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Wenn Ehre tötet
Nach einer langen Zeit voller Schläge und Demütigungen lässt sich die Kurdin Gülnaz Beyaz von ihrem Mann scheiden. Mit ihrer Entscheidung hat Gülnaz die Ehre des Mannes und seiner Familie verletzt, einer seiner Neffen will Vergeltung. Sie leben in Deutschland, doch in der kurdischen Gemeinschaft gelten die archaischen Regeln ihrer Heimat. Die Blutrache beginnt...
"Die Geschichte dieser Frau raubt mir noch heute den Atem. Vor dem, was sie geleistet hat und leistet, kann ich nur den Hut ziehen." Katrin Rohnstock
Ein Einblick in eine andere Welt, die mitten in Deutschland
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Produktbeschreibung
Wenn Ehre tötet

Nach einer langen Zeit voller Schläge und Demütigungen lässt sich die Kurdin Gülnaz Beyaz von ihrem Mann scheiden. Mit ihrer Entscheidung hat Gülnaz die Ehre des Mannes und seiner Familie verletzt, einer seiner Neffen will Vergeltung. Sie leben in Deutschland, doch in der kurdischen Gemeinschaft gelten die archaischen Regeln ihrer Heimat. Die Blutrache beginnt...

"Die Geschichte dieser Frau raubt mir noch heute den Atem. Vor dem, was sie geleistet hat und leistet, kann ich nur den Hut ziehen." Katrin Rohnstock

Ein Einblick in eine andere Welt, die mitten in Deutschland liegt: Die Jesiden sind eine alte kurdische Religionsgemeinschaft; viele flohen vor der Unterdrückung in der Türkei nach Deutschland. Eine von ihnen ist Gülnaz. Sie will ihr Leben selbst bestimmen: ihr Schicksal ist berührend, ihre Kraft vermittelt Optimismus.
Autorenporträt
Pasch, Ralf
Ralf Pasch ist freier Journalist und Autobiografiker bei »Rohnstock Biografien«.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.04.2008

Dynamik einer Ehrverletzung

Die Jesidin Gülnaz Beyaz ließ sich von ihrem Mann scheiden. Dessen Familie fühlte sich in ihrer Ehre verletzt und setzte eine Blutfehde in Gang, die bis heute andauert.

Der Schatten von Blutfehden verdunkelt oft das Leben mehrerer Generationen. Einmal in Gang gesetzt, ist ihre todbringende Spirale kaum zu stoppen. Lange galt die Blutrache als Phänomen, das nur in Ländern mit archaischen Gesellschaften existiert. Dann fand sie ihren Weg auch nach Mitteleuropa, im Gepäck von Gastarbeitern und Migranten.

Als im Herbst 2003 zwei jesidischen Kurden vor dem Bielefelder Landgericht der Prozess wegen Mordes gemacht wurde, reagierte die Öffentlichkeit entsetzt: Mit zweiundzwanzig Schüssen hatte ein in Deutschland aufgewachsener junger Kurde einen entfernten Verwandten niedergeschossen, weil dessen Familie zuvor einen Anschlag auf seinen Onkel verübt hatte. "Blutrache" lautete die Erklärung des Todesschützen. Heimtückischer Mord, urteilte das Gericht. Die Tat an sich schockierte, doch auch die Hilflosigkeit, mit der die Justiz zunächst auf die kulturellen Mechanismen hinter der Tat reagierte. Ganz unvermittelt offenbarte sich eine Welt, die fernab der deutschen Realität und doch mitten in Deutschland existiert; in der der Erhalt der Ehre mehr zählt als ein Menschenleben und in der Familien sich zu Richtern über Leben und Tod aufschwingen.

Der Auslöser der Blutrache klang für deutsche Ohren geradezu banal: Gülnaz Beyaz, die Schwester des Verurteilten, hatte sich von ihrem Mann scheiden lassen. Dessen Familie sah sich deshalb in ihrer Ehre verletzt. Indem Gülnaz Beyaz sich außerdem den Schlichtungsversuchen jesidischer Gemeindeoberhäupter widersetzt hatte und stattdessen den Weg der Scheidung gegangen war, wandte sie sich in den Augen der Jesiden gegen die eigene Kultur. Welche Katastrophe sie damit auslösen würde, ahnte Gülnaz Beyaz nicht. Die Staatsanwaltschaft warf ihr vor, ihren Bruder zum Mord angestiftet zu haben. Dann erkannten die Richter jedoch, dass die Ehrverletzung eine tödliche Dynamik in Gang gesetzt hatte, die sich auch ohne das Zutun der Jesidin entfaltete. Gülnaz Beyaz wurde freigesprochen, ihr Bruder bekam "lebenslänglich".

Unter dem Titel "Mein Leben im Schatten der Blutrache" erscheint nun ein Buch, das die Geschichte der Jesidin protokolliert. Über Monate haben sich die Autoren Katrin Rohnstock und Ralf Pasch immer wieder mit Gülnaz Beyaz getroffen. Um verstehen zu können, wie es zu der Blutfehde kommen konnte, wälzten sie Gerichtsakten und fuhren auf den Spuren der jesidischen Kultur in die Türkei. Entstanden ist ein eindrucksvolles Buch, das Gülnaz Beyaz' verzweifeltes Ringen um Emanzipation und die jesidische Kultur porträtiert. "Jesidin ist man ganz, oder man ist es gar nicht", erklärt Gülnaz Beyaz, und es klingt fast wie ein Fluch: Befolgt man die Regeln der jesidischen Gemeinschaft, dann ist sie Heimat und Familie in einem. Geht eine Jesidin jedoch eigene Wege, dann bezahlen sie und ihre Familie unter Umständen mit dem Leben.

