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In diesem autobiographischen Roman erzählt António Lobo Antunes, wie es ihm nach der Rückkehr aus dem Krieg in Angola erging. Dort hatte er als Militärarzt über zwei Jahre lang schlimmstes Leid und Elend gesehen, junge Männer, die inmitten von Schlamm, Gestank und Dreck dem Tod und der Hoffnungslosigkeit ausgeliefert waren - und doch hat ihn nichts darauf vorbereitet, was er nun als Psychiater in der Lissabonner Nervenheilanstalt Miguel Bombarda erlebt. Erst hier bietet sich ihm ein »Einblick in die Hölle«.

Produktbeschreibung
In diesem autobiographischen Roman erzählt António Lobo Antunes, wie es ihm nach der Rückkehr aus dem Krieg in Angola erging. Dort hatte er als Militärarzt über zwei Jahre lang schlimmstes Leid und Elend gesehen, junge Männer, die inmitten von Schlamm, Gestank und Dreck dem Tod und der Hoffnungslosigkeit ausgeliefert waren - und doch hat ihn nichts darauf vorbereitet, was er nun als Psychiater in der Lissabonner Nervenheilanstalt Miguel Bombarda erlebt. Erst hier bietet sich ihm ein »Einblick in die Hölle«.
Autorenporträt
António Lobo Antunes wurde 1942 in Lissabon geboren. Er studierte Medizin, war während des Kolonialkrieges 27 Monate lang Militärarzt in Angola und arbeitete danach als Psychiater in einem Lissabonner Krankenhaus. Heute lebt er als Schriftsteller in seiner Heimatstadt. Lobo Antunes zählt zu den wichtigsten Autoren der europäischen Gegenwartsliteratur. In seinem Werk, das mittlerweile mehr als dreißig Titel umfasst und in vierzig Sprachen übersetzt worden ist, setzt er sich intensiv und kritisch mit der portugiesischen Gesellschaft auseinander. Er erhielt zahlreiche Preise, darunter den »Großen Romanpreis des Portugiesischen Schriftstellerverbandes«, den »Jerusalem-Preis für die Freiheit des Individuums in der Gesellschaft« und den Camões-Preis.
Rezensionen
»Lobo Antunes liebt seine Figuren. Aber er wühlt sich tief in ihre Versagensängste hinein und stülpt ihr Innerstes nach außen.« Der Tagesspiegel

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.04.2003

Blumen am Höllenufer
Die Irrenanstalt war schlimmer als der Krieg: António Lobo Antunes erinnert sich an seine Jahre als Arzt

Klinikpapier, Kugelschreiber. Und die Frage: "Was mache ich hier eigentlich?" - Was der erzählte António Lobo Antunes noch nicht weiß, das weiß der erzählende längst, als der autobiographische Roman "Einblick in die Hölle" 1983 im Original erscheint: Lobo Antunes schreibt und publiziert; praktizieren wird er nicht mehr. Sein literarisches Alter ego aber quält sich noch mit dem ungeliebten Beruf, den unerfüllten Dichterträumen, der unerträglichen Verlogenheit der Gesellschaft. "Ich bin Arzt ich bin Arzt ich bin Arzt, ich bin dreißig Jahre alt, habe zwei Töchter, bin aus dem Krieg zurückgekehrt, schreibe Gedichte und Romane, die ich niemals veröffentliche, mir tut ein oberer Weisheitszahn weh, und ich werde Psychiater werden . . ." Ein Satz, eine ganze Buchseite, eine Verdammung. Und eine Erinnerung. Der dreihundertseitige "Einblick in die Hölle" ist ein böser Trip in die nähere und fernere Vergangenheit des Erzählers, ein Fiebertraum voller Schimären, die ihn überfallen, während er mit dem Auto von seinem Irrenhaus in der Algarve zu seinem Elternhaus in der Estremadura fährt.

