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Das Schicksal des jüdischen Pianisten Szpilman, der durch die Hilfe eines Offiziers dem Holocaust entkommt, steht für ein Beispiel der Menschlichkeit in Zeiten des Todes. Wilm Hosenfeld (1895?1952) ist dieser deutsche Soldat. Im Tagebuch und in Briefen erzählt er von den Greueln der Besatzungsherrschaft. Dieser sensationelle Fund wird hier erstmals veröffentlicht.
Wenige deutsche Soldaten haben im Zweiten Weltkrieg sich selbst gefährdet, um unschuldige Menschen zu retten. Wilm Hosenfeld ermöglicht über viele Jahre zahlreichen verfolgten Polen und Juden das Überleben. Dabei ist er nicht von
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Produktbeschreibung
Das Schicksal des jüdischen Pianisten Szpilman, der durch die Hilfe eines Offiziers dem Holocaust entkommt, steht für ein Beispiel der Menschlichkeit in Zeiten des Todes. Wilm Hosenfeld (1895?1952) ist dieser deutsche Soldat. Im Tagebuch und in Briefen erzählt er von den Greueln der Besatzungsherrschaft. Dieser sensationelle Fund wird hier erstmals veröffentlicht.

Wenige deutsche Soldaten haben im Zweiten Weltkrieg sich selbst gefährdet, um unschuldige Menschen zu retten. Wilm Hosenfeld ermöglicht über viele Jahre zahlreichen verfolgten Polen und Juden das Überleben. Dabei ist er nicht von vornherein Antinazi oder Pazifist. Als Parteimitglied glaubt er 1939 daran, in einen gerechten Krieg zu ziehen. Doch die erschütternden Erlebnisse in Polen, wo er Zeuge von Mißhandlungen und Unterdrückung wird, rühren den gläubigen Katholiken tief. Tagebücher und Briefe an seine Familie geben Zeugnis von der inneren Zerrissenheit dieses deutschen Offiziers, der immer wieder Menschlichkeit und Gerechtigkeit über Eid und Befehle stellt.

Autorenporträt
Wilm Hosenfeld, geboren 1895 in Mackenzell/Hessen, im Ersten Weltkrieg schwer verwundet, danach Dorflehrer in Hessen. Fünf Jahre dient er als Besatzungsoffizier in Polen und rettet dort zahlreiche Menschen. In sowjetischer Kriegsgefangenschaft wird er zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Er stirbt 1952 in einem Lager bei Stalingrad.
Rezensionen
"Als historische Quelle und in ihrer literarischen Qualität sind diese Dokumente,..., durchaus mit den Tagebüchern von Victor Klemperer zu vergleichen." (ZDF-Aspekte)

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.07.2004

Ein Held in der Etappe
Hauptmann Wilm Hosenfeld widersetzte sich dem deutschen Besatzungsterror in Warschau

Wilm Hosenfeld: "Ich versuche jeden zu retten". Das Leben eines deutschen Offiziers in Briefen und Tagebüchern. Im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes herausgegeben von Thomas Vogel. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2004. 1194 Seiten, 29,90 [Euro].

Als sich die polnische Untergrundarmee in der Hoffnung auf eine sowjetische Offensive gegen die deutschen Besatzer erhob, tat Wilm Hosenfeld vorübergehend Dienst als "Ic" des Kommandanten von Warschau, Generalleutnant Rainer Stahel. Zu den Aufgaben des Reservehauptmanns, der weder einen Offiziers- noch einen Generalstabslehrgang besucht hatte, zählten: Meldungen auswerten, Karten führen, Lagevorträge halten, Kontakte zum Sicherheitsdienst (SD) der SS und zur Polizei wahrnehmen sowie Informationen über den "Feind" sammeln. Daher wurde ihm am 11. August 1944 ein Kämpfer der "Armia Krajowa" (AK) vorgeführt. Über dessen Vernehmung schrieb er an seine Frau Annemarie, die im Schulhaus in Thalau bei Fulda um den zu den Waffen gerufenen Dorfschullehrer bangte: "Es kann einem leid tun, wenn man diese irregeleitete Jugend ihrem Untergang entgegengehen sieht. Er machte ganz unbefangen seine Aussagen. Er war, glaube ich, sogar etwas stolz auf seine Uniform."

