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Christopher Schwieger stellt eine erste umfassende Forschungsgeschichte über den wissenschaftlichen Umgang mit einer unmittelbaren Gesetzgebung durch das Volk (Volksgesetzgebung) auf der Ebene von Bund oder Reich in Deutschland von 1919 bis 2002 dar. Eingebettet in einen historischen Rahmen aus Überblicken über die Entstehung der wichtigsten Rechtsnormen, die durchgeführten Volksentscheide und Volksabstimmungen von 1919 bis 1945 sowie die Diskussionen über eine Volksgesetzgebung im Grundgesetz nach 1945, werden die seit 1919 in der Politik-, Rechts- und Geschichtswissenschaft diskutierten…mehr

Produktbeschreibung
Christopher Schwieger stellt eine erste umfassende Forschungsgeschichte über den wissenschaftlichen Umgang mit einer unmittelbaren Gesetzgebung durch das Volk (Volksgesetzgebung) auf der Ebene von Bund oder Reich in Deutschland von 1919 bis 2002 dar. Eingebettet in einen historischen Rahmen aus Überblicken über die Entstehung der wichtigsten Rechtsnormen, die durchgeführten Volksentscheide und Volksabstimmungen von 1919 bis 1945 sowie die Diskussionen über eine Volksgesetzgebung im Grundgesetz nach 1945, werden die seit 1919 in der Politik-, Rechts- und Geschichtswissenschaft diskutierten Fragestellungen aufgegriffen und unter Nennung der zentralen wissenschaftlichen Beiträge und Autoren dargestellt.

So entsteht ein auch für "Nichtwissenschaftler" interessantes Gesamtbild einer wissenschaftlichen Entwicklung mit vielen Brüchen aber auch Kontinuitäten der verschiedenen Phasen und politischen Systeme in Deutschland von 1919 bis heute.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Zufrieden zeigt sich Rezensent Hans Fenske mit Christopher Schwiegers Arbeit über die Geschichte der Volksentscheide und Volksbegehren in Deutschland. Im Mittelpunkt sieht er den wissenschaftlichen Umgang mit dieser Thematik in der Weimarer Republik, im Dritten Reich sowie in der Bundesrepublik, wobei der Autor auch die politische Praxis beachtet. Fenske hebt in einem Überblick zur Geschichte der Volksgesetzgebung die jüngeren Diskussionen seitens Historikern, Politologen und Staatsrechtlern hervor, in denen die vermeintlich negativen Erfahrungen von Weimar als Argument gegen Volksentscheide ins Feld geführt werden. Die Ausführungen Schwiegers beurteilt Fenske als "sehr instruktiv" und wertet sein Buch als einen "gewichtigen Beitrag zur jüngeren deutschen Verfassungsgeschichte".

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.10.2005

Hohe Hürden
Volksgesetzgebung in der Weimarer Republik / Von Hans Fenske

Seit langem wird darüber diskutiert, ob durch die Aufnahme von Vorschriften über Volksbegehren und Volksentscheide in das Grundgesetz eine größere Beteiligung des Volkes an der politischen Willensbildung ermöglicht werden sollte. Besonders lebhaft war die Debatte nach der Wiedervereinigung. Das regte Christopher Schwieger dazu an, sich eingehend mit dem wissenschaftlichen Umgang mit der Volksgesetzgebung in Deutschland seit 1919 zu befassen. Daß er dabei auch die politische Praxis beachten mußte, versteht sich von selbst.

In seinem ersten Verfassungsentwurf sah Hugo Preuß Anfang 1919 Volksentscheide nur für bestimmte Konfliktsituationen vor. In der Nationalversammlung sorgten Deutsche Demokraten und SPD dafür, daß daraus ein ausgebautes System der Volksgesetzgebung wurde. Nach Artikel 73 III der Reichsverfassung konnte ein Zehntel der Stimmberechtigten der Reichsregierung einen ausgestalteten Gesetzentwurf vorlegen, den diese mitsamt ihrer Stellungnahme dem Reichstag zuleiten mußte. Nahm er sie nicht oder nur verändert an, war sie zum Volksentscheid zu stellen, dessen Gültigkeit freilich davon abhing, daß sich mehr als die Hälfte der Stimmberechtigten beteiligte. Volksentscheide über Finanzfragen konnte nur der Reichspräsident veranlassen.

