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Der handschriftliche Nachlass von Wilhelm Heinse, in aller Bescheidenheit mit Aufzeichnungen betitelt, ist ein dichterisches Werk von weltliterarischer Bedeutung und zugleich eine Fundgrube zur europäischen Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts, im Rang vergleichbar mit den Schriften Georg Christoph Lichtenbergs. Auf die beiden Textbände folgen nun zwei Kommentarbände mit ausführlichen Anmerkungen, die sich gleichermaßen an Wissenschaftler und Laien richten, und ein Anhangband mit einem Register, Bibliographie und Nachwort sowie einem reichhaltigen Abbildungsteil.

Produktbeschreibung
Der handschriftliche Nachlass von Wilhelm Heinse, in aller Bescheidenheit mit Aufzeichnungen betitelt, ist ein dichterisches Werk von weltliterarischer Bedeutung und zugleich eine Fundgrube zur europäischen Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts, im Rang vergleichbar mit den Schriften Georg Christoph Lichtenbergs. Auf die beiden Textbände folgen nun zwei Kommentarbände mit ausführlichen Anmerkungen, die sich gleichermaßen an Wissenschaftler und Laien richten, und ein Anhangband mit einem Register, Bibliographie und Nachwort sowie einem reichhaltigen Abbildungsteil.
Autorenporträt
Wilhelm Heinse, geb. 15.02.1746 in Langewiesen (Thüringen), ab 1766 Studium in Jena und Erfurt, ab 1772 Tätigkeit als Hauslehrer in Halberstadt, von 1774-80 Aufenthalt in Düsseldorf bei den Brüdern F. H. und J. G. Jacobi, 1780 Italienreise, 1781 längerer Rom-Aufenhalt, 1783 Hauptwerk 'Ardinghello', ab Okt. 1786 Dienst beim Erzbischofs und Kurfürsten von Mainz, gest. 22.06.1803 in Aschaffenburg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.06.2006

Sie Rüstiger, Sie!
Glücklich beendet: Die Neuausgabe von Heinses Aufzeichnungen

Vor drei Jahren erschienen zwei voluminöse Bände mit allen Aufzeichnungen, die sich im Nachlaß des 1803 gestorbenen Wilhelm Heinse gefunden hatten - oder zumindest dem, was davon heute noch in der Frankfurter Stadtbibliothek übrig ist, denn von den bis 82 durchnumerierten Heften fehlen einunddreißig. Das reichte immerhin für knappe 2800 Druckseiten; selten hat man etwas Faszinierenderes lesen können (F.A.Z. vom 4. November 2003). Hier wurde sichtbar, wie dieser Autor des späten achtzehnten Jahrhunderts sein ganzes Schaffen - das zwei damals erfolgreiche Romane ("Ardinghello und die glückseeligen Inseln", 1786/87, sowie "Hildegard von Hohenthal", 1794/95), Übersetzungen (Tasso, Petrons schlüpfriges "Satyricon", Ariost) und Aufsätze in Zeitschriften wie Wielands "Teutschem Merkur" oder die von Heinse selbst redigierte "Iris" hervorgebracht hat - auf dem Primat der Anschauung gründete, der nur in den Notaten unverstellt zutage trat. Heinse erwies sich damit als ein Ästhetiker von Gnaden, der auf seiner Italienreise 1780 bis 1783 vor den Meisterwerken der antiken wie der neuzeitlichen italienischen Kunst Erkenntnisse notierte, die in vielem Goethes oder Karl Philipp Moritz' Eindrücke vorwegnahmen.

Heinse aber schien unter einem Unstern gestorben, denn sein Chef d'OEuvre blieb unpubliziert. Dabei bieten die Aufzeichnungen weit mehr als den Reiz eines kunstgeschichtlichen Cicerone, mit dem man römische (und manch andere) Galerien des späten achtzehnten Jahrhunderts in Gedanken durchwandern kann. Sie sind prospektive Wendepunkte der Kunstgeschichtsschreibung durch ihren Mut zur Subjektivität des Interpreten, die jedoch erst verspätet in ihrer Scharfsichtigkeit erkannt wurden, weil nur einzelne Beobachtungen Eingang in Heinses zu Lebzeiten publizierte Schriften fanden. So wurde Johann Georg Jacobis Urteil prägend, das er 1774 an Goethe geschrieben hatte: "Sein Feuer ist bloße Gluth der Seele." Heinses Nachlaßverwalter, der berühmte Mediziner und enge Freund Samuel Thomas Sömmerring, zögerte trotz bester Absichten mit der Herausgabe des Nachlasses; dessen Erben hielten es genauso, so daß erst 1881 im "Archiv für Litteraturgeschichte" ein erster Auszug aus den Aufzeichnungen gedruckt wurde, eingeleitet mit der Bemerkung: "Leider ist die richtige Zeit zur Veröffentlichung versäumt worden."

