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Produktdetails
  • Verlag: DVA
  • Seitenzahl: 587
  • Abmessung: 220mm
  • Gewicht: 990g
  • ISBN-13: 9783421054623
  • ISBN-10: 3421054622
  • Artikelnr.: 09521740
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.08.2001

Neues vom Spielplatz Neu-Schmargendorf
Worauf die Opernfreunde warteten: Kurt Pahlens Plaudereien mit Karajan und Cockerspaniel Camilo

Jeder Musikliebhaber kennt Kurt Pahlen. Seine Opernführer, die bereits mehrmals den Verlag wechselten, führen den Kunstfreund ebenso bieder wie verläßlich in die Welt Wagners, Mozarts und Verdis ein. Wer etwa wollte bestreiten, daß Tristan Isolde wirklich liebt oder daß die Oper "Parsifal" ein Werk ist, das sich nur nach langem Nachdenken erschließt? Was das Leben des Verfassers betrifft, waren wir bislang auf die Kurzbiographie in den Opernbändchen angewiesen, wo wir, in Ehrfurcht erstarrend, lesen konnten, wie sich Professor Pahlen etwa um die Verbreitung deutschen Volksliedgutes in Südamerika verdient gemacht hat. Wollten wir mehr über diesen Mann erfahren? Eigentlich nicht. Doch der Appetit kommt beim Essen, denkt sich wohl jeder Autor, und so legt Kurt Pahlen nun im gesegneten Alter von 94 Jahren seine Autobiographie vor.

Es ist ein Nachzügler der Gattung, ein Werk alter Schule, linear und im gemütlichen Parlando erzählt, gewürzt mit dem typischen Wiener Schmäh. Wir erfahren von der Kindheit des kleinen Kurtl in Wien als Sohn des "hochberühmten" (?) Pianisten und Liedbegleiters Richard Pahlen. Nach dem frühen Tod des Vaters zieht der Junge mit seiner Mutter nach Berlin. Der Autor bringt es fertig, genau 65 Seiten mit der Erzählung zu füllen, wie schön es doch auf dem Spielplatz Neu-Schmargendorf war. Zurück in Wien, studiert der fesche Kurt Musik und komponiert ein Lied namens "Wir weinen unter den Wolkenkratzern". Äußerst umständlich berichtet er von seiner Entjungferung, die endlich auf Seite 204 stattfindet. Da ist er schon zwanzig, und "mein Körper brannte, als stünde er in lodernden Flammen". Die Diktion soll von Schnitzler, seinem großen literarischen Vorbild, entliehen sein, doch mag auch Courths-Mahler ein wenig mit hineingespielt haben.

Nach dem Anschluß Österreichs, den der junge Künstler glaubwürdig verabscheut, hat er in Wien keine bleibende Statt mehr, und über Zürich verschlägt es den Emigranten nach Südamerika, wo er bald ein rühriges musikalisches Leben zwischen Buenos Aires und Montevideo entfaltet. Kurzfristig war er sogar Direktor des berühmten Teatro Colón, und die legendäre Evita Perón will er persönlich gekannt haben. Schicksalsschläge im Hause Pahlen bleiben nicht aus: Seine aus Wien nachgekommene Mutter begeht Selbstmord, wenige Tage später seine Lebensgefährtin. Doch Kurt Pahlen wäre nicht Kurt Pahlen, wenn er sich nicht wieder aufgerappelt und später nebenbei seine uneheliche Tochter aus der Gewalt des chilenischen Militärregimes befreit hätte. In hohem Alter läßt sich "der meistgelesene Musikschriftsteller der Welt" (so die Verlagswerbung) schließlich am Zürichsee nieder, wie der große Thomas Mann, dessen "Zauberberg" er allerdings langweilig findet. Dort nörgelt er bis heute über das moderne Regietheater, hierin seinem kongenialen Landsmann Marcel Prawy ähnlich. Wiener Urgestein eben. Übrigens erwartet er, dereinst "auf irgendeinem Stern des unermeßlichen Alls wiedergeboren" zu werden.

