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Sinnlich, frech und wie eben improvisiert klingen diese zumeist anonym, aber z. B. auch von Orlando di Lasso vertonten Stücke, charmant und brünstig, melancholisch und augenzwinkernd, ein Reigen von Versen an das 'Mysterium Frau'. Rudolf Borchardts berühmter Anthologie Ewiger Vorrat deutscher Poesie tritt hier eine zweite an die Seite: deutsche Liebesgedichte des 16. Jahrhunderts. Das Buch erschließt die bis heute verschollene weltliche Seite der Dichtung zwischen Mittelalter und Barock. Die Liedtexte werden nach der von Borchardt beabsichtigten Anordnung wiedergegeben. Ein kritischer Apparat…mehr

Produktbeschreibung
Sinnlich, frech und wie eben improvisiert klingen diese zumeist anonym, aber z. B. auch von Orlando di Lasso vertonten Stücke, charmant und brünstig, melancholisch und augenzwinkernd, ein Reigen von Versen an das 'Mysterium Frau'. Rudolf Borchardts berühmter Anthologie Ewiger Vorrat deutscher Poesie tritt hier eine zweite an die Seite: deutsche Liebesgedichte des 16. Jahrhunderts. Das Buch erschließt die bis heute verschollene weltliche Seite der Dichtung zwischen Mittelalter und Barock. Die Liedtexte werden nach der von Borchardt beabsichtigten Anordnung wiedergegeben. Ein kritischer Apparat bietet Vorlagen und Varianten, das Nachwort skizziert die Bedeutung des Projekts in der Traditionsdebatte der zwanziger Jahre.
Autorenporträt
Rudolf Borchardt (1877-1945) schrieb Gedichte, übertragungen, Erzählungen und Dramen, politische und historische Essays. In der von Heribert Tenschert ermöglichten Ausgabe seiner Briefe erschienen zuletzt der Kommentarband zum Briefwechsel mit Hugo von Hofmannsthal sowie die Briefe an Marie Luise Borchardt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.03.2008

Hier wird die Poesie zum Volksvermögen

Eine Sensation, möchte man sagen, wäre nicht der Begriff des Sensationellen bei Rudolf Borchardt völlig unangemessen. Seine Anthologie "Deutsche Renaissancelyrik" ist der Torso eines einstigen Großprojekts: Vision, Obsession und das Werk eines Mannes, der wie wenige Instinkt und Kunstverstand in sich vereinigte.

Von Harald Hartung

Innovation ist der Fetisch der Moderne. Aber das Neue hat seine Tücken: es provoziert das Alte zu neuem Leben. Baudelaire begab sich auf die Reise ins Unbekannte, "pour trouver du nouveau". Doch er hoffte zugleich, jede Modernität werde dereinst wieder Antike, neue Klassizität. Ohne diese dialektische Rückwendung ins Alte gibt es keine Avantgarde von Rang. "Make it new!" dekretierte Ezra Pound, der ein neuer Homer sein wollte, und berief sich dabei auf den Satz eines altchinesischen Kaisers. Paul Valéry war vollends der Meinung, in unserer Zeit sei es kühner, Altes zu machen als Neues. Das klingt, als habe er an Rudolf Borchardt gedacht. Borchardt seinerseits hielt Valéry für einen Eklektiker. Doch mit dem acht Jahre jüngeren Ezra Pound hatte er mehr gemein als die Hochschätzung und Übersetzung der provenzalischen Dichtung und der Troubadours.

So ist auch Borchardt ein Dichter-Philologe, der das Alte nicht bloß heraufholen und restituieren wollte, sondern gleichsam neu erschaffen, eben machen wollte. Sein viel zitierter Begriff einer "schöpferischen Restauration" ist gewissermaßen der taktisch abgemilderte Ausdruck für eine viel radikalere Praxis. Man könnte sie durchaus unter die Devise "Make it old, make it antique" stellen und als einen heroischen Rückbau begreifen, ja als die Erfindung von Tradition.

Von diesem Rückbau zeugt schon Borchardts Jugendwerk "Joram", dessen Nachwort das gesamte lebendige Deutsch für die Dichtung reklamiert, also auch Luther und das Mittelalter. Deutlicher noch wird Borchardt in seiner Übertragung der "Divina Commedia", in "Dante deutsch", darin er sich von der lutherischen Tradition ab- und den oberdeutschen Dialekten zuwendet, weil sie dem Mitteldeutschen in Laut- und Formenbildung näher geblieben waren. Nicht bloß Übersetzung war seine Intention, sondern Sprachschöpfung.

