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SWR-Bestenliste August 2008 und ORF-Bestenliste August 2008 1937, ein Jahr nach Beginn des Spanischen Bürgerkriegs. Francos Truppen haben das Baskenland erobert und machen wie überall mit den Anhängern der Republik kurzen Prozess. Mitten in der Nacht reißt das Säuberungskommando die Familie aus dem Schlaf. Als der Falangist Rogelio Cerón dem Lehrer und dem Erstgeborenen die Hände auf den Rücken bindet, bleiben seine Augen an dem Jüngsten hängen. Unverwandt starrt Gabino ihn an, sein Blick ist kalt und undurchdringlich. Eine unsägliche Wut steigt in Rogelio auf - doch er kann den 10-jährigen…mehr

Produktbeschreibung
SWR-Bestenliste August 2008 und ORF-Bestenliste August 2008
1937, ein Jahr nach Beginn des Spanischen Bürgerkriegs. Francos Truppen haben das Baskenland erobert und machen wie überall mit den Anhängern der Republik kurzen Prozess. Mitten in der Nacht reißt das Säuberungskommando die Familie aus dem Schlaf. Als der Falangist Rogelio Cerón dem Lehrer und dem Erstgeborenen die Hände auf den Rücken bindet, bleiben seine Augen an dem Jüngsten hängen. Unverwandt starrt Gabino ihn an, sein Blick ist kalt und undurchdringlich. Eine unsägliche Wut steigt in Rogelio auf - doch er kann den 10-jährigen nicht mitnehmen, der faschistische Ehrenkodex verbietet es ihm, ein Kind zu töten.
Der Falangist hat in diesem Bruderkrieg schon viele erschossen, Gabinos Blick lässt ihn dennoch nicht mehr los. Er spürt ihn, als sie den Lehrer und seinen ältesten Sohn in den Flussauen liquidieren, er spürt ihn auch noch in der nächsten Nacht, als sie den Richter exekutieren: Rogelio kann den Blick aus diesen Kinderaugen einfach nicht abschütteln. Und so treibt es ihn noch einmal zu dem Ort, wo sie Vater und Sohn erschossen haben. Jemand hat den beiden ein Grab geschaufelt und darauf einen Schössling gepflanzt. Er reißt ihn heraus, aber in der folgenden Nacht ist ein neuer gepflanzt - und Gabino steht hinter ihm. Wortlos stellt der Junge dem Falangisten eine volle Gießkanne vor die Füße. Sein Blick ist unmissverständlich. Rogelio ahnt, dass sein Leben fortan vom Wachstum dieses Feigenbaums abhängen wird ...
Autorenporträt
Pinilla, Ramiro
Ramiro Pinilla, 1923 in Bilbao geboren, gilt als einer der bedeutendsten baskischen Schriftsteller der Gegenwart. Nach großen Erfolgen in den 60er Jahren (1960/61 erhielt er den Premio Nadal und den Premio de la Crítica für Las ciegas hormigas dt. Die blinden Ameisen, DVA 1963) verabschiedete er sich 1971 vom offiziellen spanischen Literaturbetrieb, hörte aber nie auf, zu schreiben. Erst 2004 trat er wieder ans Licht der Öffentlichkeit - mit seinem monumentalen baskischen Familienepos Verdes valles, colinas rojas, für das er die bedeutendsten Literaturpreise Spaniens, den Premio de la Crítica 2005 und den Premio Nacional de Narrativa 2006 erhalten hat und das nach Auffassung der Kritiker einer der wichtigsten spanischen Romane der letzten Jahrzehnte ist. Ramiro Pinilla starb am 23. Oktober 2014.

