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Zerstört der mediale Populismus die Demokratie? Im dritten Jahrtausend geht es nicht voran, sondern nur noch zurück: Auf den Kalten Krieg folgten die heißen Kriege in Afghanistan und im Irak, der längst vergangen geglaubte Konflikt zwischen Christentum und Islam ist zurück und der Darwinismus wird von christlichen Fundamentalisten angezweifelt. Mit dieser provozierenden These mischt sich Umberto Eco in die politischen und kulturellen Diskussionen unserer Zeit, und er tut es pointiert, ironisch und klar. Kann vernünftiges Argumentieren noch etwas ausrichten gegen politische Parolen, die ihre…mehr

Produktbeschreibung
Zerstört der mediale Populismus die Demokratie? Im dritten Jahrtausend geht es nicht voran, sondern nur noch zurück: Auf den Kalten Krieg folgten die heißen Kriege in Afghanistan und im Irak, der längst vergangen geglaubte Konflikt zwischen Christentum und Islam ist zurück und der Darwinismus wird von christlichen Fundamentalisten angezweifelt. Mit dieser provozierenden These mischt sich Umberto Eco in die politischen und kulturellen Diskussionen unserer Zeit, und er tut es pointiert, ironisch und klar. Kann vernünftiges Argumentieren noch etwas ausrichten gegen politische Parolen, die ihre Primitivität über neue Medien in alle Welt verbreiten? Ein großes Buch zur politischen Situation unserer Zeit.
Autorenporträt
Umberto Eco wurde am 5. Januar 1932 in Alessandria (Piemont) geboren und starb am 19. Februar 2016 in Mailand. Er zählte zu den bedeutendsten Schriftstellern und Wissenschaftlern der Gegenwart. Sein Werk erscheint bei Hanser, zuletzt u.a. der Roman Nullnummer (2015), Pape Satàn (Chroniken einer flüssigen Gesellschaft oder Die Kunst, die Welt zu verstehen, 2017), Auf den Schultern von Riesen. Das Schöne, die Lüge und das Geheimnis (2019), Der ewige Faschismus (2020) und Der Name der Rose (Jubiläumsausgabe, 2022).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.03.2007

Was man alles gegen die Dummheit tun kann
Umberto Eco, polyglott wie immer, wettert gegen medialen Populismus / Von Andreas Platthaus

Am Beispiel von Silvio Berlusconi widmet sich Umberto Eco der Analyse des Triumphs der Kommunikation - allerdings einer, von der der Semiotikprofessor aus Bologna vorher nicht einmal zu träumen gewagt hätte.

Umberto Ecos Liebe zur Literatur ist eine polyglotte, doch eine besondere Leidenschaft gehört natürlich den Büchern seiner Muttersprache. Deshalb wird er nicht gewusst haben, dass der Titel seiner jüngsten Aufsatzsammlung, die in Italien vor einem Jahr als "A passo di gambero" erschien, den gleichen Titel trägt wie die Erzählung "Im Krebsgang", die Günter Grass vor fünf Jahren veröffentlicht hat. Auf Italienisch heißt diese Erzählung allerdings "Il passo del gambero" (Der Krebsgang), und man darf nun rätseln, ob es für Eco spricht, dass er das Buch des Deutschen nicht kennt, oder für Grass, dass Eco seinen Titel nur minimal variiert und ihm damit eine Hommage erweist.

Wie auch immer - Burkhart Kroeber, Ecos Übersetzer seit Jahrzehnten, dürfte gewisse Probleme gehabt haben, eine geeignete deutsche Formulierung zu finden, ohne bestehende Titelschutzrechte eines streitbaren Autors zu verletzen. Deshalb heißt das neue Buch von Umberto Eco auf Deutsch nun "Im Krebsgang voran". Treue zur Vorlage ist natürlich zu begrüßen, aber dieser Essayband ist so reich, dass es zahlreiche andere Möglichkeiten der Titulierung gegeben hätte. Eine zum Beispiel wäre gewesen "Meine Grillen".

