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Vom Leuchten der Wörter - Ruth Klüger über Lyrik
Ruth Klüger interpretiert Gedichte von den 'Merseburger Zaubersprüchen' über Goethe bis hin zu Robert Gernhardt und zeichnet die Geschichte der deutschen Lyrik anhand ausgewählter Beispiele nach. Einmal mehr beweist die Autorin von 'weiter leben' und 'unterwegs verloren' ihren scharfen analytischen Blick - und ihr erzählerisches Gespür.

Produktbeschreibung
Vom Leuchten der Wörter - Ruth Klüger über Lyrik

Ruth Klüger interpretiert Gedichte von den 'Merseburger Zaubersprüchen' über Goethe bis hin zu Robert Gernhardt und zeichnet die Geschichte der deutschen Lyrik anhand ausgewählter Beispiele nach. Einmal mehr beweist die Autorin von 'weiter leben' und 'unterwegs verloren' ihren scharfen analytischen Blick - und ihr erzählerisches Gespür.
Autorenporträt
Ruth Klüger wurde am 30. Oktober 1931 in Wien geboren. Als Jüdin wurde sie nacheinander in die Konzentrationslager Theresienstadt, Auschwitz-Birkenau und Christianstadt verschleppt. 1947 wanderte sie in die USA aus und studierte dort Anglistik und Germanistik. Sie lebte bis zu ihrem Tod 2020 als Literaturwissenschaftlerin in Irvine/Kalifornien - mit einem zweiten Wohnsitz in Göttingen. Ihre Biographie ¿weiter leben¿ war ihre erste literarische Veröffentlichung. Sie fand damit ein überwältigendes Echo bei Kritikern und Publikum und wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. 
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.12.2007