Stefanie Gerhold, geboren 1967 in München, wurde mehrfach ausgezeichnet für ihre Literaturübersetzungen aus dem Spanischen, darunter Werke von Max Aub, Eduardo Mendoza und Alsa Osorio. Sie lebt in Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.09.2008

Etwas Schönes für Spanien
Ramiro Pinillas Bürgerkriegsroman „Der Feigenbaum”
Ein Merksatz beeindruckt den 21-jährigen Rogelio ganz besonders: Spanien sei eine weltumspannende Schicksalsgemeinschaft. Er stammt aus einer Rede des Falangistenführers José Antonio Primo de Rivera, Rogelios Idol. Zur Verteidigung besagter Schicksalsgemeinschaft ziehen Rogelio und eine Handvoll falangistischer Kameraden allnächtlich aus. 1937, noch während im Land der Bürgerkrieg tobt, stöbern sie in den von Franco eroberten Gebieten „Scheiß-Rote” auf, um sie kurzerhand umzubringen – damit Spaniens „neuer Morgen” möglichst ohne Gegner anbrechen kann. Eines Tages muss Rogelio trotzdem seinen Mitstreiter Luis fragen, was eigentlich der große Satz genau bedeutet. Auch Luis tut sich mit einer Erklärung schwer und sagt schließlich: „Es klingt jedenfalls sehr erhaben, und es drückt etwas sehr Schönes für Spanien aus.” Dem pflichtet Rogelio natürlich bei.
Dem jugendlichen Faschisten widerfährt allerdings etwas, das seine Mordlust – ganz gegen den eigenen Willen – empfindlich dämpft. Als der Trupp einen linken Lehrer und dessen 16-jährigen Sohn zur Exekution abholt, trifft ihn plötzlich der harte Blick des jüngeren, 10-jährigen Bruders. So bohrend ist dessen Blick, dass Rogelio gleich weiß, was ihm der Junge damit sagen will: „Wart’s nur ab, wenn ich 16 bin, werde ich Rache nehmen und dich töten!” So bohrend ist der Blick, dass Rogelio es wahrhaftig mit der Angst zu tun bekommt und darüber nachzugrübeln beginnt, wie diese drohende Rache wohl noch abzuwenden sei.
Eine Nacht später trifft er den Jungen wieder. Rogelio ist zum Tatort zurückgekehrt, und der Junge hat ebendort gerade für Bruder und Vater ein Grab geschaufelt. Darauf steckt ein Schößling des elterlichen Feigenbaums. Nach wie vor sieht der Junge den Mittäter durchdringend an, ohne auch nur ein Wort zu sagen. Und Rogelio glaubt abermals, die Botschaft zu verstehen: Er, Rogelio, habe sich künftig um den Feigenbaum zu kümmern, und wenn er seine Aufgabe nur gewissenhaft versehe, dann komme er womöglich mit dem Leben davon.
Die alten Wunden
Der Bürgerkrieg ist in der spanischen Literatur, wie in Deutschland der Nationalsozialismus, ein ewig aktuelles Thema. Das hat nicht nur mit den Abgründen der Geschichte, sondern auch mit den Abgründen der Gegenwart zu tun. Denn nach wie vor steht in Spanien eine substantielle, massenhafte Vergangenheitsbewältigung aus. Das „Gesetz zur Historischen Erinnerung”, mit dem die Regierung Zapatero im vergangenen Jahr zahlreiche Opfer von Bürgerkrieg und Franco-Diktatur besser als bisher entschädigen wollte, war von der bürgerlichen Oppositionspartei PP jahrelang bekämpft worden mit dem Argument, man solle doch keine alten Wunden aufreißen. Regionale PP-Politiker verhindern noch immer gelegentlich den Abriss einer übriggebliebenen Franco-Statue mit dem Hinweis, das Schleifen solcher Monumente schüre bloß längst begrabene Konflikte. Zugleich befinden sich weiterhin Tausende unidentifizierte Körper in unentdeckten oder ungeöffneten Gräbern auf freiem Feld. Die meisten dieser Toten sind nächtlichen Verbrechen zum Opfer gefallen, die nie gesühnt wurden – Verbrechen wie jenen, die Rogelios kleiner Sturmtrupp verübt.
