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Der Krieg aus der Sicht der Frauen, der Daheimgebliebenen. Die Kriegsfront ist weit entfernt, zu Hause müssen die Männer mit den Erfahrungen auf den Schlachtfeldern, die mit ihrer Männlichkeit kollidieren, fertig werden: Mannings, ein Offizier aus besseren Kreisen, verheimlicht seine Homosexualität; Billy Prior, ein Offizier aus der Unterschicht, ahnt nur im Normalzustand, daß die Dinge, die sein dunkles Alter ego treibt, furchtbar sein müssen. Mit kühlem Witz und unsentimentaler Einfühlungsgabe beschreibt Pat Barker den Krieg und seine Folgen für Männer und Frauen. "Das eindringliche,…mehr

Produktbeschreibung
Der Krieg aus der Sicht der Frauen, der Daheimgebliebenen. Die Kriegsfront ist weit entfernt, zu Hause müssen die Männer mit den Erfahrungen auf den Schlachtfeldern, die mit ihrer Männlichkeit kollidieren, fertig werden: Mannings, ein Offizier aus besseren Kreisen, verheimlicht seine Homosexualität; Billy Prior, ein Offizier aus der Unterschicht, ahnt nur im Normalzustand, daß die Dinge, die sein dunkles Alter ego treibt, furchtbar sein müssen. Mit kühlem Witz und unsentimentaler Einfühlungsgabe beschreibt Pat Barker den Krieg und seine Folgen für Männer und Frauen. "Das eindringliche, ungewöhnliche Porträt einer Epoche und dabei oft spannend wie ein Krimi." DER SPIEGEL
Autorenporträt
Matthias Fienbork, geboren 1947, hat Musik und Islamwissenschaft studiert. Er übersetzte u.a. Bücher von Eric Ambler, W. Somerset Maugham, Michael Frayn, Amos Elon, Barack Obama und Tony Judt. Er lebt in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.1998

Abschied von der Oberlippe
Pat Barker erzählt die viktorianischen Männer in Grund und Boden / Von Thomas Medicus

Es grenzt an Wagemut, Pat Barkers Romantrilogie dem deutschen Publikum anzubieten. Dies nicht etwa deshalb, weil die britische Autorin besondere Anforderungen an ihre Leser stellen würde. Fern aller literarischen Experimente bietet sie wie schon im Auftaktband "Niemandsland" auch in "Das Auge in der Tür" jene mit der richtigen Dosis Spannung versehene, professionelle Erzählprosa, wie man sie in der angloamerikanischen Belletristik zu schätzen weiß.

Eine Barriere ist aber die nahezu exklusiv britische Thematik dieser Trilogie, deren zweiter Band nun auf deutsch vorliegt. Fast wünscht man sich eine Gebrauchsanleitung, die noch über das hinausgeht, was die Autorin im Anhang ihren einheimischen Lesern erläuternd mit auf den Weg gibt. Und die haben immerhin den Vorteil, das fiktive vom authentischen historischen Personal unterscheiden zu können. Denn die war poets um Siegfried Sassoon, dessen Porträt den Umschlag dieses Bandes ziert, gehören zu ihrer Schullektüre. Dem deutschen Kollektivbewußtsein hingegen liegt der Erste Weltkrieg, der geschichtliche Rahmen dieser Trilogie, ebenso fern wie ihm der Zweite Weltkrieg gegenwärtig ist. An Barkers Trilogie kann man zuallererst lernen, wie unterschiedlich nationale Geschichtserinnerungen geschichtet sind.

In Großbritannien besitzen all die war poets, die der Verlauf des Ersten Weltkriegs zu Antikriegsdichtern machte, ikonischen Status. Klugerweise vermeidet es die Autorin bei ihrem Versuch, das Psychogramm der verlorenen Generation von 1914 zu zeichnen, den autobiographischen Kriegserinnerungen, die seit Ende der zwanziger Jahre zu einer Springflut anwuchsen, allzu nahe zu kommen. Der grauenhafte Kriegsalltag in den Schützengräben Flanderns kommt bei ihr nur sehr indirekt vor.

