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Nicht erst seit der Schulbesetzung in Beslan steht die Welt vor einem Rätsel: Wer sind diese Schwarzen Witwen, die sich mit Sprengstoffgürteln um den Leib inmitten möglichst großer Menschenmengen selbst töten?
Sabine Adler hat viele Jahre in tschetschenischen Familien recherchiert. Sie erzählt die Geschichte Raissas und ihrer beiden Schwestern, ihrer Angehörigen und der Nachbarn. Raissa sollte nach dem Willen ihrer Brüder wie die Schwestern als Schwarze Witwe sterben, doch die junge Frau folgte der Forderung nach Blutrache nicht.
Sabine Adler zeichnet ein Bild des Krieges in
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Produktbeschreibung
Nicht erst seit der Schulbesetzung in Beslan steht die Welt vor einem Rätsel: Wer sind diese Schwarzen Witwen, die sich mit Sprengstoffgürteln um den Leib inmitten möglichst großer Menschenmengen selbst töten?

Sabine Adler hat viele Jahre in tschetschenischen Familien recherchiert. Sie erzählt die Geschichte Raissas und ihrer beiden Schwestern, ihrer Angehörigen und der Nachbarn. Raissa sollte nach dem Willen ihrer Brüder wie die Schwestern als Schwarze Witwe sterben, doch die junge Frau folgte der Forderung nach Blutrache nicht.

Sabine Adler zeichnet ein Bild des Krieges in Tschetschenien und der Gewaltspirale, die tschetschenische Männer bedenkenlos die eigenen Frauen opfern läßt.

Autorenporträt
Sabine Adler, geboren 1963, arbeitet seit 1987 als Rundfunkjournalistin. Seit 1999 berichtet sie für das DeutschlandRadio aus Russland.

Im Zuge der Recherchen besuchte sie häufig ohne Wissen der russischen Behörden das tschetschenische Kriegsgebiet. Sie lebte inmitten der Familien und traf auf verzweifelte Frauen, die den Weg der Schwarzen Witwen gehen wollten oder sollten.

Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Aufschlussreich findet der "böl." zeichnende Rezensent Sabine Adlers Buch über das Phänomen tschetschenischer Selbstmordattentäterinnen. Die Autorin erzähle die Geschichte der 19-jährigen Raissa, deren Familie zwischen der brutalen Willkür der russischen Armee, der kalten Grausamkeit der islamistischen Fanatiker und den strengen tschetschenischen Traditionen zerrieben werde. Der Rezensent hebt hervor, dass Adlers Buch, die als Korrespondentin des Deutschland-Radios jahrelang in Tschetschenien recherchierte, Romancharakter hat, was es zu einer "spannenden Lektüre" macht. Dass die Autorin Recherche, Rekonstruktion und Fiktion vermische, so der Rezensent, "lässt den Leser aber an ihrer Darstellung öfter zweifeln als womöglich nötig". Das Buch zeichne auch das Bild einer Gesellschaft, die unter der Grausamkeit der russischen Besatzer derart verroht ist, "dass sie die Fanatiker nicht einmal mehr daran hindert, ihre Töchter in die Luft zu sprengen".

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.02.2005

Pardon, sind Sie blutsverwandt?
Islamische Geschichten über Importbräute und Schwarze Witwen

"Darf ich mal reinkommen?" fragte die Türkin aus der Wohnung darüber mit munter blinkenden Augen, um dann streng prüfend in alle Ecken zu sehen. "Ja, schön haben Sie es. Bei mir ist eine Arbeitskollegin, die gerne in einer großen Wohnung mit hohen Decken leben würde. Die liest auch Bücher und kocht gerne und so. Soll ich Sie vielleicht mal zusammen einladen?" Das war natürlich weniger als der Beginn einer arrangierten Ehe, aber mehr doch als bloße Kuppelei. Vielmehr zeigt sich da ein durch Tradition angeleitetes Verantwortungsgefühl für das Wohl des Nächsten, wo dessen für ihn zuständige Familie aus Gründen, über die man nicht richten soll, ihre Aufgabe nicht bewältigt. Genau wie zum Opferfest eine Bohnensuppe und ein Pilaw vom eigens geschlachteten Hammel vorbeigebracht werden.

