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8 Kundenbewertungen

Rosaleen ist eine Frau, die nichts tut und von den anderen alles erwartet. Sie ist Mitte siebzig, die vier Kinder sind schon lange aus dem Haus. Die Brüder Dan und Emmet sind vor der Enge der irischen Heimat in die Ferne geflohen; das Nesthäkchen Hanna wollte auf den Theaterbühnen der Welt reüssieren, spricht aber nun dem Alkohol zu, und Constance, die Älteste, hat sich selbst verloren. Doch abgenabelt hat sich keines der Kinder. Noch immer versucht jedes auf seine Weise, es dieser besten aller Mütter recht zu machen. Und scheitert.
Da kommt die Einladung zu einem letzten Weihnachtsfest in
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Produktbeschreibung
Rosaleen ist eine Frau, die nichts tut und von den anderen alles erwartet. Sie ist Mitte siebzig, die vier Kinder sind schon lange aus dem Haus. Die Brüder Dan und Emmet sind vor der Enge der irischen Heimat in die Ferne geflohen; das Nesthäkchen Hanna wollte auf den Theaterbühnen der Welt reüssieren, spricht aber nun dem Alkohol zu, und Constance, die Älteste, hat sich selbst verloren. Doch abgenabelt hat sich keines der Kinder. Noch immer versucht jedes auf seine Weise, es dieser besten aller Mütter recht zu machen. Und scheitert.

Da kommt die Einladung zu einem letzten Weihnachtsfest in Ardeevin. Rosaleen möchte das Haus, in dem die Kinder groß geworden sind, das voller Erinnerungen an glückliche Momente und Verletzungen steckt, verkaufen. Die Geschwister reisen mit diffuser Hoffnung auf Versöhnung an - und doch endet es, wie noch jedes Weihnachten geendet hat.

Booker-Preisträgerin Anne Enright wagt sich auf den dunklen Grund unserer Gefühle, studiert menschliches Verhalten dort, wo es am störanfälligsten ist, wo Liebe und Hass nahe beieinander liegen und es kein oder zumindest kein einfaches Entrinnen gibt: in der Familie.

Autorenporträt
Enright, Anne
Anne Enright, 1962 in Dublin geboren, zählt zu den bedeutendsten englischsprachigen Schriftstellerinnen der Gegenwart und wurde 2015 zur ersten Laureate for Irish Fiction ernannt. »Das Familientreffen« wurde unter anderem 2007 mit dem renommierten Booker-Preis ausgezeichnet, ist in gut dreißig Sprachen übersetzt und weltweit ein Bestseller. Für »Anatomie einer Affäre« (2011) erhielt sie die Andrew Carnegie Medal for Excellence in Fiction und für »Rosaleens Fest« (2015) den Irish Novel of the Year Prize.
Rezensionen

buecher-magazin.de - Rezension
buecher-magazin.de

Anne Enrights scheut nicht vor bitteren Wahrheiten zurück. Mit brillantem Blick für die kleinen und größeren Missverständnisse und Brüche innerhalb von Familien  seziert sie familiäre Dramen und Schicksale. In "Rosaleens Fest" bestimmt die greise Rosaleen noch immer über Wohl und Weh ihrer vier längst erwachsenen Kinder. Zu Beginn des Romans, der in den Achtzigerjahren spielt, zieht sie sich schmollend in ihr Bett zurück, weil ihr bildhübscher Sohn Dan Priester werden möchte und somit seiner Mutter keine Enkel gönnt. Dan wird dann doch nicht Priester und flüchtet genau wie sein jüngerer Bruder Emmett aus der Umklammerung der Mutter nach Amerika. Aber Rosaleen bleibt als übermächtiger Schatten immer Teil des Lebens ihrer Kinder, so auch der Jüngsten, Hanna, die Schauspielerin werden wollte, sich aber im Alkohol verliert, und Constance, der Ältesten, die orientierungslos durchs Leben wandelt. Anne Enright lässt jedes der Kinder zu Wort kommen, zeigt ihre Versuche, auszubrechen. Als Rosaleen ihre vier Sprösslinge zu Weihnachten zusammenruft, um in dem alten Familiensitz Ardeevin ein letztes Mal zu feiern, ehe das Haus verkauft wird, kommt es zum Eklat. Rosaleen greift zu einem starken Mittel, um ihre Kinder noch einmal in emotionale Abhängigkeit zu zwingen.

