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Niemand versteht es, so virtuos und ungewöhnlich über ganz gewöhnliche, unvollkommene Menschen zu schreiben, die sich mit einer nicht ganz gewöhnlichen, unvollkommenen Welt herumschlagen, wie George Saunders. Der unumstrittene Meister der zeitgenössischen Shortstory überzeugt mit seinen Erzählungen nicht nur die literarische Welt, in den USA gehört er auch zu den Bestsellerautoren. Denn seine brillanten, witzigen, unverfroren zärtlichen Geschichten sind von höchster sprachlicher wie gedanklicher Klarheit und Tiefe - diese Erzählungen vergisst man lange nicht.

Produktbeschreibung
Niemand versteht es, so virtuos und ungewöhnlich über ganz gewöhnliche, unvollkommene Menschen zu schreiben, die sich mit einer nicht ganz gewöhnlichen, unvollkommenen Welt herumschlagen, wie George Saunders. Der unumstrittene Meister der zeitgenössischen Shortstory überzeugt mit seinen Erzählungen nicht nur die literarische Welt, in den USA gehört er auch zu den Bestsellerautoren. Denn seine brillanten, witzigen, unverfroren zärtlichen Geschichten sind von höchster sprachlicher wie gedanklicher Klarheit und Tiefe - diese Erzählungen vergisst man lange nicht.
Autorenporträt
George Saunders wurde 1958 in Amarillo, Texas, geboren, lebt heute mit seiner Frau und zwei Töchtern in Oneonta, New York, und ist Dozent an der Syracuse University. Er hat mehrere Bände mit Kurzgeschichten veröffentlicht, erhielt u.a. 2013 den PEN/Malamud Award und 2014 den Folio Prize. Das Echo auf seinen ersten Roman »Lincoln im Bardo« war überwältigend: Man Booker Prize 2017, Shortlist für den Golden Man Booker Prize, Premio Gregor von Rezzori 2018, New York Times-Nr.1-Bestseller, SWR-Bestenliste Platz 1 und SPIEGEL-Bestseller.
Rezensionen
"George Saunders ist ein stiller Gigant, ein Riese der kleinen Form." DER SPIEGEL

Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Andreas Isenschmid findet Superlative im Journalismus zwar das Letzte, aber George Saunders Storysammlung "Zehnter September" hat die Lobpreisung der New York Times als bestes Buch des Jahres womöglich wirklich verdient, meint der Rezensent. Denn die Geschichten, die vor allem an den Rändern des gesellschaftlichen Lebens spielen, in Armenvierteln, in Krankenhäusern und Gefängnissen, diese Geschichten sind irgendwie anders als andere, so Isenschmid, sie bilden "intensive moralische Erfahrungen" aus, ohne nach Effekten zu haschen und ohne ihnen "das übliche Atom betulicher Peinlichkeit" beizumischen, erklärt der Rezensent. Die absatzzerklüfteten Seiten spiegeln die brüchige Welt, die Saunders aus der Perspektive seiner Figuren beschreibt, und nach wenigen Seiten kennt man diese, etwa den hasserfüllten Veteranen Mikey aus der Geschichte "Zuhause", besser als so manchen Helden umfangreicher Romane, lobt Isenschmid, der dieses Buch lieber als so manches andere in den Händen diverser Jurys wüsste.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.03.2014

Im Garten schaukeln die Schönheiten

Die Geschichten von George Saunders machen süchtig: Der Erzählungsband "Zehnter Dezember" ist genau der richtige Einstieg, um den Amerikaner kennenzulernen.

George Saunders wurde 1958 in Amarillo als Sohn eines Restaurant-Managers geboren, dem eines Tages die Pizzeria abbrannte. Er studierte Geophysik und sprengte für Ölbohrfirmen gutachterliche Bodenlöcher in den Dschungel von Sumatra. Irgendwann wurde er krank, weil er "in einem Fluss voller Affenscheiße" geschwommen sei.

Beeinflusst von Kurt Vonneguts Roman "Schlachthof 5", begann er mit dem Schreiben von Geschichten. Immer nur Erzählungen, keine Romane. Seit 1996 hat Saunders damit fünf Bücher gefüllt, die inzwischen einen Ruf wie Donnerhall haben. Als vor einem Jahr in Amerika die Story-Sammlung "Zehnter Dezember" erschien, jubelte die "New York Times" in einem mehrseitigen Artikel: "George Saunders hat das beste Buch geschrieben, das Sie in diesem Jahr lesen werden."

