Marktplatzangebote
2 Angebote ab € 12,00 €
  • Buch mit Leinen-Einband

Die Stadt und allgemein städtebauliche Fragen traten im 15. Jahrhundert zunächst südlich und dann im 16. Jahhundert verstärkt auch nördlich der Alpen in das Bewusstsein von Humanisten, Künstlern, Architekten und Fürsten. Einige von ihnen ließen ihre Länder vermessen und kartographisch erfassen und veranlassten eine topographische Aufnahme ihrer Städte. Diese Landesaufnahmen, Stadtveduten und Stadtmodelle wurden in erster Linie in die fürstlichen Kunst- und Wunderkammern eingefügt. Die Städtebilder und Karten wurden dadurch zu Sinnbildern der Länder, ihres Herrschaftsbereich, Wohlstands,…mehr

Produktbeschreibung
Die Stadt und allgemein städtebauliche Fragen traten im 15. Jahrhundert zunächst südlich und dann im 16. Jahhundert verstärkt auch nördlich der Alpen in das Bewusstsein von Humanisten, Künstlern, Architekten und Fürsten. Einige von ihnen ließen ihre Länder vermessen und kartographisch erfassen und veranlassten eine topographische Aufnahme ihrer Städte. Diese Landesaufnahmen, Stadtveduten und Stadtmodelle wurden in erster Linie in die fürstlichen Kunst- und Wunderkammern eingefügt. Die Städtebilder und Karten wurden dadurch zu Sinnbildern der Länder, ihres Herrschaftsbereich, Wohlstands, Reichtums und deren geordneter Verwaltung sowie einer Amtsführung ihres Regenten.
Im Zuge dieser Ordnungstätigkeit entstanden erste Bauordnungen als umfassende Gesetzeswerke, die eine Vereinheitlichung und Rationalisierung des Bauwesens mit sich brachten.

Ein Verzeichnis der ausgewerteten Archive und Sammlungen folgt dem Literaturverzeichnis. Das Register im Anhang führt alle erwähnten Personen und Orte in alphabetischer Reihenfolge auf.
Autorenporträt
Eva-Maria Seng ist Inhaberin des Lehrstuhls für Materielles und Immaterielles Kulturerbe UNESCO an der Universität Paderborn. Nach einem Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Empirischen Kulturwissenschaft in München und Tübingen, wurde sie in Tübingen 1992 promoviert und in Halle/Saale 2000 habilitiert. Nach Lehrtätigkeiten in Halle und Zürich wurde sie 2006 nach Paderborn berufen. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Architektur und des Städtebaus von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart sowie in der Malerei des 19. und 20. Jahrhunderts.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.12.2003

Reformstau auf Asphalt
Eva-Maria Seng schaut sich im frühneuzeitlichen Städtebau um

Was erwartet man von einem Buch mit dem Titel "Stadt - Idee und Planung. Neue Ansätze im Städtebau des 16. und 17. Jahrhunderts"? Vor allem wohl eine reichbebilderte Beschreibung bekannter, gebauter und ungebauter Idealstadtentwürfe der Renaissance, des Manierismus und des Barock, sagen wir, von den italienischen Planstädten Palmanuova und Sabbioneta über Maltas Hauptstadt La Valetta, das deutsche Freudenstadt und Mannheim sowie die französischen Festungsstädte Vaubans bis zum polnischen Zamosc, nebst den Entwürfen eines Dürer oder Specklin. Kurz: eine Geschichte glanzvoller Sonderleistungen, wie sie die Kunstwissenschaft so gerne schreibt, aufgehängt an Namen berühmter Künstler und Bauherren, eingebettet in eine konstruierte, lineare Entwicklung des Idealstadtgedankens.

Eva-Maria Seng beschreitet in ihrer Habilitationsschrift einen anderen Weg, und das ist gut so. Sie läßt die meisten dieser spektakulären Beispiele beiseite und konzentriert sich statt dessen auf den urbanistischen Wandel in weitgehend unbeachteten, exemplarisch ausgewählten Mittel- und Kleinstädten Mitteldeutschlands, etwa in Halle, Wittenberg und Altenburg oder den neugegründeten Bergstädten im Erzgebirge.