Ramiro Pinilla, 1923 in Bilbao geboren, hat den Bürgerkrieg als Jugendlicher noch selbst erlebt. Aber im „Feigenbaum” geht es ihm nur am Rande um die Rekonstruktion eines historischen Unrechts. Das detailliertere geschichtliche Fresko, dasjenige der baskischen Geschichte überhaupt vom 19. Jahrhundert bis weit hinein in die zweite Hälfte des 20., hat Pinilla nach knapp 30 Jahren Arbeit bereits 2004/05 mit der monumentalen, 2500-seitigen Familienchronik „Grüne Täler, rote Hügel” vorgelegt. Sie sorgte zugleich für den Wiedereintritt des fast schon vergessenen Autors in die literarische Öffentlichkeit. Das Folgewerk „Der Feigenbaum” konzentriert sich demgegenüber auf eine fast unscheinbare Episode. Die allerdings spinnt Pinilla über 300 Seiten mit geradezu meditativer Unbeirrbarkeit so weit aus, dass sie als Schelmenstück und Satire, Parabel und Requiem zugleich funktioniert.
Ein wachsendes Mahnmal
Rogelio, der unbedarfte Nachwuchs-faschist, kommt aus dem Bann des zehnjährigen Jungen nicht mehr heraus. Nach der gespenstischen nächtlichen Zusammenkunft am frischen Grab muss er sein Leben ändern. Wie ein Eremit wird der Täter künftig den Feigenbaum bewachen, der über seinen toten Opfern ganz langsam Wurzeln schlägt. Zwar ist das Schuld-und-Sühne-Schema in der Wandlung vom mörderischen zum mönchischen Leben unübersehbar. Doch damit markiert Pinilla nur eine Art ideelle Fluchtlinie – schlägt dann aber kaum mehr direkt in die Kerbe. Im Gegenteil: Der festgenagelte Rogelio etwa ist sich selbst weder einer Schuld noch einer Sühne bewusst. Er folgt einfach den wortlosen „Befehlen” des Jungen und träumt nebenbei von der Rückkehr in die Reihen der Falangisten. Die ehemaligen Kameraden werden freilich mit der Zeit immer unglücklicher über Rogelios Wacht, denn der Feigenbaum wächst sich schließlich unweigerlich zu einer Form von Mahnmal aus.
Der Wächter selbst ist es, der seine Geschichte erzählt. Das wirkt zunächst befremdlich – solange Rogelio vor allem als treudoofer Überzeugungstäter auftritt. Erst als sein Bericht jenem neuen Leben gilt, dessen Notwendigkeit ihm selber ein Rätsel ist, findet der Roman zu seinem Ton. Nun beginnt Pinilla, aus Rogelios Befremden Kapital zu schlagen: Wenn er über die Rachegedanken des zehnjährigen Jungen und die eigene Folgsamkeit nachsinnt; wenn er sich über die Leichtgläubigkeit der Pilger lustig macht, die ihn bald behelligen. Mit bewundernswerter Leichtigkeit tänzelt der Autor durch drei Jahrzehnte, bewahrt sich den Ernst, aber erlaubt sich auch groteske Schnörkel. Als Leser ist man dreifach überrascht: von der Spannung, die Pinilla innerhalb seines statischen Dramas aufzubauen vermag; davon, wie die Glaubwürdigkeit auch über die aberwitzigsten Wendungen hinweg gerettet wird; und von der Klugheit, mit der sich die Schuld-und-Sühne-Frage auf ein weites Feld aus moralischen Impulsen, Illusionen und Imperativen hin öffnet.
Schade ist nur, dass Pinilla seinem Publikum offenbar nicht zutraut, dem Roman auf Augenhöhe zu begegnen. Jedenfalls hat er ihm eine Art inhaltlichen „Schutzumschlag” mitgegeben, der Rogelios Bericht einrahmt wie eine literarisierte Lesehilfe. Darin berichtet die Lehrerin Mercedes Azkorra von ihrer Trauer im Angesicht des Krieges und von Unterhaltungen mit ihrem Kollegen Manuel über den merkwürdigen Fall des falangistischen Eremiten. Man tut gut daran, diese Seiten einfach zu überspringen, denn in ihnen sinkt das literarische Niveau des Buches erheblich. Sie wirken wie eine verkrampfte Extra-Anstrengung des Autors, den Roman gleich in einer für den Schulunterricht tauglichen Fassung anzubieten.MERTEN WORTHMANN
RAMIRO PINILLA: Der Feigenbaum. Roman. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2008. 319 Seiten, 14,90 Euro.
Besondere Aufmerksamkeit ist was wert: Peter Alexander bedient in dem Film „Saison in Salzburg” (1961). Foto: Cinetext
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.08.2009