Im übrigen muß man nur zwei Schritte vom Gewohnten wegdenken, um zu sehen, daß die Idee einer solchen Vermittlung gar nicht so dumm ist, kennt die Mittlerin doch beide Parteien lange genug, um zuverlässige Aussagen über deren Charakter und das heißt über deren zukünftiges Verhalten machen zu können. Jedenfalls gilt das, solange der gemeinsame Alltag aus einem allgemein bekannten Bündel zu bewältigender Aufgaben besteht, die Partnerwahl also nicht unterschiedliche Lebensgeschichten und Interessen miteinander abzugleichen hat. Außerdem muß es die Möglichkeit geben, nein zu sagen.

Atatürk läßt grüßen

"Arrangierte Ehen sind Zwangsheiraten und gehören verboten." Von der eigenen tscherkessisch-türkischen Familiengeschichte, von der Rolle der Frau im Islam, von Hochzeitsbräuchen und von Gesprächen mit deutschen Türkinnen erzählt Necla Kelek, damit endlich etwas geschieht gegen die Brautimporte aus der Türkei. Sie plädiert für Gesetze, die Familienzusammenführungen aufgrund von Eheschließungen erst ab dem 21. oder besser 24. Lebensjahr der Beteiligten genehmigen. Für den einreisenden Ehepartner müsse "schon bei der Einreise das Verständnis der deutschen Sprache und Kultur" geprüft und eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung vom erfolgreichen Abschluß von Integrationskursen abhängig gemacht werden. Der bereits in Deutschland lebende Partner solle "über einen Zeitraum von mindestens einem Jahr nachweisen, daß er ein für den Familienaufenthalt ausreichendes Einkommen durch Arbeit bezieht und einen eigenen Haushalt führt". Von der Ersparnis bei der Sozialhilfe ganz abgesehen, würde damit verhindert, daß die Importbraut im Haushalt ihrer Schwiegereltern als kostenlose Haushaltshilfe eingesetzt wird.

Schon um den Gefahren genetisch bedingter Erkrankungen von Kindern aus den - im ganzen Orient typischen - Cousin-Cousinen-Heiraten vorzubeugen, dürfe "die Einreise blutsverwandter Ehepartner nicht erlaubt werden". Selbstverständlich müsse außerdem Zwangsheirat ein Straftatbestand sein (was sie als Nötigung immer schon war). Es gehe indes nicht nur um die Verfolgung allemal schwer nachzuweisender Straftaten, sondern um "Vorbeugung und Verhinderung von Entmündigung". "Die jungen Menschen müssen vor der Bevormundung durch ihre Familie geschützt werden."

Geschützt werden müsse auch die deutsche Gesellschaft vor sich selber. Obwohl die Türken sich "massenhaft in ihre Moscheen zurückgezogen" haben und "ihre islamische Welt verteidigen", obwohl die Türken sich "mit Hilfe der deutschen Errungenschaften von Sozialversicherung und Arbeitslosenunterstützung" längst in einer Parallelgesellschaft eingerichtet haben, "meint die deutsche Gesellschaft, bei den Ausländern in der Schuld zu stehen". "Gerade die gutmeinenden Deutschen neigen dazu, in jedem hier Asyl suchenden Ausländer den Wiedergänger eines vor dem Holocaust zu rettenden Juden zu sehen" und darüber "muslimischer als die Muslime" zu werden. So tragen diejenigen, die es "geschafft haben, in diesem Land anzukommen, die doppelte Verantwortung".