© BÜCHERmagazin, Margarete von Schwarzkopf (mvs)

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Tief in die Abgründe einer Familie schaut Rezensentin Jutta Person mit Anne Enrights Roman. Die Vorbereitungen zum Weihnachtsfest bringen so manches zutage, was besser unsichtbar geblieben wäre, meint Person und verzeiht der Autorin das ein oder andere irische Klischee, wenn Enright die Familiengeschichte quasi von hinten aufrollt, indem sie die erwachsenen Mitglieder erst in ihren eigenen Zusammenhängen zeigt, um dann anzudeuten, wie wenig sie sich doch von zuhause haben abnabeln können. Die von der Autorin anvisierte Revision eines Familienlebens gelingt laut Person durch unsentimentale bis spöttische Einzelporträts und einen kargen Realismus, in den die Autorin mitunter allerdings doppelte Böden einzieht, wie Person meint.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.11.2015

Erlösung ist nicht vorgesehen

Die irische Meisterin kühler Beobachtung: Anne Enright bleibt ihrem großen Thema, der abgründigen Familiengeschichte, auch im neuen Roman treu.

Von Rose-Maria Gropp

Da sind vier Geschwister. Sie heißen Constance, Emmet, Dan und Hanna. Sie werden in ihren Leben sehr unterschiedliche Wege gehen. Keinem von ihnen wird die Liebe begegnen können, als tiefe Zuneigung zu einem anderen Menschen, schon zwischen ihnen darf sie nicht entstehen. Der neue Roman der irischen Schriftstellerin Anne Enright folgt ihren jeweiligen Geschicken, nicht schlicht chronologisch, sondern in spannungsreicher Verschränkung. Wie eine geheime Fessel verbindet die einstigen Kinder, dass sie auch nicht lernen durften, geliebt zu werden. Damit klingt ein Generalthema der Erfolgsautorin an, wie sie es schon in ihrem zu Recht gepriesenen Roman "Das Familientreffen" angeschlagen hat, für den sie 2007 den Man-Booker-Preis gewann.

"Später, nachdem Hanna Käsetoasts gemacht hatte, kam ihre Mutter in die Küche und füllte eine Wärmflasche mit Wasser aus dem großen Kessel auf dem Herd. ,Geh doch mal zu deinem Onkel für mich, ja?', sagte sie. ,Besorg mir Solpadeine.'" So beginnt der Roman. Hanna ist zwölf Jahre alt, die Jüngste der vier Geschwister, die dem Diktat ihrer hypochondrischen und egozentrischen Mutter unterworfen sind. Die Käsetoasts hatte das Kind für die leidende Mutter bereitet, und das Schmerzmittel aus der Apotheke des Onkels will die Mutter haben, weil Dan, einer der beiden Brüder Hannas, beschlossen hat, Priester zu werden. Deshalb hat sie sich jetzt auf unabsehbare Zeit in ihr Bett zurückgezogen. Es ist das Jahr 1980 im Haus der Familie Madigan im County Clare in Irland und: "Es war nicht das erste Mal, dass ihre Mutter die, wie Dan es nannte, horizontale Lösung bevorzugte, aber das längste Mal, an das Hanna sich erinnern konnte." Doch nicht nur Hanna codiert die Mutter regelrecht, das ständig weinende kleine Mädchen, das später von einer Karriere als Schauspielerin träumt, wird eine Trinkerin werden. Das mütterliche Regime wirkt lebenslang für alle Kinder, denen wir an unterschiedlichen Stationen ihrer Leben begegnen.