Selten hat es ein gröberes Fehlurteil gegeben, denn von 1909 bis 1925 wurde im Rahmen der "Sämtlichen Werke" Heinses ein Großteil des Frankfurter Nachlasses publiziert; das verhalf Heinse für einige Jahrzehnte zu einem legendären Ruf. Dann beruhigte sich die Rezeption. Erst eine Weimarer Tagung gab 1996 den Anstoß für eine Neuausgabe des Nachlasses, die alle Aufzeichnungen umfassen sollte, zumal eines der vermißten Hefte 1977 wiederaufgetaucht war. Sömmerrings Sohn Detmar Wilhelm hatte es um 1840 seinem Hauslehrer Heinrich Weismann überlassen, der Heinses Notizen für eine Edition durchsehen sollte, das Projekt aber nach einigen Jahren aufgeben mußte. Als einzigen Lohn für etwaig geleistete Arbeit erhielt er jenes Heft N16. Weitere Hefte mögen, wie der nunmehrige Herausgeber Markus Bernauer vermutet, aus einzelnen Korrespondenzen bestanden haben, die heute im Freien Deutschen Hochstift in Frankfurt liegen. Immerhin sind den Forschern bei der Recherche zur Neuausgabe der Aufzeichnungen einunddreißig bislang unbekannte Briefe von und an Heinse in die Hände gefallen, die den zuvor bekannten Bestand von 282 Schreiben aus seiner Korrespondenz erheblich vermehren. Diese Funde, vor allem im Freien Deutschen Hochstift, aber auch in anderen Sammlungen, haben dazu geführt, daß aus den ursprünglich zwei weiteren Bänden, die den wissenschaftlichen Kommentar zu den Aufzeichnungen aufnehmen sollten, drei wurden - obwohl die neu aufgefundenen Schriften zusammen kaum siebzig Seiten ausmachen.

Aber sie sind überaus spannend, und allein ihre Bedeutung für die Forschung ist Rechtfertigung genug dafür, ihnen einen prominenten Auftritt in der nun fünfbändigen Edition zu verschaffen. Sie bilden den Auftakt zum fünften Band, und es ist faszinierend, ihnen abzulesen, wie etwa das Verhältnis zwischen Heinse und Jacobi sich abkühlte, das in den frühen siebziger Jahren so euphorisch und vorromantisch-gefühlsbetont begonnen wurde, daß Jacobi, der die "Iris" finanziert hatte, am 26. Juli 1775 an Heinse einen wahren Jauchzer sandte, als er ihn zu sich einlud: "Wir wollen schwatzen von Griechen u. Barbaren, von Italienern u. Celten; wir wollen Blumen pflücken, das Abendroth beschauen u.s.w. Kommen Sie, mein Lieber!"

Aber schon im Herbst 1775 kündigte sich die Einstellung der "Iris" an, die Freundschaft bekam Risse. Als Jacobi die Zeitschrift 1802 ohne Heinse wiederbelebte, wollte er ihn wenigstens als Autor gewinnen und bat um Beiträge. Die beiden neu aufgefundenen Briefe, die er deshalb an Heinse schrieb, sind ungeachtet einiger Freundschaftsbeteuerungen sehr kühl gehalten. Keine Einladung nach Freiburg ergeht an den in Aschaffenburg lebenden Heinse, auch kein Besuch Jacobis wird angekündigt oder zumindest beschworen.

Mit zunehmendem Alter haben weder schwindender Überschwang noch fehlende Besuchsbeschwörung etwas zu tun. So schreibt der sechsundfünfzigjährige Heinse an den zwei Jahrzehnte jüngeren Heinrich Wilhelm Karl von Harnier einen empfindungsrhetorisch immer noch einschlägigen Brief ("Es thut mir wohl, daß Sie Rüstiger nun in Ihrem Kreis von Glückseeligkeit sich befinden!"). Selbstverständlich werden darin Treffen mit dem preußischen Legationsrat in München erträumt.