Sie allein können aussprechen, was bei Türken wie bei Deutschen tabuisiert ist: "Die Leitkultur auch bei vielen Türken in Deutschland ist der Islam", und der Islam vertritt ein Welt- und Menschenbild, das mit den Prinzipien einer demokratischen Gesellschaft nicht vereinbar ist. Er fordert die Unterordnung des einzelnen unter die Interessen des Ganzen und insbesondere die Unterordnung der Frau unter den Mann. In der türkisch-islamischen Kultur ist "die Liebe zwischen Mann und Frau nicht vorgesehen", statt dessen "versteckt die türkisch-islamische Gemeinde die Frauen unter Kopftüchern", was insbesondere für die "Persönlichkeitsentwicklung" junger Frauen "fatal" sei.

So oft wie die Autorin bekräftigt, in der deutschen Gesellschaft "angekommen" zu sein, ist vielleicht die Entgegnung erlaubt, daß "Kopftuch ab!"-Rufe und die Behandlung des Islam als einer rückständigen Religion eher dem Geist der nicht eben grundrechtsfreundlichen Atatürkschen Reformen verhaftet sind. Aber fraglos werden junge Türkinnen von ihren Brüdern, ihrer Schwiegermutter, ihrem Ehemann oft arg drangsaliert, und der Versuch, die Familie zu verlassen, kann Gefahr für Leib und Leben bedeuten. Darum ist es wichtig, an den richtigen Stellen die Beratungen zu intensivieren, Frauenhäuser besser auszustatten. Falsch, fatal wäre es jedoch, alle Türken, die einen Ehepartner in der Türkei gefunden haben, nicht nur unter Generalverdacht zu stellen, sondern ihnen erhebliche rechtliche Einschränkungen aufzuerlegen. Auch eine Thailänderin oder heute eine Moldauerin, deren Ehen vermittelt wurden, auch eine junge Schönheit, die einen alten, reichen Mann geheiratet hat, alle haben sie einen Anspruch, daß wir nicht davon ausgehen, sie hätten sich nur von den anerzogenen Werten des Materialismus nicht hinreichend befreit. Selbst wenn anfangs Armut oder Eltern gedrängt haben sollten, haben sie die Möglichkeit, das Arrangement in Liebe zu verwandeln. Ob das gelungen ist, ob sie den Versuch fortführen wollen, müssen sie selber entscheiden. Daß arrangierte Ehen unglücklicher enden als Liebesheiraten, dürfte nicht leicht nachzuweisen sein.

Schon das Material des Buches widerspricht im übrigen seiner These. "Die neue Braut himmelte ihren Bräutigam an." Die Arrangements werden akzeptiert "in der trügerischen Hoffnung, das Leben in Deutschland könne nur besser werden". Da gibt es Schwiegereltern, die dem Brautpaar das Schlafzimmer überlassen, selber sich auf einer Liege einrichten, also doch den Generationswechsel sichtbar machen. Da gibt es anscheinend problemlose Trennungen und Scheidungen, und da gibt es eine Frau Hodscha, die die Autorin lebhaft auffordert, sich doch selber mit den Frauen zu unterhalten. Vor allem gibt es die Frauen, die ihren Frieden aus der Zuwendung zum Islam gewonnen haben. "Seit ich in die Moschee gehe, ist alles leichter geworden." "Auch mit meinem Mann komme ich gut klar." Für die Autorin ist das ein "psychologisch interessanter Vorgang". Die Frauen, die den Bruch mit der Familie nicht ertrügen, "reagieren nicht mit Rebellion, wie man es von deutschen Jugendlichen kennt, sondern mit Überanpassung".

Doch eine solche Denunziation betreibt nicht nur die Entmündigung, gegen die anzugehen sie vorgibt, sie widerspricht auch der Erfahrung. Gerade die engagiert muslimischen jungen Frauen sind oft kluge und selbstbewußte Gesprächspartner. Mehr als die Autorin dürfte jene traditionelle Türkin von den demokratischen Werten verstanden haben, die auf die Forderung nach Integration entrüstet antwortet: "Ich habe dreißig Jahre lang hier gearbeitet, das dürfte doch wohl reichen!"