Es mag vermessen wirken, als Rezensent einem Übersetzer vom Range Kroebers Alternativen aufzuzeigen, aber einem Sprachspieler wie Eco würde es gewiss gefallen, wenn eine seiner spezifisch italienischen Lieben zur Quelle einer deutschen Doppeldeutigkeit geworden wäre. Die Liebe betrifft "Pinocchio", das weltberühmte Kinderbuch aus der Feder von Carlo Collodi, oder, besser gesagt, eine Figur daraus, nämlich die sprechende Grille, den Ratgeber der frisch beseelten Holzpuppe. In dieser Grille sieht Eco ein Ideal, das er vor beinahe vierzig Jahren den Theorien eines anderen Vorbilds, des italienischen Philosophen Noberto Bobbio, verdankte: "Ich hatte aus der Lektüre Bobbios einen Begriff von der Funktion des Intellektuellen als Pinocchios Sprechender Grille gewonnen, und ich bin alles in allem der Meinung, dass dieser Begriff noch immer richtig ist", schreibt Eco in seinem neuen Buch. Und da die Rede von einer "Grille" im Deutschen auch den Beiklang einer sonderbaren Vorliebe hat, wird seine Bobbio-Interpretation in unserer Sprache erweitert um eine Komponente, die Ecos eigener Leidenschaftlichkeit gerecht wird. Denn selbst seine Kampfschriften - und "Im Krebsgang voran" ist eine - sind Liebeserklärungen.

Sie entstehen aus einer Haltung, die Eco als "positive Antipathie" bezeichnet: Es geht immer um Italien, jene schläfrige Schöne, deren Träume das Wunderbarste geschaffen haben, was Europas Kultur zu bieten hat, die aber regelmäßig von Prinzen wachgeküsst worden ist, die nichts anderes im Sinn hatten als den Thron. Missmutig (um nicht zu sagen: angeekelt) analysiert Eco deshalb sein Heimatland während der zweiten Regierungszeit von Silvio Berlusconi. Sie begann 2001 und war, als das Buch im Februar 2006 in Italien publiziert wurde, noch nicht beendet. "Im Krebsgang voran" kam damals gerade noch rechtzeitig zum Wahlkampf heraus, an dessen Ende Berlusconis Koalition knapp dem Linksbündnis unterlag. So gelang Eco doch noch, was ihm 2001 nicht vergönnt gewesen war: durch seinen publizistischen Einsatz die Herrschaft des Medienmoguls verhindert zu haben.

Was aber haben wir heute noch von diesem Buch? Zunächst scheinbar nur ein Zeitdokument, das fünf Jahre hinweg kühle Beobachtungen zur Grundlage flammender Plädoyers für Berlusconis Abwahl nahm - Eco ist der Cato seiner Epoche. Doch das Buch bietet noch weitaus mehr: eine Selbstbestimmung des Intellektuellen. Die vor drei Jahre gehaltene Rede auf Bobbio ist die argumentative Basis dafür, denn aus Bobbios "gutem Pessimisten" gewinnt Eco nicht nur seinen archimedischen Punkt der positiven Antipathie, sondern auch das Musterbild des Gelehrten, der "mit nüchternem Kopf, mit festem Willen, mit Demut und voller Hingabe" zu argumentieren hat.

Diese vier Eigenschaften finden sich sämtlich in Ecos Buch wieder. Aus der spöttischen Haltung (fester Wille) der Streichholzbriefe etwa - insgesamt 45 von ihnen wurden ins Buch aufgenommen - spricht ein aufklärerischer Zug (nüchterner Kopf), der sich das wohlfeile Klagen über die Dummheit der Regierenden spart (Demut) und stattdessen einen appellativen Ton anschlägt (Hingabe), der ganz in der Tradition Schillers den wahren Feind in der Bereitschaft der Bürger erkennt, sich von solchen Regierenden regieren zu lassen.

