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Produktdetails
  • Verlag: Europäische Verlagsanstalt
  • Seitenzahl: 264
  • Deutsch
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 445g
  • ISBN-13: 9783434505143
  • ISBN-10: 3434505148
  • Artikelnr.: 10308414
Autorenporträt
Alan M. Dershowitz wurde 1938 in Brooklyn, New York geboren. Er ist Anwalt, Stafverteidiger und Professor an der Harvard Law School. Dershowitz verteidigt in Strafverfahren prominente Angeklagte, aber auch Anwaltskollegen und arbeitet für die Hälfte seiner Mandanten auf einer Pro-Bono-Basis. Er war Berater mehrerer Rechts-Kommissionen für amerikanische Präsidenten und hat für seinen Kampf für Bürger- und Menschenrechte zahlreiche Auszeichnungen, Ehrenmitgliedschaften und Preise erhalten. Er ist ein charismatischer Redner, international gefeiert, und hat in dieser Eigenschaft die ganze Welt bereist.
Zahlreiche Veröffentlichungen zu juristischen und Menschenrechtsthemen, wie u.a. "The Vanishing American Jew" und "Sexual McCarthyism: Clinton, Starr, and the Emerging Constitutional Chrisis". Er lebt in Cambridge, Massachusetts.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.06.2002

Gott muß Gerechtigkeit lernen
Fälle von Selbstjustiz: Alan Dershowitz liest der Bibel die Leviten

Alan Dershowitz, Juraprofessor in Harvard und bekannter Anwalt, liest die Bibel mit den Augen eines Juristen. Anhand von zehn juristisch höchst bedenklichen Fällen aus dem 1. Buch Mose verschafft er seinen Lesern Einblick in eine Welt voller Mord, Totschlag und Ungerechtigkeit, die der Entstehung von Recht und Gesetz noch vorausliegt. Die Geschichte von Adam und Eva zeigt, daß Gott Strafen androht, die er dann nicht vollstreckt. Für das Essen der verbotenen Frucht verhängt Gott die sofortige Todesstrafe, aber die tatsächlich vollstreckte Strafe ist dann lediglich die Vertreibung aus dem Paradies, mit den bekannten Folgelasten. Abels Ermordung durch Kain wird wiederum merkwürdig milde nur durch Verbannung gesühnt, wobei das "Kainsmal" den Mörder auch noch vor Totschlag (Durch wen eigentlich? Es gibt ja noch keine anderen Menschen) schützen soll.

Die Sintflut ist, strenggenommen, gar keine Strafe, sondern lediglich Ausdruck von Gottes Unzufriedenheit mit seinen Geschöpfen, die er mit Stumpf und Stiel ausrotten will, wobei er dann doch bei Noah und seinen Archeinsassen eine Ausnahme macht. Auch bei der Vernichtung Sodoms und Gomorrhas handelt es sich wieder um eine pauschale Vernichtungsaktion, obwohl Gott doch Noah ausdrücklich geschworen hatte, so etwas nicht noch einmal zu machen. Daß Lots Töchter ihren Vater betrunken machen, um sich von ihm schwängern zu lassen und dadurch die Menschheit zu retten, läuft auf Inzest hinaus, was in der Bibel nicht weiter geahndet wird. Die Geschichte von Isaaks Fesselung ist denen, die damit leben mußten, schon immer ein schwerer Anstoß gewesen. Weniger schwer wiegen Jakobs Betrügereien (Esaus Erstgeburtsrecht und Segen, Labans Herden), zumal er ja als selbst Betrogener schwer dafür büßen muß (Lea statt Rahel, Josephs vermeintlicher Tod).

Um so haarsträubender ist dann aber die Selbstjustiz der Brüder für Dinas "Vergewaltigung" durch Sichem. Thamar betrügt ihren Schwiegervater Juda, nachdem sie selbst von ihrem Schwager Onan betrogen und von Juda im Stich gelassen wurde, und schmuggelt sich auf diese Weise in den Stammbaum Davids (und damit Jesu, wie der christliche Leser hinzufügen wird). Joseph schließlich wird bei all seiner sprichwörtlichen Gerechtigkeit Opfer verschiedener schlimmer Intrigen und spielt dann selbst seinen Brüdern einen bösen Streich.

