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Als wir zu Nazis und Juden wurden - ein deutsches Familiendrama Im September 1941 muss Thekla Wolle zum ersten Mal den gelben Stern tragen. Ihre Enkeltochter, damals fast sechs Jahre alt und nach Maßgabe der Nazis ein "Mischling ersten Grades", erlebt diesen Moment der Verzweiflung am Anfang eines Weges in den Tod. Erst 2004 erfährt Sibylle Krause-Burger jedoch in allen Einzelheiten, was ihrer Großmutter damals geschah und wie der jüngere Bruder ihrer Mutter jahrelang vergeblich darum kämpfte, den Häschern zu entkommen. Alle Hoffnungen richteten sich dabei auf den älteren Bruder, dem die…mehr

Produktbeschreibung
Als wir zu Nazis und Juden wurden - ein deutsches Familiendrama
Im September 1941 muss Thekla Wolle zum ersten Mal den gelben Stern tragen. Ihre Enkeltochter, damals fast sechs Jahre alt und nach Maßgabe der Nazis ein "Mischling ersten Grades", erlebt diesen Moment der Verzweiflung am Anfang eines Weges in den Tod. Erst 2004 erfährt Sibylle Krause-Burger jedoch in allen Einzelheiten, was ihrer Großmutter damals geschah und wie der jüngere Bruder ihrer Mutter jahrelang vergeblich darum kämpfte, den Häschern zu entkommen. Alle Hoffnungen richteten sich dabei auf den älteren Bruder, dem die Flucht nach Brasilien noch gelungen war. In Hunderten von Luftpostbriefen, die zwischen 1937 und 1941 jede Woche pünktlich von Berlin an ihn abgingen, außerdem in vielfältigen Aufzeichnungen und Dokumenten, fand die Autorin diese Familientragödie widergespiegelt. So konnte sie anschaulich beschreiben, wie die Schikanen der Nazis nach und nach den Alltag der Verfolgten vergifteten, wie die begeisterten Deutschen die tödliche Gefahr nicht wahrhaben wollten, wie sich "arische" Teile der Familie von den jüdischen abwandten und ein Dorf für die Überlebenden zur Zuflucht wurde.

Einfühlsam und ergreifend geschrieben, erzählt die Autorin die dramatische Geschichte ihrer Familie
Autorenporträt
Sibylle Krause-Burger, in Berlin geboren, in Württemberg aufgewachsen, studierte politische Wissenschaften in Tübingen. Heute arbeitet sie als Redakteurin bei SWR aktuell. Daneben schreibt sie für verschiedene große Zeitungen wie die "Süddeutsche Zeitung", "Die Zeit", die "Stuttgarter Zeitung" und den "Berliner Tagesspiegel". 1977 erhielt sie den Theodor-Wolff-Preis, 1989 den Karl-Hermann-Flach-Preis und 1994 den Quandt-Medien-Preis.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.05.2008