Nicht nach Hause berichtete der mitfühlende Vater von fünf Kindern zwischen dreiundzwanzig und sieben Jahren allerdings, wie er sich für die Aufständischen einsetzte, deren Mut und Freiheitswillen er bewunderte. Obwohl Stahel sich zu Beginn des Aufstands auf einen Befehl des Reichsführers SS und Reichsinnenministers Himmler berufen und die Mitglieder der AK als "Banditen und Rebellen" bezeichnet hatte, "die rücksichtslos zu vernichten seien", ergriff Hosenfeld die Initiative. Er machte den erst am 27. Juli in Warschau eingetroffenen General mit Hinweis auf den gerade verhörten Neunzehnjährigen darauf aufmerksam, daß sich die AK-Männer durch rotweiße Armbinden als polnische Streitmacht kennzeichneten und als normale Kriegsgefangene behandelt werden müßten - also keinesfalls getötet werden dürften. Jedoch verwies der Kommandant darauf, daß ein polnischer Staat nicht mehr existiere und die Bestimmungen des Völkerrechts nicht anwendbar seien. Hosenfeld erwiderte, daß es in London sogar eine polnische Exilregierung gebe und jedes Volk das Recht habe, für seine Unabhängigkeit zu kämpfen.

Dies ließ Stahel nicht gelten und wies Hosenfeld an, sich von zwei Militärjuristen "belehren" zu lassen, die dann Stahels Auffassung prompt bestätigten. Der Reserveoffizier war schockiert: "Ich sagte zu Oberstabsrichter Koch: ,Also sind die Gefangenen nach Ihrer Ansicht Banditen und werden erschossen.' ,Jawohl', sagte er. Dieser Antwort pflichtete Oberstabsrichter Jaeth bei. Ich antwortete: ,Ich sehe darin eine Verletzung des Völkerrechts.' Er: ,Sie haben das nicht zu verantworten, das entscheidet der General.' Darauf begab ich mich wieder zum General Stahel und teilte ihm die Ansicht des Gerichtes mit. Er sagte: ,Erschießungen werden von uns nicht durchgeführt, das macht der SD oder die Polizei, das geht Sie nichts an. Die Gefangenen werden von Ihnen verhört und dann dem SD übergeben. Halten Sie sich an meine Befehle! Schluß.'"

Obwohl der Neunzehnjährige der SS und damit wohl seinem sicheren Tod überantwortet wurde, ließ sich Hosenfeld nicht entmutigen. Als ihm zwei Tage später drei verwundete Aufständische bei einer Vernehmung bestätigten, daß die AK "die deutschen gefangenen Wehrmachtsangehörigen gut" behandele, allerdings SS, Polizei und SD liquidiere, meldete er dies dem General und meinte, "daß wir die polnischen Gefangenen entsprechend behandeln müßten. Zu meiner Überraschung entschied er, daß die drei Gefangenen dem deutschen Hauptverbandsplatz zu überweisen und nach der ersten Wundversorgung in ein polnisches Zivilhospital abzugeben seien." Rückblickend stellte Hosenfeld dazu im Juli 1945 fest, daß die Entscheidung des Kommandanten keiner humanitären Anwandlung entsprungen sei, sondern reinen "Zweckmäßigkeitserwägungen mit der Absicht, die Zivilbevölkerung gegen die Aufständischen zu beeinflussen".