Von den Importbräuten zu den Schwarzen Witwen. Sabine Adler hat die Selbstdarstellung einer Tschetschenin, die sich aus Angst vor Zwangsrekrutierung mehr oder weniger freiwillig in russische Schutzhaft begeben hat, Interviews mit Geiseln aus dem Moskauer Musicaltheater und verschiedene tschetschenische Fallgeschichten zu einem dokumentarischen Roman verwoben. Das ist sprachlich wie sachlich offenbar mit Eile geschehen. Der Araber Jassir spricht zu einigen Aseris "in gebrochenem Tschetschenisch", und Medina übersetzt dann, "was Jassir auf russisch gesagt hatte". Dieselbe Sarema, die den Rucksack, mit dem sie eine Polizeistation sprengen soll, absetzt, kann sich einige Seiten später von dem Rucksack, mit dem sie ein Café sprengen soll, nicht trennen. (Die erste Version entspricht der Realität.)

Wenn Raissa das Lehrbuch mit dem arabischen Alphabet auswendig weiß und sich endlich einmal mit Arabern unterhalten möchte, kennt die Autorin nicht die Praxis, den Koran ohne Sinnverständnis nur als Lautfolge auf arabisch zu rezitieren. Und wenn eine Tschetschenin im saudiarabisch finanzierten Trainingslager durch einen ausführlich beschriebenen Zikr "an den Tanz eines afrikanischen Eingeborenenstammes" erinnert wird, dürfte in der Vorlage Zikr im weiten Sinne der Rezitation verwendet worden sein. Die Autorin fand dann beim Nachschlagen den im Deutschen geläufigen Sinn des Derwischtanzes. Aber Wahhabis haben für Sufismus rein gar nichts übrig. Genauso falsch ist es, daß fromme Tschetschenen, die sich mit vierzig einen Bart wachsen lassen, nicht mehr trinken dürfen - sie durften es auch schon vorher nicht.

Es wird gedreht und gewendet

"Die fremde Braut" von Necla Kelek ist bei weitem das bessere Buch. Trotzdem gibt es auch bei Adler eindrucksvolle Schilderungen zumal von den chaotischen Zuständen im Musicaltheater, von den russischen Grausamkeiten. Nur taugt das Erklärungsmodell nichts. Im ersten Drittel ihrer Schilderung werden, wie dem ethnographischen Lehrbuch entnommen, eine traditionelle Hochzeit und eine Blutrache ausgemalt. Vor dieser Folie erscheint die Heldin als eine Frau, die im Gegensatz zu den traditionellen Tschetscheninnen, die "fast nie aus sich heraus handeln", "Sehnsüchte und Wünsche" hatte. Doch das ganze Buch über werden Frauen angeführt, die entweder aus politischer oder religiöser Überzeugung handeln oder, in den weitaus meisten Fällen, genötigt werden, über ihre wahre Aufgabe im unklaren bleiben. Das hat mit traditionellen tschetschenischen Ehrenkodizes nichts zu tun.

Tradition nehmen beide Autorinnen - und nicht nur sie - als etwas, das seit Urzeiten besteht und die Menschen bewegt wie eine Naturkraft. Dabei ist die ethnologische Literatur voll von Erzählungen, mit wieviel List und Humor die Menschen schon in den einfachsten Gesellschaften ihre eigenen Regeln drehen und wenden. Und sie ist voll davon, wie manches uralt Geglaubte in Wahrheit rezente Erfindung ist. Da immer wieder neue Situationen entstehen, müssen die Regeln immer wieder neu verstanden werden. Das kann dann bedeuten, daß man den Koran befragt, wie sich angesichts der Unsittlichkeit der deutschen Gesellschaft ein Leben in Reinheit führen läßt. Es kann aber auch bedeuten, daß man seinen nichtmuslimischen Nachbarn in die Regeln des Opferfestes aufnimmt. Die Türkin von oben hat übrigens ihren Mann aus ihrem zentralanatolischen Dorf importiert. Bei Streitigkeiten behält hörbar sie die Oberhand. Worüber sie klagt, ist die Schichtarbeit.