Harnier ist übrigens so etwas wie die Entdeckung dieser Ausgabe. Nicht, daß es viel über ihn aus Heinses Feder zu lesen gäbe, und so kann Bernauer auch resümieren: "Bis zum Fund des in Basel liegenden Briefes war die Freundschaft ganz unbekannt." Doch wir verdanken ihr etwas Besonderes: eine späte Darstellung Heinses im Profil, von unbekannter Hand gezeichnet, die Harnier besaß und die er Sömmerring 1808 aushändigte, wohl als Vorlage für ein Frontispiz in der damals noch geplanten Ausgabe der Nachlaß-Notate. Das Original ließ Sömmerring abzeichnen, die Kopie hat sich erhalten, sie wird in Band V der Aufzeichnungen erstmals abgedruckt.

Der Band ist also eine veritable Schatzkiste, zumal er auch noch den Tafelteil mit 128 Abbildungen von Kunstwerken enthält, die Heinse gesehen und beschrieben hat. Dabei bieten schon die beiden Kommentarbände eine Fülle von Abbildungen, beispielsweise aus zeitgenössischen Museumsverzeichnissen. Insgesamt sind Text und Kommentar beinahe gleich umfangreich ausgefallen, einzelne Einträge sind eher zu kleinen monographischen Aufsätzen geworden, wie die Erläuterung zum deutsch-römischen Künstler Franz Kobell, mit dem Heinse manche Tour in Italien unternahm, oder zum sogenannten Griechenstreit in der Nachfolge Winckelmanns.

Daß ein so gewaltiges Projekt nur fünf Jahre bis zum Abschluß brauchte, ist ein kleines Wunder - auch wenn es damit ein Jahr länger brauchte als ursprünglich angekündigt. Ohne die Förderung durch die Gerda Henkel Stiftung wäre das unmöglich gewesen, ohne das Engagement der jungen Kunsthistoriker um Bernauer auch nicht. Mit wie heißer Nadel noch zuletzt gestrickt wurde, zeigen einerseits die Berücksichtigung auch neuester Literatur, wie etwa die Edition von Sömmerrings Tagebüchern, andererseits kleine Fehler, die bei der Ausgliederung des fünften Bandes entstanden sind, in den Texte verlagert wurden, die für den dritten geplant waren. Dabei sind Verweise stehengeblieben, die nun nicht mehr zutreffen.

Daß man überhaupt auf solche Quisquilien abstellen muß, um etwas Mißlungenes an diesem fünfbändigen Prachtstück zu finden, das zeigt, um was für eine editorische Glanzleistung es sich dabei handelt.

ANDREAS PLATTHAUS

Wilhelm Heinse: "Die Aufzeichnungen". Hanser Verlag, München 2005.

Band III: Kommentar 1, 1768-1783. 1679 S., 105 Abb., geb., 62,- [Euro].

Band IV: Kommentar 2, 1784-1803. 1255 S., 17 Abb., geb., 62,- [Euro]

Band V: Verstreute Texte und Briefe, Bibliographie, Nachworte, Bildtafeln, Anhang, Register. 927 S., 128 Tafeln, 15 Abb., geb., 62,- [Euro]

