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Funkensprühende Geschichten des fantastischen und fantasievollen Erzählers Italo Calvino, zum ersten Mal auf Deutsch. Von den Piraten um Francis Drake, den Verschwörern gegen Cäsar bis zu einem Interview mit Montezuma und dem Neandertaler: ein intelligentes Lesevergnügen, mit dem der Leser Calvino quer durch sein Lebenswerk begleitet.

Produktbeschreibung
Funkensprühende Geschichten des fantastischen und fantasievollen Erzählers Italo Calvino, zum ersten Mal auf Deutsch. Von den Piraten um Francis Drake, den Verschwörern gegen Cäsar bis zu einem Interview mit Montezuma und dem Neandertaler: ein intelligentes Lesevergnügen, mit dem der Leser Calvino quer durch sein Lebenswerk begleitet.
Autorenporträt
Italo Calvino wurde 1923 geboren, wuchs in San Remo auf und starb 1985 in Siena. Sein Werk erscheint bei Hanser, zuletzt u.a. Warum Klassiker lesen? (2003), Die unsichtbaren Städte (2007), und Ich bedaure, daß wir uns nicht kennen (Briefe 1941-1985, 2007).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.03.2004

Ausufernde Lektüre verhindert jeden Krieg
Die Tradition als Remedium gegen alle falschen Gewißheiten: Unveröffentlichte Erzählungen und Feuilletons von Italo Calvino / Von Dirk Schümer

Seit fast zwanzig Jahren ist Italo Calvino tot, doch noch immer hat - vom Sonderfall des Erfolgsromane schreibenden Professors Umberto Eco einmal abgesehen - die italienische Literatur keinen Autor seines Ranges mehr hervorgebracht. Darum ist es auch kein Akt der Philologie, sondern ein Zeugnis der ungebrochenen Lebendigkeit von Calvinos Denken, wenn sein deutscher Verlag nun Feuilletons, Fundstücke und unedierte Kurzprosa von ihm herausgibt. Die kluge Auswahl rundet das literarische Schaffen des Autors für das deutsche Publikum ab und ist zugleich ein immer noch makellos reflektierender Spiegel der italienischen Nachkriegskultur.

Calvinos Anfänge als Schriftsteller liegen in einem märchenhaften Neorealismus - im schwebenden Kinderton der resistenza-Saga "Wo Spinnen ihre Nester bauen". Der Widerspruch zwischen Naturfabel und knallhartem Kriegsroman bezeichnet gleich am Beginn die Eigenheit dieses Schriftstellers, nie mit den literarischen Zeitströmungen oder gar dem politischen comment auf einem Nenner zu liegen. Der Geist der Kriegs- und Bürgerkriegserfahrungen findet sich auch in manchem Prosastück dieses Bandes, denn Calvino - Jahrgang 1923 - scheint anfangs regelrecht besessen von Soldaten, Bomben, Raketen, Feldzügen. Doch anders als bei den Klassikern der coolen, brutalen resistenza-Epen eines Fenoglio oder Vittorini überwiegt bei Calvino das Raisonnement, die Akzentverschiebung vom Fotorealismus zum intellektuellen Lehrstück.

Da ist etwa der Soldat Luigi, der Krieg als Privatrache gegen seinen Intimfeind Alberto versteht und - in Ermangelung des Gemeinten - reihenweise Gegner umlegt. Aber als er am Ende ordensbehängt den fiesen Alberto endlich kaltmacht, wird der begabte Soldat verhaftet, weil der Krieg - das belobigte Massenmorden - bereits vorbei ist. In einer anderen Geschichte, die ihre militärische Rauheit hinter putziger Duodez-Romantik verbirgt, scheitert ein Regiment beim Zug durch eine Stadt zum Exerzierplatz, weil man, irgendwie irritiert, den Weg verpaßt, im Gleichschritt durch Rabatten und Hinterhöfe stolpert, um schließlich auf irgendeinem Dachboden einer Mietskaserne zu versanden, nachdem man Haubitzen und Pferde im Treppenhaus hatte zurücklassen müssen.