Der Krieg war schrecklich, ein sinnloses Verrecken in Angola, war Geschichte, die sich eingebrannt hat, ewig präsent in den Romanen des Portugiesen, etwa in "Fado Alexandrino". Aber nichts war so schrecklich wie die Jahre als "Herr Doktor". "1973 war ich aus dem Krieg zurückgekehrt und wußte, was das war, Verletzte, das Schreien und Jammern auf dem Pfad durch den Busch, die Explosionen, die Schüsse, die Minen, die zerfetzten Leiber, ich wußte, was das war, Gefangene und ermordete Kinder, ich wußte, was das war, das vergossene Blut und Sehnsucht und Heimweh, aber vom Einblick in die Hölle war ich verschont geblieben." Den bekommt er erst, als er die Stelle in der psychiatrischen Anstalt Hospital Miguel Bombarda antritt.

Was Lobo Antunes von den Zuständen im Irrenhaus - die Bezeichnung "Hospital" verdient es nicht - erzählt, stellt alles in den Schatten, was Antipsychiatrie, Psychiatriekritik und "Einer flog übers Kuckucksnest" uns vor Augen geführt haben. Ausgemergelte Gestalten wandern durch die Flure, man sperrt die Kranken nackt ins Schlafzimmer, läßt sie in ihrem Kot liegen. Jeder Widerstand wird niedergespritzt, und koste es den letzten Rest Persönlichkeit des Patienten. Die Herren Doktoren wollen nichts sehen, nichts hören. Sie saufen sich ins Vergessen und stinken nach toten Mauleseln. "Ich bin in Auschwitz", denkt, außer sich, Lobo Antunes' Alter ego, "ich gehöre der höheren Rasse der Kerkermeister, der Kastrierer, der Polizisten, der Schulpräfekten und der Stiefmütter der Kindermärchen an." Irgendwann imaginiert er sich auf die andere Seite, ist Opfer der Ärzte, die ihm nicht glauben, daß er einer von ihnen ist; die ihn entwürdigen, pathologisieren, vollpumpen mit Psychopharmaka.

Dann wieder verschluckt ihn Angola, die Nächte, in denen es nach dem "wütenden Regen Afrikas" riecht. Im Dunkeln stolpert er über Gemüse und verfaulende Leichen, über Kisten und Särge - und in einem ist er selbst. Der Chef der Equipe teilt den Kadaver, gibt der Sozialarbeiterin ein Lendenstück aufs Tellerchen, löst das Fleisch von den Knochen. In der kannibalistischen Obduktion vereinen sich zwei Länder: Portugal, das blutige Kolonialreich, und Portugal, die europäische Diktatur (bis 1974); die Gesellschaft, ein Irrenhaus. Auf der Reise von der Algarve in die Estremadura verflüchtigen sich alle Grenzen - des Körpers und des Kopfs, von Raum und Zeit. In diesem stream of consciousness schwimmt die Zeitgeschichte als Hauptfigur mit.

Das Entsetzen der Höllenfahrt bahnt sich seinen Weg mit Bildern, Vergleichen und Metaphern, die sich verselbständigen, sich zu schwarzen Phantasien und ellenlangen Sätzen verknäulen: Die buchstäblich verrückten Szenen und Szenerien, die Verfahren der Auflösung muten expressionistisch an. In ihrer Fülle mögen sie den Leser und auch den Text bisweilen überfordern. "Er war schon ein paar Mal aufgewacht, zwischen den körperlosen Schatten der Nacht liegend wie ein toter Schmetterling, und hatte, auf dem Bett sitzend, die undeutlichen Umrisse der Schränke angeschaut, die Wäsche, die wahllos über den Stühlen hing wie müdes Spinnengewebe, das Rechteck des Spiegels, der Blumen trank wie die Ufer der Hölle die ängstlichen Profile der Verstorbenen." Eine feinziselierte Arabeske von den "körperlosen Schatten" über tote Materie und organische Überreste bis zu den "Profilen der Verstorbenen". Eine aufwendige, gar zu aufwendige Arabeske. Aber es lohnt, sich einzulassen auf das, was Lobo Antunes' Schreiben ausmacht: seine meisterliche Prosa aus Subjektivität und Historie.