Solche Beispiele bewundernswerter Zivilcourage im Dienst und die messerscharfe Beobachtungsgabe von Wilm Hosenfeld fesseln den Leser der ausgewählten Briefe und Tagebücher, die vom Jahr 1917 bis zu letzten Zeilen des ausgezehrten Todkranken aus russischer Kriegsgefangenschaft "in fremder Handschrift" vom 15. Juni 1952 reichen. Der Verlag wirbt für die wichtige Edition mit einer schrillen orangefarbenen Buchbanderole: "Der Pianist verdankt ihm sein Leben! Hier sind die Aufzeichnungen seines Retters." Gemeint ist der polnisch-jüdische Musiker Wladyslaw Szpilman, der kurz nach Kriegsende Erinnerungen an das besetzte Warschau publizierte. "Das wunderbare Überleben" wurde von dem Liedermacher und Schriftsteller Wolf Biermann 1998 in deutscher Sprache veröffentlicht und von Roman Polanski unter dem Titel "Der Pianist" 2002 verfilmt. Biermann war es auch, der 1998 dem damaligen Verteidigungsminister Rühe dazu riet, die Bundeswehr möge sich des vorbildlichen Hauptmanns - dessen Namen übrigens Szpilman 1945 bei der Abfassung des Buches noch nicht kannte - in geeigneter Weise annehmen, etwa im Rahmen der historisch-politischen Bildung für Soldaten. So wurde das Militärgeschichtliche Forschungsamt der Bundeswehr (MGFA) in Potsdam mit einer biographischen Recherche beauftragt, die in eine Vereinbarung mit Hosenfelds Kindern über die Bearbeitung des Nachlasses mit Schwerpunkt auf der Zeit des Zweiten Weltkrieges mündete.

Die von Thomas Vogel mit einem Übermaß an Zitaten eingeleiteten und weitschweifig, aber nicht immer präzise in einem Anmerkungsanhang kommentierten Briefe an die Ehefrau und die Kinder sowie die spärlichen Tagebucheinträge spiegeln das Leben eines deutschen Patrioten und strenggläubigen Katholiken wider, der sich nach der "Machtergreifung" ab April 1933 in der SA engagierte und sowohl dem "Nationalsozialistischen Lehrerbund" Ende August 1933 als auch der NSDAP am 1. August 1935 beitrat. Der Anfang 1918 nach einer schweren Schußverletzung als "felddienstuntauglich" aus dem Heer entlassene Vizefeldwebel und Offiziersaspirant der Reserve litt unter dem als Schmach empfundenen Versailler Vertrag und sehnte während der Weimarer Republik eine Zeit herbei, in der sich nicht nur an "das Heldentum und die Leiden des todumbrausten grauen Stürmers" würdig erinnert werden sollte, sondern auch an das Ziel: "Deutschlands Ehre und Größe". Diesbezüglich hatte die nationalsozialistische Propaganda viel zu bieten, so daß der Lehrer anfangs über manche antikirchliche Maßnahme des "Dritten Reiches" großzügig hinwegsah, zumal er die Amtskirche als antiquiert einschätzte und sich durchaus "deutschkatholischen Geist" wünschte. Darüber hinaus durchschaute er die Instrumentalisierung des Sports unter Hitlers Regime relativ spät, weil er darin vor allem ein "Erziehungsmittel" sehen wollte.

Erste Zweifel am "Dritten Reich" kamen Hosenfeld während der Krise um die Tschechoslowakei. So notierte er am 27. September 1938 - zwei Tage vor dem überraschenden Abschluß des Münchener Abkommens - angesichts der von Hitler ausgehenden Kriegsgefahr: "Jetzt kommt einem doch auch mal zum Bewußtsein, welch große Gefahr die Staatsform der reinen Diktatur hat. Was steht im Wege, wenn Hitler unzugänglich bleibt und das deutsche Volk in den Krieg stürzt? Volksbefragung? Das sind große Worte, in Wirklichkeit wird das Volk nicht gefragt. Ganz anders die Demokratie mit dem Parlament." Und gleich nach der "Reichskristallnacht" vom 9. November 1938 hielt er fest: "Judenpogrome in ganz Deutschland. Es sind fürchterliche Zustände im Reich, ohne Recht und Ordnung, dabei nach außen Heuchelei und Lüge."