Auf heutige Leser mag eine solche Groteske wie die Evokation "typisch" italienischer Ziviltugenden wirken: Spott auf alles Preußentum, zivilisierte Komplikation aller teutonischen Kommißköpfigkeit. Und tatsächlich spielen die schwächeren Geschichten auf die Furcht vor einer Wiederkehr der Deutschen an. Eine böse Dogge heißt "Guderian", und eine ganze Stadt versinkt in der Neurose, die Nazi-Besatzer erhöben sich bereits wieder zu alter böser Pracht. Solche Anbiederei wirkt aber nur gekünstelt. Statt der Politisierung der Literatur erwies sich die umgekehrte Ästhetisierung der Politik als das subversivere Mittel. Calvino schreibt ungleich überzeugender, wenn er einen "General in der Bibliothek" - so die Titelgeschichte -, also sozusagen auf des Dichters Terrain beobachten kann. Beim Titel denken deutsche Leser unwillkürlich an Sturm von Bordwehr, den geistig angehauchten Generalstäbler aus Musils "Mann ohne Eigenschaften" und dessen tapsige Suche nach dem Stein der Weisen in der Wiener Zentralbücherei. Calvino, der diese Episode 1953 wohl nicht kannte, läßt seinen gründlichen Militär zwischen Büchern hoffnungslos in einer Utopie stranden: Wegen ausufernder Lektüre kommt es nicht zum Krieg.

Hier ist unser Autor näher beim Surrealismus als beim Neorealismus, wie man ihn im Parteiorgan "Unità" damals wohl lieber gesehen hätte. Doch lagen und liegen im weniger dogmatischen Italien solche ästhetischen Welten eben dichter beieinander als anderswo. So zeugen schon die allerfrühesten, nur als Manuskript erhaltenen Versuche des Zwanzigjährigen von einer Lust am Absurden, die so gar nicht zur realen Kriegstragik von 1943 passen will. "Der Mann, der Teresa rief", schreit mitten in der Nacht den Namen seiner Dame so lange zu einem Fenster hoch, bis sich - wie im sozialen Italien nicht anders zu erwarten - Mitstreiter und Helfer einfinden; man brüllt im Chor. Doch die Dame wohnt hier gar nicht, und wer sie ist, weiß am Ende auch keiner mehr. Solche Spielereien im Stile Gogols oder von Daniil Charms machen deutlich, daß Calvino zeitlebens mehr von Büchern und kuriosen Plots fasziniert war als von der Grobschlächtigkeit der Wirklichkeit.

Was er wie am Fließband lieferte, waren meist Parabeln - als könnte man qua Erzählen dem unentwirrbaren Schicksal des modernen Menschen wenn schon keinen Sinn, so doch eine amüsante Gegenwirklichkeit hinzuerfinden. Hören wir die Geschichte von der Stadt, in der alle Menschen Diebe waren: "Handel gab es in dieser Stadt nur in Form von Betrug, sowohl seitens des Verkäufers als auch des Käufers. Die Regierung war eine kriminelle Organisation zur Ausplünderung der Untertanen, und die Untertanen hatten ihrerseits nichts anderes im Sinn, als die Regierung zu betrügen. So ging das Leben problemlos weiter, und es gab weder Arme noch Reiche." Ist dieses Utopia nicht die schelmische Beschreibung von Calvinos Vaterland und seines Wirtschaftswunders?

Natürlich scheitert die Stadt der Diebe am einzigen Ehrlichen, der den lückenlosen Kreislauf der Hehlerei durcheinanderbringt und am Ende seine Mitmenschen ins Chaos stürzt. "Alles, was wirklich ist, ist vernünftig" - diesen Hegelschen Brachialirrtum wirft ein präpotenter Jüngling seiner Angebeteten in der zugigen Turiner Straßenbahn an den Kopf, doch Calvinos Widerspruchsgeist fügt vorsichtshalber hinzu: "Doch ich war nicht ganz überzeugt." Kein Wunder, daß auch das Mädchen von dieser philosophischen Wuchtbrumme nicht überzeugt ist und sich lieber einem echten Proleten zuwendet.

Bei aller Ironie mit den ärmlichen, doch würdigen Verhältnissen in seinem Italien schöpft Calvino unverhohlen aus der Tradition. Aktuelle Ängste und Raisonnements - zum Atomkrieg, zur Lage der Arbeiterschaft, zum Historischen Kompromiß zwischen Christdemokraten und Kommunisten - kleidet er in historische Kostüme. Calvino überläßt schottischen Clanchefs, römischen Senatoren, russischen Anarchisten, dem Aztekenkönig Montezuma oder - in einem besonders poetischen Experiment - dem venezianischen Verführer Casanova das Wort. Einmal decouvriert er in einem späteren Kommentar seine Piratenstory "Die große Flaute in den Antillen" als Parabel auf das jahrzehntelange Sich-Belauern von Kommunisten und Christdemokraten, die am Ende ohne das haßgeliebte Gegenüber die eigene Daseinsberechtigung nicht mehr kennen. So im Klassiker-Tonfall eines Melville oder Conrad - also mit geliehener Stimme - vom Heute zu sprechen, machte ihm später der gelehrige Umberto Eco bei den rotbrigadistischen Franziskanerpredigten im "Namen der Rose" nach.