Ballade und Appell
Ruth Klügers gesammelte Gedicht-Interpretationen
Goethes Vers „Gedichte sind gemalte Fensterscheiben!” taugt bestens als Titel für Lyrikanthologien, deren beruhigender Untertitel etwa „Die schönsten deutschen Gedichte” lauten könnte. Ruth Klügers Buch ist nicht aufs Beruhigen hin angelegt. Geboren 1931 in Wien, emigrierte sie 1947 in die USA, lehrte dort Germanistik an verschiedenen Universitäten und lebt heute in Irvine und Göttingen.Die Gedichte, die sie deutet, sind Begleittexte einer Lebensgeschichte, die auf vielfältige Weise mit den Werken der untersuchten Dichterinnen und Dichter verwoben ist.
Gerade an anthologieerprobten Autoren wie Schiller und Goethe führt die Autorin die Verknüpfung von Dichtung und Wirklichkeit, Poesie und Leben vor. Schillers Gedichte erscheinen als Kronzeugentexte für die mehrdeutige, widersprüchliche Wirkung von Dichtung überhaupt, wenn Klüger, die das Schillersche Pathos mit Skepsis betrachtet, auf sich selbst zurückschaut: nach 1938 am Schul- und Parkbesuch gehindert, lernt sie vor allem Gedichte auswendig: „Und Gedichte waren vor allem von Schiller.”
Der Trost der Zaubersprüche
Der retrospektive Vorbehalt der Interpretin verwirft dabei nicht einfach die frühe Faszination durch die Balladen, die wie Zaubersprüche gegen die Verzweiflung gewirkt haben. So wenn sich Klüger an das Appellstehen im Konzentrationslager erinnert: „Übrigens gab es schon vorher im normalen Leben Situationen, zum Beispiel beim Zahnarzt, wo ich die Zeit nicht genießen konnte, sondern sie vertreiben mußte, etwa mit Hilfe von Schillers ‚Die Kraniche des Ibykus’. So wurden die Schillerschen Balladen meine Appellgedichte, mit denen ich stundenlang in der Sonne stehen konnte . . . ”. Der Hilferuf, der hier plötzlich als eigentliche Bedeutung von ‚Appell’ ins Bewusstsein drängt, und das Understatement ‚nicht genießen’ entfalten ihre lakonisch-verzweifelte Ironie erst in der Überblendung von vorheriger Normalität und dem normalem Irrsinn des Lagers. Im Vergleich der Situationen wird das Unvergleichbare blitzartig erhellt. So wiegt in Klügers Schilderung gerade die sprachliche Aussparung schwerer als jedes wortreiche Pathos.
Um die rettende oder heilende Macht gebundener Rede geht es auch in anderen Gedichten des Bandes: Ob im zweiten Merseburger Zauberspruch oder in der Lyrik des 20. Jahrhunderts, die trotz wachsender Zweifel an der Wirksamkeit ihrer Verse nicht müde wird, komplexe Sinnzusammenhänge in sprachliche Formen und Figuren zu fassen und weiterhin auf die erhellende Macht verdichteter Worte zu setzen. Die dreiunddreißig kurzen Interpretationen, in denen Ruth Klüger dies transparent macht, sind um vier längere Vorträge ergänzt, von denen zwei – über Else Lasker-Schüler, Gertrud Kolmar und Nelly Sachs sowie über Rose Ausländer, Mascha Kaléko und Hilde Domin – hier neben der Einleitung zum ersten Mal gedruckt erscheinen.
Überzeugend an der Auswahl ist die Verknüpfung wenig bekannter Gedichte mit scheinbar wohlbekannten wie Goethes „Urworte orphisch”, Hoffmann von Fallerslebens „Lied der Deutschen” oder Celans „Todesfuge”. An letzterem verdeutlicht die Autorin Aspekte moderner Lyrik und diskutiert die Frage des Tabus in der Kunst; das Tabu des Holocausts gilt ihr als „so etwas wie eine weitere Ghettoisierung”, die weder durchführbar noch gerechtfertigt sei.
Auch wenn die Autorin den biographisch-historischen Kontext der Gedichte erläutert, bleibt die literarische Qualität das Kriterium für deren Beurteilung. Doch steht die Lyrik nicht außerhalb von Moral und Ethik, sie ist vielmehr in Klügers Sicht der Ort, an dem diese Fragen immer neu verhandelt werden. Dabei gilt kein ästhetisches oder moralisches Reinheitsgebot, sondern das begründete Abwägen eines Urteils, das Zweifel nicht nur zulässt, sondern herausfordert. ANDREA HÜBENER
RUTH KLÜGER: Gemalte Fensterscheiben. Über Lyrik. Wallstein Verlag, Göttingen 2007. 252 Seiten, 22 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.11.2007

Das bemalte Fenster als Tor zur Welt

Darf man Goethe eigentlich verbessern? Und ob: Ruth Klüger betrachtet Lyrik als Lebensfuge und präsentiert jetzt ihre gesammelten Erleuchtungen.

Es beginnt mit einem philologischen Paukenschlag: Ruth Klüger korrigiert Goethe: "Eigentlich sollte es ,bemalte', nicht ,gemalte' Fensterscheiben heißen", sagt sie forsch, um allerdings sogleich kleinlaut hinzuzufügen: "Aber wer wagt es schon, gegen Goethes gönnerhaft-väterliche Altherrenstimme pedantisch aufzubegehren?" Hier irrt, pardon, nicht Goethe, sondern Ruth Klüger. Der Terminus "gemalte Fensterscheiben", den Goethe auch regelmäßig in seinen Beiträgen zur Optik im Kampf gegen Newton benutzt, war im achtzehnten und frühen neunzehnten Jahrhundert noch durchaus gleichbedeutend mit "bemalten Fensterscheiben". Anderenfalls hätte er schon seine Straßburger Verse "Kleine Blumen, kleine Blätter" der geliebten Friederike Brion nicht "mit einem gemalten Band", sondern mit einem bemalten Band überreicht. "Gemalte Bänder waren damals eben erst Mode geworden", schreibt Goethe in "Erinnerung an diese Zeit".