Der Büßer unterm Baum

Schuld, die sich nicht begleichen lässt: Der baskische Autor Ramiro Pinilla hat einen raffinierten Roman über das franquistische Spanien geschrieben.

Nichts ist störender als ein unerwarteter Blick. Die Welt ringsum ist seit geraumer Zeit vergessen, alle Selbstbeobachtung stillgelegt, und dann schießt er heran, der Blick aus fremdem Auge. Alles Tun verliert seinen Schwung, alle Selbstvergessenheit weicht dem peinlichen Eindruck, auf einer Bühne gestanden und es nicht bemerkt zu haben. Woraus zu schließen ist, dass es wenig Unangenehmeres gibt auf der Welt als allzu aufmerksame Zeitgenossen. So ungefähr kann man die bestechende Passage verstehen, die Jean-Paul Sartre in seinem großen Essay über "Das Sein und das Nichts" dem fremden Blick gewidmet hat. Dieser Blick ist ausgesprochenes Ärgernis. Denn er raubt dem Menschen die schöne Illusion, ein Subjekt zu sein. Er ist nämlich gar keines, merkt er im Angesicht der fremden Augen. Er ist kein Subjekt, sondern nur ein Objekt. Er nimmt wahr, wird aber vor allem wahrgenommen. Und das kann das Selbstbild ganz erheblich ins Schwanken bringen.

Es spricht nun schlechterdings nichts dafür, dass Rogelio Cerón, der zentrale Protagonist aus Ramiro Pinillas Roman "Der Feigenbaum", Sartres Essay gelesen hat. Das dürfte schon die Ideologie seiner jungen Jahre verhindert haben. Denn die Anhänger General Francos hielten im Allgemeinen wenig von den Zweifeln französischer Existentialisten am Sinn des Seins. Gegen derartige Gedankenspinnerei schützte sie der Glaube an den Katholizismus und an Spaniens künftige Größe.

An dieser Größe wirkte auch Cerón nach Kräften mit. So war er stets behilflich, all diejenigen, die für die erwartete Zukunft partout nicht zu gebrauchen waren, vom Sein ins Nicht-Sein zu befördern, vulgo: zu erschießen. In einer schönen Nacht des Jahres 1937 traf es einen auf Seiten der Republikaner stehenden Lehrer und dessen Sohn. Fein säuberlich waren sie in den vorher ausgehobenen Graben gekippt, den Cerón nun sorgsam füllte. Schippe um Schippe warf er die Erde in das Loch, als er ihn mit einem Mal spürte, den Blick des jüngsten, gerade acht Jahre alten Sohnes des Lehrers. Der hatte die gesamte Exekution beobachtet, war also ein ungebetener Zeuge, den es eigentlich zu beseitigen gälte, verböte der franquistische Ehrenkodex nicht die Ermordung von Kindern.

Gabino, so der Name des Jungen, starrt den Mörder unverwandt an, und ebenso starrt er ihn auch in der nächsten Nacht an, als es diesen zurück an die Stätte des Verbrechens treibt. Auf das Grab hat der Kleine den Schößling eines Feigenbaums gepflanzt. Cerón reißt ihn heraus, muss aber in der folgenden Nacht - Täter, so heißt es, treibt es ja immer wieder an die Stätten ihres Verbrechens - feststellen, das dort ein neuer Schößling wächst. Und wieder ist Gabino da, der ihn aber nicht nur anstarrt, sondern ihm eine Gießkanne in die Hand drückt. Wortlos weist er den Mörder an, die Pflanze zu gießen. Diese Nacht. Die kommende. Und alle anderen, jemals folgenden Nächte. Ceróns Schicksal ist bereitet: Er hat lebenslange Bußarbeit zu leisten. Verrichtet er sie nicht, wird Gabino ihn töten.