Wenn Calvino schwächelt, dann dort, wo er zu sehr den poeta doctus heraushängen läßt und sich als Adept der Pariser Strukturalistendichter der "Oulipo"-Gruppe mit sprachspielerischem Tinnef verzettelt - zu besichtigen an einem albernen Georges-Perec-Imitat mit Abc-Abzählreimen, die selbst der sonst so elegante und treffsichere Übersetzer Burkhard Kroeber nur mittels einem Wust von Fußnoten ins Deutsche hinüberhieven konnte.

Ein sehr viel gelungeneres Genre ist das rückwärtsgewandte Interview - etwa mit dem Neandertaler ("Ich war da. Du nicht!"), das als einziger Text des Bandes bereits zuvor ins Deutsche übertragen worden war. Hier gelingt es Calvino wieder, den Hochmut der Gegenwart an der List der Vergangenheit zu brechen. Dem robust selbstbewußten Neandertaler ist mit noch so rabulistischen Fragen ebensowenig beizukommen wie dem kapitalistischen Erzvater Henry Ford. Dessen zahlreiche Sünden - darunter immerhin die Erfindung des Fließbandes und die Unterstützung für die Faschisten - erwähnt Calvino, ganz interessefreier Ethnologe, in seinem Interview höchstens am Rande und läßt dafür einen originellen Querkopf und Ornithologen erstehen, von dessen Nützlichkeits- und Freiheitserwägungen jeder linientreue Kommunist eine Menge Nachdenkenswertes übernehmen könnte.

Die Tradition, die Calvino damals mit seinen an Tasso und Ariost geschulten Zauberromanen an unsere wenig zauberhafte Gegenwart heranführte, ist diesem geistreichen, im besten Sinne rokokohaften Aufklärer ein kostbares Remedium gegen alle Gewißheiten. Calvinos aus frühem Krieg und folgender Not geretteter Glauben erweist sich in so gut wie allen Erzählungen dieses wunderschönen Bandes: daß sich aus den überreichen Beständen des Abendlandes sogar sein finsterstes Jahrhundert - das zwanzigste - eventuell zivilisieren ließe.

Italo Calvino: "Ein General in der Bibliothek". Erzählungen. Aus dem Italienischen übersetzt von Burkhard Kroeber. Hanser Verlag, München 2004. 297 S., geb., 21,50 [Euro].

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"Ein makellos reflektierender Spiegel der italienischen Nachkriegskultur. Calvinos aus frühem Krieg und folgender Not geretteter Glauben erweist sich in so gut wie allen Erzählungen dieses wunderschönen Bandes: daß sich aus den überreichen Beständen des Abendlandes sogar sein finsterstes Jahrhundert - das zwanzigste - eventuelll zivilisieren ließe." Dirk Schümer, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.03.04

"Mit diesem Band erfährt Italo Calvinos Werk in Burkhart Koebers sehr guter Übersetzung eine schöne, stimmige Abrundung und Ergänzung. Mit dieser Kollektion von Geschichten wird nochmals deutlich, dass mit dem allzu frühen Tod dieses einfallsreichen, poetischen, subtilen, fulminanten und hoch intelligenten Erzählers nicht nur die italienische Literatur einen großen Verlust erlitt, sondern die europäische, ja die Weltliteratur." Alexander Kluy, Rheinischer Merkur, 06.05.04

"Italo Calvino weiß die Absurdität des Daseins auf unvergleichlich komische Art zu vermitteln. Seine ungezwungene Leichtigkeit und sein Witz haben etwas Verführerisches (...)." Maike Albath, Neue Zürcher Zeitung, 11.08.2004.

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Wunderschön findet Rezensent Dirk Schümer diesen Band, in dessen Titelgeschichte er einen gründlichen Militär zwischen Büchern hoffnungslos in einer Calvino-Utopie stranden sieht: "Wegen ausufernder Lektüre kommt es nicht zum Krieg." Nicht nur deshalb betrachtet Schümer die Herausgabe dieser Feuilletons, Fundstücke und unedierten Kurzprosa als Zeugnis der ungebrochenen Lebendigkeit Italo Calvinos. Auch sieht er durch die kluge Auswahl der Texte das literarische Schaffen Calvinos jetzt für das deutsche Publikum abgerundet. Der Rezensent liebt die Ironie der Texte und ihre Nähe zum Surrealismus. Schümer sieht Calvino allerdings "schwächeln", wo er den "poeta doctus" heraushängen lässt, wenn er sich beispielsweise als Adept der Pariser "'Oulipo'-Gruppe mit sprachspielerischem Tinnef" verzettelt". Da bleiben dann selbst dem "sonst so eleganten und treffsicheren" Übersetzer Burkhard Körber nur noch Fußnoten als Mittel zum Verständnis.

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