In die Diskussion dieser zehn "Fälle" bringt Richter Dershowitz seine ganze juristische Erfahrung und jede Menge moderner Rechtsfälle ein und läßt dabei auch viele Stimmen der jüdischen Tradition, aus Talmud und Midrasch inklusive Maimonides und Raschi zu Wort kommen. In der Vielstimmigkeit der Auslegung spiegelt sich die Vielstimmigkeit der Erzählungen selbst, die in Dershowitz' farbiger Nacherzählung ihren unerschöpflichen Bedeutungsreichtum entfalten. "Die Tora hat 70 Gesichter", sagt die Tradition; Dershowitz vergleicht sie einem Rohrschach-Test: Die Gestalt und der Sinn liegen nicht im Text, sondern im Auge des Lesers, und hier, im Blick eines juristischen Lesers, zeigen sich neue und besondere Bedeutungen.

Abschließend stellt Dershowitz an das Buch Genesis vier Fragen. Warum so viel Ungerechtigkeit? Warum beginnt die Bibel mit dem Anfang? Gibt es Gerechtigkeit in dieser oder in jener Welt? Woher kommen die Zehn Gebote? Um mit der dritten Frage zu beginnen: Das Jenseits ist eine späte Entdeckung; für das Buch Genesis wie für das gesamte Alte Testament bis zum Buch Daniel kann es Gerechtigkeit nur in dieser Welt geben, was die Problematik erheblich verschärft. Die anderen drei Fragen laufen alle auf dieselbe Antwort hinaus: Das Buch Genesis schildert die Welt "ante legem", daher gibt es soviel Ungerechtigkeit. Es beginnt mit dem Anfang, um die Notwendigkeit des Gesetzes zu begründen. Und die Zehn Gebote basieren auf den leidvollen Erfahrungen, von denen das Buch Genesis berichtet. Das Gesetz mußte erst gefunden werden, Gott mußte selbst erst lernen, was Gerechtigkeit ist und welche Gesetze der Mensch braucht, um sie zu verwirklichen. Das Gesetz ist zwar am Sinai offenbart worden, aber es geht im Sinne eines "emergenten Prozesses" aus den Erfahrungen der gesetzlosen Vorzeit hervor.

Dershowitz ist nicht nur Jurist, er ist auch ein Darshan, wie es, worauf er selbst hinweist, schon die Etymologie seines Familiennamens nahelegt: Er produziert midrashim, Auslegungen des Bibeltextes in Form einer ergänzenden, ausfüllenden Erzählung. Der Midrasch ist eine Diskursform, die durch eine höchst paradoxe Verbindung von Literalismus und Skepsis gekennzeichnet ist. Die talmudische Skepsis stellt weder die Existenz Gottes noch die Tatsächlichkeit der in der Bibel berichteten Ereignisse in Frage, sondern gilt vielmehr der Frage, ob Gott wirklich gerecht ist und ob die Ereignisse so hätten geschehen dürfen. Dershowitz nimmt die Bibel beim Wort. Er behandelt die Geschichten, als würden sie allen Ernstes die historischen (oder vielmehr prähistorischen) Verhältnisse eines rechtlosen Zustands widerspiegeln.

Das Buch Genesis ist eben noch früh: "Spätere Bücher sind klüger geworden." Das kann man freilich auch ganz anders sehen, nämlich als Zeugnis für das hochentwickelte historische Bewußtsein der biblischen Autoren. Die Texte, die natürlich in einer Zeit entstanden sind, in der es längst Gesetze, wenn nicht geradezu "das Gesetz" gab, schildern im Rückblick eine Zeit "ante legem", vor dem Gesetz, und bemühen sich nicht nur um die Vermeidung von Anachronismen, sondern, wenn man Dershowitz folgen will, um eine evolutionistische Perspektive, indem sie das Gesetz als die Lösung eben der Probleme erscheinen lassen, die Gott und Menschen vorher in Atem hielten. Das Buch Genesis wirft die Fragen auf, auf die das Gesetz die Antwort darstellt.

