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Erstaunlicherweise wurden bislang die Theorien der langfristigen Wirtschaftsentwicklung kaum systematisch für die Analyse der gesellschaftlichen Wirkungen des ökonomischen Wandels herangezogen. Diese Theorien bilden den Ausgangspunkt der interdisziplinären Studie von Andreas Reiners. Das Erkenntnisinteresse gilt den Effekten des veränderten Wirtschaftswachstums fortgeschrittener Volkswirtschaften auf die Arbeitsgesellschaft und den Wohlfahrtsstaat.
Der Autor bietet eine Einführung in die verschiedenen Theorien zum langfristigen wirtschaftlichen Wandel, zeichnet die Beschäftigungs- und
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Produktbeschreibung
Erstaunlicherweise wurden bislang die Theorien der langfristigen Wirtschaftsentwicklung kaum systematisch für die Analyse der gesellschaftlichen Wirkungen des ökonomischen Wandels herangezogen. Diese Theorien bilden den Ausgangspunkt der interdisziplinären Studie von Andreas Reiners. Das Erkenntnisinteresse gilt den Effekten des veränderten Wirtschaftswachstums fortgeschrittener Volkswirtschaften auf die Arbeitsgesellschaft und den Wohlfahrtsstaat.

Der Autor bietet eine Einführung in die verschiedenen Theorien zum langfristigen wirtschaftlichen Wandel, zeichnet die Beschäftigungs- und Verteilungsprozesse nach, untersucht Sozialstrukturwirkungen sowie zeitökonomische Aspekte hochentwickelter Gesellschaften und schließt mit einer Einschätzung der arbeitsgesellschaftlichen Entwicklung. Die Ergebnisse werden jeweils am Ende eines Abschnitts in »Thesen« verdichtet, mit bekannten Politikmustern konfrontiert und bilden schließlich die Grundlage für neue Handlungsoptionen.
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ekannte, häufig auf Erhöhung der Wachstumsraten zielende oder auf »Bürgerarbeit« abstellende Lösungsmuster beurteilt Andreas Reiners skeptisch. Zur Diskussion gestellte Handlungsmöglichkeiten folgen den im wirtschaftstheoretischen Teil dargelegten Einsichten in eine langfristige Abnahme des Arbeitsvolumens. Daraus leitet der Autor unter anderem eine Lockerung der strengen Kopplung von Einkommenssicherung und Beschäftigung ab. Die Handlungskonzepte stellen eine Schlussfolge der vorherigen Problemanalyse unter der Voraussetzung dar, dass bestimmte sozialethische Normen akzeptiert werden.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.07.2003

Das Unterfordern honorieren

Juristen würden das wohl einen "Wegfall der Geschäftsgrundlage" nennen: Andreas Reiners hat ein Manuskript über die Perspektiven des Sozialstaates geschrieben (vermutlich Ende der neunziger Jahre), ist damit 2001 promoviert worden und hat es Ende 2002 als Buch auf den Markt gebracht ("Langfristige ökonomische Veränderungen und ihre gesellschaftlichen Wirkungen". Zur Markierung wohlfahrtsstaatlicher Perspektiven in fortgeschrittenen Industriegesellschaften. Sozialpolitische Schriften, Heft 86. Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2002. 294 S., br., 68,- [Euro].) Doch seine Annahme, der Leser würde wenn schon nicht den Folgerungen des Autors zustimmen, so wenigstens dessen Zustandsbeschreibungen abnicken, ist Mitte des Jahres 2003 vollends fragwürdig geworden.

So darf man dann über beides staunen: Über eine Bestandsaufnahme, die eine ökonomische Krise des Systems sozialer Sicherung glatt leugnet, und über Zukunftsvisionen, die in einen entgrenzten Staat hineinführen. Bisweilen ist es besser, Bücher nicht gleich bei ihrem Erscheinen zu lesen und zu beurteilen. Denn sichtbar wird jetzt mehr als das bloße Mißlingen einer einzelnen Studie. Symptomatisch sichtbar wird die schiere Vorläufigkeit einer scheinbar langfristigen Gewißheit.

Reiners' Aachener Dissertation verbindet Wirtschaftswissenschaft, Soziologie und Politikwissenschaft. Der Autor sammelt einige Eindrücke über die Entstehung und den Zustand des Sozialstaates, um dann Zukunftsperspektiven zu entwerfen. Die Ableitung des einen aus dem anderen überzeugt jedoch methodisch nicht. Daß die historischen Wurzeln des Sozialstaates etwas für seine Fortführung und einen Umbau präjudizieren könnten, ist prinzipiell fragwürdig. Andreas Reiners setzt historisch mit der Entstehung der modernen sozialen Sicherungssysteme in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts ein; ältere Formen sozialer Sicherung bleiben unberücksichtigt. Das ist sachlich gut vertretbar, aber schade, weil es den Möglichkeitssinn des Lesers verkürzt.