Zunächst ist das Dan, elf Jahre später, 1991 in New York. Für ihn, die eigentliche Schlüsselfigur, wechselt Enright von der distanzierten Beobachtung in ein "wir": "Wir alle dachten, Billy sei bei Greg, doch in Wahrheit waren die beiden schon vor Monaten getrennte Wege gegangen - falls sie denn jemals zusammen gewesen waren." Dan ist nicht Priester geworden, er ist eingetaucht in die schwule New Yorker Szene jener Jahre, deren demonstrativem Hedonismus die HIV-Infizierten und die Aids-Toten gegenüberstehen. Dan - attraktiv, intellektuell, von kaltem Herzen - schwimmt am Rande mit, hat eine Affäre mit Billy, hält sich aber seine heterosexuelle Option offen. Dieses Kapitel ist das großartig heftigste Stück des Buchs.

Ihm folgt die Schilderung der ältesten Schwester Constance, die eigentlich Pharmazie hätte studieren wollen, es ist das Jahr 1997. Sie scheitert an ihren Plänen und bleibt in Irland, der Mutter räumlich am nächsten. Constance hat eine Familie gegründet, hat drei Kinder und lebt in Wohlstand. Aber sie hat jedes Gefühl für ihren Körper eingebüßt, der immer dicker wird, ihr Empfinden ist stumpf geworden. Dann treffen wir Emmet 2002 in Mali, wo er seine diffuse Empathie den leidenden Menschen zuwendet - doch unfähig, der Frau, die sein Leben dort teilt, gerecht zu werden: "Und er wollte ihr sagen, dass sie wunderbar sei und immer recht habe und dass er, Emmet, als Mensch ein Versager sei." Womit er verdammt recht gehabt hätte, aber er sagt es nicht.

Diese meisterhaft erzählten Lebens-Ausschnitte sind die Herzstücke des Romans. Ähnlich wie in "Das Familientreffen" rechnet Anne Enright ab mit den katastrophischen Folgen der Liebesunfähigkeit. Aber sie tut es jetzt nicht aus der Perspektive einer verstörten Ich-Erzählerin. Sondern sie stellt sich gewissermaßen neben ihre Figuren, observiert sie geradezu; selbst das "wir" im Kapitel über Dan weicht kaum von dieser Spur ab. Doch dann kommt endlich Rosaleen selbst ins Spiel, die Mutter, verblieben in ihrem Haus in Ardeevin. Es ist das Jahr 2005, sie ist inzwischen 76 Jahre alt, und kein Inhalt füllt mehr ihr Leben. Enright unterbricht ihre kühle Distanz, sie macht sich an die Anatomie eines Monstrums, das eine Ahnung von seiner hässlichen Seele hat. Und Rosaleen, die ihre Kinder mit der Ankündigung, sie werde ihr Haus verkaufen, zu einem gemeinsamen Weihnachten ködert, will noch einmal herrschen: "Denn das war es, worauf sie warteten. Alle warteten nur darauf, dass Rosaleen starb. ,Ach, ach, ach', rief sie und schlug mit ihrer schwachen alten Faust auf die Tischplatte." Sie schreibt hypokrite Weihnachtskarten an ihre verlorenen Kinder. So kommt es zu "Rosaleens Fest", wie der Titel der deutschen Übersetzung lautet. Erwartungsgemäß nimmt der Schrecken seinen Lauf, dem Rosaleen zudem die Sorge um ihr Leben aufzwingt.

