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Tom Seymour ist Psychologe und arbeitet vor allem mit straffällig gewordenen Kindern. Eines Tages sieht er bei einem Spaziergang am Fluß einen jungen Mann Tabletten schlucken und dann ins Wasser springen. Er rettet ihn (wobei er sich selbst in Lebensgefahr bringt) und merkt erst später, daß er ihn kennt.
Es handelt sich um Danny Miller, der als Zehnjähriger wegen Mordes an einer alten Frau vor Gericht gestellt wurde. Bei dem Prozeß hat Tom als psychologischer Gutachter ausgesagt. Das ist jetzt zwölf Jahre her. Jetzt fragt er sich, ob es wirklich ZUfall war, dass Danny ausgerechnet in der
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Produktbeschreibung
Tom Seymour ist Psychologe und arbeitet vor allem mit straffällig gewordenen Kindern. Eines Tages sieht er bei einem Spaziergang am Fluß einen jungen Mann Tabletten schlucken und dann ins Wasser springen. Er rettet ihn (wobei er sich selbst in Lebensgefahr bringt) und merkt erst später, daß er ihn kennt.

Es handelt sich um Danny Miller, der als Zehnjähriger wegen Mordes an einer alten Frau vor Gericht gestellt wurde. Bei dem Prozeß hat Tom als psychologischer Gutachter ausgesagt. Das ist jetzt zwölf Jahre her. Jetzt fragt er sich, ob es wirklich ZUfall war, dass Danny ausgerechnet in der Nähe seines Hauses in den Fluss gesprungen ist. Eins ist ganz sicher: Danny sagt nicht alles, was er vorhat, und auch nicht alles, woran er sich erinnert ...

Autorenporträt
Pat Barker wurde 1943 in Thornaby-on-Tees geboren. Sie stammt aus einer Arbeiterfamilie, studierte an der London School of Economics und unterrichtete Geschichte und Politik. Für den Roman "The Ghost Road", den letzten Band der "Regeneration"-Trilogie, erhielt sie 1995 den Booker Prize. 2001 wurde er mit dem "Welt"-Literaturpreis ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.11.2003

Falltür in die Gegenwart
Keine mildernden Umstände: Pat Barker zeichnet ein Psychogramm

Es begann als Scherz, als leichtsinniges Spiel: Zwei Kinder standen am Ufer eines flachen Teichs und warfen mit Erdklumpen und Steinen nach einem Freund, der vor Angst immer weiter zur Mitte des Wassers zurückwich. Ein überfluteter Brunnen war an der Stelle verborgen, wo keine Wasserpflanzen mehr wuchsen; der schreiende Junge bewegte sich ausweglos darauf zu. Dann fuhr ein Linienbus an dem Teich vorbei, ein Mann schaute zufällig aus dem Fenster, zufällig war er niemand, der gleich wieder wegsah. Er hielt an, lief die Böschung hinab, watete ins Wasser. "An jenem Tag", erinnert sich Tom Seymour dreißig Jahre später, "wurden drei Kinder gerettet."

Tom ist eine der beiden Hauptfiguren von Pat Barkers achtem Roman, als Zehnjähriger bewarf er einen Freund mit Steinen und wurde von einem Fremden zufällig vor noch größerer Schuld bewahrt. "Zufall", heißt es einmal sehr lapidar im Roman "Der Eissplitter", "ist der Spalt im Treiben der Menschen, durch den Gott oder der Teufel reinkommen kann." Die Beweggründe des grausamen Spiels wirken im Rückblick nicht weniger unergründlich als jener rettende Zufall, der es unterbrach.