Obwohl er im Sommer 1939 auf den Frieden hoffte, zog er durchaus gutgläubig ins Feld. Noch vor Kriegsbeginn am 26. August eingezogen, war er Besatzungssoldat in Polen, seit 24. April 1940 als Leutnant, seit 12. Mai 1941 als Oberleutnant und seit 24. Juli 1942 als Hauptmann der Reserve. Eingesetzt war Hosenfeld unter anderem als Sportoffizier und Gasschutzoffizier in Warschau und während des Aufstands im Sommer 1944 vertretungsweise als leitender Abwehroffizier, dann im Spätherbst 1944 als Angehöriger des Stabes des Wach-Regiments Warschau - während jener Wochen kam es zwischen dem 17. November und dem 12. Dezember zu den Begegnungen mit Szpilman, der von seinem deutschen Retter mit Lebensmitteln, Kleidung und einer Bettdecke versorgt wurde - und schließlich als Kompanieführer, bis er mit einem Großteil seiner Einheit am 17. Januar 1945 in sowjetische Kriegsgefangenschaft geriet.

Eindrucksvoll bezeugen die edierten Schriftstücke die Untaten der Besatzer, die der wohlinformierte Reserveoffizier als Ohrenzeuge wahrnahm, seine mehr oder weniger offenen Verbindungen zur bedrängten Zivilbevölkerung und einige wenige - eben nur die schriftlich fixierten - der vielen vor den eigenen Kameraden versteckten Rettungsaktionen für Juden und Polen. So stellte er den von der Gestapo gesuchten Priester Antoni Cieciora unter falschem Namen als Bürokraft ein und setzte ihn sogar für polnischen Sprachunterricht im Rahmen der "Wehrmachtkurse zur Berufsförderung" ein. Editor Vogel stellt über diese Aktivitäten treffend fest: "Aus heutiger Sicht erstaunt immer wieder aufs neue, welches Ausmaß unkonformen Verhaltens sich Hosenfeld über derart lange Zeit in Warschau erlauben konnte, ohne damit zu seinem Nachteil aufzufallen. Es läßt jedenfalls den individuellen Verhaltens- bzw. Handlungsspielraum erkennen, der auch unter den Bedingungen der Diktatur in der Wehrmacht damals noch existierte."

Der einzigartige Quellenwert dieser Edition besteht noch in etwas ganz anderem: Erstmals läßt sich der Alltag in der Etappe anschaulich nachvollziehen: die zahlreichen sportlichen Aktivitäten und Wettkämpfe zu Wasser, zu Lande und auf dem Rücken der Pferde, die anspruchsvolle und abwechslungsreiche Lektüre von Nietzsche bis Bismarck, die Kino-, Konzert- und Theaterbesuche, eine "Motivsuche" über 350 Landstraßenkilometer mit eineM Filmteam unter Leitung des Regisseurs Gustav Ucicky einschließlich der Besichtigung eines Gefängnisses, dann das effektiv organisierte Angebot von Fort- und Weiterbildungskursen für deutsche Besatzungssoldaten und Wehrmachthelferinnen, die vergebliche Suche nach einem neuen polnischen Dienstmädchen für das "Herzensfrauchen" in der Heimat, die sonntäglichen Besuche polnischer Meßfeiern, die behagliche Ausstattung eines Dienstzimmers in Warschau - "feiner Mahagonitisch mit Sessel, bequeme Polstersessel und Sofa, hübsch warm, Radio".

