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Achte auf nichts wegen mir.« In Harrachov, einem Ferienort weit im Osten der Tschechischen Republik, sitzen Evy und Vera auf der Terrasse und würden gern Ski laufen. Aber nicht nur ihre Beziehung stagniert, auch die Lifte sind abgestellt. Dabei hatte alles so stürmisch angefangen, vor zwei Jahren im Winter. Vera war bei einer rasanten Abfahrt mit Evy zusammengeprallt, und sie hatten sich auf der Stelle verliebt. Jetzt sind sie eigentlich nur noch für die anderen faszinierend. Für die alte Frau Beran, die ihnen das Zimmer vermietet, für Oliver, der seine Frau und seine Kinder vernachlässigt,…mehr

Produktbeschreibung
Achte auf nichts wegen mir.« In Harrachov, einem Ferienort weit im Osten der Tschechischen Republik, sitzen Evy und Vera auf der Terrasse und würden gern Ski laufen. Aber nicht nur ihre Beziehung stagniert, auch die Lifte sind abgestellt. Dabei hatte alles so stürmisch angefangen, vor zwei Jahren im Winter. Vera war bei einer rasanten Abfahrt mit Evy zusammengeprallt, und sie hatten sich auf der Stelle verliebt. Jetzt sind sie eigentlich nur noch für die anderen faszinierend. Für die alte Frau Beran, die ihnen das Zimmer vermietet, für Oliver, der seine Frau und seine Kinder vernachlässigt, weil er ihnen gern zeigen möchte, was für ein toller Sportler er ist, für den Mann, der die Skier repariert und verleiht. Die dreizehn Erzählungen in diesem Band bilden eine Art Kettengeschichte. Nur dem Leser erschließt sich, wie sie zusammenhängen, nur er weiß am Ende, was hinter dem Rücken der Figuren geschieht.

Die dreizehn Episoden in diesem Band bilden eine Kettengeschichte. Jede birgt ein neues Geheimnis, das den Leser auf die Suche schickt, an deren Ende nur er weiß, was hinter dem Rücken der Figuren geschieht.

Autorenporträt
Rávic Strubel, Antje
Antje Rávic Strubel, geboren 1974 in Potsdam. Buchhandelslehre. Beleuchterin am Wings-Theater in New York. Studium der Amerikanistik, Psychologie und Literaturwissenschaften in Potsdam und an der NYU. Skifahrerin, Tangotänzerin und Kanutin. Lebt in Potsdam.

Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.03.2002

Hindernis im Abfahrtslauf
Wenn der Skilift streikt: Antje Rávic Strubels Episodenroman

Schön, unaufdringlich, leise. Eine vergleichbare poetische Eindringlichkeit und sprachliche Intensität wie etwa bei Jenny Erpenbeck, Judith Hermann oder Antje Rávic Strubel gab es schon lange nicht mehr. Mit relativ schlichten Mitteln schaffen sie und ihresgleichen Welten, in denen wenig geredet, dafür aber sehr genau und vielfältig wahrgenommen wird. Welten, die eher kühl und verhalten wirken, dem Leser aber jeden Raum für Phantasie und Enträtselung bieten. Hier bleibt man unbehelligt von moralischer Belehrung oder postmoderner Verwirrung, hat aber Aussicht auf Tiefgang.

Einige Monate nach ihrem ersten Roman "Offene Blende" (F.A.Z. vom 1. September 2001) und dem in Klagenfurt errungenen Ernst-Willner Preis ist Strubel schon wieder präsent. Statt nach New York sind die Grenzgänge zwischen Ost und West diesmal in einen kleinen tschechischen Skiort verlagert. In Harrachow, keine dreißig Kilometer südlich von Bautzen, sind auch im zehnten Winter nach der Wende die Unterschiede zwischen "damals", "früher" und "heute" allen bewußt. So hat früher nie jemand die Haustür in der Pension Beran abgeschlossen. Und vor achtundzwanzig Jahren, als Herr Beran starb, gab es noch gar keine Skipisten. Die Hubschrauber kreisten damals für den Grenzschutz statt für die Bergwacht am Himmel. Das war noch vor der Zeit Adinas, die sich jetzt als Teenagerin in den virtuellen Chatrooms Rios tummeln kann. Früher wurde auch das Hotel "Zlatá Vyhlidka" seinem Namen noch gerecht. Da war es eine "Goldene Aussicht", nicht nur für Gauner wie Pavel und Ivan, die sich jetzt durch Steuerbetrug eine goldene Nase verdienen. Nur im Postamt hat sich nichts geändert. Briefe werden hier wie eh und je gegen das Licht gehalten und die Postkarten der Touristen mit größtem Interesse gelesen.

Diese und weitere Figuren lenken den Blick des Lesers auf zwei Frauen, die im Mittelpunkt einer Folge von dreizehn Episoden stehen. Manche erzählen sie selbst, in anderen werden sie zu Objekten perspektivischer Beobachtung. Auch diese höchst gegensätzlichen Frauen kennen verschiedene Grade eines "früher" und "heute", eines davor und danach. Dabei überlagert die Herkunft aus Ost und West atmosphärisch die jüngere Vergangenheit ihrer zweijährigen Fernbeziehung ebenso wie die Gegenwart des einwöchigen Skiurlaubs in Harrachow. So verbinden sich zwei Lebensgeschichten zu einer problematischen Liebe, in der "die eine immer etwas anderes will als die andere". Der Reiz dieser Konstruktion besteht in der Behutsamkeit, mit der solche Differenzen weder auf die unterschiedlichen Biographien allein zurückgeführt noch völlig von ihnen abgetrennt werden. Strubel bildet mit diesem zweiten Versuch, deutsch-deutsche Lebenswelten literarisch zu durchdringen, eine erstaunliche Ausnahme in ihrer Generation.