Ein junger Mann tritt zwischen den nebelverhüllten Lagerhäusern im Hafen von Newcastle hervor; als Tom und seine Frau Lauren in ihrem Spaziergang innehalten, sprintet er über den Pier und springt ins Wasser: Die von Pat Barker mit kalkulierter Beiläufigkeit im Gefüge ihres Romans plazierte Kindheitserinnerung an die eben noch abgewendete Katastrophe am Teich, eine Schlüsselszene des Romans, an der sich die Phantasie des Lesers ebenso entzündet wie dessen Unbehagen, verhilft der Handlung zu einer gefährlichen Unterströmung, die schließlich bis zum Anfang des Buchs zurückreicht, als Tom jenem vermeintlichen Selbstmörder folgt und ihn lebend aus dem Fluß zieht. Tom ist Psychologe, er arbeitet seit Jahren mit straffällig gewordenen Kindern. Ein zehnjähriges Mädchen - als Achtjährige vergewaltigt, von ihrer Mutter verprügelt - beißt einem anderen Mädchen die Nase ab; ein kleiner Junge legt ein Feuer, in dem vier Menschen sterben, und fühlt keine Reue. Der zehnjährige Danny Miller wurde für den Mord an einer alten Frau verurteilt und fand seinen Platz im Leben hinter den Gittern verschiedener Anstalten: Als Tom in dem jungen Mann, den er vor dem Ertrinken bewahrte, den mittlerweile dreiundzwanzigjährigen Danny wiedererkennt, stürzt er "wie durch eine Falltür in der Gegenwart" - so heißt es in der dem Original nicht immer angemessenen Übersetzung von Barbara Ostrop - "in die Intimität ihrer ersten Begegnung" zurück. Danny ist der zweite Protagonist des Romans. "Der Eissplitter" handelt von jener prekären Balance, die Tom und Danny wahren müssen, als sie sich nach dreizehn Jahren erneut gegenüberstehen.

Die 1943 im nordenglischen Thornaby-on-Tees geborene Schriftstellerin etablierte sich bereits mit ihren beiden ersten Romanen, "Union Street" (1982) und "Blow Your House Down" (1984), als eine der wichtigsten britischen Schriftstellerinnen ihrer Generation; für "Die Straße der Geister", den abschließenden Teil ihrer Romantrilogie über den Ersten Weltkrieg, die sie auch in Deutschland einem breiteren Publikum bekannt machte, wurde sie 1995 mit dem Booker Prize ausgezeichnet. Pat Barkers Stärke liegt in der Intensität ihres furchtlosen, von einem ausgeprägten sozialen Empfinden gelenkten Blicks; ihr Renommee gründet nicht zuletzt in der Beharrlichkeit, mit der sie die ins Unterbewußtsein der modernen Gesellschaft verbannten Ängste an die Oberfläche einer in klaren lyrischen Sprachbildern dahinfließenden Handlung zwingt. Die Topographie des Kriegs, die sie nicht nur in der "Regeneration"-Trilogie vermißt, sondern auch in späteren Büchern wie "Das Gegenbild" (1998) oder dem in Großbritannien kürzlich erschienenen Roman "Double Vision", worin sich ein Kriegsberichterstatter in die scheinbar friedliche Zurückgezogenheit eines englischen Landhauses flüchtet, verlagert sie in "Der Eissplitter" in das trauerfarbene Land einer verwüsteten Kindheit. Danny erinnert sich an das Gewehr seines Vaters, an die Videos, die er mit ihm sah; er erinnert sich in den Gesprächen mit Tom an das Zerbrechen der elterlichen Ehe, die Krankheit der Mutter und die Gewalttätigkeit des Vaters, die in Pat Barkers differenzierter Darstellung zwar vieles erklärt, aber lange noch keinen Mord. Während das Gericht vor dreizehn Jahren über sein Schicksal verhandelte, litt der gelangweilte Junge innerlich Schmerzen und sehnte sich nach seinem Spielzeug. "Ich durfte nicht spielen", sagt Danny zu Tom. "Hätte man mir Spielsachen gegeben, hätte man damit wohl eine ganze Menge zugegeben."