Hosenfeld konnte nicht allen Aspekten des angenehmen und frontfernen Lebens von Etappenhasen und Etappenhengsten etwas abgewinnen, insbesondere nicht den üblichen Saufgelagen, von denen er sich fernhielt. Vor allem stießen ihn die großen brutalen wie kleinen alltäglichen Übergriffe gleichermaßen ab. Da wurden beispielsweise am 4. Dezember 1940 zwei junge Polen erschossen, die einen Wehrmachtssoldaten "tätlich angegriffen" hatten, "weil er ein polnisches Mädchen geschlechtlich brauchte. - Denken darf man nicht, sonst könnte man jede Lust am Soldatenleben verlieren. Was für eine Rechtsauffassung! Wenn in Deutschland das geschehen wäre mit einem Franzosen, dann wären das Nationalhelden." Fünf Tage später notierte Hosenfeld: "Mit Oberzahlmeister Fraumann unterhalten wegen Gänsekauf. Ich sagte, daß ich diese angewandten Gewaltmethoden ablehnte. Er war der Meinung, warum sollen die Polen Gänse essen und wir keine. Ich betrachte das als Diebstahl. Im Grunde bekannte er sich zu meiner Rechtsauffassung." Auch die Erlebnisse aus dem Kasino der Kommandantur nahm er erstaunt zur Kenntnis. Während die Juden im Ghetto hungerten, gab es beim täglichen gemeinsamen "Liebesmahl" der Herren Offiziere eine nach Hosenfelds Bekunden "sehr gute" Linsensuppe: "Der Oberstleutnant von Zitzewitz mit einem echt preußischen Junkernamen, feinem Kopf, Monokel, schnarrender Befehlsstimme: ,Ordonnanz, ich habe Ihnen doch gesagt, daß Sie mich anläuten sollen, wenn's Linsensuppe gibt; ich kann sie nicht vertragen.' - ,Entschuldigen Herr Oberstleutnant, ich habe es vergessen.' - ,Ach, was heißt vergessen! Besorgen Sie mir die Speisekarte aus dem Hotel!' Nach 10 Minuten kommt ein Kellner mit silbernen Schüsseln, hinter die sich Herr von Zitzewitz mit noch immer mürrischem Gesicht setzt."

Ende Dezember 1943 verlor Hosenfeld die allerletzten Illusionen über das "Dritte Reich", als ihm ein herzkranker und an sich dienstunfähiger Bursche zugeteilt wurde, der ihm von den "fürchterlichen Quälereien" der SS erzählte, denen er offensichtlich vor Kriegsbeginn anderthalb Jahre in einem Konzentrationslager ausgesetzt gewesen war. Anschließend vertraute der im Vergleich zu hohen und höchsten Berufsoffizieren weitsichtige kleine Reserveoffizier seinem Tagebuch an: "Nun kann ich mir auch denken, wie die unglücklichen Juden und Polen gemartert worden sind, wenn an den eigenen Volksgenossen so gehandelt wurde. Aber, frage ich mich, woher kommen diese Untermenschen? Man hat doch früher nur einmal so etwas gehört von krankhaften Verbrechern. Und auf einmal sind sie zu Zehntausenden da. Und an der Spitze stehen diese Männer, die das billigen, gutheißen und wahrscheinlich die Methoden vorschreiben. Nun wird einem auch klar, warum sie nur mit Gewalt und Lüge weiterarbeiten können und warum die Lüge ihr ganzes System zudecken muß . . . Nun muß das ganze Volk, das nicht rechtzeitig dieses Geschwür ausmerzte, zugrunde gehen. Diese Schurken opfern uns alle. Wenn sie selbst schon verloren sind, wollen sie auch alle mit ins Verderben reißen. Ich glaube, es gibt in der Geschichte der Menschheit kein ähnliches Beispiel, daß Verbrechen von einer verhältnismäßig geringen Zahl begangen, von einem ganzen Volk abgebüßt werden müssen, weil dieses selbe Volk blind war und zu feige und zu unmoralisch, um sich gegen die Verbrecher zur Wehr zu setzen."

Für sich persönlich zog Hosenfeld daraus die eine Konsequenz, noch mehr als zuvor die eigenen Vorstellungen von Anstand und Moral, von Gut und Böse zum Maßstab zu nehmen und danach zu handeln - sich also mutig dem brutalen Besatzungsregime zu widersetzen, sowohl offen im Dienstalltag mit Hinweis auf Vorschriften und Recht als auch heimlich als Beschützer der Verfolgten durch listige Einfälle und zum Teil tollkühne Aktionen, ohne jede Rücksicht auf den eigenen Kopf und Kragen. Am 23. August 1944 - während des Aufstands - schrieb er seiner Familie: "Ich versuche jeden zu retten, der zu retten ist." Diesem Retter aus der Wehrmacht hat die Bundeswehr mit der Edition ein eindrucksvolles und ergreifendes Denkmal gesetzt, das sich hoffentlich nicht nur die an der Geschichte des Zweiten Weltkriegs Interessierten erlesen werden.