Ein einziges Wort wird gesperrt gedruckt: "Tradition", und zwar in dem Satz "Es scheint fast, als ob die Geschichte, ermüdet von den Sprüngen, die sie selbst in den letzten zwei Jahrtausenden gemacht hat, sich in sich selbst zurückspult, um zu den bequemen Ruhmesfeiern der Tradition zurückzukehren." Damit ist eine andere Tradition angesprochen als jene literarische, die Eco von Dante über Manzonis Roman "Die Brautleute" bis zu Calvinos "Der Baron auf den Bäumen" zu seiner engsten Verbündeten erklärt und mit der er dann den Hebel hat, den es zu seinem archimedischen Punkt noch braucht. Die Tradition, die er sperrt und gegen die er sich sperrt, umfasst den Konflikt zwischen Religionen, das persönliche Regiment und die Vorurteile - eine populäre Tradition also. Ihre jeweilige Indienstnahme mit den Mitteln der modernen Medien ist es, die den elitären Traditionalisten Eco besonders erschreckt. Die Dummheit maskiert sich als Volkstümlichkeit.

Diese Vereinfachung des politischen Diskurses, für den Berlusconi mitsamt seinen Unterhaltungssendern steht, ist für Eco der Todesstoß für die westliche Kultur, die sich bemüht hat, "die schändlichen Vereinfachungen im Lichte der Forschung und des kritischen Geistes ,aufzulösen'". Die im besten Sinne zersetzende Kritik ist alles, was wir den anderen Zivilisationen voraus haben, denn schöne Kunst oder kluge Literatur entstehen auch anderswo. Was den Westen auszeichnet, ist also seine Bereitschaft zur Korrektur, und das bedeutet Befähigung zur Revolution statt zur bloßen Umkehr. Wenn Eco die Lega Nord ganz beiläufig zur "devolutionären Partei" stempelt, ist das eine Erledigung, die im Kontext seiner Betrachtungen nicht schärfer denkbar ist.

Die beiläufige Formulierung eines Kulturideals als Kritikideal macht "Im Krebsgang voran" zu einer programmatischen Schrift, die nicht länger an jene Tagesaktualität gebunden ist, die der Untertitel "Heiße Kriege und medialer Populismus" signalisiert. Gerade die Verspätung der deutschen Ausgabe ermöglicht es, das ursprünglich spezifisch Italienische in Ecos Thematik auf das zu überprüfen, was Bestand hat - zeitlich wie international. Das Buch bietet eine selbstbewusste Verteidigung von kulturellen Werten, die die Mehrheit gar nicht teilen muss, um dennoch von ihnen zu profitieren. Und ein interessantes Plädoyer für eine spezielle Form der Geschichtsvergessenheit: "Die Dinge ändern sich", schreibt Eco in seinem Aufsatz zum Prinzip des Heiligen Kriegs. "Es nützt nichts, daran zu erinnern, dass die Araber in Spanien ziemlich tolerant gegenüber den Christen und Juden waren, während bei uns die Ghettos gestürmt wurden, oder dass Saladin, nachdem er Jerusalem zurückerobert hatte, den Christen gegenüber viel barmherziger war, als es die Christen nach ihrer Eroberung Jerusalems gegenüber den Sarazenen gewesen waren. Lauter erwiesene Tatsachen, aber in der islamischen Welt gibt es heute fundamentalistische und theokratische Regime, die keine Christen tolerieren, und Bin Laden ist nicht barmherzig mit New York umgegangen."

Es ist bemerkenswert: Der Mann, der in sein Buch auch eine fiktive Reportage von der blutigen Einnahme Jerusalems durch die Kreuzritter aufgenommen hat, die in dem verzweifelten Satz gipfelt: "Manchmal schämt man sich, den Chronisten zu machen", wehrt sich gegen jede Relativierung heutigen Unrechts durch vergangene Verdienste - oder umgekehrt. Geschichtsvergessenheit in Ecos Sinne ist nicht als damnatio memoriae zu verstehen, sondern als Forderung nach Engagement im Heute bei gleichzeitigem Interesse für das Gestern. Aber dieses Gestern, so führt er aus, darf unser Urteil nicht bestimmen, denn alle historischen Taten sind im betriebswirtschaftlichen Sinne sunk costs, also Vorleistungen, die unser Handeln noch beeinflussen, aber nicht mehr bestimmen dürfen. Das ist eine ziemlich geradlinige Argumentation für ein Buch namens "Im Krebsgang voran". Eco beweist aufs schönste, dass es auch anders vorwärtsgeht.

