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Seit dem achten Lebensjahr erhielt Hanns-Josef Ortheil von seinen Eltern Schreib- und Sprachunterricht. Sie hatten Angst, dass er Sprechen und Schreiben - nach Jahren des Stummseins - nicht mehr richtig lernen würde. Die »Schreibschule« der Eltern folgte keinen Lehrbüchern oder sonstigen Vorlagen. Sie entstand Tag für Tag spontan aus dem Bild- und Sprachmaterial, das die nahen Umgebungen anboten. Mit den Jahren übernahm der Junge selbst die Regie. Schon bald erschienen seine ersten Kindertexte dann auch in Zeitungen und Zeitschriften. Ein sehr ungewöhnlicher Autor war geboren: »Das Kind, das schreibt.«…mehr

Produktbeschreibung
Seit dem achten Lebensjahr erhielt Hanns-Josef Ortheil von seinen Eltern Schreib- und Sprachunterricht. Sie hatten Angst, dass er Sprechen und Schreiben - nach Jahren des Stummseins - nicht mehr richtig lernen würde. Die »Schreibschule« der Eltern folgte keinen Lehrbüchern oder sonstigen Vorlagen. Sie entstand Tag für Tag spontan aus dem Bild- und Sprachmaterial, das die nahen Umgebungen anboten. Mit den Jahren übernahm der Junge selbst die Regie. Schon bald erschienen seine ersten Kindertexte dann auch in Zeitungen und Zeitschriften. Ein sehr ungewöhnlicher Autor war geboren: »Das Kind, das schreibt.«
Autorenporträt
Hanns-Josef Ortheil wurde 1951 in Köln geboren. Er ist Schriftsteller, Pianist und Professor für Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim. Seit vielen Jahren gehört er zu den bedeutendsten deutschen Autoren der Gegenwart. Sein Werk wurde mit vielen Preisen ausgezeichnet, darunter dem Thomas-Mann-Preis, dem Nicolas-Born-Preis, dem Stefan-Andres-Preis und zuletzt dem Hannelore-Greve-Literaturpreis. Seine Romane wurden in über zwanzig Sprachen übersetzt.
Rezensionen

buecher-magazin.de - Rezension
buecher-magazin.de

Seine Autobiografie bildet, mehr oder weniger fiktionalisiert, den großen Stoff seines Œuvre: In der Tat blickt Hanns-Josef Ortheil auf eine außergewöhnliche Kindheit zurück. Der 1951 in Köln geborene Schriftsteller, Pianist und Professor für kreatives Schreiben verstummte im Alter von drei Jahren, erst mit sieben lernte er wirklich sprechen. Mit seinem Schweigen passte er sich der Mutter an, die nach dem Tod von vier Söhnen lange Zeit nur per Notizen kommunizierte. Doch die Eltern befreien den Sohn aus seiner Kapsel. Sie ersinnen eine eigene "Schreibschule", fern jedes Bildungskanons. Zur Ferienzeit dient Vaters Jagdhütte als Werkstatt, zur Schulzeit die Wohnung. Der Vater, ein Vermesser, setzt auf Analyse; die Mutter, eine Bibliothekarin, auf Gefühl und Klavierunterricht. Hanns-Josefs Sprachwerdung basiert auf genauem Hinsehen und Hinhören sowie auf kreativer Lektüre (etwa dem Um- und Fortschreiben von Geschichten). Bald entdeckt die Tagespresse "das Kind, das schreibt". Die Textarbeit wird immer komplexer, der Junge spürt "die Magie des Schreibens". Ein riesiges Archiv entsteht. Es bildet den Fundus für Ortheils freimütig und aus kindlicher Perspektive erzählten Roman über die Geburt eines besessenen Literaten - der einmal einen ganz anderen Traum hatte.