Manche Schilderungen Pahlens sind wirklich recht spannend. Der Wert einer Autobiographie steht und fällt jedoch mit der Bedeutung des Verfassers und dessen, was er zu sagen hat. Und so wird der Leser nicht recht froh über Ankündigungen wie: "Ich schulde dem Leser noch einen Bericht über meinen hinreißenden Cockerspaniel Camilo" (immerhin nur drei Seiten). Auch einige Stilblüten des Meisters - oder seiner Ghostwriterin Rosmarie König - konnten nicht ausbleiben: Glaubt Prof. Dr. Kurt Freiherr von Pahlen, so sein voller Name, wirklich, seiner Mutter ein Kompliment zu machen, wenn er seine "Mama im Dirndl" schildert, "jung und mit glänzendem Gesicht, in dem sich die Abendsonne spiegelte"? Und was soll man zu einem Vater sagen, zu dem der berühmte Sänger Leo Slezak kommt, "um von Papas beinahe durchsichtig gewordenen Händen begleitet zu werden"?

Es besteht ein ungebrochener Bedarf an Memoirenliteratur, wie etwa die Ausleihzahlen in öffentlichen Bibliotheken beweisen. Das vorliegende Werk wird also auch seinen Weg auf die Nachttische deutscher Altersheime finden. Ein Meilenstein der Musikliteratur ist jedoch nicht entstanden, da hilft Herrn Pahlen auch nicht das aufdringliche name dropping, wenn er sich etwa schmeichelt, mit Karajan über Flugzeuge und Autos gefachsimpelt zu haben, oder ganz stolz berichtet, wie Carl Orff "sein großartiges Schulwerk mit mir durchdachte". Nur den "Showman" Bernstein mag Pahlen nicht recht, die Gespräche mit ihm "verliefen selten so interessant, wie ich es erwartete". Bernsteins Meinung über Pahlen ist dagegen nicht überliefert.

Eine besondere Erwähnung verdient der Bildteil: Kurt Pahlen - angetan mit einem haarsträubenden Hawaii-Hemd - mit Hermann Prey, Kurt Pahlen - in scheußlichem Jackett - mit Yehudi Menuhin, Kurt Pahlen mit August Everding, Kurt Pahlen mit Edita Gruberova, Kurt Pahlen mit - Karajan? Nein, aber man höre und staune, mit "Karajans vertrautesten Mitarbeitern", die ihn "im engsten Kreis des Meisters herzlich willkommen heißen"! Wie sagt der Volksmund: Bescheidenheit ist eine Zier, ... Hoffnung verspricht allein der Titel: "Ja, die Zeit ändert viel" - sie wird auch über dieses geschwätzige, aufdringliche und kitschige Buch hinweggehen.

THOMAS FISCHER

Kurt Pahlen: "Ja, die Zeit ändert viel". Mein Jahrhundert mit der Musik. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2001. 624 S., 51 Abb., geb., 59,80 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Thomas Fischer erweist sich als Mann der klaren Worte, wenn er am Ende seiner Rezension die Prognose wagt, dass die Zeit auch "über dieses geschwätzige, aufdringliche und kitschige Buch hinweggehen" wird. Zwar findet Fischer manche Passagen des Buchs durchaus spannend, doch insgesamt stört er sich sehr an so manchen Ausschweifungen (etwa wenn Pahlen über 65 Seiten vom Spielplatz seiner Kinderjahre in Neu-Schmargendorf erzählt) oder auch an Stilblüten, bei denen der Rezensent allerdings nicht sicher ist, ob dafür Pahlen selbst oder eher seine Ghostwriterin Rosmarie König verantwortlich ist. Fischer bescheinigt dem Buch ein "Werk alter Schule (zu sein), linear und im gemütlichen Parlando erzählt, gewürzt mit dem typischen Wiener Schmäh". Zwar geht der Autor, so Fischer, hier auch auf ernsthafte Themen ein, wie Emigration oder Schicksalsschläge. Doch summa summarum enthält das Buch für seinen Geschmack zu viel Überflüssiges, wie Anekdoten über Pahlens erste sexuelle Erfahrungen, Informationen über seinen Hund oder "aufdringliches name dropping".

© Perlentaucher Medien GmbH