Ihre Beispiele repräsentieren gleichsam das Normalniveau des deutschen Städtebaus in der Frühen Neuzeit. Kühne Planungsideen findet man hier kaum vor. So breiteten sich die um 1500 gegründeten erzgebirgischen Städte Buchholz, Schneeberg und St. Joachimsthal völlig planlos aus, erst im nachhinein wurde mit mäßigem Erfolg versucht, den Wildwuchs zu ordnen. Dagegen beauftragte Herzog Georg bei der Gründung Annabergs eine Sachverständigenkommission mit der Planung der Stadtanlage. Die Kommission entschied sich für einen annähernd kreisrunden Grundriß mit einem rechteckigen Marktplatz in der Mitte und einem halbwegs regulären Straßennetz, umgeben von einem Mauerring mit Türmen und Toren. Ob die Planung Annabergs tatsächlich, wie Seng mutmaßt, an die Konzepte Vitruvs anknüpft oder eher mittelalterlichen Schemata folgt, darüber ließe sich wohl streiten.

Unbestreitbar ist jedoch, daß sich in der Baupolitik des sechzehnten Jahrhunderts ein neuer Ordnungssinn bemerkbar machte. Seng zeigt dies besonders überzeugend anhand der Baumaßnahmen in bestehenden, mittelalterlichen Städten, wobei sie sich auf eine Fülle bisher brachliegender Archivmaterialien stützt. Mit großem Eifer wurden Straßen gepflastert, reguliert und verbreitert. In Halle riß man sogar Krambuden und anderes "unsauber werck" ab, um dem stark verbauten Marktplatz ein einheitlicheres Gesicht zu geben.

Sengs besonderes Augenmerk gilt den wissenschaftlichen, politischen und administrativen Voraussetzungen der Baumaßnahmen. Als Triebfeder des städtebaulichen Wandels macht sie einen alle Lebensbereiche erfassenden, mathematisch-geometrisch geprägten Ordnungswillen aus. Dem Ordnen, so Seng, sei das Erfassen, Vermessen und Abbilden der Städte und Länder vorausgegangen. Dementsprechend widmet die Autorin die ersten Kapitel ihres Buches dem Aufschwung der Geodäsie und Kartographie, der Vedutenmalerei und des Modellbaus nach der Zeitenwende.

Das politische Leitbild des neuen Ordnungsdenkens war die "Gute Policey", die auf die Schaffung eines wohlgeordneten, perfekt funktionierenden Gemeinwesens zielte. Seng untersucht eine Reihe von Reichspolizeiordnungen und Landesordnungen, die, zusammen mit den älteren städtischen Willküren, nicht nur Handwerk, Handel, Feuerschutz und Verteidigung, sondern auch Sitten und Gebräuche reglementieren sollten. Sie interpretiert diese Gesetzessammlungen, auf Ergebnissen historischer und rechtshistorischer Forschung aufbauend, als Ausdruck eines obrigkeitlichen Willens zur Normierung und Sozialdisziplinierung, der die Entwicklung von offenen Landesherrschaften zu geschlossenen Territorialstaaten nachhaltig beförderte.

Mit dem Erlaß landesherrlicher Bauordnungen wurde das fürstliche Reglementierungsbedürfnis auch auf das Bauwesen ausgeweitet. Die 1568 in Kraft getretene Bauordnung des Herzogtums Württemberg, die zum Vorbild für ähnliche Regelwerke in anderen Reichsterritorien wurde, enthielt detaillierte Vorschriften zur Gestaltung von Häusern, Plätzen und Straßen. So sollten zumindest die unteren Geschosse und Seitenmauern der Wohnbauten in Stein aufgeführt und die Dächer mit Ziegeln gedeckt werden. Der Anbau von Erkern wurde unter Strafe gestellt, ebenso unerwünscht waren Scheunen in "fürnehmen Städten". Neubauten sollten hinter die ursprüngliche Bauflucht zurücktreten, um Straßenverbreiterungen zu ermöglichen. Solche Richtlinien folgten nicht nur den Erfordernissen der Brandsicherheit und Hygiene, sondern auch den ästhetischen Präferenzen des Landesherrn: Großzügige Straßen und Plätze mit begradigten Zeilen solide gebauter Häuser kamen seinem Repräsentationsbedürfnis entgegen. Dementsprechend sollte "des gemainen mans unverstant in bawen, durch ordnung underrichtet" werden. Dem Reformwerk war freilich ein zähes Ringen zwischen eigens einberufenen Ausschüssen und Kommissionen vorausgegangen. Verschiedene Interessengruppen hatten sich in einer Obstruktionspolitik geübt, die an den Reformstau unserer Tage erinnert.

