Marktplatzangebote
2 Angebote ab € 11,00 €
  • Broschiertes Buch

Seit den legendären ersten Dichtertreffen im Jemen und der Herbsttagung 2003 der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung über "Arabische Poesie" hat sich ein reger und kontinuierlicher Austausch zwischen deutschsprachigen und arabischen Schriftstellern entwickelt. Die hier vorliegende Anthologie versammelt die neuere Dichtung arabischer Länder. Erläuternde Essays und Kommentare führen den Leser in die großartige Fremdheit der arabischen Poesie ein. Eine Dichtung, die ebenso von der Auseinandersetzung mit der Moderne des Westen wie von dem Ringen um kulturelle und politische Identität in der Region geprägt ist.…mehr

Produktbeschreibung
Seit den legendären ersten Dichtertreffen im Jemen und der Herbsttagung 2003 der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung über "Arabische Poesie" hat sich ein reger und kontinuierlicher Austausch zwischen deutschsprachigen und arabischen Schriftstellern entwickelt. Die hier vorliegende Anthologie versammelt die neuere Dichtung arabischer Länder. Erläuternde Essays und Kommentare führen den Leser in die großartige Fremdheit der arabischen Poesie ein. Eine Dichtung, die ebenso von der Auseinandersetzung mit der Moderne des Westen wie von dem Ringen um kulturelle und politische Identität in der Region geprägt ist.
Autorenporträt
Mohammed Bennis wurde 1948 in Fes geboren und ist dort aufgewachsen. Von 1999 bis 2003 war er Präsident des marokkanischen "Hauses der Poesie". Neben der Dichtung arbeitet er als Professor für Literaturwissenschaft an der Universität Rabat. Zudem hat er wichtige literarische und philosophische Stimmen ins Arabische übertragen. Er lebt seit 1972 in Mohamadiya.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.04.2008

Die sind in Hölderlin ja besser als wir!

Eigentlich kann man es nicht mehr hören: Wie hat der 11. September die Welt und die Kunst verändert? Ein Sammelband mit arabischer Lyrik aber gibt nicht nur darauf Antworten, die man so noch nicht kannte.

Wer sich heute mit arabischer Dichtung befasst, dem muss sie mehr denn je als Phänomen einer märchenhaften Welt erscheinen; einer Welt, in der das Böse über das Gute, Schöne, Wunderbare herrscht. Dort zählt Poesie noch zu den wesentlichen Ausdrucksformen der Gebildeten, wenn sie nicht von der Zensur verboten wird. Poeten gelten etwas, sofern Verfolgung, Diktatur und Krieg sie nicht ins Exil treiben. Arabische Gedichte zeugen von dieser so reizvollen wie schwierigen Position: Sie leben von einem unermesslichen Formenschatz und fordern die poetische Kunst, ihre Traditionen, ihre Festlegung auf das Heilige und Besondere zugleich heraus. Anklagen, existentielle Fragen, Witz und sogar Erotik senken den hohen Ton ab. Gleichwohl gibt er, von wenigen Ausnahmen abgesehen, den Stil vor: Wie ein schwerer Teppich dämpft der erhabene Vers Schrilles und Kontroverses im Gedicht.

Dieser Kontrast lässt arabische Gegenwartslyrik westlichen Augen und Ohren fremd erscheinen. Man erwartet anderes: Experimente mit der überlieferten Vers- und Strophenstruktur, um die dramatischen Erfahrungen der arabischen Gegenwart angemessen auszudrücken. Doch wäre es verfehlt, arabische Dichtung als rückständig zu beurteilen. Deshalb reagiert Ilma Rakusas und Mohammed Bennis' Textsammlung "Die Minze erblüht in der Minze" auf die vom arabischen Muster abweichende Erwartungshaltung des westlichen Publikums. Der Band führt in die lyrische Welt nach Tausendundeiner Nacht ein und dokumentiert zugleich, wie professionelle Leser, Kritiker und Autoren beider Welten einander begegnen.

Bei der "Minze" handelt es sich um den ausgesprochen lesenswerten und informativen "Zwischenbericht" (so Klaus Reichert) eines faszinierenden Austauschprojektes. Es begann im Frühsommer 2000 mit einer spontanen Anfrage aus dem Jemen (Ilma Rakusa). Seitdem treffen sich prominente Dichter aus sieben arabischen Ländern regelmäßig mit Dichter-, Kritiker- und Übersetzerkollegen der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung Darmstadt.