Solche restitutio in integrum hatte auch der Anthologist Borchardt im Sinn, als er 1926 seinen "Ewigen Vorrat deutscher Poesie" erscheinen ließ. Mit dem Leitsatz "Dies ist Deutsche Poesie, nicht eine Reihe deutsch dichtender Autoren" formulierte er das Ziel, nicht die Poesie Einzelner, "sondern das poetische Vermögen der Volksgesamtheit" zu versammeln. Unter dieser Prämisse nahm er sich heraus, Hölderlins freirhythmische "Hälfte des Lebens" in eine, wenn auch fragmentarische alkäische Ode zurückzudichten. Eine Respektlosigkeit? Nein, nur die besondere Weise, Respekt vor einer imaginierten Tradition zu bezeugen.

Dies sei vorausgeschickt, um den Stellenwert plausibel zu machen, den der gewichtige Band "Deutsche Renaissancelyrik" beansprucht, der soeben unvermutet aus dem Schatten von Borchardts Nachlass ins Licht der lesenden Öffentlichkeit tritt. Eine Sensation, möchte man sagen, wäre nicht der Begriff des Sensationellen bei Borchardt völlig unangemessen. Dieser Band ist der Torso eines ursprünglich viel größeren Projekts, das in vier Bänden die deutsche anonyme Poesie des 15., 16. und frühen 17. Jahrhunderts hatte versammeln sollen. Erstaunlich ist, was nun als eine aus nachgelassenen Materialien erstellte Rekonstruktion vorliegt. Stefan Knödler hat sie mit Akribie erarbeitet und mit Apparat und Kommentar versehen; sympathisch hält er sich zurück. Denn der Untertitel "besorgt von Rudolf Borchardt" suggeriert ja, der große Tote trete selbst auf diese Weise in eine späte Gegenwart. Sie ist jedenfalls angehalten, die "Deutsche Renaissancelyrik" nach Anspruch und Gewicht als Pendant zum "Ewigen Vorrat" aufzunehmen.

Die Geschichte dieses ein Menschenleben zurückliegenden Unternehmens ist die Geschichte einer Nichtentstehung: eine absteigende Linie von Enthusiasmus, Zwist und Scheitern. Das Anthologie-Projekt stand seinerzeit im Zusammenhang mit Willy Wiegands Bremer Presse, für die Hofmannsthal 1923 sein "Deutsches Lesebuch" und Borchardt 1924 "Die großen Trobadors" und 1925 "Deutsche Denkreden" und Hartmanns "Armen Heinrich" ediert hatten. 1926 folgte der "Ewige Vorrat", den Hofmannsthal beharrlich als "eisernen Vorrat" bezeichnete.

Borchardt fand sich zunächst vom Verlag "vorbildlich unterstützt". Insgesamt rund tausend Texte aus dem Bereich der Renaissance- und Cavalierslyrik lagen ihm in zuverlässigen Abschriften vor; zumeist aus seltenen frühen Drucken und Handschriften, von denen manches dann im Zweiten Weltkrieg verlorenging. Doch die Arbeit wuchs Borchardt über den Kopf, er verlangte eine "Sonderpropaganda" für seine Anthologie, diverse Verstimmungen trübten die Zusammenarbeit, und den Rest besorgte die Wirtschaftskrise. Wiegand musste den Verlag aufgeben, und Borchardt kam nicht mehr auf das Projekt zurück. Immerhin gab es zwei Vorgriffe auf das laufende Unternehmen: 1924 erschienen elf "Liebesreime der deutschen Renaissance" in den Neuen Deutschen Beiträgen und 1926 neun weitere Gedichte im "Ewigen Vorrat".

Borchardt wäre nicht Borchardt, hätte er nicht auch das Projekt Renaissancelyrik seiner Literaturstrategie unterworfen. Sie folgt dem Programm seines "Dante deutsch" und ist nichts anderes als der Versuch, zwischen Minnesang und Reformation eine auf dem Oberdeutschen basierende Stil-Epoche zu etablieren. Euphorisch schreibt er im Februar 1924 an Marie Luise Borchardt: "Weisst Du, dass das ein Schlag wird, und die deutsche Poesie plötzlich um eine unbekannte Epoche ihres grossen Stils bereichert dastehn wird?" Das empfindet er als die schönste Rechtfertigung seines Dante.