Sei's drum. Als Titel einer Sammlung von Interpretationen deutscher Gedichte, die Ruth Klüger hier vorlegt, eignen sich die Anfangsworte des Goethe-Gedichtes - "Gedichte sind gemalte Fensterscheiben" - gleichwohl vorzüglich. Denn Goethes plädiert hier dafür, sich in das Kircheninnere hineinzubegeben, wo man die Transparenz und die Transzendenz der bedeutenden, bunten, vom Sonnenlicht erleuchteten Kirchenfenster sinnlich wahrnehmen kann - eine einleuchtende Empfehlung auch für Leser, die ins Innere von Gedichten einzutreten wünschen. Dabei will ihnen Ruth Klüger mit den exemplarischen Interpretationen ihres Buches behilflich sein.

Seit 1994 trägt die Germanistikprofessorin und Schriftstellerin Ruth Klüger regelmäßig ihre Gedanken zu deutschen Gedichten in der von Marcel Reich-Ranicki begründeten "Frankfurter Anthologie" vor. Nicht weniger als 29 ihrer nun gesammelten Beiträge konnten treue Leser bereits in dieser Zeitung oder in den Bänden der "Frankfurter Anthologie" lesen. Die Interpretationen gelten lyrischen Texten vom Zweiten Merseburger Zauberspruch ("ben zi bena, bluot zi bluoda") bis zu Sarah Kirsch, Robert Gernhardt und Robert Schindel. "Übrigens", schreibt Ruth Klüger, "passt mir das Wort Interpretation für die ,Frankfurter Anthologie' nicht recht. Denn es hat ja etwas Hochnäsiges im Sinn von: ,Ich verstehe es, und du verstehst es nicht, also werde ich es dir erklären'" - und wer will schon als hochnäsig gelten! Ruth Klüger jedenfalls nicht.

Sie müsste sich ja eigentlich nicht dafür entschuldigen, dass sie tatsächlich von der Sache, über die sie spricht, allerlei versteht; und sie tut das auch nicht. Im Bemühen, die von ihr gewählten Gedichte "in unserer Zeit unterzubringen, in der der Kritiker und in der der Leser", sind ihr gewiss nicht alle, aber doch viele Mittel recht: Sie lässt philologische Umsicht walten und aktualisiert rigoros; sie bekennt persönliche Betroffenheit und vermittelt sachliche Informationen, sie unterhält mit zugespitzten Formulierungen; und sie kultiviert den Gestus des didaktischen Umgangs mit den Gedichten einerseits und mit den erhofften Lesern, um die sie wirbt, andererseits. Es ist geradezu eine Kumpanei mit diesen beiden Instanzen, die sie betreibt, und nichts ist dafür charakteristischer als die geradezu inflationär wiederkehrende Formel "Unser Gedicht". "Unser Gedicht" - das will heißen: Dieses Gedicht, mit dem wir - du, "lieber betroffener Leser", und ich, die Interpretin - gerade befasst sind, gehört schon allein deshalb uns beiden, weil wir uns gemeinsam darum bemühen; wir machen es uns buchstäblich zu eigen.

In solcher Redeweise kommt ein wohltuend unfeierlicher, unprofessoraler und gelegentlich aufregend respektloser Umgang mit den Gedichten und ihren Autoren zum Ausdruck. Mit scheinbar gleichmütiger Arglosigkeit werden da die größten Eigensinnigkeiten vorgebracht: "das Zeug zu sensationellen Zeitungsberichten und zu griechischen Tragödien (ist) dasselbe", heißt es da beispielsweise zu Brechts Ballade vom Elternmörder Apfelböck; und anlässlich von Erich Kästners "Patriotischem Bettgespräch" wird gespielt beiläufig behauptet: "Übrigens ist auch Goethes ,Selige Sehnsucht' ein solches Schlafzimmergedicht" über eine Begattung, die "in Goethes Kammer stattfindet". Schließlich erlaubt sich Ruth Klüger bei Gelegenheit von Celans "Todesfuge" sogar die Frage, "ob man Spaß haben darf am Massenmord". Offensichtlich will sie Aufsehen erregen für das jeweils zur Diskussion stehende Gedicht, dessen Einzigartigkeit sie gern mit Hilfe von Superlativen hervorhebt: "Über kein Gedicht ist mehr geschrieben worden als über Goethes Urworte." "Schiller ist der meistparodierte deutsche Lyriker." Der Droste gelang "das erste und vielleicht das beste feministische Gedicht in deutscher Sprache". "Kein deutscher Dichter ist so lange, so langsam und so hellwach gestorben wie Heine"...