Als erste gemeinsame Anthologie zeigt die "Minze", wie sich die arabische und die deutsche Seite einander annähern. Ausgewählte Essays beschreiben die Probleme und Chancen des lyrischen Dialogs. Was die Parteien trennt, gehört in die Literaturgeschichte der vergangenen einhundert Jahre: Die Moderne fand im arabischen Raum nicht statt, oder sie wurde, wie die Texte emigrierter Libanesen, die sogenannte Machdschar-Literatur, an den Rand der öffentlichen Wahrnehmung gedrängt (Faisal Darraj). Allenfalls kennt man Ezra Pound und T. S. Eliot (Fuad Rifka). Der Koran ist stilistisches Vorbild selbst der säkularisierten arabischen Dichtung. Es gibt aber keine Übersetzung des Korans, die Verständnis für dessen Qualitäten wecken könnte; die Übertragung Friedrich Rückerts erscheint als nicht mehr zeitgemäß (Stefan Weidner).

All das ist Anlass zum Gespräch: Die Überzeugung, dass die Auseinandersetzung mit der fremden Kultur nicht nur unter humanitärem Aspekt wünschbar, sondern auch für die Weiterentwicklung der eigenen Zivilisation notwendig ist, vereint die Dichtergruppen. Im Fall der Lyrik bedeutet "Auseinandersetzung" zunächst einmal "Übersetzung" - aus deutscher Perspektive ein schwieriges Unterfangen, da das Deutsche weniger Möglichkeiten zum Wortspiel und zur Reimakrobatik bietet als das Arabische mit seinen häufig gleichlautenden Wortendungen (Harald Hartung, Fuad Rifka). Aus arabischer Sicht kommt eine weitere Anforderung hinzu: Im Fall der arabischen Lyrik fragt sich, wie arabisch sie überhaupt noch ist (Abdelfattah Kilito).

Arabische Lyrik lebt von den Erfahrungen des Exils und der Migration ebenso wie von den Traditionen des Dichterdialogs, unter anderem des arabisch-deutschen. Schon Goethe behauptete, "Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen". Arabische Erzählkunst und Poesie jedoch stifteten nicht nur Anschauungsmaterial für einen spezifisch abendländischen Exotismus, Araber haben auch ihrerseits an der europäischen Literatur- und Geistesgeschichte Anteil. Es fehlt in Deutschland am Bewusstsein für diese Wechselwirkung, wie Katharina Mommsen zu Recht beklagt.

Konsequenterweise verstehen die in der "Minze" vertretenen arabischen Autoren ihre Dichtung weder als Dokument des Orients noch des Okzidents. Vielmehr betonen sie den Eigenwert des Gedichts als Ausdruck des Ich (Mohammed Bennis). Häufig stehen sie auch durch ihr persönliches Schicksal für den Geltungsanspruch einer Dichtung ein.

Die älteren Beiträger, der in Paris lebende Adonis (geboren 1930), der in London tätige Iraker Saadi Yousef (1934) und der in Leipzig ansässige Syrer Adel Karasholi (1936), teilen die Erfahrung des Exils. Politisch kontroverse Autoren wie der Palästinenser Mahmud Darwish (1941) leben zwischen Jordanien und Palästina. Wieder andere arbeiten in Europa, so die Lyrikerin Salwa Al-Neimi (1960). Hinzu kommt die große Gruppe derer, die sich in ihren Heimatländern für den kulturellen und literarischen Austausch einsetzen.

Den leichtesten Einstieg in die Poesie und zugleich die Ausnahme von der formalen Verpflichtung auf Erhabenheit bietet, was westlicher Lyrik am nächsten kommt: Saadi Yousefs eindrucksvolle Beat-Poesie. Sein Text für die "Minze" heißt passenderweise "Amerika! Amerika!" Es handelt sich um eine bild- und aussagenreiche Erzählpoesie, die zugleich auf klassisch amerikanische Liedformen wie den Blues anspielt. "God save America / My home, sweet home!", lautet der Refrain. Saadi Yousefs Sprecher-Ich stellt sich als Amerika-Freund vor, als jemand, der "Jeans, Jazz und die Schatzinsel" liebt und das Amerika der "Kreuzzüge" gegen die "Achse des Bösen" vor sich selbst bewahren möchte: "Reicht es aus, kein Amerikaner zu sein, damit mich / der amerikanische Phantom-Pilot in die Steinzeit zurückbombt?" Dann: "Aber höre Amerika! Wir sind keine Gefangenen / Und deine Soldaten sind keine Gotteskrieger." Saadi Yousef legitimiert seinen Protest mit seiner Vorliebe für die Kultur- und Konsumgüter Amerikas.