Im Original heißt der Roman "The Green Road", nach einem Wanderweg in der Grafschaft Clare, in dessen Nähe das mütterliche Haus steht; dort versucht Rosaleen, ihren letzten Trumpf auszuspielen. Der deutsche Titel hingegen lenkt die Aufmerksamkeit auf das Finale mit seiner zänkischen familialen Bündelung; darin liegt nicht die eigentliche Stärke des Buchs. Nachdem die weihnachtliche Reunion mit ihren Kindern aus dem Ruder gelaufen ist, bricht die Mutter zu ihrem abendlichen Spaziergang auf der "Green Road" auf. Enright betreibt gewissermaßen Introspektion in Rosaleens Gedanken, durch die selbstmitleidige Reminiszenzen an ihren gestorbenen, einst begehrten Mann rauschen: "Mit den Jahren war Pat Madigan schweigsamer geworden. Gegen Ende seines Lebens hatte er kaum noch etwas oder gar nichts mehr gesagt. Und auch das war ihre Schuld." Barmherzig ist diese Form zerebraler Vivisektion nicht, aber sie wird in packenden Sätzen vollzogen.

Das Raffinement des Romans ist von Anne Enrights bisweilen bis zum Sarkasmus reichender Scharfsichtigkeit unterfüttert. Die Kraft ihrer Sprache, die genau aus den Sprüngen und Brüchen des Erzählens hervorgeht, feit sie vor Sentimentalität und Kolportage. Den Schatten von Versöhnlichkeit duldet sie nur für eine kleine Zeit. Am Ende des Buchs gibt es keine Lösung für diese vier Menschen, alle in ihrer Lebensmitte, Erlösung ist ohnehin nicht vorgesehen. Und die Mutter lebt.

Anne Enright: "Rosaleens Fest". Roman.

Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2105. 384 S., geb., 19,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.12.2015

