Produktbeschreibung
Inhaltsbeschreibung folgt
Autorenporträt
Jutta Richter, geb. 1955, veröffentlichte noch als Schülerin ihr erstes Buch. Anschließend studierte sie Theologie, Germanistik und Publizistik in Münster. Seit 1978 lebt sie als freiberufliche Autorin auf Schloss Westerwinkel im Münsterland. Für ihre Bücher erhielt sie zahlreiche Preise - 2014 den großen Preis der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.12.2001

Schutzengel
Ein modernes Märchen
Ein Märchen von einem Kind und einem Bettler und einer Königin. Jeder von den Dreien hat eine eigene Geschichte, die vom Elend der Welt kündet: Das Kind, Neuner – neun Jahre alt – ist verstoßen von der Mutter, weil sie meint, es nur so vor dem gewalttätigen Freund schützen zu können. Doch dann wird sie selber so verprügelt, dass sie ins Krankenhaus muss. Nun kann sich Neuner nicht mehr nachts ins Haus schleichen und landet bei den Bettlern und Obdachlosen, bei Kosmos, der nach einem Kapitän und Weltumsegler heißt und in einem Abbruchhaus schläft. Neuner aber will ans Meer, und Kosmos sagt, dazu brauche man Geld. So kommt die Königin ins Spiel. Ihr gehört die Kneipe, in die Kosmos Neuner zum Betteln schickt. Die Königin hat einst wie die beiden begonnen, hat sich selbst verkauft und hat nun Kneipe, Villa und rote Schuhe, aber kein Glück. So kauft sie Neuner den Schutzengel ab, damit er mit Kosmos am Meer, gleich hinter dem Bahnhof, die Getränkebude aufmachen kann, die für Kosmos das Glück seines Lebens bedeutet. Doch dieses Geld macht alles anders. Kosmos verrät und stiehlt, Neuner wird todkrank.
Im Märchen aber darf das Böse nicht siegen, und so übernehmen drei Bettler die Rolle des verkauften Schutzengels. „Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute”, wie es zum Schluss im alten Märchen heißt. Ja, weil alle in einem ewigen schwebenden Augenblick so gut sind, wie sie es sein können.
Nein, weil es Jutta Richter versteht, in diesem Entwurf eines möglichen irdischen Glücks seine Zerbrechlichkeit mit darzustellen. Immerhin: Eine Frau, hat erfahren, wozu Reichtum verpflichtet, und was man gewinnt, wenn man „das kalte Herz” öffnet. Weiter: Ein Kind hat seine Heimat bei dieser Frau gefunden, die das Elend der Welt am eigenen Leibe erfahren hat und trotzdem Schutzengel duldet. Kosmos schließlich bekommt seine Saftbude, und die drei Bettler ihre Herzenswünsche erfüllt. Das sind ganz gute Anfänge, schlicht und ruhig, nicht ohne Gefühl und Ironie erzählt. Und der Leser versteht, dass es an ihm, an uns wäre, solche Hoffnungsbilder nicht im Märchenland zu lassen. Kein schlechtes Adventsgeschenk. (ab 10 Jahre)
SYBIL GRÄFIN SCHÖNFELDT
JUTTA RICHTER: Hinter dem Bahnhof liegt das Meer. Hanser Verlag 2001. 92 Seiten, 20 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
…mehr

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.10.2001

Am Strand von Irgendwo
Alles wird gut: Jutta Richter schickt zwei Glücksucher ans Meer

Zwei Jungs sind unterwegs. Im festen Vertrauen auf ihr Glück und ihren Platz in dieser Welt ziehen sie los - in Richtung Meer. Das mit der heilen Welt haben sich die beiden schon längst abgeschminkt. Abends im sauberen Schlafanzug noch einen warmen Kakao serviert zu bekommen - von solchen Annehmlichkeiten können sie nur träumen. Aber sie haben sich selbst, die zwei. Ihnen gehört die Straße, ihnen gehört die Nacht. Auf das Meer richten sie alle ihre Sehnsüchte. "Da ist es warm. Da ist immer Sommer. Da stehen leere Häuser." In der Phantasie der beiden Heimatlosen wird das Meer zum Ort der Geborgenheit schlechthin - ein Lieblingsthema bei Jutta Richter. Bildsprachlich gelesen ist es der Spiegel ihrer Verlorenheit.