An die Einzelinterpretationen aus der "Frankfurter Anthologie" schließen sich einige Aufsätze und Reden an, darunter gewinnende, aber nicht unkritische Porträts deutscher Dichterinnen, die als Jüdinnen verfolgt wurden: Else Lasker-Schüler, Nelly Sachs, Gertrud Kolmar, Rose Ausländer, Mascha Kaléko und Hilde Domin. Das Schicksal dieser Verfolgten nimmt für sie ein, es trübt aber nicht Ruth Klügers Blick für poetische und menschliche Schwächen; so kann sie es als bekennende Feministin der Dichterin Else Lasker-Schüler nicht verzeihen, dass sie Gottfried Benn, diesen "verirrten Spießbürger auf dem Weg in die Nazipartei", einst (1912) geliebt hat.

Wo immer man dieses Buch aufschlägt, ist es, wie man sieht, erfrischend aufmüpfig Autoritäten gegenüber. Unverhohlen spricht Ruth Klüger beispielsweise von Rilkes Kitsch und Schillers Pathos. Dieser allerdings erhält trotzdem Dispens in dem Beitrag "Mein Schiller". Vieles in seinen Balladen findet die Verfasserin "anfechtbar", moralisch fragwürdig und ästhetisch unerträglich; und doch hängt sie an ihnen. Denn "durch sie", schreibt sie, "bin ich zu einer leidenschaftlichen, lebenslangen Leserin von Lyrik geworden". Allein die Rekapitulation dieser auswendig gelernten Balladen habe ihr dabei geholfen, die schlimme Auschwitz-Zeit, der sie als Kind ausgesetzt wurde, wenigstens zeitweise zu "vertreiben" und so zu überleben. Das ist für sie das Beispiel einer wahren Brauchbarkeit der Lyrik, und das ist auch der Hintergrund ihres kritischen Verhaltens, "weil wir ja aus unserer Lebenserfahrung heraus und in die Lebenserfahrung der Leser hineininterpretieren, nicht aus einer Leere in eine andere", wie sie in der Dankesrede anlässlich der Verleihung des Preises der Frankfurter Anthologie im Jahr 1999 sagt.

WULF SEGEBRECHT

Ruth Klüger: "Gemalte Fensterscheiben". Über Lyrik. Wallstein Verlag, Göttingen 2007. 252 Seiten, geb., 22,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Bewegt, beeindruckt und begeistert ist Rezensentin Elisabeth von Thadden von Ruth Klügers Geschichte der deutschsprachigen Lyrik. Denn Klügers Lektüre kennt von Thaddens Eindruck zufolge kein "Pathos der Heiligkeit", keines der "moralischen Sendung", nicht mal eines der Trauer. Stattdessen ermittele sie mit großer Klarheit den Punkt, an dem jedes Gedicht von der Wirklichkeit eingeholt werde und mache so in ihrer Deutung die Leuchtkraft eines jeden Gedichts sichtbar. Und zwar auf so einleuchtende Weise, dass die Rezensentin meint, es könne im Grunde nichts Einfacheres geben, als Gedichte zu lesen und zu verstehen. Dem "deutenden Ich" der Autorin mag und vermag sich Thadden nicht zu entziehen, egal ob sie Celan oder Goethe, von Droste-Hülshoff oder Gertrud Kolmar liest. Es stört sie nicht, dass zugunsten deutsch-jüdischer Lyrikerinnen Geistesgrößen wie Hölderlin oder George herausgefallen sind. Denn es ist ja gerade Klügers in ihrer ganz persönlichen Lyrikerfahrung verwurzelter Blick, der für die Rezensentin eine der herausragenden Qualitäten dieses Buches ist. Und die daran geknüpfte Unbestechlichkeit, die dieses Buch für sie zu einem herausragenden Werk deutscher Lyrikinterpretation macht.

© Perlentaucher Medien GmbH