Bei der Arbeit am Material gibt Borchardt sich als Gemälderestaurator, hebt den Firnis ab, beseitigt Übermalungen und legt ältere Malschichten frei. Schon im "Vorrat" hatte er einzelne Texte älter gemacht. In der Renaissancelyrik unterzieht er manche Zeugnisse einem künstlichen Alterungsprozess. Er streicht vermeintlich jüngere Passagen, rekonstruiert verlorengegangene Reime, glättet das Metrum und präpariert heraus, was seiner Vorstellung einer Urform am nächsten kommt. "Schon überarbeitet", heißt es einmal, "Urform wol noch zierlicher." Vor allem aber löst er die Gedichte aus ihrer Bindung an die Musik. Dass die meisten Texte lediglich als Vorlagen in späteren Notenbüchern erscheinen, kann ihn nicht darin beirren, die italienische Renaissance-Poesie habe früher auf Deutschland eingewirkt, als es die Daten der Notendrucke vermuten lassen. Mehr noch, die Musik erscheint ihm als Verhinderin jeder poetischen Weiterentwicklung. Die Deutschen, so meint er, "zerwüten und zerdalben eine immer noch hochfliegende Poesie in ,Volklied' und ,Gesellschaftslied'". Das ist natürlich pro domo gesprochen, aus dem Affekt des Lyrikers, dem die Musik der Verse selbst wichtig ist.

Entscheidend ist, dass Borchardt durch seine diskreten oder robusten Eingriffe glaubhaft machen möchte, dass das so versammelte Material um 150 Jahre zurückzudatieren und in die Lücke zwischen 1380 und 1600 einzupassen ist. Damit entfallen auch die Zuschreibungen an einzelne Dichter, und die Poesie wird gleichsam wieder Volksvermögen. Der Begriff der Manipulation, so leicht er zur Hand ist, will nicht recht greifen. Denn die Zeugnisse werden ja nicht verfälscht, sie erscheinen nur in anderer - und frappierender - Beleuchtung.

Halten wir uns an Borchardt selbst. Schon seinen "Dante" hatte er nach eigenem Zeugnis als "eine Fiktion allmählich aufrüsten" müssen, und bei der Arbeit an der Anthologie ist er sich durchaus im Klaren, dass er in die zweihundert Jahre große Lücke keinen Dante oder Petrarca stellen kann. Aber deren Reflexe möchte er wenigstens erkennen und fixieren. So schreibt er an seine Frau: "Das wirklich Erhaltene und das von mir Gezauberte sollen sich gegenseitig aufhellen und Lebenskraft tauschen." Das ist immerhin Klartext. Borchardts "schöpferische Restauration" ist auch hier, im Konstrukt einer deutschen Renaissancelyrik, der Versuch, die deutsche Geschichte selbst zu korrigieren, "die Wunden meiner Nationalbiographie zu lindern oder schließen". Dafür taugt ihm auch die dokumentarisch gestützte Fiktion. In seiner Laudatio auf den Literaturwissenschaftler Josef Nadler, mit dem ihn manches verband, heißt es: "Das Beweisbare ist das Geringste, das Höchste ist oberhalb des Beweises."

Aber dieses Höchste - finden wir es denn hier? Borchardts Anthologie lohnte nicht die Lektüre, wäre sie bloß das Produkt einer literaturpolitischen Obsession und nicht das Werk eines Mannes, der wie wenige Instinkt und Kunstverstand in sich vereinigte. Borchardts untrügliches Gefühl für Qualität bewährt sich auch bei den Zeugnissen von Poesien, die man lange als Gesellschaftslieder und Volkslieder subsumiert und unterschätzt hat.

Liebeslust und -leid ist hier das dominierende Thema, und die italienischen, speziell petrarkistischen Einflüsse sind unverkennbar. Doch alle Philologie verblasst gegenüber dem spontanen Eindruck der Lektüre. Ob aus Absicht oder Zeitmangel: Borchardt hat auf jede thematische und formale Gliederung verzichtet. Zwar gibt es, vor allem zu Anfang, erkennbare Gruppierungen von Villanellen, aber es ist keine Form, sondern der erotische Ton, der die Abfolge moduliert und alle anderen Genres und Motive integriert. Selbst ein Jagdgedicht endet als Erotikon: "Der Jäger aber wirdt es noch offt reuen, / der mich gejagt so gar mit bösen treuen."

