Ich längst untergegangen ist. Grafik aus „Wohl denen die gelebt”, © Christoph Meckel
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.11.2008

Kein Date mit Ariadne

Einflüsterungen der Zentralheizung: Christoph Meckels Erzählungen wollen die Welt nicht abbilden, sondern beschwören. Der Autor aber verirrt sich in ihnen wie sein Held im fernen Moloch.

Drei der vierzehn Erzählungen dieses Bandes spielen in einer Stadt namens Montza. Sie hat nichts mit dem italienischen Monza oder mit irgendeiner anderen europäischen Stadt zu tun, auch wenn es in ihr einen Vasariplatz, eine Textorstraße und eine Schubert Hall, ein Coburg-Rondell und einen Newman-Prospekt gibt. Nein, Montza ist eine Metropole der Dritten Welt, ein "menschenverschlingender Koloss der Tropen", ein uferloser Urwald aus Stein. "Ihr fehlte ein Weltrand wie das Meer", heißt es in der Titelerzählung, stattdessen stinkt die Stadt aus allen Löchern: "Das quoll und dunstete durch die Straßen, staute sich um Kamine und Türme und war nicht der Smog der Vorkriegszeit." Ein Bürgerkrieg, so scheint es, hat Montza verwüstet, seine Banken- und Hotelpaläste ("gigantische Flipperkästen im leeren Raum"), seine Einkaufspassagen und Tunnelsysteme. Jetzt kämpfen Jugendgangs und Stadtguerrilla um die Herrschaft in den Straßenschluchten.

Dennoch kommt der Held der Erzählung "Ankunft in Montza", mit der das Buch beginnt, gern hierher. Er genießt das Chaos, den Lärm und die Hitze, denn er will darin eintauchen, mit der Fremde verschmelzen, um irgendwann weiterzureisen "ohne Verlustgefühl". Er will sich verlieren. Und das gelingt ihm. Als er nach einer langen Nacht in Bars und Clubs in sein Hotelzimmer zurückmöchte, merkt er, dass er den Namen des Hotels vergessen hat. Nur an die riesige Uhr, die über der Rezeption hängt, erinnert er sich. Aber im Zeichenlabyrinth von Montza ist das ein Indiz ohne Wert. Der Reisende, nun obdachlos geworden, wird zum Clochard. Nach drei Tagen bricht er in einem Rinnstein zusammen. Als er erwacht, sitzt er gefesselt in einer Hütte in den Slums. Der Familie, die ihn entführt hat, verspricht er den Inhalt seines Koffers samt Reisekasse, wenn sie ihn zu seinem Hotel zurückbringt. So suchen sie gemeinsam nach dem Foyer mit der großen Uhr.

Wer sich in einer Millionenstadt verläuft, hält nicht nach Sehenswürdigkeiten Ausschau. Er sucht nach Orientierungsmarken für die Rückkehr nach Hause. So ähnlich muss man auch Christoph Meckels Erzählungen lesen: mit einem wachen Blick für die Zeichen, die in den Geschichten versteckt liegen. Nur dass bei Meckel kein Weg zurück zum Ausgangspunkt führt. Seine Geschichten verlieren sich in der Welt, die sie entwerfen, wie der Reisende in Montza. Ein Menschenschmuggler bringt eine Frau von Lyon nach Berlin und kommt ihr dabei näher, als seine Aufgabe erlaubt; am Ende entdeckt er, dass sie die ganze Fahrt über gegen ihn gearbeitet hat ("Weiße Handschuhe"). Ein Mann will sterben und beauftragt einen Killer, überlegt sich die Sache aber anders und fährt ans Meer, wo sein Tod auf ihn wartet ("Clarion"). Meckels Geschichten kreisen, nicht erst in diesem Band, oft um das Unwiederbringliche, weil sie die Welt eigentlich nicht erzählen, sondern beschwören wollen. "Sie brauchten nicht viel außer Wasser in ihrer Nähe, eine Wärme, ein Licht, eine Trockenheit", heißt es über ein Liebespaar. Meckels Prosa braucht nicht mehr als einen beiläufigen Anlass, einen sprachlichen Zündfunken, dann glüht sie auf. Aber sie brennt nicht lange. Das ist die Kehrseite des Schreibens ohne Routenplan.

Christoph Meckel, 1935 geboren, ist eine Doppelbegabung reinsten Wassers. Als Dichter und Graphiker hat er vor gut fünfzig Jahren angefangen, und während er über die lyrische zur erzählerischen Form ("Licht") und zu autobiographischen Stoffen fand ("Suchbild"), wuchs das graphische Werk, Meckels "Weltkomödie", immer weiter an, sei es als Illustration oder als schöpferische Gegenbewegung zur Schriftstellerei. Auch Meckels neue Erzählungen sind graphisch in dem Sinn, dass sie nicht schnurgerade auf ein Ziel zulaufen, sondern mit vielen kleinen Bewegungen einen Erlebnisraum ausmessen, der zugleich innen und außen ist. In "Es ist", der schönsten Geschichte dieses Bandes, erinnert sich ein Mann an seine verstorbene Frau. Er versetzt sich in die Landschaften und Städte zurück, die er mit ihr gesehen, die Häuser, die er mit ihr bewohnt hat. Und immer wieder ist da die Sehnsucht, dies alles möge noch nicht geschehen, noch einmal in die Zukunft entrückt sein. "Es ist der Vorabend aller Tage, der leichtsinnig macht."