© BÜCHERmagazin, Ingeborg Waldinger (wal)

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.12.2015

Trickser
des Waldes
Hanns-Josef Ortheil kehrt in die Jagdhütte
zurück, in der er das Schreiben lernte
VON BURKHARD MÜLLER
Ein besonderes Kind ist es, dessen Geschichte hier erzählt wird. Seit seinem dritten Lebensjahr hat es kein Wort mehr gesprochen. Es ist nicht etwa taubstumm oder auch nur stumm; es spricht nur eben nicht. Darin leistet es seiner Mutter symbiotische Gesellschaft, die, nachdem sie rasch hintereinander in Krieg und Nachkriegszeit vier ältere Söhne verloren hat, mit der Welt nur noch in Form kleiner Notizzettel kommuniziert. Wie das psychologisch genau funktioniert, wird nicht ausgelotet, doch es leuchtet ein.
  Für den nachgeborenen, letzten Sohn aber droht dieser Zustand spätestens mit dem Schuleintritt zur persönlichen Katastrophe zu werden. Und so denkt sich der Vater etwas aus, um ihm die Sprache zurückzugeben. Er breitet ein großes Blatt Pauspapier auf dem Tisch aus, lässt das Kind erst Linien und geometrische Figuren anfertigen, darauf Zeichnungen aus dem Bildwörterbuch kopieren. Dann soll es einfach aufschreiben, was es so den Tag über beobachtet hat. Auf dem Papier steht nachher beispielsweise „Die Zirruswolken sehen aus wie große, verkrumpelte Betttücher.“ Der Sohn wird für diesen Vergleich gelobt, das macht ihn allmählich kühner. Es entstehen Chroniken, „Wochengedichte“, Dialoge, kleine Storys. Auch die Mutter, die ihrerseits die Sprache zurückgewonnen hat, schließt sich dem Unterricht an und setzt wiederum andere Akzente.
„Der Stift und das Papier“, setzt Hanns-Josef Ortheils früheres Buch „Die Erfindung des Lebens“ fort. Damals hatte Ortheil noch gezaudert, seinen Roman als Autobiografie anzulegen, und dem Kind den halb ver- und halb enthüllenden Namen Johannes gegeben. Das Hemmnis wirkte sich zum Nachteil des Buchs aus; es schien trotz seines Titels eigentümlich leblos, wie in einen schalltoten Raum hineingesprochen. Diesmal darf das Kind Hanns-Josef heißen, und unverstellt kommt des Autors eigene Geschichte zu Wort, zum Vorteil der Erzählung, die sich sehr viel konkreter und deutlicher gestaltet.
Um dieses Buch zu schreiben, hat sich Ortheil wieder an den Ort der alten Schreibschule begeben, die väterliche Jagdhütte im Westerwald. Dort liegt lang nach dem Tod der Eltern noch das gesamte Archiv herum, zigtausend Zettel, denn jeder einzelne Schreibversuch wurde aufbewahrt für die Ewigkeit. Der Leser fühlt sich etwas beklommen, wenn er erfährt, dass Dinge, die eigentlich Stoffwechselprodukte des jungen Geistes waren, derart manisch gehortet und gehütet worden sind. Und dass alles wieder ganz ist wie damals.
„Auf meinem Tisch liegen sehr viele Stifte und Papier unterschiedlicher Formate. Ich muss mich entscheiden, welchen Stift und welches Papier ich jetzt zum Schreiben nehme. Es ist früh am Abend. Kurz schließe ich die Augen, dann entscheide ich mich: Ich beginne zu schreiben . . ., plötzlich, von einem Moment auf den andern . . . – bin ich wieder: Das Kind, das schreibt . . .“.Solche Distanzlosigkeit des erwachsenen Schriftstellers zum Kind, das er war, macht die Eigenart des Buchs aus, zum Guten wie zum Schlechten.
  Es hat etwas zugleich Faszinierendes und Erschreckendes, die vielen Texte zu lesen, mit denen Ortheil sich selbst zitiert. „Die Eichelhäher sind die Trickser des Waldes“, heißt es da etwa. „Sie tun so, als würden sie Eicheln oder etwas anderes sammeln, ich habe aber noch nie einen Eichelhäher etwas sammeln sehen. Außerdem tun sie auch so, als könnten sie singen oder sich besonders schlau melden. Sie singen oder melden sich aber nicht, sondern krächzen bloß laut und immer lauter, so dass die anderen Vögel ihnen zurufen:
‚Klappe halten (neu gelerntes Wort!), ihr Wichtigtuer!’“ Literarischen Anspruch können solche Etüden natürlich nicht erheben. Aber sie sind auch nicht bloß Belege eines vergangenen Zustands, sondern ragen in die Gegenwart ihres damaligen und jetzigen Autors herein.
  Sie haben etwas vom unangenehmen schmunzelnden Stolz, mit dem Erwachsene Kindermund kolportieren, lassen aber auch den leichten bis mittelschweren autistischen Zug ahnen, gegen den das Kind sich damals dennoch die Welt erobert hat, dank des ebenso originellen wie nachdrücklichen Einsatzes seiner Eltern. Die Liebe der Eltern, schweigsam und vom Autor selbst verschwiegen, bildet das Zentrum des Buchs; sie hat, da sie sich nach dem Verlust von vieren ganz auf diesen fünften und letzten Sohn konzentriert, dieses unverhoffte nachträgliche Geschenk, ein furchtbares Gewicht und drückt das Kind fast zu Boden. Da sie nicht reden kann, ohne den Schmerz des Verlusts neu anzufachen (er wird erst spät im Buch thematisiert), scheint ihr in der Tat allein das Verstummen angemessen; noch die markigen wortschatzbildenden Phrasen, die der Vater im Mund führt, darf man als eine Abwandlung solchen Verstummens begreifen. Diese Liebe ist ein großes Glück, aber eine Last ist sie doch auch, und sie reicht gerade eben hin, das Trauma, das von ihr verursacht worden ist, zu heilen.
Den größten Raum braucht das Buch für die Zeit etwa vom siebten bis zum elften Lebensjahr. Danach wird der allzu eng gesponnene Kokon der rudimentären Kleinfamilie doch schubweise aufgesprengt, und der Leser nimmt mit Erleichterung zur Kenntnis, dass das Ich nun von Kumpels, Fußball und sogar einer frühen Freundin zu erzählen beginnt, die den Jungen, wie sie sagt, mag, was ihn grenzenlos erstaunt: Wie können ihn andere Leute als Mama und Papa mögen? Am Ende, nach dem Abitur, steht das Ich vor der Wahl, ob es als Journalist für eine örtliche Zeitung arbeiten oder sich in Rom zum Pianisten ausbilden will, und entscheidet sich für das Zweite. (Die Eltern lassen es zu, und verschweigen – was sonst? – ihren Kummer.) Noch einmal siegt das sprachabgewandte Alleinsein über das geschwätzig Soziale.
  Dieses Ich und, wie man hinzufügen möchte, sein Autor sind nur zur Hälfte aus dem Schatten der Frühe getreten, dem Dasein des Wunderkindes, welches schon so zeitig alles gekonnt hat, dass es ihm verwehrt bleibt, zu reifen.
Hanns-Josef Ortheil: Der Stift und das Papier. Roman. Luchterhand Verlag, München 2015. 384 Seiten, 21,99 Euro. E-Book 17,99 Euro.
Glück und Last zugleich
ist hier die Liebe der Eltern
zum jüngsten Kind
In diesem neuen Roman kommt die eigene Geschichte des 1951 in Köln geborenen Schriftstellers Hanns-Josef Ortheil unverstellter zur Sprache als in einem früheren Buch. Foto: dpa
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Der nun unter dem Titel "Der Stift und das Papier" erschienene Fortsetzungsroman zu Hanns-Josef Ortheils früherem Buch "Die Erfindung des Lebens" ist wesentlich besser als sein Vorgänger, verspricht Rezensent Burkhard Müller. Denn erfreulicherweise macht der Autor diesmal die autobiografische Prägung der Geschichte deutlich, wodurch das Buch unmittelbarer wirkt, meint der Kritiker. Mit einiger Beklemmung liest er die Geschichte des kleinen Hanns-Josef, der ähnlich wie seine Mutter, die vier Söhne im Krieg verloren hat, das Sprechen verweigert. Zugleich ist der Rezensent fasziniert, wenn er erlebt, wie der Vater das Kind dazu bringt, seine täglichen Erlebnisse aufzuschreiben. Neben den zahlreichen in die Erzählung eingebundenen Originalnotizen des Kindes liest Müller auch nach, wie erdrückend die Liebe der Eltern für den Jungen gewesen sein muss, der sich erst im Alter von elf Jahren ein wenig aus dem elterlichen Kokon befreien kann.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Ortheil taucht für seinen Roman in das Archiv seiner frühesten Texte ein - und gleitet hinüber in die Sprache des Kindes, das er mal war." Tobias Becker / DER SPIEGEL