So befassen sich die allermeisten Gedichte mit Kriegen; der 11. September steigerte den Bedarf an Lyrik geradezu. Formbeherrschung und hoher Ton gehören zwar nach wie vor zum dichterischen Ethos, aber die erhabene Bildlichkeit trägt nicht mehr. Ahmad Al-Awadi, Lyriker und Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Beziehungen im jemenitischen Parlament, wendet sich gegen die romantische Auffassung, der Poet sei ein "Magier". Der Dichter der Gegenwart beschwört mit den Verweisen auf den "heiligen Wahnsinn" (Fuad Rifka) und die "Trunkenheit" (Mohammed Bennis) zwar geheimnisvolle Kräfte, aber er gebietet nicht über sie. Wenn Mohammed Bennis formuliert: "Die Nacht heult / Wege weisen in irgendeine Richtung / Und ich / trinke aus Hölderlins Quelle", dann sieht er auch arabische Verse von Umnachtung inspiriert. Als Utopie bleibt nur der zaghafte Traum vom "freien Wort", das sich mit seiner unkontrollierbaren Dynamik gegen die "Unentschlossenheit" der Menschen durchsetzt (Mohammed Al-Asri).

Das düstere Selbstbild wird nur durch wenige Texte aufgehellt. Zu ihnen zählt eine der größten Überraschungen aus diesem Band: ein dezenter Vierzeiler von Salwa Al-Neimi. Man muss ihn zweimal lesen, so hintergründig ist er: "Wenn ich plötzlich in den Himmel auffahre / empfängt am Eingang mich der Herr / Er schaut mich an als sehe er mich zum ersten Mal: ,Du hast schöne Augen, weißt du das?'" - ein peinliches Kompliment. Zum einen entlarvt der Titel, "Pardon", den Allmächtigen als Charmeur; zum anderen zeigt sich, dass er seine weibliche Schöpfung erst wahrnimmt, wenn sie ihn optisch anspricht. Was wie ein Himmelfahrtsgedicht beginnt, entpuppt sich als gewitzte erotische und religionskritische Lyrik - eine Kombination, die im deutschen Christentum so selten ist, dass man auf das siebzehnte Jahrhundert, auf Christian Hoffmann von Hoffmannswaldaus Sonette zurückgehen muss, um Vergleichbares zu finden.

Nun will der marokkanische Verlag Dar Tubqal das arabische Gegenstück zu der "Minze" veröffentlichen: eine Anthologie deutscher Gegenwartsdichtung, übersetzt ins Arabische, ebenfalls hervorgegangen aus dem Autorendialog mit der Darmstädter Akademie. Wie die wohl in der arabischen Welt wahrgenommen wird: als dekadent, konstruiert, kompliziert? Als eine Poesie, die ihre Traditionen zugunsten des immer Neuen, Marktgängigen verrät? Für die "Minze" lässt sich jedenfalls nur hoffen, dass sie ein großes Publikum findet.

SANDRA POTT

Ilma Rakusa/Mohammed Bennis: "Die Minze erblüht in der Minze". Arabische Dichtung der Gegenwart. Carl Hanser Verlag, München 2007. 197 S., geb., 21,50 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Eine große Leserschaft wünscht Sandra Pott dieser Anthologie arabischer Lyrik. Dass der Band den Formenschatz arabischer Dichtung zugänglich macht, zugleich Überraschendes, den "hohen Ton" Unterlaufendes bereithält und in den enthaltenen Essays vom Aufbau eines "lyrischen Dialogs" zwischen deutscher und arabischer Dichtkunst erzählt, lässt ihr das Projekt so wertvoll erscheinen. Sinn sieht Pott in dieser gemeinsamen Anstrengung nicht zuletzt aufgrund des in den Texten dokumentierten "Eigenwerts des Gedichts als Ausdruck des Ichs". Dieser kann düster sein, wie Pott einräumt, aber auch transzendiert werden und sich als "gewitzt erotische" und "religionskritische" Poesie offenbaren.

© Perlentaucher Medien GmbH