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Carl Schmitt war 1945/46 über 13 Monate in Berliner Internierungslagern verhört und festgehalten worden. Im Frühjahr 1947 wurde er erneut verhaftet und als angeblicher Kriegsverbrecher für sechs Wochen in einer kargen Einzelzelle des Nürnberger Justizgefängnisses eingesperrt. Robert Kempner verhörte ihn, ließ ihn sich schriftlich verteidigen und Gutachten über den Chef der Reichskanzlei Lammers und die Staatssekretäre im Dritten Reich schreiben. Für den bevorstehenden »Wilhelmstraßen-Prozess« aber war Schmitt als »freundlicher Zeuge« und Sachverständiger der Anklagebehörde nicht zu gebrauchen.…mehr

Produktbeschreibung
Carl Schmitt war 1945/46 über 13 Monate in Berliner Internierungslagern verhört und festgehalten worden. Im Frühjahr 1947 wurde er erneut verhaftet und als angeblicher Kriegsverbrecher für sechs Wochen in einer kargen Einzelzelle des Nürnberger Justizgefängnisses eingesperrt. Robert Kempner verhörte ihn, ließ ihn sich schriftlich verteidigen und Gutachten über den Chef der Reichskanzlei Lammers und die Staatssekretäre im Dritten Reich schreiben. Für den bevorstehenden »Wilhelmstraßen-Prozess« aber war Schmitt als »freundlicher Zeuge« und Sachverständiger der Anklagebehörde nicht zu gebrauchen. Er blieb auch unter den schwierigen Nürnberger Haftbedingungen auf der Höhe seiner intellektuellen Leistungsfähigkeit und verweigerte sich der ihm zugedachten Rolle. Selbst Kempner respektierte schließlich die Haltung seines Häftlings. Allein Schmitts persönliche Feindschaft gegenüber dem emigrierten Kollegen Erich Kaufmann - sie beruhte auf Gegenseitigkeit und wurzelte in der Weimarer Zeit- konnte Kempner 1948 mit einem Zitat aus dem Jahre 1911 verwerten.

Erstmals werden die drei Vernehmungsprotokolle, die Stellungnahmen in eigener Sache und die Gutachten Schmitts nach seinen handschriftlichen Entwürfen ungekürzt wiedergegeben und ausführlich kommentiert. Besonders geprüft wird die Glaubhaftigkeit der variierenden Berichte und Erzählungen Kempners in den Jahren 1973 bis 1991 über Schmitts Aussagen und Verhalten, die bisher das Thema »Schmitt in Nürnberg« bestimmten. Schmitt selbst schwieg zu Kempners Behauptungen, obgleich er über Nürnberg nichts zu verschweigen, indes einiges zu sagen hatte. Eine Ursache seines Verstummens mag der Wunsch gewesen sein, die als Erniedrigung und Strafe empfundene Zeit so hinter sich zu lassen wie das Jahr im Internierungslager. Der eigentliche Grund aber hat mit »Nürnberg« nichts zu tun. Schmitt war trotz seiner schnellen und vielseitigen Feder unfähig zur biografischen Spiegelung. Jede Erinnerung geriet ihm sogleich ins Abstrakte und Allgemeine. »Nürnberg« machte davon keine Ausnahme. So kann dieses Buch einige neue zeitgeschichtliche Erkenntnisse bringen, auch die fabulösen Berichte Kempners korrigieren.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.10.2000

Schauerliche Lebensferne
Der Staatsrechtler Carl Schmitt im Frühjahr 1947 in Nürnberg

Carl Schmitt: Antworten in Nürnberg. Herausgegeben und kommentiert von Helmut Quaritsch. Duncker & Humblot, Berlin 2000. 153 Seiten, 68,- Mark.

Die Generation der Juristen, die Werke des Staatsrechtlers Carl Schmitt nach 1945 nur aus dem "Giftschrank" ihres Instituts entnehmen durfte, ist inzwischen in Pension. Geblieben ist der noch immer weitgehende Unwille der deutschen Öffentlichkeit, bei dem im Ausland meistzitierten deutschen Rechtslehrer zwischen einem den Nationalsozialismus in fataler Weise streifenden Lebenslauf und der Substanz seines Wirkens zu unterscheiden. Seine demokratiekritische Grundposition wird dahingehend interpretiert, daß er sich auch in seiner wissenschaftlichen Karriere zwischen 1933 und 1936 gar nicht anders habe verhalten können, als sich über ein hinnehmbares Maß hinaus dem Nationalsozialismus zu ergeben.

Helmut Quaritsch, emeritierter Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Verwaltungshochschule in Speyer, versucht schon seit Jahrzehnten mit großem Sachverstand, die Verfemung aufzubrechen, der Schmitt seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges unterworfen ist. Das hat er dadurch getan, daß er 1988 erst einmal mit dem Tagungsband "Complexio Oppositorum - Über Carl Schmitt" den Wissensstand nicht zuletzt mit Hilfe der damals noch lebenden Zeitzeugen zu sichern suchte. Ein Jahr später hat er Schmitts "Doktrinen und Begriffe" in einen präzisen und angenehm lesbaren Zusammenhang gebracht.

Schließlich hat sich Quaritsch auf Umwegen mit Carl Schmitt dadurch beschäftigt, daß er sich der für die Nürnberger Prozesse geschriebenen Studie "Das internationale Verbrechen des Angriffskrieges und der Grundsatz ,Nullum crimen, nulla poena sine lege'" zuwandte. Schon hier widmete Quaritsch seinen Herausgeberauftrag um. Denn er benutzte Schmitts Schrift dazu, um auch aus eigener Sicht die juristische Unhaltbarkeit einer Anklage zu begründen, die sich auf das internationale Verbrechen "Angriffskrieg" bezog.