Aber "Der Eissplitter" ist kein Plädoyer für mildernde Umstände, Barker kennt keine Entschuldigung für den brutalen Mord an der alten Lizzie Parks und keinen Weg der Sühne. Das Gefühl einer latenten Bedrohung, die vor dem Hintergrund seiner Biographie auch von dem erwachsenen Danny auszugehen scheint, mündet immer wieder in die Frage, ob der Junge von damals heute ein anderer ist. Als sich schließlich der Verdacht bewahrheitet, daß der charismatische Danny die Begegnung mit Tom inszeniert und den Selbstmordversuch lediglich vorgetäuscht hat, ist der emotionale Schutzwall, hinter dem Tom sich anfangs mit der klinischen Gelassenheit des Psychologen verschanzt, längst weggebrochen.

Danny sucht Toms Nähe, um zu verstehen, was er als Zehnjähriger nicht begreifen und worüber er in der auf Körperertüchtigung statt auf therapeutische Betreuung spezialisierten Anstalt niemals sprechen konnte. Danny ist davon überzeugt, allein aufgrund von Toms Aussage für den Mord verurteilt worden zu sein, er fühlt sich als Opfer. Als Tom ihn vor dem Zugriff aggressiver Reporter rettet, die Dannys Vergangenheit erneut als Sensationsgeschichte verheizen wollen, und ihn in seinem Haus Schutz gewährt, droht die prekäre Beziehung zwischen den beiden Männern aus dem Lot zu geraten und in die Katastrophe abzustürzen.

Mit "Der Eissplitter" hat Pat Barker einen vorzüglichen literarischen Thriller geschrieben, ein psychologisches Kammerspiel von erstaunlicher Konzentration. Barker öffnet die geschlossene Form des Zwiegesprächs ihrer beiden Protagonisten dabei immer wieder effektvoll für die Blicke verschiedener Nebenfiguren, darunter etwa Dannys Bewährungshelferin und der ehemalige Leiter der Anstalt, in der der Junge untergebracht war. Ihre Beobachtungen vervollständigen allmählich Toms Bild von Dannys Persönlichkeit und stellen diesem Psychogramm mit Toms langsam vollzogener Trennung von seiner Ehefrau zudem eine Nebenhandlung zur Seite, die den atmosphärischen Druck des Romangeschehens weiter verstärkt. Unscharf bleibt am Ende vor allem die Figur der Lizzie Parks, und es ist wohl die perfide Erkenntnis des Romans, daß die alltäglichen Opfer von Gewalt und Verbrechen nicht immer ein markantes Gesicht besitzen. Sie leben ihr Leben, sie leben zufällig in der Nachbarschaft: "Zufall ist der Spalt im Treiben der Menschen", das muß letztlich auch Tom Seymour erfahren, "durch den Gott oder der Teufel reinkommen kann."