Umberto Eco: "Im Krebsgang voran". Heiße Kriege und medialer Populismus. Aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber. Carl Hanser Verlag, München 2007. 319 S., geb., 23,50 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.05.2007

Das ist der moderne Republikaner
Witzig, informiert, streitlustig: Umberto Eco und seine Reaktionen auf ereignisreiche Zeitumstände
Er ist weltberühmt und ein gelehrtes Haus. Beides kommt selten in einer Person zusammen. Deshalb kann, was Prominenz und Gelehrsamkeit anlangt, allenfalls Noam Chomsky, der amerikanische Linguist, Umberto Eco das Wasser reichen. So jedenfalls haben es die Leser des britischen Magazins Prospect im letzten Jahr gesehen. Die Liste der von ihnen ausgewählten, hundert wichtigsten Intellektuellen führte der asketische Chomsky an, dem der beleibte Semiotikprofessor aus Bologna an zweiter Stelle folgte.
Allerdings setzt sich Ecos weltumspannende Gemeinde bestimmt nicht aus linksradikalen Globalisierungskritikern zusammen. Die versorgt Chomsky mit seinen faktengespickten Pamphleten. In der Mehrzahl werden es eher politisch indifferente Liebhaber historischer Romane sein. Seit dem Erstling „Im Namen der Rose” verschlingen sie Ecos Bücher, weil diese mehr zu bieten haben als die handelsüblichen Zutaten des kommerziell einträglichen Genres. Wie marktträchtig ein literarisch versierter Exotismus sein kann, der nicht in entlegene Räume, sondern in ferne Zeiten entführt, hatte Ecos Ausflug in die Belletristik 1980 bewiesen. Und mit dem Weltruhm erwarb er sich zugleich das Anrecht auf einen längeren Eintrag in die sicherlich aufschlussreiche, leider noch ungeschriebene Geschichte der Mittelalterfaszination. Vermutlich wird es wieder einige Jahrhunderte brauchen, ehe sich derart große Leserschaften für verschollene Traktate aus der Poetik des Aristoteles erwärmen.
Ecos Verdienste um die Höherlegung der Populärkultur sind also unbestreitbar. Freilich liegt ihm, anders als Chomsky, Extremismus fern. Zwar gehört er wie die meisten vernünftigen Italiener zur Linken, doch begegnet Eco Gesinnungen, gleich welcher Couleur, mit Skepsis. Er ist ein Mann des common sense, ein moderner Republikaner, der Tatsachenkenntnis und klare Begriffe für ebenso wichtig hält wie Augenmaß und ziviles Selbstbewusstsein. Parallelen zwischen dem Begründer der Transformationsgrammatik und dem Zeichentheoretiker aus Norditalien lassen sich dennoch erkennen. Eine nur akademische Existenz hat beiden Professoren trotz ihrer erfolgsverwöhnten Karrieren nie geschmeckt; zu ihrem Selbstverständnis als Intellektuelle gehörte und gehört der öffentliche Einspruch. Sich publizistisch in die Politik und Tagespolitik einzumischen, gilt Chomsky wie Eco auch im achten Lebensjahrzehnt noch als unabdingbar.
Tatsächlich ist der meinungsfreudige und streitlustige Eco in der italienischen Öffentlichkeit seit Jahrzehnten präsent. Er schreibt sowohl für die wichtigste überregionale Tageszeitung in Italien, für La Repubblica, wie auch für das von Paolo Flores d’Arcais herausgegebene Periodikum MicroMega, das Zentralorgan der linksliberalen Intelligenz. Außerdem versorgt Eco eine eigene Zeitungskolumne im L’Espresso seit 1985 regelmäßig.
Eine Sammlung der auf diese Weise zwischen 2000 und 2005 entstandenen Texte ist jetzt in einer vom Autor besorgten Ausgabe erschienen, erweitert um zwei längere Vorträge. Es handelt sich um Gelegenheitsarbeiten, um Ecos Reaktionen auf ereignisreiche Zeitumstände – auf die Rückkehr des Krieges nach dem langen Frieden der kalten Blockkonfrontation, auf den Aufstieg Silvio Berlusconis, auf die Debatten um die fundamentalistische Herausforderung des Westens, auf die Auseinandersetzungen um den Multikulturalismus, auf den erstarkenden Rassismus, auf den Umgang Italiens mit der faschistischen Vergangenheit. Kaum ein Thema, das nicht auch nördlich der Alpen durch die Medien gegeistert wäre, bleibt bei Eco ausgespart. Von der Zerstörung der Privatsphäre durch die Fernsehshows bis zu theologischen Feinheiten, den Status von Embryonen betreffend, zu allem bringt er nicht unbedingt Originelles, aber Lesenswertes zu Papier: manchmal plaudernd, manchmal in polemischer Zuspitzung, manchmal frei assoziierend, manchmal bestens informiert, gewöhnlich aber klug, mit dem Witz verfasst, der es unanstößig findet, unterhaltsam zu sein.