Zeit des kollektiven Wahns
Eine deutsch-jüdische Ehe in der NS-Diktatur
So einen Vater möchte man haben: „Nicht eine einzige Sekunde dachte er daran, sich von seiner jüdischen Frau zu trennen. Er liebte sie bis zu seinem letzten Atemzug und blieb ihr ein Leben lang treu.” Die Journalistin Sibylle Krause-Burger stellt uns ihre Eltern vor, die 1927 gegen alle Widerstände heirateten und nicht nur den Unmut ihrer Verwandten kennenlernten, sondern auch den der Gesellschaft. Walter Burger, ein musisch begabter Schwabe, der, statt Abitur zu machen, bei Verwandten seiner Braut Konfektionskaufmann lernt, und Edith Wolle, die hübsche Tochter aufgeklärter, wenig religiöser jüdischer Bürger aus der Berliner Schillerstraße. Sie lernt den jungen Beamtensohn kennen, als die Familie aus Ludwigsburg eine Zeitlang im selben Haus wohnt.
Wenn von den Verbrechen im Dritten Reich die Rede ist, wird es im Deutschen oft passivisch: „ . . . wurden von den Nazis ermordet . . .” Bei Krause-Burger haben die Handelnden Namen und Gesicht. Hunderte von Briefen an den Onkel Hans Wolle in Brasilien halfen der Autorin dabei, die Geschichte von Vater und Mutter aufzuschreiben, die in den 20er Jahren zwar aus verschiedenen Welten kommen, aber erst vom NS-Staat zu Feinden erklärt werden. Sachlich und ohne falsche Dramatik schildert die mehrfache Theodor-Wolff-Preisträgerin „die tödlichen Zerwürfnisse aus der Zeit des kollektiven Wahnsinns”, die Sibylle schon als Kind zu spüren bekommt, ohne freilich ihre Tragweite zu ahnen.
Vater Walter, der lieber Musiker oder Zeichner geworden wäre und seinem Beruf als Konfektionär stets skeptisch gegenüberstand, trennt sich, um seine Firma zu retten, nach 1938 vom jüdischen Kompagnon – vergeblich, wie sich bald herausstellt. 1940 wird er eingezogen und eineinhalb Jahre später als wehrunwürdig wieder entlassen – „ein Schicksal, das er mit anderen Ehemännern jüdischer Frauen und den ‚Mischlingen ersten Grades‘ teilte und ihn nicht besonders traf”; allerdings doch die Tatsache, dass er seinen Unteroffiziersrang verlor.
1943 droht Mutter und Kindern die Deportation aus Berlin. Zuflucht finden sie bei den Großeltern in Schwaben – trotz des Widerstands von Tante Hilde und ihres angetrauten Obersturmführers W. H., den Großvater Erwin im Wirtshaus abkanzelt: Wer von seinen Kindern Hilfe benötige, dem werde sie zuteil. Und auf den Einspruch seines Schwiegersohnes, das sei nicht im Sinne des „Führers”, entgegnet der alte württembergische Landrat, er habe auf den König geschworen. Aber auch Tante Hilde, die noch lange über ihre eigenen Nöte in der Nazizeit klagt und nicht immer nur „die jüdische Seite” hören wollte, wirkt am Ende ihres Lebens versöhnlich, wenn sie ihrer neugierigen Nichte Sibylle Fotos der Hochzeit ihrer Enkelin zeigt, die in den USA einen Juden geheiratet hat.
Lange hat Sibylle Krause-Burger gezögert, ihre Familiengeschichte zu erzählen: „Alle waren beschäftigt. Die Gegenwart hatte uns im Griff. Die Vergangenheit ließen wir meistens ruhen.” Kurz vor dem Tode ihres Vaters im Mai 1975 hatte sie die Eltern ihre Erlebnisse auf Band sprechen lassen. Mutter Edith überlebte ihren geliebten Walter um elf Jahre. Als die Tochter 1981 im Spiegel gegen Lea Fleischmanns Buch „Dies ist nicht mein Land” Stellung bezog („Verunglimpfung der Bundesrepublik”) und damit ihre Mutter im Altenheim erregte, fühlte sie sich „schuldig”, mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit gegangen zu sein: „Das hieße ja, aus dem schrecklichen Schicksal der Verwandten Honig zu saugen, einen Aufmerksamkeitsbonus einzufahren”, schreibt Krause-Burger.
Nach dem Verbleib ihrer Großmutter Thekla Wolle und ihres Onkels Günter hatte sie nicht geforscht. Nie wollte sie KZ-Gedenkstätten besuchen, bis sie 1987 mit Helmut Kohl zu einem Besuch nach Auschwitz kam. „Ich konzentrierte mich auf meine journalistische Arbeit und hielt das Grauen auf Abstand, brachte es nicht mit dem Mord an dem 30-jährigen Günter Wolle zusammen.” Erst später fand sie im Haus der Wannseekonferenz das Datum seiner Verschleppung aus Berlin und das seines Todes: 29. Januar und 6. Februar 1943.
Der einzige Nachkomme der überlebenden Verwandten, der in São Paulo geborene Renato Wolle, kommt nach Deutschland zurück und erwirbt hier die deutsche Staatsbürgerschaft. Dazu musste die seinem verstorbenen Vater Hans 1941 wie allen Juden genommene Staatsbürgerschaft post mortem wieder zuerkannt werden. „Erst nach diesem Akt konnte (. . .) der Abkömmling eines Berliners und einer Hannoveranerin wieder erringen, was seinen Vorfahren einmal selbstverständlich gewesen war und ihm von Geburt an zugestanden hätte – ein Deutscher zu sein.” MARTINUS SCHMIDT
SIBYLLE KRAUSE-BURGER: Herr Wolle lässt noch einmal grüßen. Geschichte meiner deutsch-jüdischen Familie. DVA, München 2007. 256 Seiten, 19,95 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.09.2008