Der lange Weg nach Hause
Anne Enright lässt vier Kinder an Weihnachten ihre Mutter besuchen: „Rosaleens Fest“ ist ein
herber Familienroman voller lädierter Gestalten und ein Psychogramm der irischen Gesellschaft
VON JUTTA PERSON
Irgendwann ist es so weit. Die Tochter mit dem Alkoholproblem süffelt am Sherry, der zum Kochen gedacht war. Der schwule Sohn, der früher mal Priester werden wollte, gibt den weit gereisten Star; der nichtschwule Sohn, der als Entwicklungshelfer arbeitet, schwingt ketzerische Reden; die älteste Tochter, die alles kochen und spülen muss, sitzt heulend in der Küche. Und die Mutter fragt sich, warum sie nicht wirklich nett sein kann zu ihren vier Kindern.
  Rosaleens Kinder sind zu Weihnachten nach Hause gekommen, ganz so, wie sie es gewünscht und erpresst hatte, durch ein Postscriptum auf den Weihnachtskarten, das auf den angedachten Hausverkauf hinwies. Hausverkauf bedeutet Revision: der Kindheiten, der Familiengeschichte – und der Geschichte eines Landes, das früher sehr arm war und später immerhin so reich wurde, dass Hausfrauen im Supermarkt vierhundertzehn Euro für das Weihnachtsfestmahl ausgeben können.
  Dass jedes der Kinder – Dan, Emmett, Constance und Hanna – auf seine ganz eigene Weise unglücklich ist, ist die erzählerische Grundbedingung dieses Familienromans, den man tragikomisch nennen könnte, wenn das nicht etwas klischeehaft nach „zu viel Sherry, aber immerhin sind alle daheim“ klänge. Im Original trägt der Roman, der in diesem Jahr auf der Long List des Booker Preises stand, den Titel „The Green Road“, und tatsächlich hat die irische Schriftstellerin Anne Enright weniger das abschließende Weihnachtsfest, als vielmehr den langen Weg dorthin ins Zentrum gestellt. Dort irgendwo liegt das Haus der Familie Madigan im County Clare, nicht weit vom Atlantik und südlich der Shannon Bay. In der Nähe des Hauses gibt es eine „green road“, eben jenen Feldweg, auf dem Rosaleen gewöhnlich einen Verdauungsspaziergang macht.
  Der lange Weg beginnt 1980 im County Clare mit dem Kapitel „Hanna“. Es porträtiert die jüngste Tochter (die mit dem Sherry), führt mit „Dan“ ins schwule New York der frühen Neunzigerjahre und zeigt „Constance“ (die mit der Vierhundertzehn-Euro-Rechnung) bei einer Brustkrebsuntersuchung 1997 im County Limerick. Das „Emmett“-Kapitel stellt den Entwicklungshelfer-Sohn vor, der 2002 in Mali stationiert ist und gerade seine Beziehung ruiniert. Ein vorläufiges Wegesende ist mit „Rosaleen“ erreicht, die im Jahr 2005 allein in ihrem Haus sitzt – es heißt Ardeevin, ist idyllisch gelegen, aber ähnlich lädiert wie seine Ex-Bewohner.
  Die Blümchen an den Erdgeschosswänden sind überstrichen, das obere Stockwerk mit den Kinderschlafzimmern ist längst verwaist. Dort regiert noch „der beruhigende Irrsinn einer gemusterten Tapete“, wie Dan feststellt, als er sein altes Zimmer auf sich wirken lässt. Das womöglich letzte gemeinsame Weihnachtsfest fällt ebenfalls ins Jahr 2005: Irland ist ein zu Geld gekommenes Land, das gerade dabei ist, seine ärmlich-provinzielle Vergangenheit abzuwickeln; die Finanzkrise ist noch nicht in Sicht. Was sich aber abzeichnet, ist der Mangel, den jedes Mitglied der Madigan-Familie auf eine andere Art erlebt hat. Anne Enright ist eine unsentimentale, manchmal herb spöttelnde Beobachterin; die Liebessehnsucht der Kinder und der Mutter deutet sie nur an.
  Die Einzelporträts, die gleichzeitig die Jahrzehnte Revue passieren lassen, präsentieren vier Geschwister, die sich kulturell, wirtschaftlich oder geografisch himmelweit von ihrer Herkunft entfernt haben – und sich doch nie richtig abnabeln konnten. Dan „nahm die Macht wahr, die Rosaleen über ihre Kinder ausübte, Kinder, von denen keines so erwachsen war, dass es sich mit ihr messen konnte“. Am besten trifft das wohl auf ihn selbst zu: Seine Welt ist die New Yorker Kunstszene, die von Aids heimgesucht wird und mit Lebensgier und Parties antwortet. Dan ist der schöne, immer ein wenig restverklemmte Ire, der sich lieben lässt, aber selbst nicht lieben kann. Ein entlaufener Priester.
  Anne Enright, geboren 1962 in Dublin, hat solche fies-familiären Liebesgeflechte schon in früheren Romanen seziert; „Anatomie einer Affäre“ war die Geschichte einer jahrelang geheim gehaltenen Beziehung mit all ihrer Schäbigkeit; der Roman „Das Familientreffen“, mit dem sie 2007 den Booker Preis gewann, erzählte von einer Schwester, die nach dem Selbstmord des Bruders die düstere Familiengeschichte aufrollt. Dunkle Geheimnisse, das könnte nach Stoff von der Stange klingen (Missbrauch, Liebesentzug, Kriegserlebnisse).
  Bei Enright ist es aber die Form, die den Ausschlag gibt: ein schnörkelloser Realismus, der mit schlichten, doppelbödigen Szenen Leerstellen erzeugt – wie kleine Krater, die immer weiter nach unten führen. Gelegentlich könnte man an Colm Tóibín, den irischen Meister der Aussparung, und dessen Erzählungen „Mütter und Söhne“ denken. Bedient Enright irische Klischees, wenn sie von vielköpfigen katholischen Familien, Alkoholismus und neuem Reichtum schreibt und Gedichtzeilen wie „Oh, little Corca Baiscinn / the wild, the bleak, the fair“ zitiert? Das wäre so, als ob man einem Prenzlauerbergroman die Einkindfamilie und den Veganismus vorwerfen würde. Manche Details sind allerdings doch dick aufgetragen; „das kleine Cottage aus der Zeit der Hungersnot“ etwa, in dem Rosaleen Schutz vor ihrer eigenen Verkorkstheit sucht.
  Apropos Verkorkstheit: Diese Mutter denkt, dass alle nur auf ihr Ableben warten. Rosaleen erweist sich als wehleidige, egozentrische, mit ihrer Liebe geizende Diva; der Vater bleibt dagegen seltsam blass. Wenn Unheil droht, legt sie sich ins Bett und lässt sich von den Kindern Medikamente bringen – als Tochter des Apothekers hält sie sich immer noch für etwas Besseres; dass sie den Landwirt Pat Madigan und damit „unter ihrem Stand“ geheiratet hat, ist ihr Verhängnis. Gegen Ende, auf dem Feldweg, heißt es: „Rosaleen war des Wartens müde. Ihr ganzes Leben hatte sie auf etwas gewartet, das nie eingetreten war“. Auch die Kinder können ihre Erwartungen nicht erfüllen – was in den besten Familien und in vielen Romanen vorkommt. Eine simple Mutti-ist-die-Bestie-Story erzählt „Rosaleens Fest“ dennoch nicht, die kleinen Gemeinheiten verweisen vielmehr auf eine unendliche Geschichte von ersehnter und verweigerter Aufmerksamkeit, die wie eine Splitterbombe alle Zeitschichten und Beteiligten erfasst.
  „Gott, du bist wirklich unverwüstlich“, sagt Rosaleen zu ihrer Tochter Constance, nachdem sie von der Brustkrebsuntersuchung erfahren hat. Und dann lässt Enright einen lapidaren Satz folgen, der den ganzen familiären Mikro-Abgrund aufklaffen lässt: „Es klang wie eine Beleidigung“.
Auf der „Green Road“, so der
Originaltitel, macht die Heldin
ihren Verdauungsspaziergang
  