António Lobo Antunes: "Einblick in die Hölle". Aus dem Portugiesischen übersetzt von Maralde Meyer-Minnemann. Luchterhand Literaturverlag, München 2003. 290 S., geb., 20,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.06.2003

Orkus, Qual
und Todesspiel
António Lobo Antunes
blickt zurück ins Irrenhaus
Fast zehn Jahre lang arbeitete António Lobo Antunes als Chefarzt im psychiatrischen Krankenhaus „Miguel Bombarda” in Lissabon. Erst nach seinem sechsten, 1985 erschienenen Roman „Reigen der Verdammten” verlegte er sich ganz aufs Schreiben. Er nahm damit Abschied von einem Berufsstand, dessen einziger Daseinszweck darin besteht, Menschen mundtot zu machen, ihren Willen zu brechen, ihre Seele zu schänden: „Die Hölle, das sind die Lehrbücher der Psychiatrie, die Hölle ist die Erfindung der Verrücktheit durch die Ärzte, die Hölle ist diese Dummheit der Tabletten, diese Unfähigkeit zu lieben, dieses Fehlen von Hoffnung.” Kerkermeister seien die Psychiater – Diktatoren, Clowns und Irre.
So steht es im autobiographischen Roman „Einblick in die Hölle”, 1980 geschrieben, 1983 veröffentlicht. Schwer vorstellbar, dass Lobo Antunes nach dieser wütenden, grimmigen, bizarren Abrechnung tatsächlich noch zwei weitere Jahre dem Arztberuf nachging. Zumindest im „Hospital Miguel Bombarda”, das er mehrmals mit Namen nennt und akkurat beschreibt, dürfte man ihn zur unerwünschten Person erklärt haben. Dabei wollte schon der kleine António Psychiater werden, „um zwischen verzerrten Menschen wie jenen zu leben, die uns in den Träumen aufsuchen, und um ihre Mondsprachen und die gerührten oder hasserfüllten Aquarien ihrer Hirne zu verstehen, in denen sterbend die Fische der Angst zugange sind.” Die tägliche Arbeit jedoch – erst in Angola während des Bürgerkriegs, nach der „Nelkenrevolution” in Lissabon – ließ Ekel und Scham an die Stelle der Neugier treten.
Schreibend ist Lobo Antunes den verzerrten Menschen treu geblieben. Sein Blick entdeckt die Abnormität immer dort, wo das scheinbar Gesunde, das angeblich Vernünftige, das mehrheitlich Gewollte seine Feste feiert. Krank scheint ihm fast alles, was er sieht im undeutlichen Lusitanien. Zwar lässt Lobo Antunes nicht ab von einer „zornigen Zärtlichkeit für sein dürres, fremdes Land”, doch erkennbar ist diese Liebe nur an der Ausdauer und dem Sprachglanz, mit denen er den portugiesischen Monstern zu Leibe rückt. Die „Rückkehr der Karavellen” meint 1985 die phantastische Rückkehr der portugiesischen Entdecker ins moderne Lissabon, wo sie, greisenhaft und inkontinent geworden, Pflanzen züchten oder in schmutzigen Kneipen Brombeerlikör ausschenken.
Vom Schmutz und den Lügen kommt Lobo Antunes nicht los, weil er vom Menschen so groß denkt, dass keine Niedertracht und keine Qual sein wahres Bild zu entstellen vermögen. Die Lücken der Romane sollen Bausteine bilden für eine humanere Ordnung. Was Lobo Antunes auf mittlerweile vielen tausend Seiten liefert, ist eine negative Utopie. Leben, wenn es gelänge, wäre der positive Gegenentwurf.
Sich selbst zur Speise