Verfolgte und Nazis am Tisch
Sybille Krause-Burger erzählt die Geschichte ihrer Familie

Es war ein anonymer Anrufer, der 1943 jenen im Buchtitel erwähnten Gruß ausrichtete: das letzte Lebenszeichen des nach Auschwitz deportierten 30 Jahre alten Günter Wolle. Er war der Onkel der Autorin, die jetzt nach langem Zögern die rund hundertjährige Geschichte ihrer Familie erzählt. Derartige Berichte aus der Perspektive von Kindern aus einst so verfemten deutsch-jüdischen "Mischehen" gibt es in jüngster Zeit öfter, gleichwohl sticht der vorliegende Band in mehrfacher Hinsicht hervor. Erstens stützt er sich auf einen breiten Quellenkorpus: Hunderte Briefe, die nach Brasilien geschickt wurden, wohin ein jüdisches Familienmitglied entkommen war, Tagebuchaufzeichnungen, angefangene Lebensberichte, Archivrecherchen und persönliche Gespräche. Zweitens hebt sich das Buch auch stilistisch wohltuend von anderen ab, was insofern nicht verwundert, als sich eben ein publizistischer Profi der Materie angenommen hat.

Der Text ist packend geschrieben und durchdacht komponiert. Die Chronologie ist immer wieder durch Vor- und Rückblenden sowie einzelne thematische, zumeist biographisch angelegte Einzelbetrachtungen unterbrochen, die die Erzählung anreichern und zu einem Gesamtwerk zusammenschnüren, dessen roter Faden gleichwohl nie verlorengeht. Zudem werden die individuellen Erlebnisse stets eingebettet in den weiteren Kontext des nationalsozialistischen Antisemitismus. Doch das eigentlich Bestechende ist - drittens - mehr noch als die Form der Inhalt, den die Autorin präsentiert. Geht doch die Scheidelinie zwischen "Opfer" und "Täter" mitten durch die eigene Familie hindurch, wodurch über die ergreifenden Einzelschicksale hinaus die Brüche in der deutschen Zeitgeschichte höchst lebendig erfahrbar werden.

Als Walter Burger, Sohn schwäbischer Pietisten, 1926 die assimilierte Jüdin aus der Nachbarwohnung, Edith Wolle, heiratete, wurde der Antisemitismus seiner Eltern manifest. Zehn Jahre lang wurde das junge Paar gemieden. Doch als sich der Vater in das offenbar Unvermeidliche schickte, gewann der Antisemitismus eine neue Qualität: Da Schwester Hilde 1938 einen SS-Offizier heiratete, in dessen ideologischem Fahrwasser sie fortan segelte, war an eine Tischgemeinschaft mit der jüdischen Schwägerin nicht mehr zu denken. Die einstige Freundschaft der Nachbarsmädchen war vollkommen vergessen. Zum Eklat kam es 1943, als Edith mitsamt den Kindern im Haus der Schwiegereltern Unterschlupf fand, wo bereits Hilde untergekommen war. Empört zog die ideologisch Verblendete aus. Um der Gattin zu ihrem vermeintlichen Recht zu verhelfen, scheute sich ihr Mann nicht, die Jüdin im örtlichen Rathaus zu denunzieren. Dass dieser Vorstoß zur Enttäuschung des SS-Hauptsturmführers folgenlos blieb, dürfte nur das Resultat glücklicher Umstände und gemütsbetonter Dorfbewohner gewesen sein, an deren christlich-bodenständiger Dickfelligkeit der ideologische Aktivismus im Jahre 1944 abprallte. Insofern ging der Kelch der Deportation an Edith und ihren Kindern vorbei.