THOMAS DAVID

Pat Barker: "Der Eissplitter". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Barbara Ostrop. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2003. 239 S., br., 14,50 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Pat Barker ist eine unerhört moderne Autorin, eine phänomenal wache Erzählerin. Es ist etwas sympathisch Offenes, Direktes an ihren Büchern – diesen straffen, schnörkellosen Romanen, die man einfach zu Ende lesen muß. ›Der Eissplitter‹ ist ein großartiges Stück Literatur, voll Trauer und Entsetzen. Noch lange nach der Lektüre macht man sich Gedanken um die fein gezeichneten Figuren. Dieses Buch trägt uns über unsere eigene Erfahrung hinaus und erweitert unsere Sicht der Welt. Und es hält uns wach bis zwei Uhr morgens.«
Julie Myerson in ›The Independent on Sunday‹
»Ein intelligenter, zutiefst beunruhigender und sehr kraftvoller Roman, der einfache Antworten verweigert. Es ist Barkers bisher bestes Buch – und das bedeutet, es ist wirklich sehr, sehr gut.«
Miranda Seymour in ›Literary Review‹
»Es gibt zur Zeit nur wenige englische Autoren, die eine ähnliche erzählerische Gelassenheit und Sicherheit haben wie Pat Barker, und ihre Fähigkeit, das Unausgesprochene zu artikulieren, ist einzigartig. Ein überzeugender Roman, der einen nicht mehr losläßt, der auch die Möglichkeit der Erlösung und eines legitimen Neubeginns in Frage stellt.«
David Vincent in ›Observer‹
»Im Zentrum dieses spannenden Romans steht ein charismatischer junger Mörder. Und es geht um Grenzen: zwischen Kindheit und Erwachsensein, Schuld und Unschuld, geistiger Gesundheit und Psychose, professionellen und persönlichen Beziehungen. Dieses Buch ist so gut geschrieben und so hervorragend konstruiert wie nicht anders von Barker zu erwarten. Wie immer gibt es auch verblüffend lebendige Bilder, doch im allgemeinen ist ihr Stil so sparsam, daß man dabei nicht die ungemein sorgfältige Strukturierung ihres Materials, die verbalen und visuellen Echos übersehen darf, die sie ganz unaufdringlich einbaut und die noch lange im Gedächtnis des Lesers nachhallen.«
Peter Parker in ›The Sunday Times‹
»Ein wirklicher Triumph Pat Barkers ist die allmähliche Enthüllung von Dannys Persönlichkeit – ohne daß er als ein klinischer ›Fall‹ dargestellt würde, nein, er ist geradezu beunruhigend individuell. Ein Buch, das man nicht vergessen wird, über ein Thema von allgemeiner Gültigkeit: die Komplizenschaft des Guten mit dem Bösen, bewirkt durch den mitleidigen Wunsch zu glauben, das Böse existiere nicht.«
Victoria Glendinning in ›The Daily Telegraph‹
»Ein höchst intelligenter und geschickt konstruierter Roman, dessen Erzähltempo von der eigenartigen Beziehung zwischen Psychologe und Patient bestimmt wird: Zu Beginn ist es distanziert und beherrscht, dann verstärkt sich immer mehr das Gefühl, mit großer Geschwindigkeit in eine Katastrophe zu rasen …«
Ruth Scurr in ›The Times‹
»Das bei dtv vorliegende Buch der Trägerin des Willy-Haas-Preises 2002 thematisiert eindringlich die Frage nach kindlicher Schuldfähigkeit.«
Buchreport.magazin
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Mit ihrem achten Roman "Der Eissplitter" hat Pat Barker einen literarischen Thriller geschrieben, den Thomas David - abgesehen von einigen Abstrichen bei der Übersetzung - in höchsten Tönen lobt. Barkers gutes Renommee in England, wo sie 1995 mit dem Booker-Prize ausgezeichnet wurde, gründe auf ihrem ausgeprägten sozialen Blick und der Beharrlichkeit, mit der sie verborgene gesellschaftliche Ängste an die Oberfläche bringe, erläutert David. "Der Eissplitter" zeichnet in Form eines Kammerspiels das Psychogramm zweier Menschen, die in einer schwierigen Beziehung zueinander stehen: Tom ist Psychologe, der mit straffälligen Jugendlichen arbeitet; Danny ein Jugendlicher, der als Zehnjähriger für den Mord an einer alten Frau in verschiedene Anstalten kam. Danny fühlt sich als Opfer Toms und inszeniert nach 13 Jahren eine Wiederbegegnung, welche die professionelle Gelassenheit des Psychologen tief untergräbt und in einer Katastrophe zu endet droht, fasst David die Handlung zusammen. Tom versuche im Verlauf des Buches herauszubekommen, ob sich der junge Danny gewandelt habe, schreibt David. Der Leser erhält darauf wohl auch eine Antwort, die David nicht verrät. Ein Plädoyer für mildernde Umstände enthalte der Roman jedenfalls nicht, verrät David. Dass ausgerechnet das Mordopfer ausgesprochen unscharf bleibe, verschafft dem Rezensenten die "perfide Erkenntnis", dass sich alltägliche Gewalt häufig ganz willkürlich seine Opfer sucht.

© Perlentaucher Medien GmbH
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"Ein großartiges Stück Literatur. Dieses Buch trägt uns über unsere eigene Erfahrung hinaus und erweitert unsere Sicht der Welt. Und es hält uns wach bis zwei Uhr morgens." (Julie Myerson in 'The Independent on Sunday')