Quaritsch machte auf einsichtige Weise den Nürnberger Richtern und vor allem ihren Auftraggebern den Prozeß, indem er "die Instrumentalisierung des Rechts und der Richter für die politischen Ziele der Sieger" brandmarkte. Seinen Befund faßte er nach der Durchmusterung von Carl Schmitts Stellungnahme für heute so zusammen: "Ein halbes Jahrhundert . . . nach Nürnberg und Tokio läßt sich guten juristischen Gewissens feststellen: Die IMT-Prozesse setzten keine ,landmarks in law', sie waren Einzelfälle der Völkerrechtsgeschichte, ohne Vorgang und ohne Nachfolge." Als Einzelfallgesetze, angewendet durch Ausnahme-Gerichte, sei von ihnen nicht einmal eine "erfolgreiche Revolution" in der Geschichte des Völkerrechts ausgegangen.

So weit auszuholen macht Sinn, weil Quaritschs neueste Schmitt-Edition für ihn wiederum Anlaß ist, sich den Nürnberger Prozessen zu widmen, diesmal allerdings vorwiegend dem Nürnberger Innenleben. Er macht mit der tadellosen Edition der drei Verhöre und vier Stellungnahmen vom Frühjahr 1947 - Schmitt sitzt nach 13 Monaten Haft in Berlin nun für sechs Wochen in der Einzelhaft des Gerichts in Nürnberg - vor allem dem Interpretationsmonopol Konkurrenz, das der damalige stellvertretende amerikanische Ankläger Robert M. W. Kempner errichtete.

Nach Quaritschs Wiedergabe und vor allem seinen minutiösen Anmerkungen dessen, was sich in Nürnberg abspielte, erschließen sich zeitgeschichtliche Zusammenhänge, die über Schmitt hinausreichen. Die Rekonstruktion der Befragungsszenerie endet mit dem Satz des Herausgebers: "Seit seinem achten Lebensjahrzehnt war Kempner nicht mehr Herr seines Gedächtnisses. Er ist in dieser Zeit keine Quelle für die Historiographie, sondern ein Fall für die Geriatrie . . . Man könnte ihn einen Münchhausen der Zeitgeschichte nennen, wären da nicht die bösartigen Akzente, die er selbst setzte, nicht seinen Hörern und Interpreten überließ: Schmitt als Ankläger der deutschen Staatssekretäre, Denunziant seiner Kollegen, ein verächtliches Subjekt, ein Schwein."

Natürlich bleibt selbst dann die Frage, ob man bewundern soll, wie Schmitt jede Frage des Anklägers abfederte, oder ob man nun besser die Lebensferne versteht, mit der sich Schmitt in die nationalsozialistische Lebenswirklichkeit begab. Bekannt war schon zuvor seine Äußerung im Verhör, er habe sich Hitler "geistig unendlich überlegen gefühlt". Wenig später ringt er sich zu dem Bekenntnis durch: "Es ist schauerlich, sicher. Es gibt kein Wort darüber zu verlieren."

Quaritsch selbst ringt sich hier zu einem nicht gerade erschöpfenden Kommentar durch, der lautet: Schmitt sei "einer für schreibende Intellektuelle typischen Fehldeutung des eigenen Wirkens" aufgesessen. Man könne über ein solches Fehlurteil nur den Kopf schütteln, aber es sei weit verbreitet gewesen.

Insgesamt werden für Schmitts Gedankenwelt kurz nach dem Zweiten Weltkrieg mit dieser Edition endlich einmal verläßliche Unterlagen über sachliche Fragen wie menschliche Haltungen geliefert. Noch heute ist es von Interesse, wenn ein Carl Schmitt den "Fall Schmitt" verläßt und sich seine Gedanken über "Großraumpolitik" und die immerwährende Problematik des "Angriffskrieges" macht.

PAUL NOACK

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Paul Noack stellt in seiner Rezension den Herausgeber des Bandes, Helmut Quaritsch, als ausgemachten Kenner Carl Schmitts vor, der bereits zahlreiche Veröffentlichungen zu dem Staatsrechtler herausgegeben hat. Dabei gehe es Quaritsch darum, die "Verfemung aufzubrechen", die durch Schmitts Rolle während des Nationalsozialismus bedingt ist. Noack lobt an diesem Band die "tadellose Edition der drei Verhöre und vier Stellungnahmen" bei den Nürnberger Prozessen von 1947 und stellt fest, dass sich Quaritsch mit seiner Interpretation gegen die vorherrschende Deutung des amerikanischen Anklägers Robert M. W. Kempner stellt, dem er in unmissverständlicher Weise Gedächtnisschwächen unterstellt. Nach Noack werden im vorliegenden Band - dank der "minutiösen Anmerkungen" über die Vorgänge in Nürnberg - die "zeitgeschichtlichen Zusammenhänge" besonders gut deutlich. Unbeantwortet bleibt seiner Ansicht nach jedoch die Frage, ob Schmitts Reaktionen auf die Anklage bewundernswert sind oder ob sie nicht vielmehr als Ausdruck einer Blindheit gegenüber der nationalsozialistischen Wirklichkeit zu verstehen sind.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Das Werk zeichnet sich - nimmt man alles in allem - nicht nur durch eine vorzügliche Berichterstattung und Auseinandersetzung mit der Thematik Carl Schmitt, sondern auch durch eine anschauliche Darstellung der Nachkriegsjahre aus, in denen die tradierten Vernehmungsprotokolle und Stellungnahmen entstanden." Klaus Kastner, in: Das Historisch-Politische Buch, 4/2001