Vera, Studentin aus Mainz, ist laut, offensiv, enthemmt und manchmal etwas zickig. Sie kennt die Welt, die ihr "eine schnurgerade Straße" ohne Überraschungen zu sein scheint. Vera meint, die "Ostler" hätten sich "immer schon gern ein bißchen maßregeln lassen". Und sie denkt, daß ihre Sicht der Dinge "für alle Menschen stimmt", und auch, daß es Gefühle und Sorgen nur geben kann, wenn man sie zeigt oder darüber redet. Evy aus Senftenberg hingegen spricht wenig, sie ist selbstsicher, vernünftig, gelassen und dabei voller "Sehnsüchte, die sie nur unter der Bettdecke sagen kann". Seit Dinge, für die man früher verantwortlich war, verschwunden sind, glaubte sie nur noch an eine Verantwortung für sich selbst. Evy kennt Harrachow, seit sie drei ist, schon einundzwanzig Jahre fährt sie hier Ski. Für Vera ist dagegen alles fremd, seien es einfache tschechische Worte oder bloß die Ergebenheit, mit der man hier bei starkem Schneetreiben den Ausfall der Lifte hinnimmt.

Begonnen hat alles mit großer Rasanz. Vera war zwei Jahre zuvor versehentlich in Evys kühnen Abfahrtslauf geraten und hatte sie zu Fall gebracht. So sind sich die jungen Frauen nahegekommen. Doch die feinen Wahrnehmungsunterschiede, die schon bei diesem ersten Zusammenstoß deutlich werden, prägen ihre Beziehung. Während eines gemeinsamen Aufenthaltes in Paris sind sie dann nicht mehr zu leugnen. Daran erinnern sich jetzt beide in den verschneiten deutsch-tschechischen Grenzbergen. Ihre Spannungen bleiben auch der Umgebung nicht verborgen, ganz überblickt sie aber nur der allwissende Leser. Der neugierige Postbeamte könnte sie etwa den Ansichtskarten entnehmen, doch deutet er sie falsch. Die Wirtin wundert sich, daß die "Mädchen" nicht mehr miteinander reden. Und ein Barkeeper verfolgt gespannt das Distanzspiel der weit auseinander Sitzenden, wo er sie gestern doch noch an einem Tisch vereint sah. Ein draufgängerischer Familienvater, der sich vor den beiden als großer Sportler aufspielt, würde ihnen "gern mal zusehen", denn schließlich fehle ihnen "doch einfach ein Mann". Ein ältlicher Voyeur in der Sauna muß genau das zu seinem Leidwesen tun, denn ein tückisch vollzogener Kuß der beiden zerstört seine seltsamen Phantasien. Der Mann von der Bergwacht schließlich, der Vera nach Stunden aus einem Schneeloch befreit, hält es für das übliche wirre Gefasel Geretteter, wenn er zusammenhanglose Sätze wie "Ich habe Sie überhaupt noch nicht kennengelernt" hört. Was Vera wirklich widerfahren ist, belauscht die Schülerin Adina, die von den Frauen ein Stück im Auto mitgenommen wird.

Dieses Buch hat etwas von einem Puzzle. Der Leser ist herausgefordert, die nicht linear entwickelte Geschichte aus vielfältigen Erzähl- und Figurenperspektiven sowie verstreuten Indizien allmählich zusammenzufügen. Ob die Szenenfolge mit dem Buchumschlag als "Roman" oder mit dem Titelblatt als "Episodenroman" zu bezeichnen ist, bleibt indes fraglich. Strubels erzählerisches Talent steht hingegen außer Zweifel. Die knappen, schnörkellosen Sätze verdichten sich zu einer Prosa voller Zauber. Schon bald wird sie fortgesetzt. Ein neuer Roman Strubels über eine Flugzeugentführung soll sich bereits in Arbeit befinden. Die DDR wird darin wieder eine wichtige Rolle spielen. Der Blick jener, die 1989 gerade erwachsen wurden, verspricht ein ganz neues Bild - auch für die Literatur.

ALEXANDER KOSENINA

Antje Rávic Strubel: "Unter Schnee". Episodenroman. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2001. 155 S., br., 12,- .

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Eine Sprache wie fein gemeißelt, knappe Dialoge, kräftige Bilder, eine Atmosphäre, die man beinahe riechen kann. So muss Literatur sein." Claudia Müritz in der "Sächsischen Zeitung"

"In Unter Schnee werden durch Antje Rávic Strubels präzise, angenehm unaufdringliche Schreibweise und ihren erzählerischen Kunstgriff "heiße" Themen elegant zerstäubt und so weit heruntergekühlt, bis sie kristallisieren und sich in zauberhaften Formen über die Szenerie legen." 'Frankfurter Rundschau'

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ganz begeistert ist Rezensent Alexander Kosenina von dieser "Szenenfolge" - denn für einen Roman, auch für einen Episodenroman hält er das Ganze nicht. Er schwärmt vom Talent und "Tiefgang" von Antje Ravic Strubel, lobt ihre Sprache als kühl und knapp und ihren Ton als nicht belehrend oder moralisierend. Wie die junge Autorin "deutsch-deutsche Lebenswelten" literarisch bearbeite, dass ist für Kosenina eine Ausnahmeerscheinung. Die Ausschnitte aus einer ost-west-deutschen lesbischen Liebesgeschichte, beobachtet von den tschechischen Dorfbewohnern, nicht-chronologisch erzählt, sondern in dreizehn Episoden aus verschiedensten Perspektiven, sind für den Rezensenten "Prosa voller Zauber". Er freut sich schon auf das nächste Buch von Strubel.

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