RAINER BLASIUS

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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.07.2004

Sturz ins Verhängnis
Ein sehr deutsches Leben: Die Aufzeichnungen Wilm Hosenfelds, der dem Pianisten das Leben rettete
Im Sommer 1942 gewinnt der Hauptmann der Wehrmacht Wilm Hosenfeld in Warschau Gewissheit über den Mord an den Juden. „Wenn das wahr ist, was in der Stadt erzählt wird”, vertraut er seinem Tagebuch an, „und zwar von glaubwürdigen Menschen, dann ist es keine Ehre, deutscher Offizier zu sein, dann kann man nicht mehr mitmachen.” Er bricht endgültig mit dem Nationalsozialismus, von dem der gläubig Katholik, einstige Wandervogel und Weltkriegsfreiwillige die Heraufkunft besserer Zeiten erwartet hatte. „Eine Frau erzählte meinem Gewährsmann, mehrere G.Sta.Po.-Männer sind in die jüdische Entbindungsanstalt eingedrungen, haben die Säuglinge weggenommen, in einen Sack gesteckt und sind damit fort, um sie auf einen Leichenwagen zu werfen. Das Gewimmer der kleinen Kinder wie das herzzereißende Geschrei der Mütter rührt diese Ruchlosen nicht. Man glaubt das alles nicht, trotzdem es wahr ist. Zwei solcher Tiere fuhren gestern auf derselben Straßenbahn. Sie hatten Peitschen in der Hand und kamen aus dem Ghetto. Am liebsten hätte ich die Hunde unter die Straßenbahn gestoßen. - Was sind wir Feiglinge, daß wir, die besser sein wollenden, das alles geschehen lassen; darum werden wir auch mitgestraft werden, auch unsre unschuldigen Kinder wird es treffen, denn wir machen uns mitschuldig, indem wir die Frevel zulassen.”
Warum schweigt man?
Fortan suchte Hosenfeld nach Wegen, um einzelnes Leid zu lindern, Verfolgten zu helfen. Während des Warschauer Aufstands wird er als Vernehmungsoffizier eingesetzt und tritt seinen Vorgesetzten gegenüber dafür ein, die gefangenen Kämpfer der Armija Krajowa wie reguläre Kriegsgefangene zu behandeln. „Aus reinstem Patriotismus handeln diese Menschen”, schreibt er am 23. August 1944 an Frau und Kinder, „aber wir können sie nicht schonen. Ich versuche jeden zu retten, der zu retten ist.”
Über Wochen hat Wilm Hosenfeld den jüdischen Pianisten Wladyslaw Spilman versteckt und mit Lebensmitteln versorgt. Wir kennen die Szene aus Roman Polanskis Film „Der Pianist”. Wolf Biermann, der anregte, dass Spilmans Erinnerungen auf deutsch erschienen, hat 1998 den damaligen Verteidigungsminister Volker Rühe auf Wilm Hosenfeld hingewiesen, Rühe beauftragte daraufhin das Militärgeschichtliche Forschungsamt, Genaueres in Erfahrung zu bringen. Glücklicherweise hatten die fünf Kinder Hosenfelds den schriftlichen Nachlass ihres Vaters aufbewahrt: Hunderte von Briefen an die Familie, hunderte Tagebuch- und Notizbuchseiten.
Eine voluminöse Auswahl aus dem Nachlass, mit ausführlicher Einleitung und Kommentar versehen, hat Thomas Vogel nun herausgegeben. Es ist ein Buch geworden, in dem man sich rasch festliest, das dem Retter Hosenfeld ein Denkmal setzt und unter den vielen persönlichen Dokumenten und Erinnerungen aus dem 20. Jahrhundert, die in den vergangenen Jahren erschienen sind, eine Ausnahmestellung einnimmt. Wer wissen will, wie es gewesen ist, hat hier eine Quelle ersten Ranges in der Hand. Es ist ein sehr deutscher Bildungsroman, die Geschichte eines Mannes, der aus Patriotismus Nationalsozialist wurde und aus Patriotismus mit dem Nationalsozialismus brach. Es ist die Geschichte eines engagierten Lehrers, eines Etappenoffiziers und Besatzungssoldaten im Generalgouvernement, die Geschichte eines innig liebenden Ehemannes und streng wie verantwortungsbewusst erziehenden Vaters. Und es ist eines der wenigen Dokumente aufrichtiger deutscher Bewunderung für den Nationalstolz und die Widerstandskraft der Polen.