Es ist der Autorin hoch anzurechnen, dass sie die Geschichte nicht in einem vorschnellen Happy End nach der Besetzung des Dorfes durch die Franzosen ausbremst. Indem sie die Erzählung bis in die unmittelbare Vergangenheit weiterführt, wird aus den Schwierigkeiten der konkret Betroffenen ein Spiegel des bundesrepublikanischen Umgangs mit der belastenden Vergangenheit. Die implizite Frage kreist um die Chancen von Gerechtigkeit und Genugtuung, Schuld und Vergebung. In ihrem konkreten Fall entschlossen sich die Eltern der Autorin bewusst, zugunsten des Familienzusammenhalts die Vergangenheit zu ignorieren. Fotos bezeugen das Unglaubliche: in trauter Runde sitzen die einst Verfolgten mit denjenigen um die sonntägliche Kaffeetafel, die sie ohne jeden moralischen Skrupel ans Messer geliefert hätten. Dass ihr Vater dazu imstande war, erklärt die Autorin plausibel mit dessen Überzeugung, durch den Verlauf der Geschichte gerechtfertigt zu sein, die ihn nach 1945 als angesehenen Bürger weit über dem diskreditierten Schwager positionierte. Doch dass er 1975 zu einer längeren autobiographischen Niederschrift ansetzte, könnte ein Indiz dafür sein, dass der moralische Sieg an Selbstverständlichkeit verloren hatte.

Tatsächlich war es Ende der sechziger Jahre doch noch zum Zerwürfnis gekommen. Die Differenzen waren einfach zu groß: Nie hatten sich die einstigen Nazis zu Schuldbekenntnis und Reue durchringen können. Im Gegenteil: Bis zu ihrem Tod 2004 sollte Hilde an ihren antisemitischen Argumentationsmustern und der Bewunderung für die SS festhalten. Gerade ihre späten Bemühungen, eine verharmlosende Alternativerzählung durchzusetzen, machen sie repräsentativ für aktuelle Strömungen. Deshalb war die vorliegende Publikation, die sich um Verständnis für alle Seiten bemüht und dennoch Ross und Reiter benennt, nicht nur für die Familiengeschichte notwendig. In Zeiten, in denen sich allerorten in Europa wieder ein dumpfer Antisemitismus regt, ist ein solches Buch ein besonderer Gewinn.

BIRGIT ASCHMANN

Sibylle Krause-Burger: Herr Wolle lässt noch einmal grüßen. Geschichte meiner deutsch-jüdischen Familie. Deutsche Verlags Anstalt, München 2007. 255 S., 19,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Mit Lob bedenkt Birgit Aschmann dieses Buch von Sibylle Krause-Burger über die Geschichte ihrer deutsch-jüdischen Familie. Gegenüber anderen Berichten aus der Perspektive von Kindern aus gemischten Familien zeichnet sich vorliegende, gut hundert Jahre umfassende Familiengeschichte für Aschmann durch ihre fesselnde Darstellung, ihre überlegte Komposition sowie durch ihre breite Quellengrundlage (Briefe, Tagebücher, Lebensberichte, Archivrecherchen, persönliche Gespräche) aus. Sie schätzt zudem die Einbettung individueller Erlebnisse in den Kontext des nationalsozialistischen Antisemitismus. Besonders hebt sie an Krause-Burgers Buch hervor, dass hier die Scheidelinie zwischen "Opfer" und "Täter" mitten durch die eigene Familie geht. Über die "ergreifenden Einzelschicksale" hinaus werden für Aschmann so auch die Brüche in der deutschen Zeitgeschichte anschaulich vor Augen geführt. Wichtig erscheint ihr außerdem, dass Krause-Burger die Geschichte bis in die unmittelbare Vergangenheit erzählt und in den Problemen der Betroffenen den Umgang der BRD mit der belastenden Vergangenheit widerspiegelt.

© Perlentaucher Medien GmbH