Der Chor der Saunders-Fans ergibt eine Supergroup der amerikanischen Literatur. David Foster Wallace hat ihn gerühmt als "aufregendsten Schriftsteller Amerikas". Der Altpostmodernist Thomas Pynchon zieht Nutzanwendungen aus Saunders' Prosa: "Er erzählt genau die Geschichten, die wir brauchen, um durch diese Zeiten zu kommen." Jonathan Franzen ist einfach dankbar: "Wir können froh sein, ihn zu haben." Und Joshua Ferris schafft mit Saunders den Durchbruch ins Metaphysische: "Er schreibt wie eine Art Heiliger. Er scheint mit einem besseren Wesen in Verbindung zu stehen."

Und dann hält man sein Buch in den Händen und fragt sich, wie es dermaßen hochgeschürten Erwartungen überhaupt noch entsprechen soll, zumal es bei der Lektüre der feingeschliffenen Übersetzung von Frank Heibert erst einmal schwerfällt, "Heiliges" zu entdecken. Die stehende Verbindung zum "besseren Wesen" benötigt Saunders allerdings wie jeder ernstzunehmende Satiriker. Sie bestimmt die Perspektive, aus der sich die (nicht nur amerikanische) Gegenwart als mitunter schäbig und schändlich erweist, als organisierte Demütigung unschuldig geborener Menschen.

Saunders scherzt allerdings nicht über die Welt von überlegen-besserwisserischem Standpunkt, fast jeder Satz ist streng an die Perspektive seiner Figuren gebunden, durch die Techniken des inneren Monologs und der erlebten Rede. Mit anderen Worten: Saunders vermeidet die Gefahr satirischer Oberflächlichkeit, indem er tief in seine Figuren eindringt. Denn das Elend sitzt innen. Deshalb sind seine Erzählungen zugleich immer Erkundungen der Gefühle.

"Endlich kapiere ich Geld", meinte Saunders einmal, "es beugt der Schmach vor." Ein einfacher Zusammenhang, der in vielen seiner Geschichten umgekehrt wirksam ist: je weniger Geld, desto mehr Schmach. Exemplarisch wird die ganze Skala ausbuchstabiert in der meisterhaften Science-Fiction-Groteske "Die Semplica-Girl-Tagebücher", der längsten Geschichte des Bandes. Ein Mann beschließt, für zukünftige Generationen tägliche Notizen über das Familienleben zu machen. Es sind in ihrer Stichworthaftigkeit zugleich komische und berührende Szenen aus dem geplagten Leben: "Muss unbedingt besserer Vater werden! Gütiger. Sofort anfangen. Bald sind sie erwachsen, wie traurig, wenn einzige Erinnerung an dich dann gereizter, gestresster Typ in schrottigem Auto ist."

Zu einer Schlüsselsituation sozialen Stresses ist der Kindergeburtstag geworden. Wie soll man mithalten mit den fröhlichen Partys von Leuten, die in Herrenhäusern wohnen, Forellenbäche auf dem Grundstück haben, in der Freizeit historische Karussells restaurieren und zum Abendessen "fangfrischen Fächerfisch aus Guatemala" einfliegen lassen? Der Tagebuchschreiber schickt ein Stoßgebet zum Himmel: "Herr, hilf uns, dass wir nicht hinter unseresgleichen zurückfallen. Hilf uns, genauer gesagt, dass wir nicht noch weiter hinter unseresgleichen zurückfallen." Ganz beiläufig erfährt man, was es mit jener Gartenzierde auf sich hat, die der letzte Schrei unter Wohlhabenden ist und die der geplagte Vater dank eines Rubbellosgewinns zur Freude der Tochter endlich auch vorm eigenen Haus aufstellen lassen kann: Es sind geschmackvolle Installationen mit jungen Frauen aus armen Ländern und scheiternden Staaten. Sie hängen einen Meter über dem Boden und schaukeln lächelnd im Wind: "Von links nach rechts: Tami (Laos), Gwen (Moldau), Lisa (Somalia), Betty (Philippinen). Erstaunlicher Effekt."