An der Spitze der fürstlichen und städtischen Bauverwaltungen, die die Bestimmungen umzusetzen hatten, standen die Baumeister. Seng untersucht ihren Werdegang und Kompetenzbereich an Beispielen aus Mittel- und Süddeutschland, darunter Caspar Vogt von Wierandt, Nickel Gromann, Hieronymus Lotter, Aberlin Tretsch und Daniel Specklin. Wer im Bauwesen etwas werden wollte, so lautet ihr Ergebnis, mußte seit dem sechzehnten Jahrhundert neben handwerklichen Fähigkeiten in hohem Maße auch mathematische, vermessungstechnische und vor allem verwaltungsorganisatorische Qualifikationen mitbringen. Klugerweise hält Seng nicht an dem bis heute gegen jede Evidenz postulierten scharfen Gegensatz zwischen dem theoretisch gebildeten Künstlerarchitekten der Renaissance und dem Handwerkerarchitekten des Mittelalters fest. Gleichwohl scheint sie nicht ganz frei von der Neigung, die Dynamik der frühneuzeitlichen Entwicklung zu überschätzen und damit das Nachleben mittelalterlicher Strukturen unterzubewerten.

Sengs Habilitationsarbeit ist ein sehr lesenswertes Buch, das viele neue Erkenntnisse und Anstöße bietet. Doch leider fällt das Lesen nicht immer leicht. Kapitelüberschriften wie "Die weitestgehende Annäherung an die Idealvorstellungen oder das Ende des Aristotelismus und die absolute Herrschaft der Geometrie oder des Cartesianismus in der Stadtplanung" verheißen nicht gerade eine federnde Lektüre. Wer sich davon nicht entmutigen läßt, wird über weite Strecken mit verschachtelten Sätzen ohne syntaktische Logik bestraft, die vom Niedergang des Lektoratswesens zeugen.

ARNOLD BARTETZKY

Eva-Maria Seng: "Stadt - Idee und Planung". Neue Ansätze im Städtebau des 16. und 17. Jahrhunderts. Deutscher Kunstverlag, München, Berlin 2003. 320 S., 124 Abb., geb., 98,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Als lesenswert und viele neue Anstöße bietend lobt Rezensent Arnold Bartetzky diese Habilitationsschrift von Eva-Maria Seng. Allerdings wird das Buch für ihn auch zum Zeugnis für den Niedergang des Lektoratswesens, denn das Lesen selbst wurde ihm über weite Strecken durch verschachtelte Sätze ohne syntaktische Logik sehr erschwert. Der Rezensent lobt die Studie vor allem für die von ihr exemplarisch ausgewählten Mittel- und Kleinstädte in Deutschland, an deren Beispiel Seng ihre Thesen erläutert, (statt an bekannten und spektakulären Beispielen). Denn durch diese Auswahl sieht Bartetzky "gleichsam das Normalniveau des deutschen Städtebaus in der Frühen Neuzeit repräsentiert. Sengs besonderes Augenmerk gilt dem Rezensenten zufolge den wirtschaftlichen, politischen und administrativen Voraussetzungen der Baumaßnahmen. Sie untersuche eine Reihe von Reichspolizeiordnungen und Landesordnungen und interpretiere Gesetzessammlungen als "Ausdruck eines obrigkeitlichen Willens zur Normierung und Sozialdisziplinierung". Wer es im Bauwesen jener Zeit zu etwas habe bringen wollen, fasst der Rezensent den Befund der Autorin zusammen, habe im sechzehnten Jahrhundert neben handwerklichen und mathematischen Fähigkeiten vor allem verwaltungsorganisatorische Fähigkeiten mitbringen müssen.

© Perlentaucher Medien GmbH