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.11.2005

Das schönste Leben aller Dinge
Warum die meisten Dichter Hermaphroditen sind: Wilhelm Heinses berühmte Aufzeichnungen sind nun endlich durch einen glänzenden Kommentar erschlossen. Er gewährt Einblick in eine einzigartige Gedankenwerkstatt.
Von Jens Bisky
In Rom, wohin er gereist war, um das Vortreffliche in Natur und Kunst zu erleben, begann Wilhelm Heinse 1782 die Antiken der Vatikanischen Sammlungen zu beschreiben: den Torso vom Belvedere, die Laokoon-Gruppe und den Apoll. Heinse betrieb das Beschreibungsgeschäft mit Fleiß und Bleistift, setzte wiederholt an, ohne doch zu einer endgültigen Formulierung zu gelangen. Die meist kurzen Texte sind in der deutschen Kunstliteratur ohne Beispiel. Auch den heutigen Leser, der allzu oft dem Vorurteil anhängt, Klassizisten für blutleere, gipsverliebte Gelehrte zu halten, vermag Heinse durch seine gern grobe Sinnlichkeit und den unbestechlichen Blick für artistische Details zu unterhalten.
Über eine Antinous-Statue, heute als Hermes gedeutet, teilt er mit: „Der sogenannte Antinous hat die Gestalt von einem Menschen der auf etwas sinnt, oder empfindend zur Erde blickt, als ob er sich besänne zu welchem Mädchen er gehen wolle . . . Die Formen am Unterleibe sind noch nicht ganz heraus, und er muß noch ein wenig im Ringen zusammengeschlungen und im Klopffechten durchwamst werden. Übrigens ein göttlicher junger Bursch, so recht Kernstärke. Die Brust vom rechten Arm schwillt wirklich milchig, und ich kenne nichts verführerischers für ein Weib zur Umfassung.”
Heinse beschreibt Kunstwerke, als ob sie lebendig wären, aus Fleisch und Blut. Aber gerade weil er Kunst als Natur darstellen will, ist er gezwungen, die Grenze zwischen beiden mit besonderer Aufmerksamkeit zu betrachten. Seine Leidenschaft fürs Natürliche, fürs pralle Leben, und der Glaube, dass dies nirgends besser als bei den Alten realisiert war, weisen ihn als Kind seiner Zeit aus. 1746 in Thüringen geboren, hatte er in Jena und Erfurt studiert, von Friedrich Justus Riedel die neuesten Kunsttheorien erfahren, Kontakt zu Wieland und Gleim gefunden, die ihn mit ebenso großer Skepsis wie Freundlichkeit unterstützten. Er dichtete, übersetzte, gab mit Johann Georg Jacobi die anspruchsvolle Damenzeitschrift „Iris” heraus. Als er 1780 zu einer dreijährigen Italienreise aufbrach, nahm er die Ideen der siebziger Jahre des achtzehnten Jahrhunderts mit sich, jenes Gebräu aus Natur, Freiheit und Schönheit, aus Aufbruchswillen und Kraftmeierei, dem er zeitlebens die Treue gehalten zu haben scheint.
Bekannt ist heute noch Heinses Künstlerroman „Ardinghello und die glückseligen Inseln”, der 1787 erschien, eine Summe der italienischen Erfahrungen. Der Musikroman „Hildegard von Hohenthal” dürfte nur Enthusiasten noch etwas sagen, aber selbst unter diesen hat kaum einer den Schachroman „Anastasia” gelesen. Als dieser 1803, in Heinses Todesjahr, herauskam, schien der Autor eine Gestalt der Vergangenheit. Seit 1788 hatte er als Bibliothekar der kurfürstlichen Privatbibliothek in Mainz und Aschaffenburg gelebt, aufmerksam, produktiv, aber zurückgezogen. Sein Nachlass ging an den Freund, den Anatomen Samuel Thomas Soemmering, der eine Ausgabe vorbereitete, zu der es jedoch nie kam. Als der große Philologe Hermann Hettner die Papiere Ende des 19. Jahrhunderts durchsah, schien ihm „der richtige Augenblick für den Druck” verpasst. Nur wenige Jahre später begann Carl Schüddekopf, Teile des Nachlasses herauszugeben. Er und später Albert Leitzmann versuchten Ordnung in die Fülle zu bringen. So zerrissen sie den Zusammenhang der Hefte, in denen Heinses Nachlass überliefert ist, und sortierten nach „Tagebuchnotizen” und „Aphorismen”. Etwa ein Fünftel des Textes wurde nicht in die Ausgabe aufgenommen, die obendrein ohne Register und Kommentar blieb.