Europäische Öffentlichkeit? Ja!
Insofern führt ein erster Leseeindruck zu der nicht ganz überraschenden, jüngere Nervositäten zwischen Deutschland und Italien indes beruhigenden Schlussfolgerung, dass eine Vielzahl der Kontroversen, in die sich Eco einschaltet, im Grunde transnationale Fragestellungen betrifft. So ganz schlecht kann es um die gerne beargwöhnte europäische Öffentlichkeit nicht stehen. Selbst wenn die Probleme im jeweils lokalen Idiom besprochen werden, scheint es doch grenz- und kulturüberschreitende Themenhaushalte zu geben, die – vielleicht mit Zeitverschiebungen – auch außerhalb der nationalen Container bearbeitet werden.
Nicht minder beruhigend ist in diesem Zusammenhang, dass sich Ecos Sorge, Berlusconis medialer Populismus sei womöglich nur der italienische Auftakt für ein Schurkenstück, das in naher Zukunft auf vielen Bühnen Europas gegeben werde, im Rückblick als überängstlich erweist. Zu monieren, dass Berlusconis gleichschaltende Medienmacht im Begriff sei, das nationale Interesse mit den höchst partikularen Interessen eines Privatunternehmens kurzzuschließen, war keineswegs alarmistisch. Und den Populismus als ein Regime zu definieren, das parlamentarische Vermittlungen überspringen will, „um ein unmittelbar plebiszitäres Verhältnis zwischen charismatischem Führer und Massen herzustellen”, ist zweifelsohne eine nicht nur für italienische Besonderheiten brauchbare Definition. Zum Glück hat sich diese Regimeform jedoch bislang nicht zu einem europaweit nachgefragten Exportartikel gemausert, dessen Markteinführung Eco schon vor sich sah.
Dass einige seiner Urteile übers Ziel hinausschießen, dass Eco selbst frühere Prognosen etwa zur Zukunft des Kriegs revidieren muss und jetzt mit Spekulationen aufforstet, die nur mit groben, allzu groben Plausibilitäten ein ewiges Zugleich von globalem Krieg und regionalen Friedenszonen voraussagen, solche Unzulänglichkeiten gehören nun einmal zum Geschäft des Tagespublizistik. Sie steht ja überhaupt unter dem bekannten Motto, dass nichts so alt sei wie die Zeitung von gestern. Und diesem Gesetz entkommen Ecos Äußerungen nicht, weil sie besonders gelehrt und deshalb der Zeit enthoben wären, sondern nur, weil er ein berühmter Mann ist.
So werden vor allem jene Leser von den durchaus auch verderblichen Zwischenrufen Ecos profitieren, die sich in unseren Breitengraden darauf spezialisiert haben, nie genau zu verstehen, was in Italien eigentlich vorgeht. Dass dieses Unverständnis mitunter Gründe in den jeweils zeitgeschichtlich angeheizten Sachen selbst hat, das ist der zweite, mitunter sogar tröstliche Leseeindruck. Und mit ihm lässt sich Ecos Buch nach der Lektüre getrost aus der Hand legen. MARTIN BAUER
UMBERTO ECO: Im Krebsgang voran. Heiße Kriege und medialer Populismus. Aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber. Carl Hanser Verlag, München 2007. 320 Seiten, 23,50 Euro.
Professor und Tagespublizist, vor den Lügnern auf der Hut: Umberto Eco, 75, in seiner Mailänder Wohnung Foto: laif
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Mehr als angetan ist Rezensent Arno Widmann von diesem gelungenen Versuch eines Schriftstellers, in die Politik einzugreifen, "ohne dabei dumm zu werden". Und obwohl das Ziel, das Umberto Eco mit diesem Buch verfolgt habe, nämlich Berlusconi zu verhindern, inzwischen erreicht sei, hat das Buch für den Rezensenten an Aktualität nichts verloren. Begeistert verfolgt Widmann beim Lesen, wie Eco seine Gedanken durch seinen Kopf jagt "wie wir früher die Kugel durch den Flipperautomaten"; bewundert seinen "Mut vor dem Freund" und die Courage, genau hinzusehen. Wie sich Eco von Widerspruch zu Widerspruch fortbewegt und damit zu entlarvenden Erkenntnissen gelangt. Als Leser der Rezension hätte man sich gelegentlich über ein Beispiel Widmanns gefreut, an dem er die Methode Eco etwas erhellender schildert. So reitet man etwas ratlos auf den Wellen seiner Begeisterung.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Ein sehr beeindruckendes Zeugnis dafür, wie ein intelligenter Autor in die Politik eingreifen kann." Arno Widmann, Frankfurter Rundschau, 03.03.07