Das Frühwerk „Einblick in die Hölle” versammelt sämtliche Themen und Erzähltechniken, die Lobo Antunes später perfektionierte. Der Mensch nimmt eine labile Zwischenposition ein, von Tier und Ding gleich wenig entfernt. Der Ich-Erzähler mit dem Namen des Autors hat Angst, sich „in einen Plüschbär zu verwandeln, der die Becken zusammenschlägt, Angst, dass ich ein Aufziehclown werde, der weint, eine elektrische Puppe, die mit dem Kopf gegen die Möbel stößt”. Die Insassen des Hospitals, eingeliefert von genervten Verwandten, werden durch Beruhigungsspritzen in gehorsame Tiere verwandelt. Die Ärzte verschreiben Sedativa, weil sie die Kranken nicht begreifen – „wie jemand, der das Telefon zum Schweigen bringt, indem er es unter einem Berg von Kissen begräbt”.
Das Kulissenhafte, Zirzensische der portugiesischen Lebensform wird ebenso breit ausgeführt wie die Defekte, die Mensch und Ding befallen haben. Frauen sind übergewichtig und tragen Damenbärte, Männer humpeln und riechen aus dem Mund, Mofas leiden an Keuchhusten, ein Schlüssel, der im Schloss laut quietscht, zeigt „Hämorrhoidenempörung”. Alles befindet sich in Verwesung, stirbt oder ist gestorben. Das Virus der Selbstauslöschung hat auch den Erzähler befallen, der von sich in der ersten oder dritten Person, in Präsens oder Imperfekt erzählt und so seiner eigenen Aufhebung entgegen treibt.
Doch ist dieser Roman weniger durchgeformt, weniger variantenreich und im Ganzen weniger mutig als die späteren Werke. Die „wirre Satzsuppe” besteht oftmals noch aus brav nacherzählten Anekdoten aus dem Leben eines Nervenarztes. Auch wirkt die Textmechanik, die Wiederkehr der Sätze und Motive, stellenweise schematisch . Antunes definiert den Roman als „eine Art Maschine, die uns berührt”. Erst mit den „Karavellen” fand er indes das Gleichgewicht aus Emotion und Kalkül. „Einblick in die Hölle” fasziniert immer dann, wenn Antunes die antunesischen Stilregeln vernachlässigt, ohne mit ihnen zu brechen. Dann entsteht Prosa, die den Atem nimmt – wie auf jenen 25 Seiten, auf denen er ein Abendessen im Lokal, den Tod eines Soldaten in Angola und die Fütterung der Patienten im Hospital zur einer kannibalistischen Farce vermengt, an deren Ende der Militärarzt Antunes von seinen Kollegen und sich selbst verspeist wird.
ALEXANDER KISSLER
ANTÓNIO LOBO ANTUNES: Einblick in die Hölle. Roman. Deutsch von Maralde Meyer-Minnemann. Luchterhand Literaturverlag, München 2003. 288 Seiten, 20 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Für Martin Luchsinger ragt dieset Roman, der im Original bereits 1983 erschienen ist, aus zweierlei Gründen aus dem bis dahin entstandenen Werk des portugiesischen Autors heraus. Das Buch erzählt von dem Erinnerungsstrom eines Psychiaters auf einer Autofahrt von Algarve nach Lissabon und lässt Kindheit, Erlebnisse aus dem Krieg in Angola, den Berufsalltag als Psychiater und Erinnerungen an frühere Liebesbeziehungen Revue passieren, fasst der Rezensent zusammen. Ungewöhnlich für Antunes findet er den autobiografischen Hintergrund des Romans und zudem die "Überblendung verschiedener Erzählstränge", die er in diesem Buch erstmalig anwendet. Die Reflexionen, die fast durchweg pessimistisch, deprimiert und durch "Selbsthass" gefärbt sind, nehmen dennoch aufgrund ihrer "Empfindsamkeit" für den Protagonisten ein, meint der Rezensent, der zwar keinen "Nutzen" in diesen nihilistischen Betrachtungen erkennen kann, aber die Darstellung von "Scheitern und Weitermachen" gelten lässt.

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