Nun endlich liegt eine glänzende Ausgabe des Frankfurter Heinse-Nachlasses vor. Dank der Unterstützung der Gerda Henkel Stiftung konnten 2003 bereits die beiden Textbände erscheinen, nun - nur zwei Jahre später - hält der beglückte Leser die drei umfangreichen, intelligent illustrierten Kommentarbände mit Registern und Bibliographie in den Händen. Der so pünktlich von einer Gruppe junger Wissenschaftler um Markus Bernauer von der Technischen Universität Berlin erarbeitete Kommentar erschließt ohne gelehrten Schwulst Heinses Welt und liest sich wie eine kleine Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts. Über die Einrichtung des Museums im Vatikan wird man ebenso belehrt wie über den englischen Hengst „Eclipse”, der in allen Rennen ungeschlagen blieb.
Vorsichtig, aber bestimmt plädieren die Herausgeber dafür, in den Aufzeichnungen aus 49 Heften und Konvoluten eine von Heinse selbst hergestellte Ordnung zu erkennen. Aber damit fangen die Schwierigkeiten erst an. Zur Vielfalt der Themen - Kunst, Literatur, Architektur, Geschichte, Musik, Medizin, Philosophie, Politik - tritt die Fülle der Textsorten. Da stehen Exzerpte neben Kommentaren und Katalogen, Rechnungen neben Zeichnungen, ausformulierte Romanpassagen neben Schemata, knappen Bemerkungen, hingeworfenen Sätzen.
Wer dieser Ausgabe Gerechtigkeit widerfahren lassen wollte, müsste selbst mehrere Notizhefte füllen und sich von manchen Heinse-Deutungen verabschieden, vor allem von jenen, die klare Entwicklungslinien vorschlagen. Gewiss, Heinse kreist, mit begrenztem Motivvorrat, um die Frage nach dem richtigen Leben, aber seine Parole „Natur” ist, wie er selbst bemerkt haben dürfte, keine Antwort. Deutlicher als hier kann man nicht vorgeführt bekommen, dass Enthusiasten der Anschauung und Unmittelbarkeit gute Leser sein müssen. Der Weg zur antiken Schönheit führte für Heinse wie für Winckelmann und Goethe über das Bücherstudium.
Die Vergötzung der Natur bis hin zu barbarischen Utopien der Selektion und Zucht, Kraftmeierei und Verbalpriapismus erscheinen beim Blättern in den Aufzeichnungen durch und durch literarischen Charakters, eher programmatischer Entschlossenheit als tatsächlicher Lebensführung entsprungen. Hier entwirft einer eine Welt berstender Fülle und Vielfalt, Härte und Reinheit - und bleibt doch immer Antiquar, Leser, Kommentator, Schreibender. Heinse selbst hat früh schon eine knappe „Theorie des Autorwesens” notiert: „Das beste Leben aller Dinge ist: Vögeln und gevögelt werden. Die Seele ist hierin eine Quintessenz von Spatz. Kaum hat sie empfunden, so will sie es schon wieder in einer Jouissance von sich geben.”Deshalb sei der Dichter, der halb historisch, halb erfindend verfahre, „ein Hermaphrodit: und das sind die Meisten; weil sie vögeln wollen und sich wollen vögeln lassen.”
Heinses „Priapeja” hat Sömmering 1808 verbrannt. Die alles sexualisierenden Bemerkungen in den erhaltenen Aufzeichnungen sind wohl auch Äußerungen gesteigerter Lebenslust, vor allem aber eine Metapher für das flüchtige Einswerden von Empfangen, Geben, Erinnern und Entwerfen. Dieser wie anderen Lüsten dient man, wie Heinse gewusst haben muss, nicht am schlechtesten als schreibender Leser.
Wilhelm Heinse
Die Aufzeichnungen
Frankfurter Nachlass. Herausgegeben von Markus Bernauer u.a. Band III: Kommentar 1, 1768 - 1783. 1679 Seiten, 62 Euro. Band IV: Kommentar 2, 1784 - 1803, 1255 Seiten, 62 Euro. Band V: Verstreute Texte und Briefe, Bibliographie, Nachworte, Bildtafeln, Anhang, Register. 925 Seiten, 62 Euro.
Alle Wege führen dorthin: Andenkenstand an der Fontana di Trevi
Foto: Josef Wildgruber
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Andreas Platthaus kann die Arbeit der Herausgeber gar nicht genüg würdigen ,die in fünf Jahren dieses "fünfbändige Prachtstück" einer Gesamtausgabe hervorgebracht haben. Die zwei Textbände sind schon 2003 erschienen und besprochen worden, an den nun erschienenen restlichen Bänden mit Kommentaren und Briefen beeindruckt Platthaus vor allem der fünfte Band mit einundreißig unbekannten Briefen und einem Porträt des späten Heinses im Profil. An dieser "veritablen Schatzkiste" hat Platthaus so viel Vergnügen, dass er die wenigen Verweisfehler, die die erst in letzter Minute beschlossene Erweiterung der Ausgabe auf fünf Bände mit sich bringt, liebevoll als "Quisquilien" bezeichnet und gerne verschmerzt.

© Perlentaucher Medien GmbH