Die Nähe dieses hochgestimmten Schreibens zum Kitsch ist unübersehbar. Wo es misslingt, wo der Erzähler Tropen der Empfindsamkeit häuft und von Pinien, Ginster, Wolken und Weingärten raunt, wirkt es auf ungute Weise privat. Wenn sie aber die Balance zwischen Gefühl und Weltbeschreibung hält, beginnt Meckels Sprache zu klingen. Das harte Licht der Provence, wo der Dichter seit vielen Jahren lebt, dörrt seine Sätze auch syntaktisch aus, sie stoßen ihr Prädikat ab und werden zur Anrufung: "das Klickern der Steinlawinen, die Raubvogelschreie, der scheuernde Schnee." Diese Emphase, die jeden Herbstabend als Weltuntergang einfärbt, ist nicht jedermanns Sache, aber sie hat einen starken, eigensinnigen Ton.

Die Tücken der lyrischen Rede zeigen sich dort, wo auch ihr Gegenstand ins Lyrische und Schwankhafte kippt wie in den Moritaten und Tischgesprächen am Ende des Bandes. Es ist eben nicht wahr, dass "Geschichten ohne Pointe, Handlungen ohne Bedeutung" besonders "schön" sind, wie es einmal heißt - sie ruhen sich nur augenfälliger auf ihrer Schönheit aus. Bei allem Sprachfluss wird man doch den Eindruck nicht los, dass die Erzählungen vom dreckigen Jakob und dem frierenden Franz, vom Herumtreiber Windig und vom Wanderarbeiter Joel auch deshalb nirgendwohin führen, weil ihr Autor irgendwann die Lust an ihnen verloren hat, und so verliert man sie auch. Im Schlussstück, das eine Art Winterurlaubsprotokoll sein will, drängt sich die Ausdrucksmüdigkeit in die Sätze hinein: "Wir haben Tee getrunken, jetzt trinken wir Rotwein, dann kommt die Nacht." Leise rumpelt die Zentralheizung im Hintergrund.

Deutschen Erzählern, zumal solchen, die nicht mit historischen Stoffen oder Familiengeschichten hausieren gehen, wird oft vorgehalten, ihr Schreiben sei weltlos, nicht von Erfahrung und Recherche gesättigt. Mit der Titelgeschichte "Nachtsaison", die zugleich die längste des Bandes ist, will Meckel dieses Vorurteil widerlegen. Er erzählt von Toby, einem Jungen, der im Guerrillakrieg von Montza zu überleben versucht. Er streift ziellos durch die Stadt, findet seine Schwester Sima wieder, die aus den Verliesen des "Rattenkönigs", eines Jugendbandenführers, entkommen ist, richtet mit ihr ein inzestuöses Idyll im Obergeschoss eines aufgegebenen Hotelkastens ein und wird zuletzt von einer verirrten Kugel getroffen.

Es ist beinahe ein Roman, mit Skizzen der sterbenden Metropole, gelegentlichen Abstürzen ins Geleckte - die Geschwister sind "heiße, feuchte Menschentiere mit alten Augen, jungen Händen" - und einem knappen, drängenden Duktus. Aber nur beinahe. Denn ganz lässt sich Meckel nie auf die Geschichte ein. Wo es auf Einzelheiten ankäme, etwa bei der Schilderung der Unter- und Oberwelten von Montza, flüchtet der Erzähler in Allgemeinheiten. Die Stadt ist "ein altes Gebiss", bewohnt von "Schmerzmenschen", aber wir lernen sie nicht kennen. Auch Toby, der Held, wird wieder weggezaubert, ehe er richtig Kontur bekommen hat. Und so bleibt die Stadt mit dem Vasariplatz und dem Newman-Prospekt, was sie immer gewesen ist: ein Konstrukt. Der Reisende, der auch der Erzähler dieses Buches ist, hat sich in ihr verloren, ohne die Geschichte zu finden, für die sich die Fahrt gelohnt hätte. Seine Ungeduld zieht ihn weiter, fort in die nächste fremde, rätselhafte, unsichtbare Stadt.

ANDREAS KILB

Christoph Meckel: "Nachtsaison". Erzählungen. Hanser Verlag, München 2008, 255 S., geb., 19,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Helmut Böttiger stellt zwei neue Bücher von Christoph Meckel vor, die nach Ansicht des Rezensenten unterschiedlicher nicht sein könnten. Dieser Band mit Erzählungen zeigt ihm den Autor von zwei Seiten: Der erste Teil zeichnet sich durch eine auffällige Abwesenheit von "Subjektivität" aus, und die durch Megacities stolpernden, verlorenen Figuren erinnern in ihrer Stilisierung stark an das grafische Werk des Autors, findet der Rezensent. Im zweiten Teil dagegen überwiegen die "frei umherschweifenden" Charaktere und der "verspielte, zauberische" Ton des Frühwerks, der allerdings mit den Jahren melancholischer geworden ist, wie Böttiger meint. Insgesamt arbeite der Autor mit seinem "erprobten Bildervorrat", er scheue aber nicht das Wagnis, in seinen Erzählungen die "Sehnsüchte zu mischen", wie der Rezensent anerkennend feststellt.

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