GUSTAV FALKE

Necla Kelek: "Die fremde Braut". Ein Bericht aus dem Inneren des türkischen Lebens in Deutschland. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2005. 269 S., geb., 18,90 [Euro].

Sabine Adler: "Ich sollte als Schwarze Witwe sterben". Die Geschichte der Raissa und ihrer toten Schwestern. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2005. 348 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.09.2005

Im wilden Kaukasus
Der Mythos der tschetschenischen Selbstmordattentäterinnen
D ie „Schwarzen Witwen”, die tschetschenischen Selbstmordattentäterinnen, sind nicht nur zum Sinnbild eines Terrors geworden, der keine Grenzen mehr kennt. Sie sind auch Objekte des Voyeurismus: Wilde Kämpferinnen! Mit Bombengürtel und Schleier! Keusch, aber gnadenlos!
Nun ist die Sache selber natürlich sehr viel trauriger und verdiente eine genauere Analyse. Diese bieten dem deutschen Leser gleich zwei Bücher, eines von einer Russin geschrieben, eines von einer Deutschen, die, noch bevor man die erste Seite gelesen hat, unter, man muss das so sagen, grotesk dummen Titeln leiden. „Die Bräute Allahs” der sehr jungen russischen Journalistin Julia Jusik wurde in der deutschen Presse stark beachtet und umgibt sich mit der Aura des Unerhörten, Investigativen. Monatelang sei sie in Tschetschenien umhergefahren, und habe erfahren, dass viele Selbstmordattentäterinnen gar nicht sterben wollten, sondern von Männern betrogen oder entführt, durch Drogen und Vergewaltigungen gefügig gemacht und am Ende geradezu ferngezündet wurden. Es sind ungeheuerliche Anschuldigungen, die sich allerdings schon auf den ersten Seiten nicht als harter Bericht erweisen, sondern als seltsam klebriges Drama von Leid und Herzschmerz. Arbi Barajew, der Geiselnehmer im Musical-Theater Nord-Ost, erscheint darin als unwiderstehlicher Verführer: „Die Frauen liebten ihn grenzenlos, ohne jede Hemmung.” Der Tod Chawas, einer der ersten „Schwarzen Witwen” wird zum Liebesdienst, überhaupt liebte Barajew „perversen Sex”, und die „Tschetscheninnen, von Natur aus ein bisschen verklemmt” wurden durch Pillen enthemmt.
Es sind Passagen wie diese, die die erbitterte Kritik von tschetschenischen Menschenrechtlern wie der Memorial-Mitarbeiterin Lipkan Bassajewa ausgelöst haben. Jusiks Buch, so ihr Vorwurf, sei nichts als haltloser Terror-Kitsch, in Russland - anders als behauptet - keinesfalls verboten: eine perfide Diffamierung der tschetschenischen Gesellschaft, die dem Kreml letztlich in die Hände spiele. Dass ein fremder Mann, zumal ein Terrorist, wie in Jusiks Buch beschrieben, mit einer fremden Frau zusammensitzt, ihre Hand hält, weint (!) und Worte findet, „die nicht jede Frau finden würde”, das scheint in der Tat im prüden Klima der islamischen Gesellschaft Tschetscheniens undenkbar. Jusik, die inzwischen mit einem neuen, ähnlich raunenden Konglomerat aus Verschwörungstheorien und Gerüchten über die Geiselnahme in Beslan an die Öffentlichkeit getreten ist, trägt mit ihrem Buch sehr zur Verschleierung bei, aber kaum zur Aufklärung.