Geprägt wurde Hosenfeld von den typischen Bildungsmächten seiner Zeit. Der 1895 in der preußischen Provinz Hessen-Nassau geborene Sohn eines Lehrers durchlebte die wilhelminische Schule, schloss sich früh dem Wandervogel an - den Idealen der frisch-muffigen Jugendbewegung wurde er nie untreu - und meldete sich 1914 freiwillig für den Militärdienst. In Flandern und Rumänien hat er als Infanterist gekämpft. Seine Aufzeichnungen beginnen mit „Erinnerungen aus dem Feld”, niedergeschrieben in Weimar, im November 1917, wohin er nach einer Schussverletzung verlegt worden war. „Hui, pfiffen da die Kugeln!” schreibt er im Rückblick über sein erstes Gefecht.
Nach der Niederlage und dem nie verwundenen Diktat von Versailles gelingt Hosenfeld der Aufbau einer bürgerlichen Existenz. Er heiratet Annemarie Krummacher, die Tochter eines Worpsweder Malers, und wird Lehrer, zunächst in Kassel bei Roßbach, von 1927 an in Thalau, einem kleinen Dorf südöstlich von Fulda gelegen. Nur wenige Dokumente seines reformpädagogischen Eifers, seines Kampfes gegen geistige Trägheit sind in die Auswahl aufgenommen worden, aber sie lassen erkennen, dass er seine Energie aus dem Ideal einer sittlichen Gemeinschaft bezog. Bloße Geselligkeit zum Zweck des Zeittotschlagens scheint er nie gemocht zu haben.
Gemeinschaftserlebnisse haben Hosenfeld zunächst für den Nationalsozialismus gewonnen. Im April 1933 wird er SA-Mann, 1935 Mitglied der NSDAP, aber ein hunderprozentiger Nationalsozialist wird nicht aus ihm. Er attackiert Rosenbergs „Mythos des 20. Jahrhunderts”, widerspricht den Grundsätzen der Jugendpolitik des „Dritten Reiches”, ist entsetzt und empört über den „Kirchenkampf”. Dennoch hält er Hitler für einen großen Staatsmann, glaubt er an die Notwendigkeit des Krieges. Über die „Judenpogrome in ganz Deutschland” notiert er im November 1938: „Es sind fürchterliche Zustände im Reich, ohne Recht und Ordnung, dabei nach außen Heuchelei und Lüge.” Wenige Wochen später hält er Stichworte für die „rassenkundliche Arbeit” fest. So säuberlich geschieden, wie wir es wünschen, ist hier nichts.
Es dauert, bis Hosenfeld die Verbrechen als solche erkennt, aber das ändert wenig an seinem innigen Patriotismus, nur ab und an wankt sein Glaube an die Wehrmacht. Deutsch und gründlich versucht Hosenfeld, den Gang der Geschichte zu verstehen, liest Hitlers „Mein Kampf” und Bücher über Außenpolitik, rechnet ab mit dem ungeistigen und seelenlosen Menschen des Maschinenzeitalters. Er organisiert Sportfeste in Warschau, begleitet eine Filmcrew auf der Suche nach Schauplätzen, begreift, welche Geborgenheit das Massengefühl den Deutschen bietet und beobachtet zornig das Treiben der Herren im Generalgouvernement: „Sie bereichern sich, huren und völlern. Aber macht man sich nicht mitschuldig an all dem? Warum esse ich an der reich gedeckten Tafel der Reichen, wo ringsum größte Armut ist und die Soldaten hungen? Warum schweigt man und protestiert nicht? Wir sind alle zu feige und bequem, zu falsch und verrottet, darum müssen wir auch alle den Sturz ins Verhängnis mitmachen.”
