Marktplatzangebote
7 Angebote ab € 4,00 €
  • Broschiertes Buch

Die älteste und hoch gerühmte Sammlung jiddischer Volksmärchen, Legenden und Gleichnisse wird in der vorliegenden Edition zum ersten Mal wortgetreu ins Hochdeutsche übertragen, nach der maßgeblichen Ausgabe Amsterdam 1723.
»Das Ma'assebuch schöpft«, so der Forscher Otto F. Best, »aus der hebräisch-aramäischen Hagada nicht weniger als aus der abendländischen Sagen- und Märchenwelt.« Diesen vielfältigen Spuren sucht diese kommentierte Textausgabe nachzugehen: Zum einen zurück zu den Quellen, dem Babylonischen und dem Jerusalemer Talmud, und zu den Midraschim, den rabbinischen Auslegungen der…mehr

Produktbeschreibung
Die älteste und hoch gerühmte Sammlung jiddischer Volksmärchen, Legenden und Gleichnisse wird in der vorliegenden Edition zum ersten Mal wortgetreu ins Hochdeutsche übertragen, nach der maßgeblichen Ausgabe Amsterdam 1723.

»Das Ma'assebuch schöpft«, so der Forscher Otto F. Best, »aus der hebräisch-aramäischen Hagada nicht weniger als aus der abendländischen Sagen- und Märchenwelt.« Diesen vielfältigen Spuren sucht diese kommentierte Textausgabe nachzugehen: Zum einen zurück zu den Quellen, dem Babylonischen und dem Jerusalemer Talmud, und zu den Midraschim, den rabbinischen Auslegungen der Bibel; zum anderen durch ein Abschreiten des Umfelds. Denn in der Tat sind die Bezüge des Geschichtenbuchs - so heißt der Titel wörtlich - zur Erzählwelt des europäischen Mittelalters sehr vielfältig und sehr besonders. Selbst den Brüdern Grimm, die sonst jeder märchenkundlichen Quelle nachgingen, blieb das Ma'assebuch verschlossen - es war eine Schriftbarriere.

Dank dieses »deutschen Talmuds« konnten auch Frauen ohne jahrelanges Studium der Tora am religiösen Leben teilnehmen und dieses tradieren, denn das Ma'assebuch wandte sich ausdrücklich an sie, als »Unterhaltungs- und Lehrstoff der jüdischen Mutter« (I. Elbogen). Dem entsprachen die kluge Komposition und der dreiteilige Aufbau des Werks:

1. Lehre und Weisheit des Talmud
2. Wundergeschichten von den deutschen Chassiden
3. Allerlei Erbauliches und Märchenhaftes aus Morgen- und Abendland.

Ungewöhnliche Helden bevölkern diesen Planeten. König Salomo mag schon bekannt sein, als Rätselgeber und umsichtiger Schlichter, doch der Prophet Elia überragt ihn: als alter Mann, der Menschengeschicke lenkt, als Verwandlungskünstler in vielerlei Gestalt und Funktion. Berühmte Helden sind auch Rabbi Akiba, Rabbi Chanina, Rabbi Jochanan, Maimonides, Rabbi Meir, Rabbi Pinchas, Rabbi Simeon Ben Schetach.

Und das Schöne daran: Bei aller Frömmigkeit denken und handeln sie sehr irdisch, sind fremden Attacken, eigenen Emotionen und besonders dem »bösen Trieb« ausgeliefert - wie unsereins. Dann gibt es speziell die »deutschen Frommen«, nämlich Rabbi Samuel (Schmuel) und Rabbi Jehuda, die uns mit den Regensburger und Speyrer, mit den Mainzer und Kölner Gemeinden bekannt machen. Sie bilden einen eigenen Erzählkranz, der weit hinter die Druckgeschichte des Ma'assebuches in die Zeiten mündlichen Erzählens und handschriftlicher Aufzeichnung zurückreicht.

Die Bedeutung dieser Berichte für die Literatur und das Leben - auch das des bedrängten Alltags - vom Beginn der Neuzeit bis zum Ende des 18. Jahrhunderts ist unter Kennern ebenso unbestritten wie deren Rang im Kanon der Weltliteratur.