Pat Barkers Interesse gilt weniger den äußeren Geschehnissen an der militärischen Front als deren Folgen an der psychischen Front des einzelnen Soldaten. Dessen Seele ist in diesem Roman der eigentliche Kriegsschauplatz. Kriegsneurotische Offiziere, in deren asthmatischen Anfällen, Albträumen und Halluzinationen die verdrängten traumatischen Fronterlebnisse die Bastionen des Ich stürmen, bilden auch im zweiten Band das wiederum fast ausschließlich männliche Personal. Zwar ist der Ort des Geschehens nicht mehr die schottische Nervenklinik Craiglockhart, sondern das - allerdings in seinen historischen Konturen recht blaß bleibende - London der Jahre 1917 und 1918. In der fiktiven Figur des Billy Prior, dem der Lyriker Siegfried Sassoon und der Neurologe W. H. R. Rivers, einer der wichtigsten britischen Vermittler der Freudschen Psychoanalyse, als authentische Gestalten gegenüberstehen, trifft der Leser des ersten Bandes jedoch auf alte Bekannte.

Von wenigen Nebenfiguren und einem detailliert beschriebenen homosexuellen Akt abgesehen, konzentriert sich das Geschehen auf den seltsamen Fall des Billy Prior und seine Behandlung durch Rivers. Billys Kriegsneurose ist, seitdem er Craiglockhart verlassen hat, in ein psychotisches Stadium getreten. Immer häufiger sieht er sich mit den Auswirkungen von Handlungen konfrontiert, deren Urheber zu sein er sich nicht entsinnen kann. Rivers' Diagnose, Priors "Dämmerzustände" erinnerten an die in Stevensons "Dr. Jekyll und Mr. Hyde" beschriebene Persönlichkeitsspaltung, entspricht der Deutungsperspektive der Autorin.

Das Symptom der Dissoziation avanciert zum Passepartout, mit dem vor allem das Rätsel Siegfried Sassoon gelöst werden soll. Trotz Antikriegslyrik und öffentlichem Kriegsprotest war dieser war poet immer wieder freiwillig an die Front zurückgekehrt, um sich dort als todesmutiger Draufgänger hervorzutun. Barker präsentiert dies freilich nicht als extreme Obsession, sondern als für die Spezies Mann nicht untypischen Paradefall. Sassoon verschmilzt mit Prior und Rivers zu einem Triumvirat männlicher Rationalität, dessen Hauptkennzeichen der Dauerabwehrkampf gegen lästige Emotionen ist. Priors patriotisches Pflichtbewußtsein unterdrückt seine Antikriegsgefühle, Rivers' Selbstdiagnose konstatiert die Kälte des von seinen Emotionen entfremdeten Wissenschaftlers. Sassoon schließlich nutzt den Soldaten, um vor dem Pazifisten in sich selbst davonzulaufen. Kein Mann, so das unschwer herauszulesende Fazit der Autorin, dessen Verdrängungen nicht einen mehr oder weniger auffälligen Mr. Hyde heranzüchten.

Wie immer man zu dieser Art von Rationalitätskritik steht, die schon in "Niemandsland" weitgehend der amerikanischen Kulturwissenschaftlerin Elaine Showalter verpflichtete feministische Botschaft ist unüberhörbar. Die Kriegsneurosen der britischen Offiziere werden als unbewußter Protest gegen eine repressive Männlichkeitsrolle begriffen, die den Ausdruck starker Gefühle - an erster Stelle der Angst - nicht zuläßt. Daß die Schrecken des Ersten Weltkrieges das auf emotionaler Selbstkontrolle beruhende viktorianische Männlichkeitsideal in höchste Not brachten und schwer beschädigten, ist in der Tat eine ziemlich plausible These. Bakers macht von ihr freilich einen eigenwilligen Gebrauch. Unterschwellig werden in ihrem Roman die Apokalypsen der Männlichkeit zur Zwischenetappe auf dem Weg in eine emotionalere, weiblichere und darum bessere Welt. Die Schrecken des Krieges, der als historisches Phänomen in den Status der Kulisse rückt, werden so durch die Tröstungen eines ideologischen Kitsches ausbalanciert, der ganz der Gegenwart entstammt. Zwar peilt Barkers Pazifismus die eingeschnürten Emotionen des viktorianischen Gentlemans in Gestalt des Weltkriegsoffiziers an, getroffen werden sollen aber dessen Restbestände in der aktuellen britischen Kultur.