Sabine Adler, seit sechs Jahren Moskau-Korrespondentin für das Deutschland-Radio, wählte einen anderen Weg. Auch sie hat für ihr Buch „Ich sollte als Schwarze Witwe sterben” mit Frauen gesprochen, die um ein Haar in einem Selbstmordanschlag gestorben wären. Sie beschränkt sich auf den Fall Raissas, einer 19-jährigen Tschetschenin, die sich in eine Art russische „Schutzhaft” begeben hat. Ihre Schwestern Medina und Hejda gehörten zu den „Schwarzen Witwen” im Nord-Ost-Theater, wo die beiden - wie alle „Schahidkas” - von Sicherheitskräften erschossen wurden. Medina hatte mit ansehen müssen, wie die Russen ihren Ehemann lebendig verbrannten, Hejda ging dorthin, wohin die Schwester ging. Und doch hatten beide nicht sterben wollen, ihre Brüder hatten ihnen vorgegaukelt, sie würden überleben. Zurück blieb Raissa und die Frage, ob ihre Brüder auch sie holen würden.
Gewalt und Gegengewalt
Das Lobenswerte an Adlers Buch ist, dass sie versucht, in das komplizierte Wechselspiel aus Provokation und Gewalt, Gegengewalt und neuer Provokation einzutauchen, das nicht nur die Russen, sondern auch die Tschetschenen betreiben. Raissas Brüder haben sich mit dem Krieg eingerichtet, sie kämpfen für einen Gottesstaat, der mit allen Traditionen bricht. Adler zeigt die engen Grenzen eines Frauenlebens im Kaukasus, wo jahrhundertealte patriarchale Geschlechterhierarchien herrschen. Sie weiß eine Menge, sie hat mit der jungen Raissa gesprochen, mit den überlebenden Geiseln des Nord-Ost-Theaters. Sie hat sich entschieden, daraus einen Roman zu schreiben. Und das war ein Fehler.
Ein Buch, das Authentizität beansprucht, das von der Transparenz seiner Recherche lebt, sollte sich nicht in die Fiktion flüchten. Denn nun rätselt der Leser: Wie nahe ist die Autorin Arbi Barajew tatsächlich gekommen? Hat sie wirklich jene Lager im Wald besucht, wo angeblich ganze Witwen-Bataillone militärisch gedrillt und ideologisch zugerichtet werden? Und wenn nicht, woher stammen dann ihre Informationen?
Seit Russland für Journalisten den Zugang nach Tschetschenien erschwert hat, ist die Wahrheit noch kostbarer geworden als zuvor. Raissas Fall - eine Tschetschenin sucht Schutz bei den Russen vor den eigenen Leuten - war für die russische Führung ein gefundenes Fressen. Umso wichtiger wäre es gewesen, Propaganda und Tatsachen sauber zu trennen. Wie aber soll dies ein Roman leisten, in dem jedes Wort erfunden sein kann? Und der literarische Mehrwert rechtfertigt die belletristische Form kaum. Sabine Adler ist keine große Stilistin, sie kleidet politische Widersprüche in hölzerne Dialoge über Wahhabismus und Tradition, erklärt umständlich jeden Gruß, jede Geste, jedes Ritual: Ein Volkshochschul-Kurs über den Kaukasus.
So arbeitet sich der Leser zusehends unwilliger durch die beiden Werke - und wartet am Ende noch immer auf das richtige Buch zu einem so wichtigen Thema.
SONJA ZEKRI
SABINE ADLER: Ich sollte als Schwarze Witwe sterben. Die Geschichte der Raissa und ihrer toten Schwestern. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2005. 348 Seiten, 19,90 Euro.
JULIA JUSIK: Die Bräute Allahs. Selbstmord-Attentäterinnen aus Tschetschenien. Niederösterreichisches Pressehaus, St. Pölten 2005. 160 Seiten, 17,90 Euro.
Eine Geiselnehmerin im Moskauer Nord-Ost-Theater am 25. Oktober 2002 in einer Aufnahme des russischen Fernsehsenders NTV.
Foto: AP
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