Noch im 17. Jahrhundert lassen sich viele Übersetzungen in andere Sprachen nachweisen. Doch allmählich gerät das Ma'assebuch in Vergessenheit. Dass die drei Versuche im 20. Jahrhundert, dieses bedeutende Werk zu tradieren und einer breiteren Öffentlichkeit wieder bekannt zu machen, nicht wirklich gelangen, hat vielerlei Gründe. In 'Der Born Judas' von Bin Gorion, der 1916 erschien, erfolgte zwar eine teilweise Eindeutschung in größerem Rahmen, aber der Wortlaut der Quellen wurde nicht sehr beachtet. Einen zweiten Versuch unternahm Bertha Pappenheim vor 75 Jahren in einem kleinen jüdischen Verlag, für ein Publikum, das sich auskannte und dazu des Altjiddischen mächtig war. Schließlich folgte 1934, als der Nationalsozialismus die jüdisch-deutsche Literaturtradition brachial zu zerstören suchte, eine zweibändige englische Ausgabe, der es auf stilistische Glättung und allgemeine Lesbarkeit ankam.

So ging verloren, was den besonderen Reiz dieses Erzählens ausmacht: »Es herrscht ein ungekünstelter, einfacher, gemütlicher und herzlicher Ton, und die Volkssprache bildet für den einfachen, naiv sich gehen lassenden Inhalt das passende schlichte Gewand. (Max Grünbaum)
Diesen Erzählkosmos gilt es jetzt wieder zu entdecken.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.12.2003

Sagenhaft frühe Neuzeit
Das "Ma'assebuch": Jiddische Geschichten von hoher Aktualität

Eine der schädlichsten Lesebrillen bei der Auseinandersetzung mit dem, was Goethe glücklich "Weltliteratur" getauft hat, ist die mit dem Ethnologenblick. Das akustische Analogon "Weltmusik" befördert allerlei heimtückische neokoloniale Sentimentalitäten; der unbedachte, rein kulinarisch-exotistische Konsum alter Fabeln fremder Stämme ist indes kaum gesünder. Am besten fahren Leser noch mit dem Vorsatz, sich dergleichen Geschichten ganz altmodisch als Dichtung vorzunehmen. Islamische Literatur also über den "Rosengarten" des Sheikh Saadi kennenzulernen oder sich Indien über die "Weisheit des Brahmanen" von Friedrich Rückert anzunähern ist, bei allen Verzerrungen, die in solchen Übersetzungen oder freien exotistischen Phantasien vorkommen, allemal gescheiter als das Reduzieren ganzer Kulturräume auf Erlebniskitsch, Anekdotenkleister oder vermeintlich authentisch Autobiographisches.

Was wir dank Ulf Diederichs jetzt über die "altjiddische Erzählkunst" - so der Untertitel der ersten vollständigen und kommentierten deutschsprachigen Ausgabe des "Ma'assebuchs" - wissen dürfen, ist nun mindestens, daß es sich auch dabei offensichtlich um Dichtung handelt. Englischsprachige Leser können das schon länger wissen, denn bereits 1990 gaben David Stern und Mark Jay Mirsky "Rabbinic Fantasies" heraus, einen Schatz, der allerdings nur eine Auswahl des in den einschlägigen Archiven Vorhandenen enthielt.

Ob es so etwas wie ein Subgenre namens "jüdische Phantastik" gibt, das als rein literarisches von seinen mytho- und theologischen Voraussetzungen abzulösen wäre und von Kafka bis zu Isaak B. Singer und Harlan Ellisons "Looking for Kadak" reichen müßte, diese nicht ganz unschuldige Frage werden die Philologen mit den Religionswissenschaftlern auszufechten haben. Als Leser aber freut man sich, daß jiddische Lyrik und Epik allmählich Text für Text deutsch zumindest etwas zugänglicher gemacht werden, als sie bisher waren. Wer also "Die Brüder Maschber" von Pinchas Kahanowitsch oder Rajzel Zychlinskis Gedichte kennt, zwei moderne Schöpfungen in dieser Sprache, wird beim Kennenlernen des "Ma'assebuchs" verstehen, wo diese Texte ihre Farben herhaben - und wer sie nicht kennt, wird sie und andere Werke ihrer Art nach Lektüre dieses Bandes vielleicht kennenlernen wollen.