Gefühlsexpression als Kulturfortschritt: die Kritik des Romans an Selbstkontrolle und Affektdisziplinierung geht mit dem Zeitgeist Großbritanniens durchaus konform. Rückblickend wirken die Plädoyers Barkers wie literarische Vorläufer jener - überwiegend vom weiblichen Teil der britischen Bevölkerung getragenen - postfeministischen "Revolution der Gefühle", die durch den Unfalltod Dianas, der "Prinzessin des Volkes", ausgelöst wurde. Damals hatte eine rousseauistische Aufwallung der Herzen das streng protokollarische Verhalten der königlichen Familie aufs Korn genommen und sich gegen alles empört, was im Ruch der stiff upper lip stand.

Ein Aufstand, angesichts dessen ein Kommentator des "Guardian" frohlockte, endlich habe England der Welt ein weibliches Gesicht gezeigt. Als Symptom dieses psychologischen Wandels einer ganzen Gesellschaft mögen Pat Barkers Romane von Interesse sein, als literarische Ereignisse kaum.

Pat Barker: "Das Auge in der Tür". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Matthias Fienbork. Carl Hanser Verlag, München 1998. 298 S., geb., 39,80 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Aus Anlass der Publikation des letzten Bandes der deutschen Übersetzung von Pat Barkers Roman-Trilogie über den Ersten Weltkrieg ("Niemandsland", "Das Auge in der Tür" und "Die Straße der Geister") würdigt Klaus Harprecht noch einmal das ungewöhnliche Unternehmen der britischen Autorin. Zum einen vergleicht er die in Britannien berühmten "war poets" Wilfried Owen und Siegfried Sassoon, ihren "bitteren, negativen Idealismus" - so die Autorin des Nachworts, Angela Schader - mit den Reaktionen deutscher Künstler auf das Erleben in den Schützengräben, nämlich deren "wild-verbales Gestikulieren". Er macht dann die "Fälle" jener beiden britischen Poeten, ihre Internierung in Nervenheilanstalten und freiwillige Rückkehr an die Front, als Hintergrund der Romane aus. Und schließlich fragt er sich, warum die britische Historikerin, die "mitten im Zweiten Weltkrieg geboren" wurde, sich so ausschließlich und intensiv mit dem "Großen Krieg", wie er in Britannien bis heute heißt, beschäftigt hat? Seine Antwort ist überzeugend: u.a. weil sein Erleben in Britannien überdeckt ist durch die flächendeckende Erinnerung durch Filme und Bücher an die "finest hour" im Sieg gegen Hitler. Und weil das Grauen der Vernichtungsmaschinerie, der der einfache Soldat ausgeliefert war, für die Völker der britischen Inseln im Ersten Weltkrieg stattfand. Insofern, so Harprecht, definiert ihn Groß Britannien als Vorbereitung "gleichsam hinter dem Rücken der europäischen Kulturgeschichte" auf "Auschwitz und Treblinka". Pat Barker lässt nun ihre Protagonisten Leutnant Billy Prior aus dem Proletariat des englischen Nordens und seinen feinsinnigen Nervenarzt Doktor Rivers die Konflikte und Tragödien dieses historischen Geflechtes ausagieren. Das Erleben im Schützengraben, so Harprecht, hat sie mit "erstaunlicher Wachheit?unter anderem auch in seinen "homoerotischen" Aspekten portraitiert, hat "unerschrocken" sexuelle Szenen zwischen den Männern geschildert, ebenso wie die verzweifelten Versuche des Arztes, durch Einfühlung in seine Patienten sie vom Nervenschock durch Trommelfeuer und Gasangriff zu heilen, - nur um sie wieder "frontfähig" schreiben zu müssen. Der "böse Spiegel", den sie dem vergangenen Jahrhundert vorhält, zeigt zudem ein Stück britischer Kolonialgeschichte: Doktor Rivers setzt das europäische Kriegsgeschehen in "merkwürdige Beziehung" zu seinen Erfahrungen als Antropologe und berichtet, wie die britischen Herrscher den in ihrem Machtbereich lebenden Kopfjägern "den permanenten Krieg verboten" haben. Ein großes Lob von Harprecht am Ende auch für den Hanser Verlag - und den Übersetzer Matthias Fienbork -, die dieses "bedeutende Werk" zugänglich gemacht haben.

© Perlentaucher Medien GmbH
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"Das eindringliche, ungewöhnliche Porträt einer Epoche und dabei oft spannend wie ein Krimi." (DER SPIEGEL)