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Seit die historische Frauenforschung begonnen hat, nach der Rolle der Frau in der Gesellschaft zu fragen, ist unser gewohntes Bild der Vergangenheit in Bewegung geraten. Auch in der Musikgeschichte öffnen sich bei eingehender Betrachtung neue Perspektiven. Nur auf den ersten Blick erscheint das deutsche Musikleben der Frühen Neuzeit als eine rein männliche Kultur. Im professionellen Musikleben, den Hofkapellen, Kirchen und Stadtpfeifereien, traten Frauen nicht auf. Doch boten sich ihnen in vielen Lebensbereichen des Adels, des Bürgertums und der Ordenswelt zahlreiche Gelegenheiten zu…mehr

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Produktbeschreibung
Seit die historische Frauenforschung begonnen hat, nach der Rolle der Frau in der Gesellschaft zu fragen, ist unser gewohntes Bild der Vergangenheit in Bewegung geraten. Auch in der Musikgeschichte öffnen sich bei eingehender Betrachtung neue Perspektiven. Nur auf den ersten Blick erscheint das deutsche Musikleben der Frühen Neuzeit als eine rein männliche Kultur. Im professionellen Musikleben, den Hofkapellen, Kirchen und Stadtpfeifereien, traten Frauen nicht auf. Doch boten sich ihnen in vielen Lebensbereichen des Adels, des Bürgertums und der Ordenswelt zahlreiche Gelegenheiten zu musizieren und das Musikleben ihrer Zeit zu beeinflussen. Diese weitgehend verborgene Kultur weiblicher Musikübung wird mit dem vorliegenden Handbuch in ihrer gesamten Bandbreite aufgedeckt. Eingebettet in den umfassenden Kontext der Kulturgeschichte, werden anhand primär außermusikalischer Quellen die vielfältigen Funktionen gezeigt, in denen Frauen an der Musikkultur der Renaissance und des Barocksteilhatten: als Mäzeninnen und Impulsgeberinnen, Vermittlerinnen und Sammlerinnen, als professionelle und private Sängerinnen und Instrumentalistinnen und - allerdings selten - als Komponistinnen. Allgemeine Darstellungen wechseln sich dabei mit biographischen Skizzen ab, in denen das musikalische Wirken heute vergessener Frauen rekonstruiert wird.
Autorenporträt
Koldau, Linda Maria
Linda Maria Koldau hat den Lehrstuhl für Musik und Kulturgeschichte an der Universität Aarhus (Dänemark) inne.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.08.2006

Keine Töne für einen Don Giovanni?
Überall musizierende Frauen: Linda Maria Koldau zieht den Vorhang vor der Musikgeschichte hoch

Das Mozart-Jahr bringt es wieder an den Tag: Das neunzehnte Jahrhundert hat uns immer noch in den Klauen - in Gestalt des Genie- und Heroenkults. Die großen einzelnen machen die Geschichte, selbstverständlich die "großen" Männer. Als Leuchttürme, wenn nicht gar Matterhörner überragen sie die Kulturlandschaft. Am Rang Rembrandts, Mozarts, Heines, Schumanns und Schostakowitschs muß man nicht rütteln, doch haben sich Malerei, Musik und Literatur komplexer entwickelt, als der Geistesriesenwahn vermuten läßt. Man verkleinert Mozart nicht, läßt man Salieri Gerechtigkeit widerfahren.

Ähnliches gilt für die Rolle der Frauen. Denn rasch werden alle Zweifel weggewischt mit der Suggestiv-Frage, wo sie denn seien, die "Faust"-Dichterinnen und "Don Giovanni"-Komponistinnen - ohne nur einen Gedanken daran zu verschwenden, ob nicht genau diese erhabenen Sujets männerspezifisch sind. Frauen haben demnach in der Kultur allenfalls als Muse, Dienerin oder Interpretin etwas zu suchen. Spitzenorchester ohne Frauen, die Ablehnung von Dirigentinnen werden zwar anachronistischer, doch allein die Tatsache, daß derlei thematisiert werden muß, belegt die weiterwirkende Virulenz. Eine verstiegene Männer-Scholastik gibt noch heute die biologisch-theologischen Ausfälle etwa von Brahms oder Strauss zum besten. Dabei hat sich viel geändert, die Werke von Komponistinnen finden sich vermehrt in den Programmen, und Dirigentinnen besetzen wichtige Positionen. Einen Fortschritt gibt es also, und er ist auch nicht mit dem rechthaberischen Hinweis, wie modisch-überflüssig der Gender-Diskurs sei, abzufertigen.

Aber weitab von Überlegungen nach genuin weiblicher Ästhetik und entsprechenden Kriterien weiß man wenig über die reale Rolle von Frauen in der Musikgeschichte. Um so wichtiger ist, daß nun eine Arbeit vorliegt, die exemplarisch dem Wirken von Musikerinnen in Renaissance und Barock nachgeht, in Form eines Handbuchs ein Panorama der Kulturgeschichte entfaltet. Das Werk besticht durch den subkutanen Blick, mit dem es die Fassaden durchdringt - und die, die bislang nicht im Licht standen, hervorhebt. Es kommt eine große Zahl höchst unterschiedlicher musikalisch tätiger Frauen zum Vorschein - quasi eine Reserve-Armee der heiligen Cäcilia.