Das Buch der "Ma'assim" (Geschichten) stammt aus dem siebzehnten Jahrhundert und hat im zwanzigsten die hiesige Philologie schon beschäftigt. So hat die Frauenrechtlerin Bertha Pappenheim eine Edition für den jüdischen Frauenbund gewagt, was vor dem Hintergrund der Tatsache, daß sich das Märchen- und Legendenkompendium als eines der wenigen derartigen Volksbücher auch an Frauen und andere Nichtgelehrte wandte, nur folgerichtig war. Die wechselseitige Befruchtung, Resonanz, Spiegelung und Parallelität von phantastischen Stoffen verschiedenster Kulturkreise ist zwar ein alter Hut und den verschiedensten Theorien, von der Heuristik der "Oral History" bis zur Lehre vom kollektiven Unbewußten, lieb und teuer. Wenn man aber in diesem Buch die Alkestis-Variante "Von der Braut, die ihren Mann vor dem Todesengel rettete und Aufschub erlangte", findet und mit kanonischen literarischen Kunstwerken wie dem "Jedermann" vergleicht, wird man einsehen müssen, daß die jüdische Tradition universaler und moderner zu erzählen versteht als mancher kunstreich auf Universalität und Modernität getrimmte Schulbuchklassiker.

Die Konfrontation von Todesengel und Braut des Verdammten gipfelt hier darin, daß die Frau den jenseitigen Sendboten mit einem Bibelzitat zu bannen versucht: "So bitte ich dich, daß du zum Heiligen, gepriesen sei Er, gehst und ihm sagst, es steht doch in der heiligen Tora geschrieben: ,Ein Mann, der ein Weib nimmt, der soll ein ganzes Jahr frei sein von allerlei Dingen und soll mit dem Weib, das er genommen, sich freuen.' Und jetzt will der Heilige, gepriesen sei Er, seine heilige Tora, Gott bewahre, selber unrichtig machen?"

Der tiefe Sinn dieser Stelle ist kaum auszuschöpfen. Man könnte darin entdecken: erstens ein sozusagen axiomatisch naturalisiertes Verhältnis zur monotheistischen Gottheit, zweitens den Grundsatz, daß die Schrift regieren möge statt der schieren Willkür, und drittens die zwingende Bindung Gottes an seine eigenen Gesetze. Der erste Punkt erinnert an Spinoza, besonders die Ethik, der zweite an den "Sola Scriptura"-Grundsatz der Reformation sowie das Staatsverständnis des erst mehrere Jahrhunderte später erfundenen aufgeklärten Absolutismus, der dritte Punkt enthält den modernen Begriff des Naturgesetzes, mit dem bekanntlich die neuzeitliche Wissenschaft zu legitimieren ist.

Nicht schlecht für ein Märchen.

"Das Ma'assebuch". Altjiddische Erzählkunst. Ins Hochdeutsche übertragen, kommentiert und herausgegeben von Ulf Diederichs. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2003. 848 S., br., 14,50 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Rezensent Dietmar Dath freut sich, dass mit dieser ersten vollständigen deutschsprachigen Ausgabe des Ma'assebuches die altjiddische Erzählkunst etwas zugänglicher geworden ist. Auch ist der Beschreibung seines Leseerlebnisses zu entnehmen, dass der Band sich hervorragend als Einstieg in die nicht immer ganz leicht verständliche jiddische Lyrik und Epik eignet und Neugier auf Weiteres weckte. Das Buch stammt Dath zufolge aus dem 17. Jahrhundert und die vorliegende Editon habt ihn zu der Einsicht gebracht, dass die jüdische Tradition universaler und moderner zu erzählen verstehe, als mancher "kunstreich auf Universalität und Modernität getrimmt Schulbuchklassiker".

© Perlentaucher Medien GmbH"