Kosmos, der Ältere und Erfahrenere von den beiden, weiß ganz genau, wo es langgeht in der Welt. Neuner ist erst neun und an sich viel zu klein für das Unterwegssein, aber er ist von einer bestimmten Lektüre infiziert, und so etwas kann Folgen haben. Der kleine Häwelmann ist sein Idol; von ihm hat die Mutter früher einmal vorgelesen, und seitdem hat sich bei ihm eine bestimmte Idee von der Freiheit festgesetzt. Neuner hat außerdem einen wertvollen Schatz im Gepäck, von dem er gar nichts weiß, und das ist seine Unschuld, oder auch "Schutzengel" genannt.

Die Freundschaft der beiden Brückenschläfer wird auf harte Proben gestellt. Letztlich dreht sich die ganze Geschichte um Neuners Schutzengel. Um an Geld zu kommen, verkaufen sie ihn an die Königin Hellblau, eine Puffmutter mit Herz. Das war ein Fehler. Auch Kosmos macht Unsinn: Zwischendurch haut er mit dem ganzen Geld ab und läßt den kleinen Neuner allein zurück. Sogar die Königin erkennt, daß es nicht richtig war, einem kleinen Jungen seinen Schutzengel abzunehmen. Doch alle drei lernen aus ihren Fehlern, sie kommen zur rechten Einsicht und alles wird gut. Die Geschichte wendet sich ins Wunderbare. Am Ende betreiben Kosmos und Neuner ein "KIOSK mit Getränken aus dem EIS" am Strand von Irgendwo und sind sehr, sehr glücklich.

Die Personen in Jutta Richters neuer Geschichte "Hinter dem Bahnhof liegt das Meer" bleiben gesichtslos, die Orte geschichtslos und die Zeit ohne Maß. Das macht diese Erzählung, wenn nicht gleichnishaft, so doch zumindest entrückt und märchenhaft. Jutta Richter erzählt lieber von den Taten und Beweggründen ihrer Figuren. Die verhalten sich gegen Ende des Buches alle sehr, sehr verantwortungsbewußt. Gute Menschen in zwielichtigen Milieus. Das interessiert.

Das neue Buch der Erfolgsautorin hält nicht wirklich zusammen. Der Stoff der Erzählung ist etwas für Acht- bis Zehnjährige, wenngleich man darauf gefaßt sein sollte, Prostitution erklären zu müssen; dem schlichten, fast betulichen Sprachduktus und -tempo der Erzählung würden durchaus auch Vierjährige folgen können; und die Seins- und Daseinsfragen, die das Buch berührt, erreichen Dimensionen einer Bewußtseinswelt, in der nur Erwachsene zu Hause sind. Dennoch ist es eine schöne Geschichte vom Wesentlichen, durch die ein warmer Wind geht.

KATRIN STENDER

Jutta Richter: "Hinter dem Bahnhof liegt das Meer". Carl Hanser Verlag, München 2001. 96 S., geb., 20,- DM. Ab 9 J.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Sybil Gräfin Schönfeld zeigt sich voll des Lobes über dieses moderne Märchen, in dem es um einen Bettler, eine Königin und einen Jungen geht, dem sein Schutzengel abgekauft wird. Richter entwerfe in ihrem Buch ein "möglich irdisches Glück", zeige gleichzeitig aber auch, wie fragil dieses sei. Einfach und ruhig und zugleich mit Wärme und Ironie erzähle die Autorin von den dramatischen Wendungen, die im Leben der drei Hauptfiguren vonstatten gehen. Am Ende wendet sich schließlich alles zum Guten, so wie sich dies für ein Märchen gehöre, meint die Rezensentin.

© Perlentaucher Medien GmbH