Die Aufzeichnungen über ihr Leben gleichen einem Album aus persönlichen Erinnerungsfotos, anhand deren Gülnaz Beyaz den Weg ihrer Familie in die Blutfehde und die jesidische Kultur erklärt. Die "Heyf", wie die Blutfehde im Kurdischen heißt, begleitet Günaz Beyaz seit ihrer Kindheit. In Deutschland, wohin sie im Alter von acht Jahren kam, glaubte sie, ihr entkommen zu können. Doch die Jesiden brachten nicht nur die Blutrache, sondern auch alle anderen archaischen Traditionen ihrer Heimat mit: Als Jesidin hat man sich stets dem Willen des Mannes zu unterwerfen, die Ehe wird von den Eltern arrangiert. Versucht ein Mädchen, den Auserwählten zurückzuweisen, verbreitet dieser Lügen, die dem Ansehen der ganzen Familie schaden. Nach der Hochzeit geht das Mädchen in das Eigentum des Schwiegervaters über. Geht sie aus, dann nur in Begleitung des Mannes. Der Mann dagegen kann tun und lassen, was er will. So sind die Regeln seit Jahrhunderten, und so werden sie unter den Jesiden in Deutschland gepflegt.

Von Anfang an habe ihr Vater Angst gehabt, dass sie sich fern der Heimat von ihren kulturellen Wurzeln lösen könnte, erzählt Gülnaz Beyaz. Er versuchte deshalb, das Mädchen von allem Deutschen fernzuhalten. Doch Gülnaz widersetzte sich.

"Serhijik" - dickköpfig, wie man im Kurdischen sagt - wurde sie deshalb von der Familie genannt: Sie spielte mit Jungen, obwohl sie nicht durfte. Sie ging in den Schwimmunterricht, obwohl der Vater es verboten hatte. Zur Strafe meldete er die Tochter von der Schule ab. Um dem elterlichen Gefängnis zu entkommen, heiratet Gülnaz Beyaz sehr jung: Ihr Bräutigam ist wie sie in Deutschland aufgewachsen, seine Ansichten scheinen deshalb moderner als die der anderen jesidischen Männer zu sein. Doch der Schein trügt - bei allem, was Gülnaz Beyaz macht, schlägt ihr von nun an der Widerstand ihres Gatten entgegen. Der Mut und die Kraft, mit der die Jesidin sich immer wieder auflehnt, sich weder durch Demütigungen noch durch körperliche Misshandlungen von ihrem Weg abbringen lässt, verdienen Bewunderung.

Sie legt die Prüfung zur Fahrlehrerin ab und erfüllt sich den Traum von der eigenen Fahrschule. Sie ist mehrere Jahre erfolgreich im Immobiliengeschäft tätig und ernährt damit die ganze Familie - innerhalb weniger Jahre bringt sie sechs Kinder zur Welt. Als ihr Mann die Fahrschüler bedroht, um das Geschäft zu ruinieren, reicht Gülnaz Beyaz nach zweiundzwanzig Ehejahren die Scheidung ein. Wenige Wochen später wird auf ihren Bruder geschossen. Um dessen Ehre wiederherzustellen, tötet Gülnaz' jüngerer Bruder den Neffen ihres geschiedenen Mannes. Für die Jesidin ist ihr Bruder ein Opfer der eigenen Kultur: "Ich richte meinen Bruder nicht. Aber ich schäme mich für das, was passiert ist. Ich schäme mich dafür, dass sich unsere Kultur nicht ändert. Ich verurteile die Rückständigkeit, in der die jesidische Gesellschaft in Deutschland lebt", sagt sie.

Genaue Zahlen, wie viele Jesiden es in Deutschland gibt, existieren nicht. Viele von ihnen kamen als Flüchtlinge aus der Türkei, denn dort werden sie wegen ihres Glaubens seit Jahrhunderten verfolgt. Ein Leben ohne die Gemeinde ist kaum möglich: Jeside kann man nicht werden, als Jeside wird man geboren. Heiraten dürfen Jesiden nur untereinander. "Heute, da ich selbst Kinder habe, weiß ich, dass es nicht so leicht ist auszubrechen. Die familiären Bindungen sind sehr eng und die Traditionen sehr stark - man kann sich nicht ohne weiteres daraus lösen", heißt es an einer Stelle. Der Schatten der Blutrache liegt noch immer auf Gülnaz Beyaz' Familie. Aus Angst, das nächste Opfer zu sein, hält sich ihr ältester Bruder bis heute versteckt.

KAREN KRÜGER

Katrin Rohnstock, Ralf Pasch: "Mein Leben im Schatten der Blutrache". Die Geschichte der Gülnaz Beyaz. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2008. 236 S., br., 11,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Karen Krüger zeigt sich beeindruckt von diesem Buch. Was die Autoren Karin Rohnstock und Ralf Pasch aus Gerichtsakten und Gesprächen über den Fall Gülnaz Beyaz und das Thema Blutrache zusammengetragen haben, eröffnet der Rezensentin nicht nur die persönliche Geschichte, das "Ringen um Emanzipation" einer Jesidin, sondern auch Einblicke in die jesidische Kultur. Am Ende empfindet Krüger Bewunderung angesichts des Mutes und der Kraft, mit der Beyaz gegen Demütigungen und Misshandlungen ankämpft. Ein wenig Ratlosigkeit ist ihr aber auch anzumerken. Zu stark erscheint die Tradition und der Schatten der Blutrache.

© Perlentaucher Medien GmbH