Während er seine Möglichkeiten und Spielräume als Wehrmachtsoffizier zur Rettung Verfolgter nutzt, versucht Hosenfeld verzweifelt, dem Geschehen einen Sinn abzugewinnen. Wenn sich der Krieg ausgerast habe, hofft er, „werden die Menschen das Elend begreifen, in das sie sich selbst gestürzt haben und werden wieder hervorkriechen wie aus einem von Bomben zerschmetterten Haus”. Er erwartet ein bescheidenes, karges Leben für alle Deutschen, stille Freude an den Kindern für sich und seine Frau. „Was hätten wir auch davon gehabt, wenn jeder Arbeiter seinen Volkswagen in der Gegend herumgefahren hätte? Den tieferen Sinn und das schönere Reich hatten wir schon ganz verloren.”
Im Januar 1945 gerät Hosenfeld in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Im Untersuchungsgefängnis Minsk wird er monatelang verhört, nach einem halben Jahr Isolationshaft erleidet er einen Schlaganfall. Bemühungen derer, denen er half, ihn freizubekommen, bleiben ohne Erfolg. Er wird als Kriegsverbrecher verurteilt und stirbt nach sieben furchtbaren Jahren in Gefangenschaft am Abend des 13. August 1952 im Kriegsgefangenenlager Stalingrad.
JENS BISKY
WILM HOSENFELD: „Ich versuche jeden zu retten”. Das Leben eines deutschen Offiziers in Briefen und Tagebüchern. Im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes herausgegeben von Thomas Vogel. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2004. 1194 S., 32 Euro.
„Die Familie ist nicht nur Keimzelle des menschlichen Seins...” Wilm Hosenfeld mit seiner Familie in Thalau im Sommer 1938.
Abb. aus dem bespr. Band
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Wilm Hosenfeld kennt kennt man aus Roman Polanskis preisgekröntem Film "Der Pianist" - Hosenfeld war der deutsche Wehrmachtsoffizier, der dem jüdischen Pianisten Wladyslaw Spilman das Leben rettete. Herausgeber Thomas Vogel hat hier eine voluminöse Auswahl von Briefen und Tagbuchaufzeichnungen Hosenfelds zusammengestellt, an der man sich "rasch festliest", lobt Rezensent Jens Bisky. Für ihn ist hier außerdem ein Buch entstanden, das unter den vielen persönlichen Dokumenten und Erinnerungen aus dem 20. Jahrhundert, die in den vergangenen Jahren erschienen sind, "eine Ausnahmestellung einnimmt". Wer wissen wolle, "wie es gewesen ist", habe hier "eine Quelle ersten Ranges in der Hand". Nicht zuletzt, weil in Hosenfelds Aufzeichnungen nichts "so säuberlich geschieden" sei, wie wir es wünschten. Das Buch, schreibt Bisky, bietet so beispielsweise die Geschichte eines Mannes, "der aus Patriotismus Nationalsozialist wurde und aus Patriotismus mit dem Nationalsozialismus brach", eines engagierten Lehrers und begeisterten Anhängers der Wandervogelbewegung ebenso wie eines Etappenoffiziers und Besatzungssoldaten im Generalgouvernement - und es ist zudem auch noch "eines der wenigen Dokumente aufrichtiger deutscher Bewunderung für den Nationalstolz und die Widerstandskraft der Polen".

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