Es ist die Frische, die an diesen Villanellen und Kanzonetten, Madrigalen und Liedern frappiert, die unverstellte Sinnlichkeit, mit der das Liebesmotiv variiert wird. Zwar wird Amor oder Cupido bemüht, aber es gibt keine mythologische Staffage, keinen gelehrt-rhetorischen Liebesdiskurs. Alles lebt von der Prägnanz, mit der die Sache Liebe erfasst wird. Das hat - modern gesprochen - drive. So dieser Einsatz: "Ich schlaff / ich wach / ich geh / ich steh / ich kan dein nit vergessen." Geradezu klassisch dagegen formuliert ein anderes Gedicht das alte Motiv von Lieben und Geliebtwerden: "Kein grösser freud kann sein auff dieser erden, / Die widerfaren mag eim jungen herzen, / Dann lieben und gwiss sein, geliebt zu werden."

Natur wird nicht als Topos behandelt, sondern in sinnlichen Eingängen evoziert: "Nach schwartzen kirschen steigt man hoch." Farbe erscheint auch sonst nicht als Metapher, sondern an Natur und Mensch gebunden, als erotisches Signal. "Gott grüss mir die im grünen rock!", beginnt ein Gedicht und spielt das Grün-Motiv bis in den Schluss hinein. Die letzte Strophe ist Grün in Grün: "Gott grüss mir die in lauter Grün." Das ist wunderschön. Es ist übrigens jenes Gedicht, von dem Borchardt eine noch zierlichere Urform vermutet.

Solch eine unters Gedicht gesetzte Bemerkung ist eher die Ausnahme. Sie ist offenbar spontan, der eigenen Überraschung geschuldet, und war wohl kaum für den Druck gedacht. Aber natürlich liest man so etwas mit besonderem Interesse. Zu "Minne" schreibt Borchardt ohne nähere Begründung: "Form einzig dastehend". Zu "Madrigal" heißt es: "Nach dem Italienischen, meisterhaft". Zu "Fahr immer hin, ich will nicht viel mehr sagen" merkt er an: "Erste durchgeführte Alexandriner, vollkommene Pausen und Cäsuren." Hier blitzen Argumente auf, die Borchardts These von einer bislang unbekannten Stilepoche auch formgeschichtlich bestätigen sollten.

Wie problematisch auch manches an Begriff und Datierung von Borchardts "Renaissancelyrik" sein mag, wir lesen hier Gedichte, die über die Zeit hinweg zu uns sprechen: fast alle interessant und lesbar, viele faszinierend, einige großartig, ja groß. Was ist schon Ewigkeit? Was ist sie in der Literatur? Wenn diese Zeugnisse aus einer realen oder fingierten Epoche nicht ewig sein sollten, dann gehören sie doch - mit Hofmannsthals schöner Lizenz - zum eisernen Vorrat unserer Poesie.

- Rudolf Borchardt: "Deutsche Renaissancelyrik". Besorgt von Rudolf Borchardt. Aus dem Nachlass rekonstruiert und herausgegeben von

Stefan Knödler. Edition Tenschert bei Hanser,

München / Wien 2008. 582 S., geb., 54,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Recht lang holt Harald Hartung aus, um das Projekt des Rudolf Borchardt plausibel zu machen, der sich auf so radikale Weise der Tradition verschrieb, dass er sie in Teilen so erfand, wie sie seiner Ansicht nach gehörte. Das gilt für seine Dante-Übersetzung in ein Oberdeutsch, das es gar nicht gab. Und in gewisser Weise gilt es auch für die unvollendete Sammlung und eigensinnige Restauration anonymer Poesie als deutsche Renaissancelyrik, die nun aus dem Borchardtschen Nachlass herausgegeben wurde. Eine deutsche Renaissancelyrik hat im strengen Sinn nicht existiert - Borchardt aber behauptet sie herbei. Nicht zuletzt durch Überarbeitung und Rückübertragung späterer Texte in einen wiederum von ihm selbst aus dem Nichts rekonstruierten Sprachzustand. Nicht anfreunden will sich Hartung freilich mit der Idee, das ließe sich als "Manipulation" beschreiben. Denn zu bezwingend scheint dem Rezensenten das Ergebnis. Was Borchardt hier zusammengetragen habe, findet er nämlich verblüffend in seiner Frische, in seinem "drive". Die Gedichte seien "fast alle interessant und lesbar, viele faszinierend, einige großartig, ja groß". Verböte sich der Begriff im Zusammenhang mit einem wie Borchardt nicht, ließe sich, versichert Hartung, fraglos von einer "Sensation" sprechen.

© Perlentaucher Medien GmbH