Linda Maria Koldaus Hauptziel ist nicht, nachzuweisen, welch verkannte Talente im Unterholz der Historie schlummerten, so daß die Musikgeschichte neu zu schreiben sei. Sie sucht nicht primär nach weiblichen Pendants zu den "großen Meistern", weiß als Historikerin, daß selbst eminente Begabungen zu ihrer Entfaltung des adäquaten Umfelds bedürfen, das im sechzehnten, siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert oft noch nicht gegeben war. Darin ist sie Realistin, kulturhistorische Quellenforscherin. Selbstverständlich geht ihre Arbeit über die reine Frauenforschung hinaus: Die Situation der Musikerinnen wird im Zusammenhang der Epochenströmungen, also innerhalb eines komplexen Kräftegeschiebes, dargestellt.

Die Musikausübung erscheint als ambivalent. Wer an der hohen Tonkunst teilhatte, stand dem Göttlichen näher. Die Musik in den Frauenklöstern - mit der Zentralfigur der Hildegard von Bingen - war eine ehrenwerte Variante zur sonst meist männlich dominierten musica sacra. Doch auch im weltlichen Bereich, an den Höfen wie in den Patrizierhaushalten, standen musikalische Fertigkeiten von Frauen in hohem Ansehen, ergänzten tradierte Tugenden wie Sittsamkeit, Bildung, Gelehrsamkeit, Anmut und transzendierten häusliche Pflichterfüllung. Die hohe Zahl der Adligen und Bürgerlichen, die schön singen, gewandt ein Instrument beherrschen, sogar Lieder komponieren, ist verblüffend. Da wird die seraphische Funktion von Musik wertsteigernd auch den Frauen attestiert.

Für das Gegenteil steht das Musikmachen im Zeichen der Lust, der Antikonvention und Grenzüberschreitung: Wer ausgelassene Lieder singt, Tänze spielt, gar selber ausführt, steht schnell im Ruf des Leichtfertigen, Unsittlichen, Verwerflichen. Das betrifft nicht nur die Amüsiersphäre der Schenken mit den hübschen Wirtstöchtern, sondern generell die verführerische Wirkung von Sang und Klang - und erst recht mancher Musiklehrer in abgeschiedenen Unterrichtssituationen. Musik wie Musiker verleiten zur Unzucht. Töne gelten als lasziv, den Ausübenden ist nicht zu trauen, die "Unschuld" der Unterwiesenen ist in Gefahr - und Frauen, die sich allzu intensiv dem klingenden Blendwerk hingeben, sind rasch als Prostituierte abgestempelt; wobei der Ruf nicht selten in die Realität führte.

Ja, Musikleidenschaft konnte auch die Hexen-Stigmatisierung nach sich ziehen. Himmel und Hölle der Musikauffassung als caelestische Entrückung wie als profane, unmoralische bis teuflische Niederung lassen sich in der Frauen-Konnotation des sechzehnten bis achtzehnten Jahrhunderts studieren. Wobei evident ist, daß die Zuwendung zur Musik in hohem Grade emanzipationstypisch war - bis hin zu den Polen von Klosterzelle und Scheiterhaufen. Frappierend, daß gerade die Wiedertäufer neben machistischen Strukturen auch feministische Energien hervorbrachten und daß nicht wenige der Wiedertäufer-Lieder von Frauen stammten.

Die Materialfülle des Buchs der Frankfurter Musikwissenschaftlerin ist überwältigend und fördert ein reiches Tableau weiblicher musikalischer Aktivitäten zutage. Auf ästhetische Stil- und Qualitätsfragen geht sie nicht ein. Wichtiger in der Tat ist denn auch, einmal darauf hingewiesen zu haben, wie eminent der Anteil der Frauen am Musikleben war. Diese enorme Quantität erweist sich als Qualität. Man muß das Buch nicht in erster Linie als Dokument der Frauenforschung sehen, das es sicher ist: Wer sich für Kultur-, Kirchen- und Musikgeschichte interessiert, wird außerordentlichen Gewinn daraus ziehen.

GERHARD R. KOCH

Linda Maria Koldau: "Frauen-Musik-Kultur". Ein Handbuch zum deutschen Sprachgebiet der Frühen Neuzeit. Böhlau Verlag, Köln 2005. 1188 S., geb., 110,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Höchst verdienstvoll erscheint Gerhard R. Koch diese umfangreiche Studie über Frauen in der Musikgeschichte, insbesondere in der Renaissance und im Barock, die Linda Maria Koldau vorgelegt hat. Beeindruckend findet er nicht nur die Materialfülle des Werks, sondern vor allem den "subkutanen Blick" der Autorin, der hinter den Fassaden eine Mannigfaltigkeit femininen musikalischen Wirkens zu Tage fördert. Ausführlich berichtet er über musizierende Frauen in Klöstern, an den Höfen und in den Patrizierhaushalten, wo Musikalität in hohem Ansehen stand. Koch sieht in dem Werk mehr als nur ein bedeutendes Dokument der Frauenforschung - zumal die Autorin die Situation der Musikerinnen im Zusammenhang der Epochenströmungen darstellt. So kann er den Band jedem uneingeschränkt empfehlen, der sich für Kultur-, Kirchen- und Musikgeschichte interessiert.

© Perlentaucher Medien GmbH