Mit seinem Roman "Der Feigenbaum" hat der 1923 in Bilbao geborene Ramiro Pinilla ein Werk geschaffen, das einen eleganten Bogen zwischen politischem Realismus und psychologischer Etüde schlägt, oder besser: das zwischen beiden Ebenen unmerklich oszilliert. Der stramme Falangist, den sich ganz allmählich die Geister der Vergeltung holen, die Gespenster einer nicht bewältigten, nicht zu bewältigenden Schuld, wird zum Opfer des eigenen Verbrechens. Schritt um Schritt tritt er ab aus der Wirklichkeit, schlägt sich mit Dämonen, deren Herr der kleine Gabino ist. Denn der, glaubt Carón, wird ihn töten, wenn er nicht Tag für Tag den Schößling gießt. Die fixe Idee wird zur Obsession, nach der er sein ganzes Leben richten wird. Nacht für Nacht kommt er, um den Feigenbaum zu hüten, erbaut dort schließlich eine Hütte, um sich der Pflanze jederzeit widmen zu können.

Idyllisch ist das zwar nicht - sieht aber von außen so aus. Und darum gilt Cerón bald als Eremit, zu dem die Menschen in Scharen pilgern. Was dieser Eremit lehrt, wofür er eigentlich steht, weiß zwar niemand, aber darauf kommt es auch gar nicht an: Das Bild des einsamen Mannes ist gar zu schön, um hinterfragt zu werden. Der Roman, der mit der Frage, ob sich ein Verbrechen verzeihen lässt, wenn die Opfer oder deren Angehörige nicht verzeihen können oder wollen, zur Parabel menschlicher Schuld wird, entwickelt sich am Ende noch zur Sozialsatire: Der Büßer unterm Baum, das hat etwas Biblisches, jedenfalls dem Anschein nach. Und weil das so schön ist, will man auch gar nicht weiter fragen.

Ramiro Pinilla hat einen raffinierten Roman zur Frage der Schuld und ihrer Bewältigung geschrieben - auch der kollektiven Bewältigung. Am Ende des 2006 im Original erschienenen Romans findet sich eine Anspielung auf die erst zu Beginn des neuen Jahrtausends ausgehobenen Massengräber der Opfer des Franco-Regimes. Wo diese Gräber lagen, wusste man schon vorher, hätte es zumindest wissen können. Doch der Aufklärung zog man die Verklärung vor, einen milden Mythos, mit dem sich ungleich besser leben ließ als mit den harten Fakten. Pinilla mochte mit solchen Verklärungen nicht leben. Er, der sehr spät zum Schreiben kam, pflegte in seinen Werken einen nüchternen Blick auf die Härten des Balkans, in den sich gelegentlich allerdings eine leichte Verklärung seiner baskischen Heimat mischte. Ausarten lassen hat er den baskischen Patriotismus freilich nie, dazu beäugte er sich und sein Werk zu kritisch - und ergänzte Sartres Beobachtungen zum fremden Blick dahingehend, dass man sich mit einiger Disziplin auch selbst gehörig in die Parade fahren kann. Das stoppt zwar gelegentlich den sanften Fluss des Seins, bringt dafür aber beachtliche Literatur hervor.

KERSTEN KNIPP

Ramiro Pinilla: "Der Feigenbaum". Roman. Aus dem Spanischen von Stefanie Gerhold. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2008. 319 S., br., 14,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Albrecht Buschmann ist von Ramiro Pinillas Roman "Der Feigenbaum" zutiefst beeindruckt. Der 1923 geborene spanische Autor erzähle aus der Perspektive eines überzeugten Falangisten, der nach der Erschießung zweier Männer durch den 10-jährigen Sohn zu einer inneren Umkehr gebracht wird. Fortan bewacht er als Sühne für sein Verbrechen den Feigenbaum, den der Sohn auf das Grab gepflanzt hat, fasst der Rezensent zusammen. Pinilla, der erst 2005 mit einer Romantrilogie wieder in das öffentliche Bewusstsein rückte, setzt hier den Opfern des spanischen Bürgerkriegs ein bewegendes Denkmal und erinnert zugleich auch an die Täter von damals, so der Rezensent gefesselt. Dass der Autor trotz des durchaus vorhandenen Pathos geschickt den Kitsch vermeidet und sprachmächtig wiewohl "unbeirrbar ruhig" erzählt, macht diesen Roman für Buschmann so faszinierend und herausragend.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Mit seinen leisen, aber nachhaltigen Bildern ist dem Autor ein kleines Kunstwerk gelungen, das zeigt, dass Täter nicht immer ihrer Schuld entkommen können."
Preußische Allgemeine Zeitung 01.11.2008