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Ist die Würde des Menschen antastbar?
»Wir haben die Handschuhe ausgezogen« -, so beschrieb die CIA ihr Vorgehen nach dem 11. September. In Deutschland wird die Folter von einigen populistischen Politikern befürwortet, sogar manch seriöser Jurist oder Politiker hält sie »unter bestimmten Umständen« für anwendbar. »Rettungsfolter«, »verschärfte Vernehmungsmethoden«, »Waterboarding« - solche Euphemismen bemänteln fundamentale Verstöße gegen die Menschenrechte.
Warum ist Folter heute wieder denkbar? Welche politischen und gesellschaftlichen Folgen hätte eine Aufweichung des Folterverbots?
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Produktbeschreibung
Ist die Würde des Menschen antastbar?

»Wir haben die Handschuhe ausgezogen« -, so beschrieb die CIA ihr Vorgehen nach dem 11. September. In Deutschland wird die Folter von einigen populistischen Politikern befürwortet, sogar manch seriöser Jurist oder Politiker hält sie »unter bestimmten Umständen« für anwendbar. »Rettungsfolter«, »verschärfte Vernehmungsmethoden«, »Waterboarding« - solche Euphemismen bemänteln fundamentale Verstöße gegen die Menschenrechte.

Warum ist Folter heute wieder denkbar? Welche politischen und gesellschaftlichen Folgen hätte eine Aufweichung des Folterverbots? Bahar betrachtet das brisante Thema historisch, international und bezogen auf die aktuellen Anlässe, und erklärt, warum Folter unter keinen Umständen zu akzeptieren ist.
Autorenporträt
Bahar, Alexander
Alexander Bahar ist promovierter Politikwissenschaftler. Er arbeitet als Redakteur und Publizist. Sein Vater stammt aus dem Iran, Freunde seines Vaters haben dort Folter erleiden müssen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.08.2009