Wenn Erzählungen gelobt werden, heißt es oft, sie seien wie Bonsai-Romane - Konzentrate, in denen viel mehr drinstecke, als geschrieben stehe. Die Erzählungen von George Saunders dagegen ließen sich nicht zu Romanen ausbacken; sie haben nicht den Teig dafür. Sie sind explizit. Ihr Raffinement liegt in ihrer Deutlichkeit. Und im erstklassigen Handwerk sowie dem Spaß am Experiment, das bei Saunders nichts von modernistischer Gezwungenheit hat, sondern dazu dient, jeder Erzählung die eigene, passgenaue Form zu geben.

Trotzdem leiden einige der kürzeren Geschichten an Überkonstruiertheit. "Zuhause" aber liest sich wie eine leichthändige Milieustudie aus dem weißen Prekariat. Ein Soldat kehrt vom Kriegseinsatz zurück, gerade rechtzeitig, um zu erleben, wie seine verwirrte Mutter, die die Miete nicht gezahlt hat, mit ihrem neuen Freund aus der Wohnung geworfen wird. Sein eigenes Kind darf er nicht einmal anfassen, weil auch seine Frau inzwischen einen anderen Partner hat. Aber alle danken dem Kriegsheimkehrer dafür, "dass er gedient hat". Es ist eine burleske Zuspitzung der sozialen Demütigungen und der Erfahrungen des "In-die-Pfanne-gehauen-Werdens", um die es in allen Geschichten geht.

Sie sind kühl geschrieben und mit Zynismus gewürzt und doch oft geradezu berstend vor Mitgefühl und der Sehnsucht nach dem Guten, am meisten die Titelerzählung "Zehnter Dezember". Sie handelt von einem dicken, in die Phantasie entlaufenen Jungen und einem sterbenskranken, zum Erfrieren im Schnee entschlossenen alten Mann, die sich gegenseitig geradezu um die Wette zu retten versuchen. Aber wo das Rettende ist, wächst hier auch die Gefahr. Es ist eine Geschichte, in der schließlich der Trost über den Tod triumphiert, in der ein moderner Sankt Martin nicht nur den Mantel teilt, sondern ihn freimütig ganz hingibt, um in langen Unterhosen schlotternd zurückzubleiben, eine Geschichte, in der Zuneigung und Sorge gegenwärtig werden als das, was Menschsein ausmachen sollte.

Man reibt sich die Augen. Ist Literatur doch eine moralische Veranstaltung? Auf der letzten Seite angekommen, will man nicht nur - unbedingt! - mehr Saunders-Geschichten lesen, sondern hat auch einen Entschluss gefasst: "Muss unbedingt besserer Mensch werden! Gütiger. Sofort anfangen."

WOLFGANG SCHNEIDER

George Saunders: "Zehnter Dezember". Stories. Aus dem Amerikanischen von Frank Heibert. Luchterhand, München 2014. 270 S., geb., 19,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.03.2014