Eine Zeit ohne Gesetze gilt außerhalb der biblischen Tradition - bei den Indern, Griechen, Römern und sogar noch im Gesetzbuch Kaiser Friedrichs II. - als ein Goldenes Zeitalter, in dem Recht und Gerechtigkeit auf Erden herrschten, ohne die Zuchtrute des Gesetzes. Mit diesem mythischen Weltbild bricht die Bibel, weil das Gesetz hier nicht als Zuchtrute, sondern als kostbare, lebenspendende Gabe dargestellt wird; und doch haften diesem Bild einer Welt ante legem einige Züge eines Goldenen Zeitalters an. Gott war den Menschen näher und umgekehrt. Die Menschen lebten sehr viel länger, und statt des Gesetzes hatten sie den Segen. Diese idyllischen Züge der Väterzeit werden bei Dershowitz ausgeklammert.

Schildert das Buch Genesis wirklich eine Welt von "Mord und Totschlag", ohne "Recht und Gesetz"? Ist das Gesetz wirklich die Antwort auf die im Buch Genesis geschilderten Verhältnisse? Man kann es zumindest auch anders sehen. Das Buch Genesis, soviel muß man Dershowitz zugestehen, schildert mit erstaunlicher Einfühlung und bewundernswertem historischen Bewußtsein eine Welt ante legem, aber nicht als eine anarchische Leidenszeit, von der das Gesetz die Erlösung darstellt. Das Gesetz befreit von der ägyptischen Knechtschaft, nicht von der patriarchalischen Willkür. Das Gesetz war notwendig geworden, nicht weil die Menschen einander totschlugen, sondern weil die Sippe Israel in Ägypten zu einem Volk gewachsen war und ohne die politische Organisationsform des Gottesbundes nicht aus der ägyptischen Unterdrückung zu befreien war. Dem, der am Sinn der Gesetze zweifelt, wird gesagt: Gedenke, daß du Sklave warst in Ägypten.

JAN ASSMANN

Alan Dershowitz: "Die Entstehung von Recht und Gesetz aus Mord und Totschlag". Aus dem Amerikanischen von Ilse Utz. Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2002. 300 S., geb., 24,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Adam und Eva, die sich an den verbotenen Früchten zu schaffen machen, Kain, der seinen Bruder Abels ermordet, Lots Töchter, die ihren Vater betrunken machen, um sich von ihm schwängern zu lassen - Alan Dershowitz liest in seinem Buch die Genesis mit den Augen eines Juristen und untersucht zehn juristisch höchst brisante Fälle. Rezensent Jan Assmann hebt lobend hervor, dass Dershowitz in seine Diskussion dieser "Fälle" neben seiner ganzen juristischen Erfahrung eine ganze Reihe moderner Rechtsfälle einbringt, und zudem viele Stimmen der jüdischen Tradition zu Wort kommen lässt, so dass die biblischen Geschichten ihren unerschöpflichen Bedeutungsreichtum entfalten können. Dershowitz' Lektüre der Genesis verdeutlicht laut Assmann, dass die Ungerechtigkeit auf dem Fehlen eines Gesetzes basiert, dass Gott erst selbst lernen musste, was Gerechtigkeit ist, um dann zum Wohl des Menschen die zehn Gebote zu erlassen. Dershowitz' etwas einseitigem, negativem Bild der Genesis als einer Welt von Mord und Todschlag hält Assmann entgegen, dass die Menschen in dieser Welt Gott näher waren und statt des Gesetzes den Segen hatten. Die Genesis beschreibe zwar eine Welt vor dem Gesetz aber keine "anarchische Leidenszeit, von der das Gesetz die Erlösung darstelle". Im Gegensatz zu Dershowitz ergibt sich die Notwendigkeit des Gesetztes für Assmann nicht aus Mord und Todschlag, sondern "weil die Sippe Israel in Ägypten zu einem Volk gewachsen war und ohne die politische Organisationsform des Gottesbundes nicht aus der ägyptischen Unterdrückung zu befreien war."

© Perlentaucher Medien GmbH
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