"Eine treffende Analyse des Zeitgeschehens. ... Wenn es Aufgabe eines Intellektuellen ist, zeitaktuelle Phänomene zu registrieren, zu analysieren und 'auf den Begriff' zu bringen, dann hat Umberto Eco mit dem vorangehenden Krebs ein sehr treffendes Bild für eine heute weit verbreitete paradoxe Stimmung einer rückwärtsgewandten Zukunftserwartung gefunden." Carl Wilhelm Macke, Tages-Anzeiger, 06.03.07

"Wer das liest, dem wird klar, dass der Mut, den Mund, und der Mut, die Augen aufzumachen, zusammengehören." Arno Widmann, Frankfurter Rundschau, 03.03.07

"Eco lesen macht Spaß. Das liegt vor allem daran, das Eco den Leser an dem teilnehmem lässt, was ihm als Autor den größten Spaß macht: am Denken."
Arno Widmann, Frankfurter Rundschau, 03.03.07

"Eco beweist aufs schönste, dass es auch anders vorwärtsgeht." Andreas Platthaus, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.03.07

"Witzig, informativ, streitlustig: Umberto Eco und seine Reaktion auf ereignisreiche Zeitumstände." Martin Bauer, Süddeutsche Zeitung, 23.05.07

"Das Erstaunliche an diesen Aufsätzen ist: wie der Autor seine belehrende Professoralität mit einem leichten und oft amüsantem Ton verbindet, ohne je anbiedernd zu wirken. Vernünftige Einsichten, gesunder Menschenverstand, pragmatische Lösungen - das ist sein Credo." Wolfgang Schneider, Die Welt, 02.06.07

"Interessant sind Ecos Kommentare zur Politik auch deshalb, weil er als gewiefter Semiotiker und Sprachanalytiker hinter das vordergründige Geplänkel der Argumente schaut und die Phrasen zerlegt." Wolfgang Schneider, Die Welt, 02.06.07
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