Ein bisschen Folter
Das weltweite Verbot darf nicht relativiert werden
Die Folterkeller der Diktaturen blendet der Heilbronner Historiker Alexander Bahar aus. Seine Darstellung fokussiert die Degeneration der ältesten Demokratie zum Folterstaat. Sie beschreibt, wie die USA unter Bush, Cheney und Rumsfeld die Folterpraktiken in Bagram, Abu Ghraib, Guantanamo und vielen anderen global verteilten Geheimgefängnissen der CIA auslösten. Bilder von misshandelten Gefangenen, die weltweit Entsetzen auslösten und Verbrechen, für die bislang nur sieben Soldaten niederer Ränge bis maximal zum Oberfeldwebel verurteilt wurden, prägten die öffentliche Wahrnehmung der Bush-Regierung. Dessen Nachfolger Barack Obama tut sich schwer mit der Aufarbeitung der Verbrechen. Er will Guantanamo schließen, aber die rechtlich fragwürdigen Militärtribunale beibehalten. Er will aufklären, aber die Publikation von Folterfotos verhindern und den politisch und juristisch Verantwortlichen Straffreiheit zusichern.
In einer einführenden komprimierten kurzen Geschichte der Folter legt Bahar dar, dass deren Abschaffung eine Errungenschaft der Aufklärung war. Rückschläge und vor allem die verheerenden Erfahrungen mit der Nazi-Diktatur rückten die Forderungen nach einem wirksamen Schutz der Menschenrechte wieder in den Mittelpunkt internationaler Bemühungen. Gegenwärtig ist Folter nicht nur in Konventionen geächtet, sondern in nahezu allen zur westlichen Kultur gehörenden Staaten unter Strafandrohung verboten. Die Würde des Menschen ist unantastbar, und wenn ein Verfassungsstaat Folter in eng umgrenzten Fällen zulässt, etwa um ein Attentat zu verhindern, wird er „bald auch Menschen foltern” – so die ehemalige Generalsekretärin von Amnesty International, Barbara Lochbihler, in ihrem Vorwort, „die ein Bombenattentat planen könnten oder die jemanden kennen, der ein Bombenattentat plant”.
Gefährdung der Demokratie
Demgegenüber lautete die Prämisse der Bush-Regierung nach dem 11. September 2001, dass der Zweck, den Terrorismus zu bekämpfen, die gewählten Mittel heilige. Unterlagen solche Mittel wie das „Waterboarding”, das simulierte Ertränken von Gefangenen, deren Fesselung in „Stress-Positionen” oder sexuelle Demütigungen einer rechtlichen Beschränkung, musste diese beseitigt werden. So verkündete die Bush-Regierung, gestützt auf die Rechtsgutachten ihrer Juristen, die „verschärften Verhörmethoden” seien Menschenrechtsmaßnahmen zum Schutz vor Unmenschen und ihrem Terror. Tatsächlich führten die propagandistische Verteufelung und Entmenschlichung des Gegners und die Abwertung der Errungenschaften der Aufklärung zu einem Verständnis der Menschenrechte, das diese tatsächlich nur noch als Mittel zum Zweck ansieht und so den Verlust moralischer Hemmungen befördert. Es ist eine Stärke von Bahars Studie, dass sie diesen Widersinn als Indikator für die Gefährdung der Demokratie im globalisierten Kapitalismus analysiert. Sie sieht den Versuch, durch grausame, erniedrigende Behandlung von Menschen Informationen zu erpressen, im Zusammenhang mit der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich und dem zunehmenden Abbau von Menschen- und Bürgerrechten, wie er unter dem Vorwand des „Kampfes gegen den Terror” betrieben wird.
Den problematischen Umgang deutscher Politiker mit dem Folterverbot zeigt Bahar am Fall des von der CIA entführten und misshandelten Deutsch-Türken Murat Kurnaz, dessen Rückkehr nach Deutschland lange Zeit hintertrieben wurde, sowie an den anhaltenden Bemühungen von Politikern wie Bundesinnenminister Schäuble, unter Folter erzwungene Aussagen nutzen zu können. Die Verwertung von Aussagen, die wie in Guantanamo unter Folter zustande gekommen sind, unterläuft das Folterverbot der internationalen Menschenrechtskonventionen. Gleiches gilt für Bestrebungen deutscher Juristen, das Folterverbot aufzuweichen, indem die Menschenwürde nicht mehr zu den bedingungslos zu schützenden Rechtsgütern zählen, sondern mit anderen Rechtsgütern abgewogen werden soll. Bahar zitiert den ehemaligen Bundesverfassungsrichter Winfried Hassemer: „Der Gefolterte ist nicht mehr als Person da, sondern als Bündel von Schmerzen. Die Menschenwürde ist so etwas wie das Grund-Grundrecht.” WIGBERT BENZ
ALEXANDER BAHAR: Folter im 21. Jahrhundert. Auf dem Weg in ein neues Mittelalter? München, dtv Verlag 2009. 300 Seiten, 16,90 Euro.
Ein Gefangener auf einer Tragbahre unmittelbar vor seinem Verhör in Guantanamo – eine Aufnahme aus dem Jahr 2002. Foto: AP
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Eine Stärke des Bandes von Alexander Bahar sieht Wigbert Benz in der Analyse des Verständnisses der Menschenrechte als Mittel zum Zweck. Und in Bahars Deutung dieses Widersinns als Indikator für die Erosion der Demokratie im globalisierten Kapitalismus. Mittels der einführenden Geschichte der Folter kann Benz nachvollziehen, wie konsequent die Regierung Bush die Regression der USA zum Folterstaat betrieben hat und wie deutsche Politiker wie Wolfgang Schäuble diesem Vorbild nacheifern. Dass Bahar die Folter in den Diktaturen in seiner Studie ausblendet, erscheint dem Rezensenten angesichts solcher Einsichten nicht mehr allzu schlimm.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Bahar zeichnet den Weg der geheimen, inoffiziellen Folterpraxis der Vereinigten Staaten detailliert und akribisch nach."
SWR2 28.10.2009