Artikel 73 III fand achtmal Anwendung. 1922 ging es um eine Bodenreform, 1926 um die entschädigungslose Enteignung der bis 1918 regierenden Fürsten, 1926 und 1927 um die Aufwertung der durch wertloses Inflationsgeld abgegoltenen Ansprüche und 1928 um das Verbot, Panzerkreuzer zu bauen. Die Deutschnationalen, der Frontsoldatenverband "Stahlhelm" und etliche andere Organisationen - darunter auch die noch kleine NSDAP - wollten 1929 mit einem "Freiheitsgesetz" die Verwerfung der Reparationsregelung durch den Young-Plan und den Widerruf der Kriegsschuldanerkenntnis in Artikel 231 des Versailler Vertrags erreichen. Schließlich betrieb die SPD 1932 die Aufhebung des sozialpolitischen Teils einer Notverordnung. Die Initiativen von 1922 und 1932 wurden auf halbem Wege aufgegeben, die von 1923, 1926 und 1927 als finanzwirksam nicht zugelassen. Das Panzerkreuzerverbot fand nur die Unterschrift von drei Prozent der Stimmberechtigten. Nur beim Antrag auf die Fürstenenteignung und beim Gesetzentwurf gegen den Young-Plan kam es zum Volksentscheid; beide scheiterten an der hohen Beteiligungshürde. Immerhin waren fast 37 Prozent der Stimmberechtigten für die Fürstenenteignung.

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Volksgesetzgebung war in der Weimarer Zeit allein die Sache von Staatsrechtlern. Die Diskussion war breit und in wichtigen Fragen wie dem Finanzvorbehalt und der Beteiligungsquote kontrovers. Zunächst wurden die plebiszitären Möglichkeiten ganz überwiegend bejaht, seit 1926 wuchs die Skepsis. In den letzten Jahren Weimars hielt die Mehrheitsmeinung das Institut der Volksgesetzgebung zwar für fehlerhaft angelegt, aber doch als Korrektiv für zukunftsträchtig. Im Juli 1933 erließ die Regierung Hitler ein "Gesetz über Volksabstimmung" - 1933, 1934 und 1938 gab es Referenden. In der fachlichen Diskussion darüber ging es um die Untermauerung der neuen Machtverhältnisse. Volksabstimmungen hatten nur noch akklamatorische Bedeutung.

Beim Wiederaufbau der Demokratie wurde die Volksgesetzgebung ohne größere Diskussionen in viele der zumeist 1946/47 erlassenen Landesverfassungen aufgenommen. Bei den ersten Überlegungen für eine Gesamtstaatsverfassung waren nur die FDP und die Unionsparteien gegen eine Wiederbelebung des Instituts. Die CDU erklärte im Juni 1948 entschieden, daß die Gesetzgebung nicht durch das Agitationsbedürfnis einzelner Gruppen belastet werden dürfe. "Die Erfahrungen der Weimarer Republik waren eindeutig." Diese Sicht war auch im Parlamentarischen Rat das Hauptargument für die Absage an Volksentscheide. Ob das der einzige Grund für das in jenem Gremium weitverbreitete Mißtrauen gegen Elemente der direkten Demokratie war, läßt sich nicht erkennen.

In der Diskussion über die Volksgesetzgebung, die seither von Historikern, Politologen und Staatsrechtlern geführt wird, wurden die vermeintlich negativen Weimarer Erfahrungen bald zur schlechthin herrschenden Meinung. Insbesondere der Volksentscheid gegen den Young-Plan dient als Menetekel. Die dominierende Auffassung hatte für die Beratungen der Enquête-Kommission über die Verfassungsreform 1971 bis 1976 und der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat 1991 bis 1994 erhebliche Bedeutung. Beide Gremien beschäftigten sich viel intensiver als der Parlamentarische Rat mit der Volksgesetzgebung und verwarfen sie unter Verweis auf Weimar und - so die Gemeinsame Verfassungskommission - auf die Volksabstimmungen nach 1933. Erst neuerlich wird mit guten Gründen eine differenzierte Sehweise angemahnt. Der Autor berichtet über all das sehr instruktiv. Sein Buch ist ein gewichtiger Beitrag zur jüngeren deutschen Verfassungsgeschichte.

Christopher Schwieger: Volksgesetzgebung in Deutschland. Der wissenschaftliche Umgang mit plebiszitärer Gesetzgebung auf Reichs- und Bundesebene in Weimarer Republik, Drittem Reich und Bundesrepublik Deutschland (1919-2002). Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2005. 422 S., 98,- [Euro].

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