Kleine Diva auf der Marmortreppe
Was wie Grausamkeit aussieht, ist in Wahrheit Erbarmen: Neue Short Storys
von George Saunders – und ein Text über die Liebe, wie er trauriger und bestürzender nicht sein kann
VON BURKHARD MÜLLER
Diese zwei Frauen wären wohl niemals miteinander in Kontakt gekommen, hätte es da nicht das Inserat wegen des Welpen gegeben. Marie kann im Grund bis heute ihr Glück nicht fassen, dass es ihr, die aus einer gestörten Familie stammt, gelungen ist, eine Mittelstandsfamilie wie aus dem Bilderbuch zu gründen; und sie ist heimlich glücklich, wenn alle sie wegen ihres Ungeschicks auslachen. „Ach, Familiengelächter war Gold; in ihrer Kindheit hatte sie nichts dergleichen gehabt.“ Und wäre es nicht wunderbar, wenn diese Familie noch durch einen süßen kleinen Hund abgerundet würde?
  Callie hingegen steht vor dem Problem, wie sie einen überschüssigen kleinen Hund los wird. Auf keinen Fall will sie, dass ihr Mann Jimmy ihn gegen den heulenden Protest der Kinder ersäuft und vor ihnen den Kaltschnäuzigen spielen muss. Sie weiß, wie sehr er selbst diese Rolle hasst, und dass er dann ihren Trost braucht, er habe genau das Richtige getan, obwohl ihnen beiden klar ist: Sie haben bloß einfach kein Geld für ein Haustier. So unähnlich sind die zwei sich gar nicht mit ihrem ängstlichen, fast panischen Wunsch nach häuslichem Frieden. Sie sollten sich bei dieser kleinen Transaktion leicht einigen können.
  Dann aber geht es schief. Warum, lässt sich nicht leicht sagen. Es hat jedenfalls mit den surrealistischen Verblüffungen zu tun, die Marie in Callies Haushalt erlebt: Ein Basketball liegt in der Spüle, ein Ersatzreifen auf dem Esstisch, ein Lexikon im trockenen Aquarium; und da gibt es eine noch viel schlimmere Kombination, auf die der Leser indirekt schon vorbereitet ist, Marie aber nicht. Sie begreift infolgedessen nicht, dass Callie keine Wahl hatte, als ihr häusliches Problem so und nicht anders zu lösen.
  Die Geschichten von George Saunders wirken einfach, aber sie haben ein Geheimnis. Es hat mit ihrer konsequent personalen Perspektive zu tun. Sie erweist sich oft als äußerst beschränkt, mehr als einmal bedroht in ihrer geistigen Gesundheit oder von beginnender Demenz überschattet.
  Diese Storys beziehen den mentalen Ort von Menschen, die die eigene Lage nicht durchschauen. Das könnte grausam sein; doch nach wenigen Seiten merkt man, dass sich hier vielmehr, verdeckt aber stark, ein Erbarmen geltend macht, das die hoffnungslose Immanenz solchen Erlebens überschreitet. Am blinden Fleck der Figur erwächst das Sehen des Lesers.
  Im längsten Text, „Die Semplica-Girl-Tagebücher“, entschließt sich ein Familienvater, der das Schreiben nicht gewohnt ist, sein Leben aufzuzeichnen. Ihn erfüllt die Sorge um das Wohlergehen seiner Familie. Doch dabei ist er wehrlos vor dem Glanz zur Schau gestellten Reichtums, der zumal seine Tochter blendet. Um jeden Preis will er ihr auch so etwas bieten wie die Eltern ihrer reichen Freundin, ein kitschiges Porzellan-Figürlein etwa, das 300 Dollar kostet, viel zu viel für ihn. Nur von den praktischen Schwierigkeiten spricht er, davon zum Beispiel, dass ihr altes Familien-Auto mitten auf der Straße seine Stoßstange verliert und die Kinder sie beim Heimweg quer im Schoß auf dem Rücksitz halten müssen; doch überall scheint die seelische Qual durch. Der Leser ahnt beizeiten, dass ein Fiasko bevorsteht, und leidet stellvertretend für den Ich-Erzähler, der es nicht kommen sieht. Und nebenbei, in einer satirischen Wendung, die keine Miene verzieht, spricht die Geschichte von einer neuen Stufe der Ausbeutung von Migranten, besonders abstoßend, weil sie sich unter der Maske der Fürsorge vollzieht.
  „The best book you’ll read this year“, befand der Kritiker der New York Times; ein anderer fragte, ob Saunders nicht vielleicht der größte lebende amerikanische Autor sei. Das könnte gut sein. Die Short Story gilt ja in Amerika als die literarische Königsdisziplin. Ihr Ansehen rührt daher, dass sie Forderungen, die sich auszuschließen scheinen, mit gleicher Bravour erfüllen muss. Sie soll durchgearbeitet sein wie Lyrik, dabei aber so zugänglich, dass auch der beiläufige Leser gleich mitgerissen wird und alles auf Anhieb versteht. Sie soll ihren Stoff am Alltäglichen haben und doch von einem besonderen Vorkommnis sprechen. Mit starken Gefühlen soll sie hantieren, sich jedoch eines knappen und trockenen Stils befleißigen. Und nicht zuletzt soll sie die scharfen Gegensätze einer Klassengesellschaft anschaulich werden lassen, ohne je dem Zweifel an der bestehenden Ordnung Raum zu geben. Wo eine Short Story glückt, ist das immer ein Paradox.