Hinzu kommt, daß die seit dem Beginn der Industriegesellschaft erfolgten Modifikationen in Motiven und Ausgestaltung erheblich sind. Die Ausweitung ist nur ein Teil davon, aber gewiß ein wesentlicher. Welches Gewicht können da "Wurzel"-Argumente noch haben? Für die Zukunft schließlich sind Weichenstellungen zu treffen, die aus einer Fülle von Aspekten heraus ganz unterschiedlich ausfallen können. Andreas Reiners argumentiert zielstrebig, aber einseitig. Am Ende werden die Argumentationsketten immer kürzer und sein Rückgriff auf politische Autoritäten immer durchsichtiger. Wer die politischen Vorannahmen des DGB-Bundesvorstandes und dessen wissenschaftlicher Gutachter nicht teilt, wird bald nicht mehr folgen können. Um wissenschaftlich zu überzeugen, wären mehr Umsicht erforderlich und methodische Einseitigkeiten zu vermeiden gewesen.

Reiners entwickelt aus seiner Wahrnehmung des gesamtgesellschaftlichen Wandels Zukunftsmodelle der Sozialstaatlichkeit. Die Umbauvisionen sind folgenreich. Er möchte die "Dominanz der Erwerbsarbeit" relativieren. Weil er dem Leser schon eingangs mitteilte, daß von einer Krise der Wirtschaft "im herkömmlichen Sinne" (was "herkömmlich" heißt, bleibt im dunkeln) keine Rede sein könne, darf er munter folgern: "Familienpolitik, Kindergeld, Wohnungsbau-, Bildungs- oder Rentenpolitik sind zunehmend bedarfsorientiert zu gestalten und spürbar besser auszugestalten." Wie schön, denn pekuniären Bedarf haben wir alle - und wir haben ihn immer.

Neben diesen ökonomisch fragwürdigen Expansionismus treten bei Reiners auch Visionen von Differenzierungen, die aber nicht weniger kostspielig und vor allem einschneidend sind: Gelockert werden soll die "allzu rigide Kopplung von Arbeit und Einkommen bzw. Arbeit und sozialer Sicherung". Hier fühlt man sich an jenes Milieu erinnert, das sich in der vermeintlichen Anhäufung "sozialer Kompetenz" sonnt und bei seiner letztlich narzißtisch motivierten "Projektarbeit" chronisch an Burnout durch Unterforderung leidet. Denn das Idealbild ist für Reiners ein "aktivierender Staat", der zur Reduktion der bezahlten Arbeit ermuntere und bürgerschaftliches Engagement honoriere. Damit solle, so Reiners, die "soziale und moralische Kompetenz" gefördert werden.

Hier spätestens schlägt das Erstaunen des Lesers in zumindest gelindes Erschrecken um. Denn freiheitsverbürgende Trennungen von Staat und Gesellschaft werden damit zielsicher eingerissen. Statt dessen treibt Reiners die Ausweitung der Staatstätigkeit voran; sie würde uns einen neuen Verregelungs- und Bürokratisierungsschub bescheren. Der Anspruch, die Moral der Bürger zu heben, wäre eine schöne Blankovollmacht, wenn der Wähler sie denn einem Verwaltungsapparat erteilen wollte. Ein Bereich, aus dem sich der Staat zurückzieht, ist bei Reiners hingegen nicht sichtbar. Die neuen Institutionen der sozialen Kontrolle, die hinter diesen Vorschlägen lauern, die Neugier ihrer Agenten, ihre Umverteilungsansprüche und ihre subtilen Zwangsinstrumente - all dies mag man kaum erahnen. Vielleicht kennt man sie aber historisch auch schon.

Kann man sich damit trösten, daß die ökonomischen Grundannahmen dieser Arbeit unzeitgemäß geworden sind? Oder ist es nicht eher so, daß Andreas Reiners sozialpolitische Utopien fortspinnt, die schon zu besseren Zeiten unvernünftig waren?

MILOS VEC

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Milos Vecs Haltung bei der Lektüre dieser Studie, die die gesellschaftlichen Auswirkungen einer veränderten wirtschaftlichen Lage und die Zukunft des Sozialstaats untersuchen will, wandelt sich von Verwunderung zum "zumindest gelinden Erschrecken". Zunächst stellt der Rezensent fest, dass die Grundannahmen der Untersuchung, die - wie er annimmt - bereits in den späten 90er Jahren konzipiert, später als Dissertation und danach in Buchform veröffentlicht wurde, mittlerweile von der Realität überholt worden sind. Aber nicht allein deshalb erscheint Vec die Studie als "misslungen". Er findet die Schlussfolgerungen des Autors, der argumentiert, dass der Sozialstaat aus seinen "Wurzeln" heraus umgebaut und fortgeführt werden müsse, ganz und gar nicht "überzeugend". Aus diesem Grund sei es auch "schade", dass Reiners zwar die Sozialsysteme der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts untersucht, sich aber mit älteren Formen nicht beschäftigt. Der Rezensent wirft dem Autor zudem "methodische Einseitigkeit" vor, weil sein "Rückgriff auf politische Autoritäten", insbesondere auf den DGB-Vorstand allzu deutlich werde und moniert, dass Reiners damit "wissenschaftlich nicht überzeugen" kann. Letztlich sieht der Rezensent in diesem Buch "sozialpolitische Utopien" fortgesponnen, "die schon zu besseren Zeiten unvernünftig waren", wie er unzufrieden feststellt.

© Perlentaucher Medien GmbH
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