  
  
Anne Enright: Rosaleens Fest. Roman. Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2015.
380 Seiten, 19,99 Euro. E-Book 15,99 Euro.
Irgendwo liegt das Haus der Familie Madigan im County Clare, nicht weit vom Atlantik. Es ist aber schon etwas älter als diese Neubauten.
Foto: Bloomberg News
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"Das Raffinement des Romans ist von Anne Enrights bisweilen bis zum Sarkasmus reichender Scharfsichtigkeit unterfüttert." Frankfurter Allgemeine Zeitung, Rose-Marie Gropp, 28.11.2015
Anne Enrights scheut nicht vor bitteren Wahrheiten zurück. Mit brillantem Blick für die kleinen und größeren Missverständnisse und Brüche innerhalb von Familien  seziert sie familiäre Dramen und Schicksale. In "Rosaleens Fest" bestimmt die greise Rosaleen noch immer über Wohl und Weh ihrer vier längst erwachsenen Kinder. Zu Beginn des Romans, der in den Achtzigerjahren spielt, zieht sie sich schmollend in ihr Bett zurück, weil ihr bildhübscher Sohn Dan Priester werden möchte und somit seiner Mutter keine Enkel gönnt. Dan wird dann doch nicht Priester und flüchtet genau wie sein jüngerer Bruder Emmett aus der Umklammerung der Mutter nach Amerika. Aber Rosaleen bleibt als übermächtiger Schatten immer Teil des Lebens ihrer Kinder, so auch der Jüngsten, Hanna, die Schauspielerin werden wollte, sich aber im Alkohol verliert, und Constance, der Ältesten, die orientierungslos durchs Leben wandelt. Anne Enright lässt jedes der Kinder zu Wort kommen, zeigt ihre Versuche, auszubrechen. Als Rosaleen ihre vier Sprösslinge zu Weihnachten zusammenruft, um in dem alten Familiensitz Ardeevin ein letztes Mal zu feiern, ehe das Haus verkauft wird, kommt es zum Eklat. Rosaleen greift zu einem starken Mittel, um ihre Kinder noch einmal in emotionale Abhängigkeit zu zwingen.

»Ordentlich Zunder, aus dem die Meisterin der gereizten Verwandtschaftszusammenkünfte wieder ein schön grimmiges Gruppen-Psychogramm gemacht hat.« Brigitte