  Das doppelte Gesicht dieser Texte hat dem Übersetzer Frank Heibert Außerordentliches abverlangt; er musste karg und zart zugleich verfahren. Wenn man das Original liest und sich überlegt, wie dies oder jenes ins Deutsche zu holen wäre, ist man häufig ratlos; so etwas lässt sich doch in unserer Sprache gar nicht sagen. Dann schaut man zu Heiberts Version und findet beglückt: Es geht doch! Da ist zum Beispiel Alison, die in drei Tagen fünfzehn wird und träumt, wie sie inmitten allgemeiner männlicher Bewunderung eine Marmortreppe hernieder schreitet. Wenn der „“ (bei Heibert: „“) ihr dann überraschende Vorschläge unterbreitet, würde sie ihn nur groß anblicken und auf ein „wry acknowledgement“ warten. Dieses verwandelt sich in ein „trockenes Konter“, was ausgezeichnet zu Alisons sportlicher Auffassung von Romantik passt.
  Nicht selten vergreift die kleine Diva sich im hohen Ton und redet dann davon, jemand würde „castrigated“, statt castigated, woraus bei Heibert „gegeiselt“ wird; das bildet die Komik der Fehlleistung genau ab. Heibert spürt auch, dass manche englischen Wendungen im Deutschen nach anderen englischen Wendungen rufen, denn Englisch ist auf Deutsch so cool wie Shakespeare auf Englisch. „Ixnay to the local boys“ stellt gewiss auch in Amerika eine gesuchte Formulierung dar – so gesucht, wie wenn einer im Deutschen „never“ zu den „Jungs von hier“ sagt. Wenn Alison sich eingesteht, dass sie noch nicht mal weiß, wie man „brownies“ backt, dann kommt es nicht aufs Gebäck an, sondern aufs Lokalkolorit im allgemeinen – aber bitte so, dass man es auch hierzulande sofort als klischeehaft erkennt: infolgedessen greift Heibert zu „Muffins“. Zuweilen unterlaufen Alison auch Schnitzer in der Syntax. Heibert erledigt das nicht unbedingt an Ort und Stelle, sondern wartet, bis ihm das Deutsche eine Gelegenheit zuspielt: „Weil in punkto Freunde war Kyle praktisch bei Feddy Slavko angelangt.“
  Mit einem Wort: Man kann das Feingefühl, die Findigkeit, die Freude dieses Übersetzers am Reichtum beider Sprachen nicht genug rühmen. Als Sonderfall, der den Kosmos der Short Story eigentlich sprengt, muss man „Flucht aus dem Spinnenkopf“ buchen. Ein Strafgefangener stellt sich für Experimente zur Verfügung, die die chemischen Grundlagen der Erotik ermitteln sollen. Unter Aufsicht und mit einer ständig anders beschickten Kanüle in den Adern, wird er nacheinander zwei verschiedenen Frauen beigesellt, verurteilte Straftäterinnen auch sie. Obwohl er sie, solang die Chemie noch nicht wirkt, als allenfalls mäßig attraktiv bewertet hat, durchlebt er mit ihnen die hinreißendsten Stunden seines Lebens, tollen Sex auf der Basis wahrer Liebe – zweimal in wenigen Stunden. Dann drehen die Testleiter die Chemie ab; und nun soll er sagen, welche von beiden Frauen er jetzt noch am meisten mag, was in der negativen Form geschieht, dass er entscheiden soll, welche von ihnen mit Psychodrogen gefoltert wird. Da er sich unschlüssig zeigt, gilt das Experiment als geglückt: Intensive Verliebtheit hat sich ohne subjektive Restbestände komplett künstlich auf- und abbauen lassen!
  Gerade weil der Erzähler für das Glück im Labor so zu Herzen gehende Worte findet, ist einer der wohl traurigsten und bestürzendsten Texte herausgekommen, die über die Liebe je geschrieben worden sind.
Diese Geschichten wirken
einfach – und haben doch
ein Geheimnis
Ein Experiment mit Gefangenen
soll die chemischen Grundlagen
der Erotik ermitteln
Marie hat eine Bilderbuch-Familie gegründet. Zum perfekten Glück fehlt nur noch ein süßer kleiner Hund. Callie hat das umgekehrte Problem: Sie kann sich den Familienhund nicht mehr leisten. George Saunders erzählt von zwei Frauen, die den amerikanischen Mittelstandstraum nicht platzen lassen wollen.
Foto: : AFP/Stephen Chernin
  
    
      
George Saunders: Zehnter Dezember. Stories. Aus dem Englischen von Frank Heibert. Luchterhand Literaturverlag, München 2014.
272 Seiten, 19,99 Euro, E-Book 15,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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